Lack und Leder im Schwarzwald: NAG C4 Tourer

Wer sich von der Überschrift meines heutigen Blog-Eintrags schlüpfrige Inhalte auf dem Niveau von „Erwachsenenfilmen“ der 1970er Jahre erwartet, wird enttäuscht werden.

Mit aufreizenden Bildern lasziver Schwarzwaldmädels in Lack und Leder kann ich nämlich nicht aufwarten, wohl aber mit einem reizvollen NAG-Foto einer moralisch vermutlich einwandfreien Gesellschaft in streng funktionellem Lack und Leder.

Die Hauptrolle spielt dabei ein alter Bekannter – ein verlässliches Schlachtross, das mich schon auf einigen Expeditionen in die Welt des Vorkriegsautomobils begleitet hat. Die Rede ist vom Typ C4 10/30 PS, der von 1920 bis 1924 von NAG in Berlin gebaut wurde.

Hier haben wir einen dieser Wagen in der verbreiteten Ausführung als Tourenwagen in malerischer Szenerie abgelichtet irgendwo im Schwarzwald – soviel verrät die Beschriftung des Abzugs:

NAG Typ C4 10/30 PS; Originalfoto aus Sammlung Michael Schlenger

Einige tausend Exemplare – genau weiß man es nicht – dieser solide konstruierten und hochwertig verarbeiteten Wagen bevölkerten einst die deutschen Straßen. Entsprechend oft begegnet man ihnen mit unterschiedlichen Aufbauten auf zeitgenössischen Fotos.

In meiner stetig wachsenden NAG-Fotogalerie – der wohl größten überhaupt, die allgemein zugänglich ist – finden sich bereits rund zwei Dutzend historische Aufnahmen dieses Typs bzw. des leistungsgesteigerten Modells D4 10/45 PS, das von 1924-27 äußerlich nur wenig verändert weitergebaut wurde.

Um die typischen Merkmale eines NAG C4 besser studieren zu können, rücken wir dem im Schwarzwald aufgenommenen Exemplar näher auf den Pelz bzw. das Blech:

Der Wagen wirkt hier ungewöhnlich groß, doch das lässt sich leicht mit der Größe der abgebildeten Personen erklären. Nimmt man an, dass der vorn am Kotflügel angelehnte Herr 1,65 Meter maß, würde das zum überlieferten Radstand von 3,10 Meter passen.

Die Insassen dürften ebenfalls nicht so großgewachsen gewesen sein, wie das heute oft der Fall ist. Entsprechend eindrucksvoll wirkt hier der Wagen, dessen Leistung es jedoch nicht mit der vor dem 1. Weltkrieg gebauten Typen mit 35 bis 75 PS aufnehmen konnte.

So musste NAG nach 1918 wie andere deutsche Hersteller kleinere Brötchen backen. Erst ab Mitte der 1920er Jahre war mit dem Typ D6 12/60 PS wieder ein deutlich stärkeres Modell im Angebot. Über den NAG D5 – wenn es ihn gegeben hat – ist mir nichts bekannt.

Der Typ C4 besaß wie die Vorkriegsmodelle einen Kühler mit ovalem Ausschnitt, dieser war jedoch gleichzeitig spitz ausgeführt, wie das seinerzeit in deutschen Landen Mode war. Je nach Bildqualität besteht Verwechslungsgefahr mit den D-Typen von Stoewer aus Stettin, deren Kühlerspitze vorne jedoch leicht schräg verlief.

Hier haben wir es eindeutig mit einem NAG zu tun, übrigens auch erkennbar an den drei unterschiedlich großen Lufteinlässen in der Partie hinter der Motorhaube – sie dienten der Belüftung des Innenraums, der durch die Abwärme von Motor, Getriebe und Auspuffanlage stark erhitzt wurde – kein Vergnügen in der warmen Jahreszeit:

Man findet diese drei Lufteinlässe auf einigen, aber nicht allen Fotos des NAG C4, und ich vermute, dass es sich um eine baujahrabhängige Änderung handelte. Vielleicht weiß jemand mehr dazu (bitte Kommentarfunktion nutzen) .

Da der Lack dieses NAG aufgrund der Körnigkeit des Abzugs und der starken Ausschnittsvergrößerung nicht sonderlich zu glänzen vermag, verlegen wir uns unterdessen auf das Thema „Leder“, das hier eine reizvolle Rolle spielt.

Wie es scheint, trägt der vor dem NAG posierende Herr nicht nur Lederschuhe und darüber lederne Gamaschen – die zusammen die Optik von Reitstiefeln ergeben, sondern auch Lederhandschuhe sowie die typische zweireihige lederne Fahrerjacke, die bereits vor dem 1. Weltkrieg aufkam.

Mit den überlappenden Brustteilen bietet das Kleidungsstück guten Schutz gegen Fahrtwind. Bei Bedarf lässt sich mit hochstellbarem Kragen und Revers die Halspartie zusätzlich isolieren. Außerdem ist das Material unempfindlich gegen Staub, Öl und Beschädigungen.

Aus eigener Erfahrung weiß ich, dass eine solche Jacke – die ähnlich noch heute zu bekommen ist – hervorragenden Schutz bei Wind und Wetter bietet. Außerdem sieht so ein glänzendes und knautschiges Stück einfach gut aus, meine ich. Warum das der Fall ist, dies zu erklären überlasse ich Psychologen und Anthropologen…

Besonders raffiniert finde ich die Kombination mit weißem Hemd und Krawatte, wie sie hier bei dem zweiten Herrn aus der Lederfraktion zu besichtigen ist:

Während er als Kopfbedeckung die legendäre „Prinz Heinrich Mütze“ gewählt hat, trägt die Dame am Lenkrad eine Pelzkappe.

Sie fand die Verbindung aus Lack und Leder wohl nicht so attraktiv, während ihre Geschlechtsgenossin im Fond sich immerhin zu einer ledernen Fahrerhaube durchgerungen hat, unter der sie vernügt hervorschaut.

Über das Geschlecht der Person neben ihr dürfen Mutmaßungen angestellt werden – neuerdings finden ja mehr Varianten Verbreitung als die beiden traditionellen, die man mit und ohne Y-Chromosom aus dem Biologieunterricht kennt.

Ich schätze, es handelt sich bei den Insassen des NAG (einschließlich des Fotografen) um drei Paare, die einst an einem kühlen Tag den Schwarzwald im Automobil erkundeten.

Die Verbindung aus Lack und Leder dürfte sich dabei bewährt haben, wenn man die zufriedenen Gesichter der abgelichteten Personen als Maßstab heranzieht.

Wir aber erfreuen uns an einem weiteren Dokument des NAG Typ C4 10/30 PS, der trotz seines auf den ersten Blick nüchternen Erscheinungsbilds einst ein begehrtes Objekt der Leidenschaft war…

© Michael Schlenger, 2020. All entries in this blog (including embedded photos) are copyrighted by the author, unless otherwise indicated. Excerpts and links may be used, provided that credit is given to Michael Schlenger and https://vorkriegs-klassiker-rundschau.blog with appropriate and specific direction to the original content.

Fast wie Weihnachten – NAG-Protos 16/80 PS Cabriolet

Am zweiten Weihnachtsfeiertag des Jahres 2018 habe ich als „Fund des Monats“ einen Wagen präsentiert, der aus meiner Sicht zu den schönsten Schöpfungen seiner Zeit gehörte – zumindest am deutschen Markt.

Damals konnte ich gleich fünf Fotos präsentieren, die den 1930 vorgestellten NAG-Protos 16/80 PS in der hocheleganten Ausführung als zweitüriges Sport-Cabriolet (Typ 208) zeigen. Zur Erinnerung hier eine der Aufnahmen:

NAG-Protos 16/80 PS Typ 208 Sport-Cabriolet; originales Pressefoto aus Sammlung Michael Schlenger

Auch die anderen Bilder dieses mächtigen Sechszylinderwagens, dessen 4-Liter-Aggregat das 2 Tonnen schwere Fahrzeug auf 110 km/h beschleunigen konnte, zeigen das Modell mit geöffnetem Dach.

Ich bin der Auffassung, dass viele Cabriolets mit geschlossenem Verdeck harmonischer erscheinen, auch wenn dies nicht der von der Kundschaft bevorzugte Zustand war und man „offen“ natürlich das größere Fahrerlebnis hat.

Doch aus rein ästhetischer Perspektive wirken geschlossene Aufbauten bei Automobilen der 1930er Jahre – von reinrassigen Sportwagen einmal abgesehen – auf mich meist stimmiger.

Zur Unterfütterung meiner These habe ich heute das außerordentliche Vergnügen, einen NAG-Protos 16/80 PS in der damals gefeierten Ausführung als Sport-Cabriolet endlich einmal mit geschlossenem Verdeck zu zeigen.

Ich meine, dass der Wagen so noch umwerfender wirkt, woran freilich die gekonnte Perspektive und die charmante Dame daneben nicht ganz unschuldig sein dürften:

NAG-Protos 16/80 PS Typ 208 Sport-Cabriolet; originales Pressefoto aus Sammlung Michael Schlenger

Auch diese Aufnahme von 1930 entstand anlässlich einer der zahlreichen Schönheitskonkurrenzen, bei denen das serienmäßige Sport-Cabriolet auf Basis des NAG-Protos 16/80 PS ausgezeichnet wurde – und auch hier haben wir ein zeitgenössisches Pressefoto vor uns.

Ein solches Bild konnte nur ein akkreditierter Fotograf machen, während das fein gekleidete Publikum hinter einer dezenten Absperrung das Defilee mondäner Fahrzeuge und ihrer Besitzer genoss.

Auch dieses Detail der Aufnahme von 1930 verdient eine nähere Betrachtung – es macht anschaulich, wie stilbewusst man sich in der Öffentlichkeit gab:

Wer der Meinung ist, dass diese damals selbstverständliche Kleidung „einengt“ oder sonstwie eine Zumutung darstellt, dem sei ein Besuch beim dreitägigen Goodwood Revival Meeting in Südengland empfohlen, wo fast alle Besucher freiwillig in solchen Outfits erscheinen.

Egal bei welchem Wetter fühlt man sich dort mit Anzug, Krawatte und Hut bzw. mit figurbetontem Kostüm oder tailliertem Kleid mit Pumps binnen kürzester Zeit perfekt gerüstet für ein Spektakel, in dem die Welt von gestern wieder auflebt und die Rennen mit Fahrzeugen der 1930er bis 1960er Jahre für viele Besucher nur Nebensache sind.

Auf obigem Bildausschnitt erkennt man übrigens auch schemenhaft das typische NAG-Protos-Emblem, das sich auf folgender Reklame wiederfindet:

NAG-Protos 16/80 PS Reklame; Original aus Sammlung Michael Schlenger

Auch hier wirkt der Wagen – in diesem Fall ein seltenes viertüriges Cabriolet – mit geschlossenem Verdeck auf mich überzeugender als in der offenen Variante.

Ein Foto genau dieser Ausführung ist mir bislang noch nicht untergekommen – offenbar ließen sich die Käufer eher vom zweitürigen Sport-Cabriolet hinreißen, von dem nun schon ein halbes Dutzend Aufnahmen in meiner stetig wachsenden NAG-Galerie versammelt sind.

Ein solcher viertüriger Cabrio-Aufbau scheint damit eine noch größere Rarität gewesen zu sein und ich würde mich glücklich schätzen, wenn sich so etwas gelegentlich fände. Das wäre dann vielleicht wieder ein angemessener Fund zu Weihnachten!

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Mächtig selten einst und heute: NAG Typ 10/45 PS

Wer meinen Blog schon länger verfolgt, kennt das Lamento: Bei manchen bedeutenden deutschen Marken der Vorkriegszeit verstehe ich nicht, dass es keine Typengeschichte gibt – auch nicht online – die einfach das reichlich vorhandene Bildmaterial nutzt.

Ein Beispiel dafür ist der einstige Berliner Hersteller NAG, der vor dem 1. Weltkrieg international geschätzt wurde und noch bis Mitte der 1920er Jahre am deutschen Markt sehr präsent war.

Die mir vorliegende Literatur zu dieser Marke ist völlig veraltet und äußerst dürftig, was Abbildungen angeht. Auch im Netz gibt es m.W. keine NAG-Präsenz. Dabei gibt es zeitgenössische Fotos und Werbung ohne Ende, wie ich in den gerade einmal fünf Jahren der Existenz meines Blogs feststellen konnte.

Ohne eigens danach zu suchen, konnte ich zahlreiche Bilder etwa des NAG-Standard-Typs C4 10/30 PS zusammentragen und hier publizieren. Das Ergebnis ist, dass alle Abbildungen dieses Modells in der Neuauflage des Klassikers „Deutsche Autos 1920-45“ von Werner Oswald aus meiner Sammlung stammen.

Dazu zählt beispielsweise dieses außergewöhnliche Foto:

NAG Typ C4 10/30 PS; Originalfoto aus Sammlung Michael Schlenger

Mir ist das unangenehm, da ich als Laie eigentlich gern den Automobilhistorikern hierzulande das Feld überlassen hätte, was Bildmaterial zu der Neuauflage des Werks angeht, die zudem inhaltlich bei mehreren Marken Korrekturen erfordert.

Aus meiner Sicht ist dies ein Indiz dafür, dass die Kommunikation zwischen den Markenexperten in Deutschland und den Autobuch-Verlagen bisweilen nicht so funktioniert, wie das der Fall sein sollte.

Genug davon. Schauen wir, was sich mit dem Vorhandenen machen lässt, heute am Beispiel des NAG-Typs D 10/45 PS, der der Nachfolger des verbreiteten Modells C4 10/30 PS war.

Vorgestellt wurde der NAG D-Typ bereits 1923 in Berlin, in Serie gebaut scheint er ab 1924 worden zu sein, er blieb aber wohl vergleichsweise selten. In der mir bekannten Literatur findet sich genau eine Prospektabbildung davon, die x-mal reproduziert wurde.

Doch natürlich sind auch Fotos dieses Typs verfügbar, wenn man sich umschaut und austauscht. Zuletzt hatte ich hier diese Aufnahme eines NAG Typ D 10/45 PS vorgestellt:

NAG Typ D 10/45 PS; Originalfoto aus Sammlung Michael Schlenger

Wenn ich richtig liege – die Literatur verliert kein Wort darüber – unterscheidet sich der D-Typ von NAG äußerlich vom Vorgängermodell C4 unter anderem durch die verchromte / vernickelte Kühlermaske.

Ein weiteres Indiz für den NAG Typ D 10/45 PS mit seinem nunmehr mit hängenden Ventilen ausgestatteten Motor ist der serienmäßige Einsatz von Vorderradbremsen. Außerdem legte der Radstand nochmals zu – auf zuletzt mächtige 3,30 Meter.

Infolgedessen wirkt der D-Typ von NAG noch eindrucksvoller als der Typ C, auf dem er im wesentlichen basierte. Das wird auf folgendem Foto von Leser Klaas Dierks deutlich:

NAG Typ 10/45 PS; Originalfoto aus Sammlung Klaas Dierks

Da kann sich der Herr neben dem Wagen noch so strecken und sich wichtig geben – neben diesem mächtigen Automobil wirkt er wenig imposant. Erschrocken von den Dimensionen des NAG wirkt der Bursche im Wagen – ob ihn das riesige Lenkrad hat erblassen lassen?

Mit einem solchen Koloss war theoretisch ein Spitzentempo von 90 km/h erreichbar. Das klingt aus heutiger Sicht harmlos, aber ich möchte den sehen, der das mit so einem Wagen auf meist nur geschotterten Landstraßen ausfährt.

Übrigens scheint der NAG Typ D anfänglich (1924) bloß 40 PS geleistet zu haben, was nur der älteren Literatur (von Fersen: Autos in Deutschland 1920-39; Gränz/Kirchberg: Ahnen unserer Autos, 1975) zu entnehmen ist.

Könnte später eine Hubraumsteigerung erfolgt sein? Kurioserweise wird in der Literatur für den NAG Typ D durchweg eine Bohrung von 75mm und ein Hub von 136mm angegeben, was knapp 2,6 Litern Hubraum entspricht, nur bei Gränz/Kirchberg findet sich bei identischen Maßen eine abweichende Hubraumangabe von 2.640 ccm.

Spiegelt dies die Verhältnisse des ab 1925 über 45 statt 40 PS verfügenden NAG Typ D wider? Und wann wurden eigentlich die breiten Luftschlitze in der Haube durch die hohen schmalen abgelöst, die auf folgende Aufnahme zu sehen sind?

NAG Typ 10/45 PS; Originalfoto aus Sammlung Michael Schlenger

Und wieso ist die Kühlermaske hier auf einmal in Wagenfarbe lackiert statt verchromt/vernickelt? Es würde mich wundern, wenn diese Frage nicht mühelos beantwortet werden könnte, wenn man an die richtigen Leute herankommt.

Bislang ist es mir noch nicht gelungen, die womöglich ergiebigen Quellen zu NAG in Berlin anzuzapfen, die es aus meiner laienhaften Perspektive geben muss. Immerhin konnte mir Thomas Ulrich von der Automobilhistorischen Gesellschaft (AHG) – dem ich auch sonst einiges verdanke – anhand des Nummernschilds folgendes sagen:

Der NAG Typ D 10/45 PS auf dem Foto von Klaas Dierks gehörte einst einem gewissen Ernst Kirsch aus Berlin-Lichtenberg, wohl einer der beiden Herren auf der Aufnahme.

Das ist ein schönes Ergebnis, in dem das Potential einer Kooperation zwischen „alten Hasen“ und engagierten Laien mit dynamischer Netzpräsenz wir mir aufscheint…

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Sagenhaft auch mit 12 PS: Porträt des NAG „Puck“

Vor dem 1. Weltkrieg zählte NAG aus Berlin zu den renommiertesten Autoherstellern im Deutschen Reich – auch international genoss die 1901 gegründete Neue Automobil Gesellschaft einen exzellenten Ruf.

Eine Ahnung von der Breite der Kompetenz bei NAG vermittelt folgende Reklame von 1910:

NAG-Reklame aus „Braunbecks Sportlexikon“, 1910; Faksimileausgabe aus Sammlung Michael Schlenger

Es gab demnach fast nichts, was die AEG-Tochter NAG im Sektor des Motorantriebs nicht beherrschte. Von kaum zu unterschätzender Bedeutung war dabei der Nutzfahrzeugbau, der damals noch in den Kinderschuhen steckte.

NAG entwickelte sich rasch zu einem der bedeutendsten Hersteller von Lastkraftwagen und Omnibussen – der markentypische Rundkühler wurde rasch zu einem allgegenwärtigen Anblick wie auf dieser Postkarte:

NAG Omnibus um 1908; Ausschnitt aus einer historischen Postkarte aus Sammlung Michael Schlenger

Doch auch am anderen Ende der Skala – im Kleinwagenbereich – machte NAG von sich reden.

Während man weiterhin mit Giganten wie dem Typ B2 mit 55 PS aus 8-Litern Hubraum allerhöchste Ansprüche zu erfüllen wusste, brachte man 1908 mit dem Typ N2 6/12 PS ein Kompaktmodell mit gerade einmal 1,6 Litern Hubraum heraus.

Der neukonstruierte Vierzylinderwagen erhielt als erster NAG neben bzw. statt der üblichen PS-Spezifikation eine werbewirksame Modellbezeichnung – „Puck“:

NAG 6/12 PS „Puck“; zeitgenössische Reklame um 1909

Auch wenn dieses Kleinwagenmodell einige Bekanntheit und Verbreitung erlangte, ist es gar nicht so einfach, an eine zeitgenössische Originalaufnahme heranzukommen.

Das ist aber auch kein Wunder, wenn man sich der Bedeutung des Namens „Puck“ vergewissert. Denn ein Puck ist in der altgermanischen Tradition ein sagenhafter Angehöriger des Elfen-Geschlechts, der normalerweise unsichtbar ist.

Bisweilen haust er – wie Fotos alter Autos – auf dem Speicher und gibt sich nur bei guter Behandlung den Menschen zu erkennen. William Shakespeare hat dem Puck im „Sommernachtstraum“ ein literarisches Denkmal gesetzt.

So darf man darf davon ausgehen, dass die solvente Kundschaft von NAG – auch deren Kleinwagen waren nicht gerade billig – mit „Puck“ weit mehr anzufangen wusste als neuzeitliche Eishockey-Enthusiasten…

Dass wir heute den sonst quasi unsichtbaren Puck aus dem Hause NAG zu Gesicht bekommen, verdanke ich Leser Matthias Schmidt aus Dresden. Seine Sammlung von Originaldokumenten der Vorkriegszeit enthält nämlich dieses schöne Foto:

NAG Typ N2 6/12 PS „Puck“; Originalfoto aus Sammlung Matthias Schmidt (Dresden)

Der stattliche Besitzer und sein eindrucksvoll dimensionierter Hund lassen den NAG „Puck“ hier erst recht zwergenhaft klein erscheinen. Der Vergleich mit der zuvor gezeigten Reklame zeigt eine sonst seltene Übereinstimmung im Detail.

Daher bin ich sicher, dass wir es hier mit einem NAG „Puck“ zu tun haben. Doch wie es bei dieser Sagengestalt nun einmal der Fall ist, entzieht sich der Puck gern dem Auge des Menschen oder lässt ihn über seine wahre Natur im Ungewissen.

Ein zweites prachtvolles Foto – diesmal von Leser Klaas Dierks – illustriert das schwer zu erfassende Wesen des Puck auf kaum zu überbietende Weise:

NAG Typ 6/12 PS „Puck“ (mutmaßlich); Ausschnitt aus Originalfoto aus Sammlung Klaas Dierks

Von der Kühlerpartie abgesehen hat sich der „Puck“ hier völlig unsichtbar gemacht, wie es ihm seine Natur der Tradition nach erlaubt.

Doch vier wackere Mannsbilder mit vierbeiniger Unterstützung haben zumindest die Kühlerpartie des Puck dingfest gemacht – hier mit grafisch raffiniert ausgeführtem Markenschriftzug.

Wie ein Automobil fast völlig unsichtbar und dennoch auf vollkommene Weise präsent sein kann, das finde ich sagenhaft. Auch die Proportionen des Wagens im Vergleich zu den vier Herren, die hier einem Puck furchtlos zu Leibe gerückt sind, passen perfekt.

Dokumente wie die heute vorgestellten machen für mich – neben den überlebenden Fahrzeugen – den Reiz der Beschäftigung mit Vorkriegsautos aus. Dabei stellen sich bisweilen spontan merkwürdige Assoziationen ein, so auch hier.

Der „Puck“ erinnerte mich nämlich an eine Verfilmung von Shakespeares „Midsummernight’s Dream“ aus dem Jahr 1999, in dem besagte Gestalt eine nicht unerhebliche Rolle spielt, unter folgendem Link gibt es einen reizvollen Ausschnitt daraus:

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Wirkt überhaupt nicht aufgesetzt: NAG C4 10/30 PS

Das Foto, das ich heute vorstelle und das ich dem ergiebigen Fundus von Leser Matthias Schmidt aus Dresden verdanke, wäre in den Anfängen meines Blogs gut für die Rubrik „Fund des Monats“ gewesen.

Doch bei allen außergewöhnlichen Qualitäten ist es letztlich zu bodenständig. Denn der Wagen, um den es geht, ist auch nur eines von etlichen tausend Exemplaren des Typs C4 10/30 PS der Berliner Marke NAG.

Aus meiner Sicht ist dieses technisch unauffällige Modell, das NAG von 1920-24 als einziges fertigte, jedoch ein reizvoller Vertreter der Spitzkühlermode, die in Deutschland bis etwa Mitte der 1920er Jahre anhielt.

In der folgenden Seitenansicht (Originalfoto aus meiner Sammlung) mag das noch nicht so recht deutlich werden:

NAG Typ C4 10/30 PS; Originalfoto aus Sammlung Michael Schlenger

Immerhin kommt hier die von mir so geschätzte „Tulpenkarosserie“ mit der sich wie eine Blüte öffnenden Heckpartie sehr schön zur Geltung.

Die dreidimensionale Wirkung dieser von Meisterhand aus dem Blech getriebenen Aufbauten erschließt sich einem nur „in natura“. Doch gibt es auf alten Fotos durchaus Annäherungen aus verschiedenen Perspektiven.

Ein ungewöhnliches Beispiel dafür hatte ich vor geraumer Zeit hier präsentiert:

NAG Typ C4 10/30 PS; Originalfoto aus Sammlung Michael Schlenger

Diese außergewöhnliche Aufnahme vermittelt eine Ahnung davon, welche Ansprüche die Gestaltung einer einer solchen Tulpenkarosserie einst an das Können der Handwerker stellte, die diese dreidimensionalen Wölbungen in Manufaktur schufen.

Festzuhalten sind hier aber auch zwei wichtige Merkmale, die kennzeichnend für den NAG Type C4 10/30 PS sind:

Da ist zum einen der ovale Kühler, der im Unterschied zu den vor 1920 gebauten Modellen nicht flach, sondern spitz zuläuft, wie es bei anderen deutschen Marken bereits ab 1914 Mode wurde. Je nach Perspektive (etwa auf dem ersten Foto) besteht eine gewisse Verwechslungsgefahr mit den zeitgleichen D-Typen von Stoewer aus Stettin.

Doch in der Vorderansicht ist der NAG-Kühler in der ersten Hälfte der 1920er Jahre einzigartig. Die Markenidentität wird zudem durch das sechseckige NAG-Emblem betont, das mittig auf der Verbindungsstange zwischen den Scheinwerfern angebracht ist.

Nun wird es höchste Zeit für den eigentlichen Gegenstand des heutigen Blog-Eintrags:

NAG C4 10/30 PS; Originalfoto aus Sammlung Matthias Schmidt (Dresden)

Auch wenn sich dieser Wagen letzlich „nur“ als ein weiterer NAG C4 10/30 PS entpuppt, verleiht ihm sein Aufbau etwas Eigenwilliges – um nicht zu sagen: Einzigartiges.

Mir ist bislang keine zweite Aufnahme mit einem NAG C4 begegnet, der eine solche Karosserie besitzt. Diese wirkt auf den ersten Blick irriterend anders als alles, was man von dem Modell gewohnt war.

Doch zeigt sich bei näherer Betrachtung einiges Bekanntes:

Die Frontpartie entspricht vollkommen derjenigen beim Tourenwagen, der mit Abstand die meistverkaufte Version des NAG Typ C4 10/30 PS war.

Während beim Kühler aus diesem Blickwinkel – wie oben bereits erwähnt – eine gewisse Verwechslungsgefahr mit den Stoewer D-Typen besteht – sagt die typische Markenplakette alles, so unscharf sie auch ist. Vielleicht ein nützlicher Hinweis für Besitzer ähnlicher Fotos deutscher Vorkriegswagen, die rätseln, was sie da vor sich haben.

Auch am übrigen Wagen findet sich durchaus Vertrautes:

Denkt man sich nämlich den Aufbau oberhalb der Gürtellinie weg, bleibt die markante Form der „Tulpenkarosserie“ übrig, die die frühen Ausführungen des ab 1920 gebauten NAG Typ C4 10/30 PS zierte.

Meine Vermutung ist daher, dass wir es hier mit einem Beispiel für eine „Aufsatzkarosserie“ zu tun haben, die einem offenen Tourenwagen übergestülpt werden konnte, wenn man mit geschlossenem Aufbau fahren wollte.

Natürlich erforderte eine solche Lösung für die Türen aufsetzbare Oberteile mit Fensterglas, während der Tourer bei geschlossenem Verdeck dort nur Steckscheiben aus Zelluloid mit Kunstlederrahmen besaß.

Während bei anderen Wagen mit Aufsatzkarosserie meist eine Fuge zwischen der Gürtellinie des Tourenwagens und der Dachpartie zu sehen ist, scheint der Aufbau hier wie aus einem Guss.

Dass das Ganze hier gerade nicht wie „aufgesetzt“ wirkt, spricht für eine besonders raffinierte Lösung. Ich bezweifle, dass wir es mit einem festen Limousinenaufbau zu tun haben, dafür ist der gestalterische Kontrast zwischen dem Unterbau in klassischer Tulpenform und der kantigen Dachpartie zu groß.

Was ebenfalls nicht „aufgesetzt“ wirkt, ist die Pose der jungen Dame. Zwar sitzt sie auf dem Kasten am Ende des Trittbretts, in dem sich die vordere Aufnahme der Blattfeder befindet (vgl. das erste Foto am Anfang dieses Blog-Eintrags).

Sie scheint aber nicht auf eine besondere Wirkung aus zu sein. Entweder war sie mit den Gedanken woanders oder ihr war schlicht kalt und sie wartete ungeduldig das Foto ab.

Auch nicht aufgesetzt – eher lässig – wirkt die Pose des am Wagen lehnenden Mannes mit Fliege. Er lässt zum Glück genug von der Frontscheibe erkennen, die mittig geteilt ist und pfeilförmig zuläuft.

Bei der Tourenwagenausführung des NAG Typ C4 10/30 PS ist mir – außer bei speziellen Sportversionen – jedoch noch keine gepfeilte Frontscheibe begegnet.

Das kann zweierlei bedeuten: Entweder war die Frontscheibe Teil der Aufsatzkarosserie, und die flache Scheibe des Tourenwagens musste vor Montage weichen. Oder ich liege falsch, und es handelt sich doch nicht um einen aufgesetzten, sondern festen Limousinenaufbau.

So oder so richtige liege ich aber mit dem Titel meines heutigen Blog-Eintrags: An diesem Foto, das einst bei einer Landpartie entstand, wirkt gar nichts künstlich „aufgesetzt“, sondern vollkommen natürlich – wenn auch hübsch inszeniert …

NAG C4 10/30 PS; Originalfoto aus Sammlung Matthias Schmidt (Dresden)

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Als Berlin noch für Können stand: NAG Typ D 10/45 PS

Dieser Tage – wir schreiben Mitte Juni 2019 – sollte mit einem besonderen Ereignis des Endes der Luftbrücke nach Berlin im Sommer 1949 gedacht werden:

  • 12 Transportflugzeuge des Typs DC3 (bzw. der Militärversion C47) sollten nochmals in Berlin landen und daran erinnern, dass einst Hunderttausende von Menschen im von den Kommunisten eingeschlossenen Westberlin versorgt wurden – aus strategischem Kalkül zwar, doch mit der Wirkung, Hunderttausende vor dem Verhungern zu retten.
  • Am Bord waren diesmal auch Veteranen, die damals unter Einsatz ihres Lebens in rund 280.000 Flügen Nahrungs- und Hilfsgüter in die eingeschlossene Stadt brachten – fast 100 Menschen bezahlten dies mit ihrem Leben. 
  • Die erneute Landung der „Rosinenbomber“ wurde von den in Berlin regierenden Kommunisten (Linke), Sozialisten (SPD) und Öko-Kollektivisten (Grüne) abgelehnt. Dokumente seien nicht vollständig eingereicht worden, hieß es aus der Metropole der Toleranz gegenüber Drogenhandel, Schwarzfahren und sonstigen „Bagatellen“. 

Hätte man auf den unfertigen Berliner Flughafen verwiesen, der seit x Jahren unter anderem Tempelhof ersetzen soll, hätte man noch die Lacher auf seiner Seite gehabt.

So bleibt einem das sonst so leichtfallende Lachen über Berliner Inkompetenz im Halse stecken – man ahnt den Zynismus antiamerikanisch eingestellter Kreise.

Dabei gehörte Berlin – bevor es Sehnsuchtsort der Wehr- bzw. Zivildienstverweigerer und allerlei Lebenskünstler wurde – einst in jeder Hinsicht zu den führenden Metropolen der Welt: in punkto Kultur, Forschung und Technik war Berlin vor dem Krieg womöglich jeder anderen Hauptstadt auf dem Globus voraus.

Nach dieser leider notwendigen Vorrede – ein Blog ist per se eine persönliche Sache – komme ich nun zu dem Fahrzeug aus einstiger Berliner Produktion, das ich heute nach langer Abstinenz wieder anhand eines raren Originalfotos vorstellen möchte:

NAG Typ D 10/45 PS; Originalfoto aus Sammlung Michael Schlenger

Ja, in Berlin, das auch heute ohne Milliardentransfers von außen nicht überleben würde, wurden einst von unzähligen Firmen Automobile hergestellt, US-Wagen aus Bausätzen zusammengebaut oder mit individuellern Karosserie versehen.

Die Kompetenz dafür war seit dem 19. Jahrhundert vorhanden, als in Berlin unter anderem Firmen wie AEG und Siemens zu Weltmarktführern aufstiegen. Neben der Elektrifizierung von Straßen, Häusern und des Verkehrssektors engagierten sich die beiden Konzerne auch in der neuen Technologie des Autos mit Verbrennungsmotor.

Speziell die AEG-Tochter NAG brachte es auf diesem Gebiet vor dem 1. Weltkrieg zu einigem Ruhm: NAG-Wagen genossen in Europa einen hervorragenden Ruf und verkauften sich hervorragend, sogar als Laster oder Omnibusse.

Selbsverständlich besaß NAG kurz vor dem 1. Weltkrieg eine Repräsentanz an einer der exklusivsten Adressen auf dem Kontinent – in Berlin „Unter den Linden“:

Originale Zeitschriftenabbildung von 1913/14 aus Sammlung Michael Schlenger

Nach dem 1. Weltkrieg beschränkte sich NAG zunächst auf die Produktion des Vierzylindertyps C4 10/30 PS, von dem nur einige tausend Stück gebaut wurden, die einem aber im 21. Jh. auf alten Fotos immer noch auf Schritt und Tritt begegnen.

Ohne eigens danach gesucht zu haben, sind mir mittlerweile mehr als ein Dutzend davon ins Netz gegangen – siehe meine NAG-Galerie.

Hier haben wir eine adrette Droschkenausführung des Typs C4 10/30 PS, die den NAG-typischen Spitzkühler mit ovalem Ausschnitt erahnen lässt:

NAG Typ C4 10/30 PS; Originalfoto aus Sammlung Michael Schlenger

Das Fehlen von Vorderradbremsen ist ein eindeutiger Hinweis auf eine Entstehung vor 1925. Dann erschien nämlich der Nachfolgetyp NAG D 10/45 PS, der bei ähnlicher Optik einen weit stärkeren Motor (2,6 Liter Vierzylinder) und Vierradbremsen bot.

Interessanterweise konnte ich von diesem bis 1927 gebauten Typ bislang nur ein einziges Foto dingfest machen, und zwar dieses hier:

NAG Typ D10/45 PS; Originalfoto aus Sammlung Michael Schlenger

Auch wenn man hier die Vorderradbremsen nicht sieht, ließ sich dieser mächtige Tourenwagen, der vor 90 Jahren – im Sommer 1929 – an einem unbekannten Ort aufgenommen wurde, als NAG Typ D 10/45 PS identifizieren.

Der Wagen verfügt nämlich über die in den wenigen Literaturabbildungen zu sehenden schmalen seitlichen Luftschlitze, die es beim Vorgängertyp noch nicht gab.

Moment  mal, mag jetzt ein aufmerksamer Betrachter denken: der eingangs gezeigte NAG mit Vorderradbremse besaß doch noch breite und weniger Luftschlitze!

Was soll man davon halten? Könnte das ein später NAG Typ C 10/30 PS sein, der vielleicht auf Wunsch auch mit Vierradbremse erhältlich war?

Denkbar ist das durchaus – doch ein Detail spricht aus meiner Sicht dagegen: Das Kühlergehäuse ist auf diesem Foto bereits verchromt/vernickelt, was auf keinem der mir vorliegenden oder aus der Literatur bekannten Fotos des Typs C 10/30 PS der Fall ist.

Denkbar ist, dass erst beim Nachfolgetyp D 10/45 PS ab 1925 neben den standardmäßigen Vierradbremsen ein Kühlergehäuse mit Verchromung bzw. Vernickelung optional verfügbar war.

Der Zusatz „optional“ ist deshalb notwendig, da der bislang einzige NAG des Typs  D 10/45 PS in meiner Fotosammlung noch einen lackierten Kühler besitzt:

NAG Typ 10/45 PS, Vorderwagen; Originalfoto aus Sammlung Michael Schlenger

Man sieht, die Berliner NAG-Wagen der 1920er Jahre machen es einem nicht leicht. Hinzu kommt, dass es ab 1926 auch einen Sechszylindertyp D6 12/60 PS gab, der in der Literatur zwar erwähnt wird, aber in einer Spitzkühlerversion kaum greifbar ist.

Dass es so etwas gegeben hat, wird Gegenstand eines künftigen Blogeintrags sein.

Einstweilen bleibe ich bei der These, dass das heute vorgestellte Foto eine frühe Ausführung des NAG Typ D 10/45 PS zeigt, die noch formale Elemente des Vorgängertyps C 10/30 PS aufweist.

Gern lasse ich mich hier eines Besseren belehren, allerdings fürchte ich, dass auch in dieser Hinsicht in Berlin noch das Material, nicht aber mehr die Kompetenz vorhanden ist, die Geschichte der einst so bedeutenden Marke NAG überzeugend aufzuarbeiten.

Die letzten mir bekannten Bemühungen in dieser Hinsicht wurden vor über 35 Jahren von Hans-Otto Neubauer unternommen: „Autos aus Berlin: Protos und NAG“, Verlag Kohlhammer, Stuttgart, 1983.

Seither herrscht in Sachen NAG weitgehend Funkstille in der einstigen Hauptstadt deutscher Technologiekompetenz. Das Buch über die Berliner AGA-Wagen von Kai-Uwe Merz zeigt nebenbei, dass es auch anders sein könnte, wenn man nur wollte…

Nachtrag: Zumindest die Stadt Erfurt wollte das infame Verhalten des roten Berliner Senats nicht auf sich beruhen lassen: Man ließ die historischen US-Maschinen nicht nur auf dem örtlichen Flugplatz landen, sondern organisierte für die Crews spontan eine Führung durch die wunderbar erhaltene Altstadt und einiges mehr: https://www.thueringer-allgemeine.de/startseite/detail/-/specific/Rosinenbomber-Besatzung-in-Erfurt-empfangen-nach-der-Abfuhr-in-Berlin-1999735801

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Ideal in jeder Kurve: NAG Typ C4 10/30 PS

„Schönheit liegt im Auge des Betrachters“ – wer kennt nicht dieses Zitat? Man nutzt es gern, um sein Geschmacksurteil als ebenso legitim wie jedes andere zu rechtfertigen.

Ich meine: Wer Zitate irgendwelcher Geistesgrößen bemüht, hat eine schwache Position, da es ihm offenbar an eigenen Argumenten und damit an Urteilskraft mangelt.

Kurios wird es dann, wenn sich der vermeintliche Urheber universeller Weisheiten wie der genannten bei näherer Betrachtung verflüchtigt.

„Schönheit liegt im Auge des Betrachters“ wird im deutschen Sprachraum gern Goethe zugeschrieben, der aber als Klassizist sehr resolute Vorstellungen davon hatte, was als schön gelten darf und was nicht.

In Großbritannien nennt man als Urheber wahlweise den schottischen Philosophen David Hume oder einen der zuverlässigsten Zitatelieferanten überhaupt: William Shakespeare (z.B. in „Love’s Labour’s Lost)“.

Wiederum andere schreiben die Sentenz den alten Griechen zu und verweisen auf sinngemäße Feststellungen von Platon oder Thukydides.

Gemeinsam ist ihnen: Keiner hat je ein Automobil erblickt und so fehlten ihnen die Maßstäbe, ein ästhetisches Urteil über eine Schöpfung wie zum Beispiel diese zu fällen.

unbekanntes Cabriolet der 1930er Jahre, aufgenommen in Dortmund

Ich wage die Behauptung, dass sich kaum jemand finden wird, der die Linien dieses bislang unidentifizierten Wagens als „nicht schön“ – also ausdrücklich als „hässlich“ –  bezeichnen würde.

Das hat meiner Überzeugung nach damit zu tun, dass die meisten Menschen organische, geschwungene Formen als angenehm empfinden. In der Natur, aus der wir stammen, gibt es nun einmal kaum gerade Linien, sondern fast nur Kurven.

Wer der Natur nicht völlig entfremdet ist, empfindet spontan Vertrautheit mit sanften Bögen, opulenten Rundungen und spannungsreichen Linien. Das ist ein uraltes Erbe, dass durch ein paar Jahrtausende Sesshaftigkeit nicht zunichtegemacht wurde.

Es mag ja mancher intellektuellen Zugang zum Diktat des rechten Winkels und der geraden Linie der Bauhaus-Ideologie gefunden haben. Mir ist diese in Deutschland besonders verbreitete Leidenschaft für unorganische Formen unheimlich.

Für mich entfaltet sich Meisterschaft in der Formgebung eines Industrieprodukts eher in Beispielen wie diesem:

Hanomag 1,3 Liter; Originalfoto aus Sammlung Michael Schlenger

Es fällt schwer, an diesem Hanomag auch nur eine gerade Linie zu finden und dennoch kommt seine von der Stromlinie beeinflusste Karosserie ganz ohne Zierrat aus.

Als schön würde ich den Wagen zwar nicht bezeichnen, dafür fehlt ihm schlicht die Länge, die es braucht, damit sich solche Formen voll entfalten können und am Ende schlüssig zueinanderfinden.

Doch ist dieser letzte Hanomag für mich ein gutes Beispiel für den plastischen Reiz, den organische Formen ausüben können. Eine derartige Dreidimensionalität und Dynamik kann nun einmal nicht von einem Ziegelstein auf Rädern ausgehen

Damit wäre ich beim eigentlichen Gegenstand meines heutigen Blog-Eintrags:

NAG Typ C4 10/30 PS Tourenwagen; Originalfoto aus Sammlung Michael Schlenger

Der Tourenwagen, der hier aus außergewöhnlicher Perspektive abgelichtet wurde, verkörpert für mich idealtypisch das Konzept der von Bögen und Kurvaturen geprägten Karosserie, das in deutschen Landen bis in die 1920er Jahre fortlebte.

Der Wagen als solcher – ein NAG Typ C4 10/30 PS aus Berlin – stellt keineswegs eine Besonderheit dar. Er wurde in der ersten Hälfte der 1920er Jahre mit den unterschiedlichsten Karosserien gebaut.

Allein in meiner NAG-Galerie finden sich mehr als ein Dutzend Originalfotos dieses Typs und ich habe meine Zweifel, dass von diesem Modell wirklich nur „höchstens ca. 5.000 Exemplare“ entstanden, wie es in der älteren Literatur heißt (vgl. W. Oswald: Deutsche Autos 1920-1945).

Sicher bezieht dieses Modell einen Großteil seiner Wirkung aus der raffinierten Verwandlung des NAG-typischen Ovalkühlers in einen Spitzkühler, wie er seit 1913/14 Mode im deutschsprachigen Raum war.

Folgende Ausschnittsvergrößerung lässt ungewöhnlich gut erkennen, wie sich ausgehend von der ovalen Kontur des Kühlers die Karosseriesilhouette entlang der Motorhaube bis zum Fahrgastraum weiterentwickelt:

Hier wird unmittelbar erkennbar, woher die Bezeichnung „Tulpenkarosserie“ für einen derartigen Aufbau herrührt – wie die Blüte einer Blume öffnet sich der Wagenkörper nach hinten immer weiter.

Aus dieser Perspektive mag deutlich werden, dass es der Kunst von Bildhauern bedurfte, um, eine derartige sich in drei Dimensionen kontinuierlich entfaltende Form aus Holz und Stahl zu schaffen.

Natürlich fielen auch die Vorderschutzbleche dieses NAG nicht aus einer seelenlosen Stanze – sie wurden von Hand über Holzformen aus dem Blech getrieben und man sieht ihnen an, dass sie keine exakten Spiegelbilder voneinander waren.

Wie bei einem schönen Gesicht die eine Hälfte nicht völlig der anderen entspricht, waren es kleine Abweichungen von der Symmetrie, die die Spannung und Persönlichkeit eines derartigen Fahrzeugs ausmachten.

Ein letztes Mal entfaltete sich solche Meisterschaft und organische Formgebung in den italienischen Manufakturkarosserien der 1960er Jahren. Auch dort kam außer spannungsreichen Bögen und schwellenden Formen fast kein Dekor zum Einsatz.

Wer je ein Auto jener Zeit mit individueller Karosserie restauriert hat, weiß um die Herausforderungen, die schon mit dem Einpassen des Kotflügels oder der Tür eines Spenderfahrzeugs verbunden sind.

Eigentlich passt nichts zusammen, weil jedes dieser Fahrzeuge eine eigene Linie, eine Persönlichkeit hatte. Das ist es – unter anderem – was seit damals verlorengangen ist.

Und das ist zugleich das Geheimnis der Magie früher Vorkriegsfahrzeuge wie zum Beispiel dieses Benz-Wagens von 1910, dessen Gestaltungslogik sich im NAG Typ C4 der frühen 1920er Jahre ein letztes Mal widerspiegelt:

Benz von 1910; Bildrechte: Michael Schlenger

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Ein Sportwagen aus Berlin: NAG C4B „Monza“

Der desolate wirtschaftliche Zustand Berlins, das trotz Hauptstadtstatus heute ein Pro-Kopf-Einkommen unter dem Landesdurchschnitt aufweist, lässt kaum noch erahnen, dass die Spree-Metropole einst ein florierendes Industriezentrum war.

Dutzende Auto- und Karosseriehersteller waren in der Vorkriegszeit dort beheimatet, und so gesehen verwundert es kaum, dass in Berlin auch Sportwagen entstanden – bloß kennt sie heute kaum noch jemand.

Die Rede ist vom Sportmodell C4b „Monza“ der ehrwürdigen Nationalen Automobil-Gesellschaft (NAG), die als „Neue Automobil-Gesellschaft“ 1901 gegründet worden war.

Vor dem 1. Weltkrieg nahm NAG kaum an Sportveranstaltungen teil. Die sorgfältig konstruierten, zuverlässigen Wagen verkauften sich auch so in unterschiedlichsten Leistungsklassen sehr gut – und das international.

Nach Kriegsende beschränkte sich NAG im PKW-Segment auf nur noch einen Typ – den C4 mit seitengesteuertem 2,6 Liter-Vierzylinder und 30 PS Leistung:

NAG Typ C4 10/30 PS; Originalfoto aus Sammlung Michael Schlenger

Dieser Tourer wurde bei einer spätwinterlichen Ausfahrt in Pommern aufgenommen. Dazu passend trägt er auf dem Kühler das Wappentier der Provinz – einen Greif.

Wer nun an Stoewer denkt, liegt zwar falsch, ist damit aber nicht allein. Auch ich habe diesen ab 1920 gebauten NAG C4 erst für einen D-Typ der Marke aus Stettin gehalten. Es handelt sich aber eindeutig um einen NAG des damals recht verbreiteten Typs.

1921 setzte NAG zwei auf dem C4 basierende Rennwagen anlässlich der Eröffnung der AVUS in Berlin mit großem Erfolg ein.

Die gegenüber dem Serienmodell deutlich leichteren und mit „frisierten“ Motoren ausgestatteten Wagen errangen gegenüber der Konkurrenz von Adler, Dürkopp, Horch, Opel und Stoewer den ersten und vierten Platz.

1922 belegte NAG mit der Rennausführung des C4 sogar die ersten drei Plätze auf der AVUS. Hier sehen wir Konstrukteur Christian Riecken höchstselbst am Steuer, während er auf regennasser Fahrbahn die Nordkurve der AVUS durcheilt.

NAF C4 Rennversion auf der AVUS; Fotoquelle: Automobilhistorischer Bilderdienst (Reproduktion durch den Archiv-Verlag), Exemplar aus Sammlung Michael Schlenger

Dank der auf 60 bis 70 PS gesteigerten Motorleistung des NAG C4 konnte Riecken in seinem Renner Durchschnitte von über 130 km/h auf der AVUS herausfahren.

Beinahe noch wichtiger als die erzielbare Geschwindigkeit war damals die Zuverlässigkeit – eine Kategorie, in der NAG von Anbeginn her brilllierte.

So siegte NAG 1923 – nun auch gegen internationale Konkurrenz – strafpunktfrei anlässlich der Allrussischen Zuverlässigkeitsfahrt, die eine Strecke von 2.000 km auf kaum als Straßen zu bezeichnenden Pisten umfasste und höchste Anforderungen an Konstruktion und Material stellte.

1924 gelang NAG bei den 24 Stunden von Monza sogar ein Sieg gegen die 3-Liter-Modelle von Alfa-Romeo. Diesen Erfolg nahm man zum Anlass, die für Privatfahrer verfügbare, zahmere Sportversion NAG C4b mit dem Zusatz „Monza“ zu versehen.

Ein Originalfoto dieses 45 PS leistenden Serien-Sportwagens habe ich vor einiger Zeit als Fund des Monats präsentiert:

NAG C4b „Monza“; Originalfoto aus Sammlung Michael Schlenger

Entstanden ist diese Aufnahme im Anschluss an einen Sporteinsatz – leider sind Ort und Datum nicht bekannt.

Laut Literatur errangen Privatfahrer mit dem NAG C4b und dem leistungsgesteigerten Typ C4m Mitte der 1920er Jahre über 75 erste und zweite Plätze bei Sporteinsätzen.

Demnach muss es etliche solcher Sportversionen in Privathand gegeben haben.

Leider ist die genaue Zahl unbekannt, doch immerhin kann ich heute ein weiteres solches Exemplar in einem großstädtischen Umfeld zeigen, in dem die gutbetuchten Besitzer einst zuhause waren:

NAG C4b „Monza“; Originalfoto aus Sammlung Michael Schlenger

Auf dieser Aufnahme ist zwar grundsätzlich derselbe NAG-Sporttyp zu sehen wie auf dem zuvor gezeigten Foto. Doch in einigen Details unterscheiden sich die Wagen:

  • Drahtspeichenräder mit Zentralverschluss statt Scheibenräder mit fünf Radbolzen,
  • der Radform folgende „Cycle-Wings“ statt weit nach hinten reichende Schutzbleche,
  • an der Unterseite des Rahmens nach hinten geführtes statt seitliches Auspuffrohr.

Beiden Fahrzeugen gemeinsam sind:

  • die seriennahe Ausführung des Kühlers,
  • die lange glattflächige Motorhaube,
  • die leicht schräggestellte gepfeilte Frontscheibe,
  • die winzige Tür sowie das darunter angebrachte Trittbrett,
  • und die viersitzige Ausführung mit leichtem Tourenwagenverdeck.

Kann jemand etwas zu den Unterschieden der beiden Fahrzeuge sagen? Haben wir es bei dem Wagen mit Scheibenrädern mit dem auf 50 PS leistungsgesteigerten NAG Sporttyp C4m zu tun, der im Unterschied zum NAG C4b Vorderradbremsen besaß?

Leider gibt die stark veraltete Literatur zu NAG trotz einiger interessanter Details nichts zu den Feinheiten dieser Sportmodelle (und zahlreicher anderer Typen) her.

Vielleicht erbarmt sich ja doch eines Tages noch ein Hüter von NAG-Archivmaterial und legt eine umfassende Darstellung dieser einst so bedeutenden Marke vor.

Meine mittlerweile recht zahlreichen Originalfotos von NAG-Wagen (siehe NAG-Galerie) stelle ich dafür gern zur Verfügung…

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Da hilft nur Schneeschippen! Ein NAG im 1. Weltkrieg

Während der Alpenraum im Schnee versinkt, zeigte sich der Winter in der hessischen Wetterau heute wie gewohnt mild. Dennoch waren bei 7-8 Grad Celsius viele junge Männer mit Wollmützen und Handschuhen zu beobachten.

Frieren die wirklich oder tun die bloß so, weil gerade ein verweichlichter Männertyp als „angesagt“ gilt, dem nur noch der Bart als maskulines Attribut erlaubt ist?

Wie auch immer, wenn’s mal wieder richtig frostig wird, werden sich diese Bübchen richtig warm anziehen müssen…

Die Herrschaften auf folgender, über 100 Jahre alten Aufnahme scheinen jedenfalls in jeder Hinsicht für den Winter gewappnet gewesen zu sein und machen dabei noch einen recht entspannten Eindruck:

NAG Chauffeur-Limousine; originale Feldpostkarte aus Sammlung Michael Schlenger

Verschickt wurde dieses ungewöhnliche Foto einst als Feldpostkarte im 1. Weltkrieg.

Zwar ist das genaue Datum nicht vermerkt, doch ist dem Text zu entnehmen, dass sie ein Kraftfahrer der Feldflieger-Abteilung 51 an seinen Bruder Viktor sandte, der damals bei einer Familie Bingler in Ober-Ingelheim bei Mainz wohnte.

Die Aufnahme zeigt sechs Männer mit Fahrerbrille, die eine nicht mehr ganz taufrische Chauffeur-Limousine freischaufeln, die sich irgendwo im Schnee festgefahren hat.

Bei dem Wagen handelt es sich eindeutig um ein Fahrzeug der Berliner AEG-Tochter NAG, die vor dem 1. Weltkrieg einen hervorragenden Ruf für ihre Wagen genoss.

NAGs jener Zeit sind leicht an dem ovalen Kühler zu erkennen, auf dem hier überdies zwei Buchstaben des Markenschriftzugs zu entziffern sind, der in einem Dreieck auf dem Kühlergrill angebracht ist:

Dass die Aufnahme tatsächlich im Krieg entstanden ist, darauf deutet der geschulterte Karabiner des Soldaten hinter dem NAG hin. Am Koppel trägt er zudem mehrere Patronentaschen mit Munition zum Nachladen.

So eindeutig ist, dass diese Aufnahme im 1. Weltkrieg unweit der Front entstand, so schwer fällt die genaue Identifikation des NAG-Modells, das wir hier von uns sehen.

Klar ist folgendes:

  • Der Aufbau ist der einer Chauffeur-Limousine, bei der das Passagierabteil geschlossen war, während der Fahrer außerhalb, aber überdacht saß.
  • Die Haube trifft ohne Übergang im rechten Winkel auf die Schottwand, die den Innenraum vom Motorraum abgrenzt.
  • Die Positionsleuchten sind noch nicht elektrifiziert, vielmehr handelt es sich um Petroleumlampen.

Diese Details deuten zusammengenommen auf einen NAG aus der Zeit vor 1910 hin.

Danach hätte der Wagen über einen als Windlauf bezeichneten, nach oben geschwungenen Übergang zwischen Motorhaube und Innenraum verfügt, außerdem über elektrische Positionslichter.

Das sah dann so aus wie auf dieser Reklame aus dem Jahr 1912:

NAG-Reklame von 1910; Original aus Sammlung Michael Schlenger

Mit diesem ab 1910 bei den meisten deutschen Autoherstellern gängigen Erscheinungsbild hatte die formale Entwicklung einen beträchtlichen Sprung getan. Erstmals wurden „windschnittige“ Elemente zum Standard im Serienbau.

Damit hätten wir als spätestes Entstehungsdatum des im Schnee festgefahrenen NAG das Jahr 1909. Unternehmen wir nun den Versuch, das frühestmögliche Baujahr zu bestimmen.

Leider gibt es bis heute kein umfassend bebildertes NAG-Standardwerk. Die letzte Annäherung in diese Richtung unternahm H.O. Neubauer vor über 35 Jahren mit seinem Buch „Autos aus Berlin: Protos und NAG“, Verlag Kohlhammer.

So sind wir im 21. Jh. immer noch auf eigene Vermutungen anhand des bisherigen Bestands an Prospektabbildungen und Fotos angewiesen. Leider herrscht auch seitens der deutschen Automobilhistoriker in Sachen NAG bislang Fehlanzeige.

Vielleicht ändert sich dies ja künftig – Material ist jedenfalls reichlich vorhanden – das heute vorgestellte Foto und die stetig wachsende NAG-Galerie in meinem Blog liefern jedenfalls Beispiele dafür.

Auf dieser Grundlage lässt sich die frühestmögliche Entstehung des NAG auf der Feldpostkarte aus dem 1. Weltkrieg einengen. Dabei hilft diese Aufnahme:

NAG Landaulet um 1907, Abbildung aus Braunbecks Sportlexikon von 1910 (Faksimile-Ausgabe aus Sammlung Michael Schlenger)

Hier haben wir einen NAG mit vergleichbaren Dimensionen in der Ausführung als Landaulet. Er besitzt aber noch flügelartig gestaltete Vorderschutzbleche, wie sie bis etwa 1907 verbreitet waren.

Die Abbildung stammt zwar aus dem damals sehr renommierten Braunbeck’schen Sportlexikon von 1910, zeigt aber eindeutig ein früher entstandenes NAG-Modell.

Es gehörte laut Bildunterschrift Charlotte Erbprinzessin von Sachsen-Meiningen – sie war nebenbei Stifterin von Preisen für die bedeutenden Automobilwettbewerbe „Prinz-Heinrich-Fahrt“ und „Herkomer Konkurrenz“.

Vergleiche mit dem Bildmaterial in der spärlichen Literatur legen nahe, dass es sich um das damalige Spitzenmodell von NAG handelt, den Typ B2 29/55 PS. Gebaut wurde dieser Vierzylinder mit 8 Litern Hubraum von 1905 bis 1908.

Bis 1907 wurde der Wagen als 40/45 PS-Typ angesprochen. Diese Bezeichnung bezog sich auf die Dauerleistung von 40 PS und die kurzfristig abrufbare Höchstleistung von 45 PS, die 1908 auf 55 PS erhöht wurde.

Für das hier abgebildete Landaulet waren einst 25.000 Goldmark zu berappen. Daneben gab es etwas kleineres 5,2 Liter-Modell (Typ B1) mit 24 bzw. ab 1908 32 PS, das 15.000 Mark kostete.

Das Jahr 1908 markierte auch in Sachen Kraftübertragung eine Zäsur bei den beiden großen NAG-Typen B1 und B2. Damals wurde der Kettenantrieb durch eine zeitgemäße Kardanwelle abgelöst.

Gut möglich, dass NAG 1908 parallel zur Erhöhung der Leistung und der Einführung der bis heute gängigen Kardanwelle auch formal eine Überarbeitung vornahm.

Dies könnte erklären, weshalb die Vorderschutzbleche auf dem NAG im Schnee moderner ausgeführt waren. Ob wir nun einen NAG des Typs B1 oder B2 vor uns haben, lässt sich bis auf weiteres nicht genau sagen.

Doch einer der beiden Typen um 1908 war es nach der Lage der Dinge wahrscheinlich. Dass das bei Kriegseinbruch nicht mehr moderne Auto dennoch zum Militäreinsatz eingezogen wurde, wird dem Mangel an Fahrzeugen geschuldet gewesen sein.

Gerade im Hinterland der Front konnte ein solcher zuverlässiger NAG noch gute Dienste verrichten. Dass der Wagen nicht auf einer „Lustfahrt“ steckenblieb, verraten die Gepäckstücke auf dem Dach, darunter ein Dreieckskanister mit Benzin:

Merkwürdig ist die schildartige Fläche an der Gepäckreling. Auch auf dem Originalabzug ist dort nichts zu lesen, sie wird also nicht die Bezeichnung der Militäreinheit getragen haben, zu der dieser NAG einst gehörte.

Was mag dort ursprünglich gestanden haben, bevor der Wagen seinen wohl letzten Weg ins Inferno des 1. Weltkriegs antrat? Wo mag er zuletzt eingesetzt worden sein, und was wurde aus den sechs Männern, die uns hier anschauen?

Diese Fragen lassen sich nicht mehr beantworten, doch nach über 100 Jahren mag die winterliche Aufnahme des NAG als weiteres Puzzlestück dazu dienen, irgendwann die Frühgeschichte dieser Berliner Marke besser dokumentieren zu können…

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Fund des Monats: NAG-Protos 16/80 PS Sport-Cabriolet

Nur noch wenige Tage bis zum Jahreswechsel 2018/2019 – höchste Zeit für den Fund des Monats, zumal auch noch der Fund des Jahres zelebriert sein will.

Diesmal handelt es sich nicht um ein einzelnes Foto, sondern eine ganze Reihe originaler Dokumente, die letztlich zu einem der edelsten deutschen Automobile der frühen 1930er Jahre führen.

Den Anfang macht das folgende Sammelbild:

NAG 16/80 PS Limousine; originales Sammelbild aus Sammlung Michael Schlenger

Solche Sammelbilder waren seinerzeit Zigarettenpackungen beigelegt und konnten in separat erhältliche Sammelalben eingeklebt werden.

Diese Darstellungen waren nicht immer exakt, geben aber im vorliegenden Fall eine gute Vorstellung von der mächtigen Limousine, die NAG-Protos aus Berlin ab 1930 mit Sechszylinder in überschaubaren Stückzahlen baute.

Das 4 Liter-Aggregat war von konventioneller Bauart – die im Zylinderkopf hängenden Ventile wurden über eine seitlich liegende Nockenwelle und Stoßstangen betätigt.

Doch mit 80 PS Leistung, hydraulischen Bremsen und Spitze 100 km/h war der NAG-Protos 16/80 PS durchaus ein respektables Automobil der Oberklasse.

Hier haben wir eine rare Vierfenster-Limousine des Modells, die einst als  Werbefahrzeug für Produkte der Firma Dr. Oetker diente – nebenbei mein erstes Vorkriegsautofoto, das ich vor rund 30 Jahren erworben habe:

NAG-Protos 16/80 PS, 4-Fenster-Limousine; Originalfoto aus Sammlung Michael Schlenger

Leider war der NAG-typisch sorgfältig konstruierte und ausgezeichnet verarbeitete Wagen zu teuer geraten. Für den Preis der Pullman-Limousine (12.500 Reichsmark) bekam man 1930 auch eine 100 PS starke 6-Fenster-Limousine von Buick (Series 60).

Dessen ungeachtet machte die seit 1926 mit dem einstigen Berliner Konkurrenten Protos verbandelte NAG unverdrossen Werbung für ihr Spitzenprodukt.

So findet sich auf folgender Reklame eine Ausführung als viertüriges Cabriolet, die in der mir vorliegenden Literatur zwar erwähnt wird, aber nirgends abgebildet ist:

NAG-Protos 16/80 PS, viertüriges Cabriolet; Originalreklame aus Sammlung Michael Schlenger

Auch wenn sich der Zeichner dieser Grafik einige Freiheiten genommen hat, hat er die Anmutung des langgestreckten Fahrzeugs mit tiefliegendem Rahmen und niedriger Frontscheibe getreu wiedergegeben.

Deutlich wird das spätestens dann, wenn man sich eine Originalaufnahme des auf demselben Chassis und bei identischem Radstand von fast 3,50 Meter gebauten zweitürigen Sport-Cabriolets betrachtet.

Diese großartige Ausführung unterschied sich nur von der Karosserie her von der Limousine und dem 4-türigen Cabriolet. Dennoch erhielt sie eine eigene Typenbezeichnung (208) – was ihren besonderen Rang betonte.

Das folgende zeitgenössische Pressefoto wird der makellosen Schönheit dieser majestätischen Schöpfung vollkommen gerecht:

NAG-Protos 16/80 PS Typ 208, zweitüriges Cabriolet; originales Pressefoto aus Sammlung Michael Schlenger

Das über fünf Meter lange und zwei Tonnen schwere Fahrzeug wurde mit höchster Raffinesse durchgestaltet.

Eine Quelle (O. Neubauer: Autos aus Berlin – Protos und NAG) schreibt die meisterliche Ausführung dem für die NAG-Muttergesellschaft AEG tätigen Gestalter Peter Behrens zu, der aus dem Jugendstil kommend die brutale Einfallslosigkeit seiner Bauhaus-Nachfolger mied.

Während an dem Wagen jeder eigentliche Zierrat fehlt, betonen wechselnde Farbakzente die gestreckte Architektur der Karosserie. Dabei kontrastieren gerade Linien auf reizvolle Weise mit Kurvaturen und Bögen, etwa an der niedrigen Frontscheibe, am Trittbrett oder an der Gürtellinie.

Gemessen daran sind die aus meiner Sicht überschätzten zeitgleichen Entwürfe von Walter Gropius für Adler krude Kästen, die zurecht vom Publikum abgelehnt wurden. Eine ausführliche Beschäftigung mit dem Gropius-Adler folgt noch zu gegebener Zeit.

Kaum verwunderlich, dass das Sport-Cabriolet des NAG 16/80 PS beim nicht leicht zu beeindruckenden Publikum zeitgenössischer Concours-Veranstaltungen höchste Anerkennung fand.

Einige Beispiele sind auf der Rückseite meines oben gezeigten Pressefotos abgedruckt:

NAG-Protos 16/80 PS Sport-Cabriolet, originales Pressefoto (Rückseite) aus Sammlung Michael Schlenger

Nun könnte man meinen, dass auf ein solches Dokument des vielleicht schönsten deutschen Serienwagens von Anfang der 1930er Jahre nicht mehr viel folgen kann.

Doch wer meinen Blog schon etwas länger verfolgt, weiß um meine Vorliebe für zeitgenössische Originalfotos, die Vorkriegswagen im Alltag zeigen.

Dass das rare Sport-Cabriolet des NAG-Protos 16/80 PS auch ein Dasein abseits von Schönheitskonkurrenzen führte, das zeigen gleich drei Aufnahmen, die für mich den eigentlichen Fund des Monats darstellen.

Über Ort und Anlass dieser Fotos ist mir nichts Genaues bekannt, sicher ist nur, dass sie in kurzer Abfolge anlässlich einer Landpartie entstanden sind.

Beginnen wir hiermit:

NAG-Protos 16/80 PS Sport-Cabriolet; Originalfoto aus Sammlung Michael Schlenger

Würde nur noch diese Aufnahme existieren, wäre die Ansprache des Typs äußerst schwierig bis unmöglich. Deutlich werden immerhin die spektakulären Dimensionen, aber auf den ersten Blick könnte das auch ein amerikanischer Luxuswagen sein.

Der aufmerksame Betrachter wird aber die Übereinstimmung der Radkappen, der Trittbrettgestaltung und der seitlichen Zierleisten mit dem Wagen auf dem Pressefoto bemerken.

Der Eindruck bestätigt sich, nachdem die mächtige Tür geschlossen wurde und aus gleicher Perspektive das folgende Foto entstand:

NAG Protos 16/80 PS Sport-Cabriolet; Originalfoto aus Sammlung Michael Schlenger

Nun ist nicht nur die farblich abgesetzte Seitenleiste erkennbar, die hinter der Tür in einen dem Verdeck folgenden Bogen übergeht, auf einmal wird auch ein am Heck angesetzter Koffer sichtbar, der ebenfalls eine Zweifarblackierung besitzt.

Auf dieses Detail kommen wir noch zurück. Nicht unerwähnt bleiben soll der stark abgefahrene zweite Ersatzreifen am Heck.

Übrigens hat sich im und um den NAG-Protos herum einiges getan:

  • der gut aufgelegte Herr mit der gestreiften Krawatte hat sein sportlich kurzes-Jackett verschlossen und schaut nun in die Kamera,
  • die Dame mit der dunklen Kappe hat sich vom Rücksitz ans Lenkrad begeben, während die Beifahrerin mit dem Pelzkragen ihren Platz beibehalten hat,
  • der zuvor noch in ein heiteres Gespräch verwickelte Herr mit hellem Anzug und Fliege hat die Rückbank verlassen und auf dem Verdeck Platz genommen.

Nachdem die Identifikation des Wagens als NAG 16/80 PS Sport-Cabriolet außer Zweifel steht, nun noch das dritte Foto aus dieser Reihe, das von besonderem Reiz ist:

NAG 16/80 PS Sport-Cabriolet; Originalfoto aus Sammlung Michael Schlenger

Dieses Foto von schräg oben in den vollbesetzten NAG dürfte wohl einmalig sein. Hier wirkt der Wagen gar nicht mehr so groß, doch der Eindruck täuscht, da einiges von der Front- und Heckpartie fehlt.

Für den Fotografen – wohl ein Insasse eines weiteren Fahrzeugs, das an dem Tag den NAG-Protos begleitete – standen die Menschen an Bord des Wagens im Mittelpunkt.

Die vier uns bereits bekannten Personen sitzen wieder an ihrem Platz und nun wissen wir auch, wer der Fahrer des schönen NAG war.

Wertvoll ist diese aus ästhetischer Hinsicht vielleicht nicht ideale Aufnahme nicht zuletzt, weil nur sie einen Blick auf das Kennzeichen des NAG-Protos ermöglicht.

Das Kürzel „IX“ steht für Westfalen und auf dem Originalabzug ist unter Vorbehalt die Kennung „90757“ zu lesen, was auf eine Zulassung im Verwaltungsbezirk Münster hindeuten würde.

Vielleicht kann ein ortskundiger Leser sogar sagen, wo genau diese drei wohl im Münsteraner Umland geschossenen Aufnahmen entstanden.

Für den Fall, dass der eine oder andere Leser sich vom „Fund des Monats“ und speziell vom Sport-Cabriolet des NAG-Protos 16/80 PS etwas mehr erhofft hat, kann ich dank Leser und Vintage-Fotosammler Klaas Dierks noch „eine Schippe drauflegen“:

NAG-Protos 16/80 PS Sport-Cabriolet; Originalfoto aus Sammlung Klaas Dierks

Dieser Ausschnitt aus einem größeren Foto lässt die vollkommene Übereinstimmung mit den zuvor gezeigten Bildern des Sport-Cabriolets auf Basis des NAG-Protos 16/80 PS erkennen.

Erwähnenswert sind jedoch zwei Dinge: das geschlossene Verdeck – mir ist bislang kein zweites entsprechendes zeitgenössisches Foto des Typs bekannt – und die nach US-Vorbild opulent verchromten Ersatzradabdeckungen.

Offen bleibt für mich vorerst, wieviele dieser herrlichen Wagen mit dem rassigen Aufbau als Sport-Cabriolet überhaupt entstanden.

Immerhin scheint es eine handvoll Exemplare bis in unsere Zeit geschafft zu haben. Ist der Wagen aus Münster vielleicht darunter?

© Michael Schlenger, 2018. All entries in this blog (including embedded photos) are copyrighted by the author, unless otherwise indicated. Excerpts and links may be used, provided that credit is given to Michael Schlenger and https://vorkriegs-klassiker-rundschau.blog with appropriate and specific direction to the original content.

 

 

 

Ein Cabrio als Taxi? Auch das gab es auf Basis des NAG C4

Eigentlich sollte sich der heutige Blog-Eintrag mit einer hier bislang noch nicht behandelten deutschen Automarke beschäftigen: MAF.

Doch erwies sich trotz ausgezeichneten Bildmaterials die zugehörige Standardliteratur als so widersprüchlich und offenkundig fehlerhaft, dass die vor dem 1. Weltkrieg verbreiteten Wagen aus Markranstädt bei Leipzig noch etwas warten müssen.

Wieder einmal ist festzustellen, dass etliche Vorkriegsmarken aus dem deutschsprachigen Raum einer umfassenden Aufarbeitung harren.

Zum Glück gibt es ausreichend Fotomaterial zu bekannten Typen, das eine zuverlässige Ansprache erlaubt, das aber zugleich immer wieder neue Facetten zeigt.

So befassen wir uns heute mit einer besonderen Variante eines Wagens, der an sich keine Seltenheit darstellte – weder in der Vorkriegszeit, noch in diesem Blog.

Die Rede ist vom Vierzylindertyp C4 der AEG-Tochter NAG aus Berlin, der von 1920 bis 1926 in Serien- und Sportversionen mit 30 bis 50 PS gebaut wurde.

Hier haben wir die „schärfste“ Serienausführung des NAG C4, die 120 km/h schnelle Sportversion C4m Monza mit 50 PS Höchstleistung aus 2,6 Liter Hubraum (Porträt).

NAG C4m; Originalfoto aus Sammlung Michael Schlenger

Im Deutschland der 1920er Jahre war ein solcher Wagen eine echte „Waffe“.

Noch 60 Jahre später war für Volkswagenfahrer Tempo 120 eine magische Grenze – der Verfasser weiß, wovon er redet: er spulte einst über 100.000 km im VW Käfer ab, immer mit Vollgas auf der Autobahn – erst bei 210 tkm Laufleistung war Schluss…

Da heutzutage auf Landstraßen oft mit 60-70 km/h herumgeschlichen wird, wäre wohl selbst die 30 PS leistende Standardversion des NAG C4 kein Verkehrshindernis.

Hier haben wir ein bislang unpubliziertes Foto davon:

NAG C4 Typ 10/30 PS; Originalfoto aus Sammlung Michael Schlenger

Aus heutiger Sicht ist dieser Tourenwagen ein ziemlich dicker Brocken, dessen 3,20m Radstand geräumige Aufbauten erlaubte, von denen wir heute nur träumen können.

Vom NAG C4 wurden trotz der langen Produktionsdauer laut Literatur nur wenige tausend Exemplare gebaut. Interessanterweise besitzen alle bisher in diesem Blog vorgestellten Exemplare – rund ein Dutzend – offene Karosserien.

Auch hier müssen wir uns mit einer „Cabrio“-Version begnügen, doch erstmals als Taxi:

Das Schachbrettmuster entlang des Fahrgastraums war in der Vorkriegszeit ein Merkmal von Taxis – gleichzeitig einnert das Muster an Autorennen, bei denen die „chequered flag“ als Start- und Zielflagge eingesetzt wurde.

Weiß ein Leser mehr zum Ursprung des Schachbrettmusters als Erkennungsmerkmal von Taxis hierzulande? Der Begriff Droschke (siehe Wagenflanke) ist übrigens ein Lehnwort aus dem Russischen.

Dass ein Taxi auf Basis des NAG C4 abgesehen von Taxameter und Schachbrettmuster genauso aussah wie die zivile Version, lässt sich anhand eines Fotos nachvollziehen, das in diesem Blog bereits vor längerer Zeit vorgestellt wurde:

NAG Typ C4 Tourenwagen; Originalfoto aus Sammlung Michael Schlenger

Wenn sich bislang schon kein Foto eines NAG des Typs C4 in geschlossener Version auftreiben ließ, wäre eine Aufnahme eines Tourenwagens mit geschlossenem Verdeck immerhin ein Anfang.

Kann ein Leser damit aushelfen? Dann wäre das eine kleine Sensation, denn in der dem Verfasser vorliegenden Literatur gibt es bislang genau eine solche Aufnahme.

Leider trifft auch auf NAG das eingangs Gesagte zu – es gibt kein umfassendes, dem aktuellen Wissensstand entsprechendes Standardwerk zu dieser bedeutenden Marke – eigentlich ein weiterer Fall für die Automobilhistoriker hierzulande

© Michael Schlenger, 2018. All entries in this blog (including embedded photos) are copyrighted by the author, unless otherwise indicated. Excerpts and links may be used, provided that credit is given to Michael Schlenger and https://vorkriegs-klassiker-rundschau.blog with appropriate and specific direction to the original content.

 

Abgesang einer großen Marke: NAG Typ 220 „Voran“

Nach dem schier endlosen Sommer des Jahres 2018 entfaltet sich nun der Herbst mit Macht.

Zwar ließ sich in der hessischen Wetterau – der Heimat des Verfassers – heute nochmals die Sonne ohne Jacke genießen. Doch in den Parkanlagen Bad Nauheims verfärben sich die Blätter, in den Gärten riecht es nach Fallobst und über den Himmel ziehen seit Tagen die Zugvögel in majestätischen Formationen.

Der Herbst ist unter den Jahreszeiten vielleicht diejenige, deren Schönheit am schmerzhaftesten ist – denn er ist die Zeit des Abschieds und Vergehens.

Das soll auch das Thema des heutigen Blogeintrags sein, mit dem wir des Endes einer der großen deutschen Automobilmarken gedenken – NAG aus Berlin.

Der kurz nach dem Jahr 1900 von der AEG gegründeten „Neue Automobil Gesellschaft“ – später „Nationale Automobil Gesellschaft“ – gelang binnen weniger Jahre der Aufstieg in die automobile Oberklasse Deutschlands:

NAG Typ B2; Abbildung aus Braunbeck’s Sportlexikon von 1910 (Faksimile-Ausgabe aus Sammlung Michael Schlenger)

Hier haben wir Prinzessin Charlotte von Preussen – eine Enkelin von Queen Victoria – mit ihrem NAG Typ B2 von ca. 1908.

Sie trat seinerzeit als Stifterin von Preisen für Automobilwettbewerbe wie die Herkomer Konkurrenz und die Prinz-Heinrich-Fahrt auf.

Mit ihrem 8-Liter-Wagen von NAG, der seine 55 PS Spitzenleistung bereits bei 1.300 Umdrehungen erreichte, konnte sie sich eines angemessenen Auftritts sicher sein.

NAG bot jedoch schon damals auch Modelle der Mittelklasse an, die aufgrund ihrer Qualitäten internationale Verbreitung erlangten.

Noch im 1. Weltkrieg kamen vereinzelt großvolumige NAGs als Offizierswagen zum Einsatz – die freilich für den Fronteinsatz ungeeignet waren, wie man hier sieht:

NAG Typ K8; Originalfoto aus Sammlung Michael Schlenger

In den 1920er Jahren war NAG dann eine Weile recht erfolgreich mit seinen Mittelklassemodellen C4 und D4, von denen in diesem Blog schon eine ganze Reihe Exemplare anhand historischer Originalfotos vorgestellt wurden.

An die 5.000 Stück sollen davon entstanden sein – der runde Schätzwert verrät, dass man nichts Genaues weiß. Besonders selten sind NAG-Fotos auch nach 90 Jahren nicht, was eine Größenordnung von mehreren tausend Wagen plausibel macht.

Nachfolgend ein (hier) bereits vorgestelltes Exemplar des NAG D4 10/45 PS, an dem der markentypische ovale Kühlerausschnitt gut zu erkennen ist:

NAG Typ D 10/45 PS; Originalfoto aus Sammlung Michael Schlenger

Mit Sportversionen dieses Vierzylindermodells gelangen NAG in der ersten Hälfte der 1920er Jahre einige Erfolge. Diese Episode haben wir bereits gestreift, werden sie aber anhand weiterer zeitgenössischer Fotos gelegentlich noch vertiefen.

Ab 1925 beugte sich NAG dem Diktat der Sachlichkeit und opferte seine unverwechselbare Frontpartie dem Zeitgeist – mit Flachkühler wirkten die NAGs bei allen unstrittigen Qualitäten plötzlich austauschbar.

Die nun mit 6-Zylindermotoren ausgestatteten Wagen hatten ihre Magie verloren und taten sich gegen die Konkurrenz aus In- und Ausland (vor allem den USA) schwer.

Hier haben wir einen solchen NAG 12/60 PS oder 14/70 PS von 1927/28 (Porträt):

NAG 12/60 oder 14/70 PS; Originalfoto aus Sammlung Michael Schlenger

Äußerlich fast identische Wagen waren damals von dutzenden Marken erhältlich, darunter auch europäischen Großserienherstellern wie Fiat, die damit den Markt dominierten.

NAG konnte von seinem Manufakturmodell dagegen nur um die 2.000 Stück absetzen. Der Ausweg wäre die Serienherstellung marktgängiger und erschwinglicher Wagen gewesen.

Dazu hatte NAG sogar die Produktionskapazitäten. Neben dem Werk in Berlin verfügte man nämlich über die Fabriken:

  • der 1926 übernommenen Protos-Werke ebenfalls in Berlin,
  • der 1927 übernommenen Presto-Werke in Chemnitz und
  • der 1926 von Presto übernommenen DUX-Werke in Leipzig.

Doch zu einer Massenfabrikation, wie sie die US-Hersteller ebenfalls nur wegen mehrerer Produktionsstandorte hinbekamen, fehlten NAG eine geeignete Konstruktion sowie das organisatorische Können.

Das Kapital wäre bei einem überzeugenden Geschäftskonzept beschaffbar gewesen, wie Fiat im bitterarmen Italien der Zeit nach dem 1. Weltkrieg bewies.

Stattdessen verausgabte sich NAG wie andere deutsche Hersteller in heroischen, doch wirtschaftlich selbstmörderischen Anstrengungen und entwickelte immer exotischere Wagen für immer kleinere Marktnischen.

Wenigstens hatte man verstanden, dass man äußerlich mit den banalen Flachkühlern nicht weitermachen konnte – auch hier gaben übrigens die US-Hersteller den Takt vor – und fand zu einer wieder ausdrucksstärkeren Formgebung zurück:

NAG Typ 16/80 PS; Originalfoto aus Sammlung Michael Schlenger

Hier haben wir einen NAG 16/80 PS vor uns, dem man einen eigenständig gestalteten Kühler verpasst hatte, der das neue Emblem von NAG-Protos trug.

Nebenbei ist diese Aufnahme diejenige, die sich am längsten in der Sammlung des Verfassers befindet – sie begleitet ihn seit bald 30 Jahren und stellt die Keimzelle einer bis heute anhaltenden Leidenschaft dar (Bildbericht).

NAG setzte nach den schwer verkäuflichen Sechszylindern noch einen drauf und entwickelte 1930 in denkbar ungünstigem Umfeld einen 4,5 Liter großen V8-Motor mit 100 PS, auf den niemand gewartet hatte.

Angesichts der ökonomischen Realitäten, die man bei NAG lange ausgeblendet hatte, entschloss man sich dann zu einer radikalen Wende.

Unter großem Zeitdruck entwickelten die NAG-Konstrukteure ein auf dem Papier zeitgemäßes, massenmarkttaugliches Automobil – den NAG Typ 220 „Voran“.

Auch optisch war dieser ab 1933 gebaute Wagen auf der Höhe der Zeit:

Dieses Auto wirkte absolut wettbewerbsfähig, vor allem wenn man die ebenfalls frontgetriebenen, aber weit schwächeren Konkurrenten von DKW heranzieht.

Eine Besonderheit des NAG Voran war der luftgekühlte Vierzylinder-Boxermotor mit 1,5 Liter Hubraum und 30 PS. Gegen die Leistung ist in der Einsteigerklasse bzw. unteren Mittelklasse an sich nichts einzuwenden.

Zum Vergleich: Mercedes-Benz gelang das Kunststück, seinen hubraumstärkeren 6-Zylindertyp 170 auf gut 30 PS „zu drosseln“. Was in dieser Hinsicht damals möglich war, zeigte BMW mit seinem Typ 303, dem bloße 1,2 Liter für 30 PS genügten…

Das größere Problem des NAG Voran war die unzureichende Leistungsfähigkeit. Der lärmige Motor beschleunigte den Wagen auf gerade einmal 85 km/h Spitze – da kaufte man sich besser einen DKW F2 Meisterklasse.

Der war zwar auch nicht leiser, war aber fast genauso „schnell“, verbrauchte statt 11 Liter nur rund 7 Liter auf 100 km/h und kostete als zweitürige Cabrio-Limousine nicht 3.650 Mark wie der NAG, sondern gerade einmal 2.500 Mark.

Dabei besaß der NAG Voran wie der DKW nur eine Holzkarosserie mit Kunstlederbespannung. Mit etwas Marktkenntnis hätte bei NAG klar sein müssen, dass es für den „Voran“ wirtschaftlich keine Chance gab.

So blieb es bei wenigen hundert Exemplaren, die bis zum Ende der PKW-Fertigung bei der altehrwürdigen NAG im Jahr 1934 entstanden.

Doch eines muss man dem letzten NAG lassen: Kein Wagen seiner Klasse vereinte progressive Elemente so gekonnt mit traditioneller Gestaltung:

Flott sieht er schon aus – der frontgetriebene NAG Typ 220 von 1933. Im Stand hört man den klapprigen Motor ja nicht und der Spritverbrauch ist gleich null.

So ein charakterstarker Wagen – ganz in der formalen Tradition der alten NAG – in Verbindung mit einem gescheiten Antrieb und zum volkstümlichen Preis – das wäre es gewesen. Doch die Chance blieb ungenutzt, leider.

Was bleibt, ist die Melancholie, die dieses schöne Foto ausstrahlt. Man meint, der entrückt in die Ferne schauende Besitzer wisse, dass seinem hier so eindrucksvoll wirkenden Wagen keine große Zukunft beschieden war.

Übrigens: Wer eine Erklärung dafür hat, weshalb auf obiger Reklame für den NAG Voran sechs seitliche Luftklappen in der Haube zu sehen sind, bei unserem Fotomodell aber nur drei (und eine darunter), nutze bitte die Kommentarfunktion.

Noch etwas: Im Modelljahr 1934, kurz vor Einstellung der Fertigung, wurde der NAG Voran mit blechbeplankter Karosserie angeboten. Diese Wagen besaßen statt der Luftklappen eine durchgehende Reihe schrägstehender Haubenschlitze.

Fotos dieser allerletzten Ausführung sind rar – hat jemand so etwas in seinem Fundus?

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Fund des Monats: NAG C4b „Monza“ im Sporteinsatz

Historische Originalfotos von Wagen der einstigen Berliner Automobilfirma NAG sind auf diesem Blog für Vorkriegsautos keine Seltenheit.

Zwar entstanden nach heutigen Maßstäben nicht sehr viele Autos der 1901 gegründeten AEG-Tochtergesellschaft, doch erwarben sie sich durch ihre Qualität und ihr unverwechselbares Äußeres einen besonderen Ruf.

NAGs besaßen von Anbeginn einen ovalen Kühlerausschnitt, den man auch in der Spitzkühlerära bis Mitte der 1920er Jahre beibehielt.

Das damals verbreitetste NAG Modell war der Typ C4 10/30 PS mit 2,6 Liter-Vierzylinder, den wir hier als Hochzeitsauto sehen:

NAG C4 10/30 PS Tourenwagen; Originalfoto aus Sammlung Michael Schlenger

Dieses brav wirkende, ab 1920 gebaute Modell wies keinerlei technische Auffälligkeiten auf. Die strömungsungünstig seitlich stehenden Ventile standen einer sportlichen Verwendung entgegen – würde man erwarten.

Tatsächlich schaffte das in der Serienausführung als Tourenwagen 1,5 Tonnen schwere Gefährt nur Spitzentempo 75. Dessenungeachtet inspirierten die offenen Versionen einige Besitzer zumindest zur Teilnahme an Wettbewerbseinsätzen, bei denen die Beherrschung des Wagens wichtiger war als die Höchstleistung.

Ein schönes Beispiel dafür haben wir auf folgender Aufnahme, die anlässlich einer der einst beliebten Geschicklichkeitsprüfungen entstand:

NAG C4 10/30 PS; Originalfoto aus Sammlung Michael Schlenger

Leider scheint der NAG-Fahrer den Schwerpunkt seines Wagens falsch eingeschätzt zu haben („Der Mittelpunkt bin doch ich!“) und die Wippe beginnt sich unter der Last des Motors bereits nach vorn zu neigen. Der Warnruf des Beifahrers erfolgt zu spät…

Dafür bekommt man einen Eindruck von den beachtlichen Abmessungen des Wagens – mit Radstand von 3,20 m und Gesamtlänge von rund 4,70 m war der NAG Typ C4 ganz klar ein Oberklassefahrzeug.

Sein Konstrukteur – Ingenieur Christian Riecken – fand sich jedoch nicht mit dem behäbigen Charakter seiner Schöpfung ab; er wusste, dass mehr darin steckte.

Um den Wagen für Sporteinsätze geeignet zu machen, änderte er die Vergaserabstimmung, verbaute Leichtmetallkolben und senkte das Fahrzeuggewicht drastisch, nur der Hubraum blieb unverändert. Das Konzept sollte sich auszahlen:

  • Mit der Sportversion trat Riecken selbst beim ersten Rennen auf der neugebauten Berliner AVUS im September 1921 an. In der Klasse bis 10 Steuer-PS setzte er sich gegen die gesamte Konkurrenz, u.a. von Opel, Horch und Stoewer, durch.
  • 1922 belegten NAG-Sporttypen auf der AVUS in ihrer Klasse die ersten drei Plätze.
  • Bei der russischen Zuverlässigkeitsfahrt 1923, die über 2.000 km führte, siegte NAG in der Gesamtwertung. Robustheit war damals wichtiger als Spitzenleistung.
  • Der größte Triumph war der Sieg beim 24-Stunden-Rennen 1924 im italienischen Monza, wo der NAG sogar die Alfa-Romeos der 3-Liter-Klasse schlug.

Nach dieser Sensation in Italien bot NAG vermögenden Privatfahrern eine leichte Sportausführung des Typs C4 mit anfänglich 40 (später bis 50 PS) an, die den prestigeträchtigen Zusatz „Monza“ trug.

Solch ein Fabeltier sehen wir hier bei einem lokalen Rennen irgendwo in Deutschland:

NAG C4b „Monza“; Originalfoto aus Sammlung Michael Schlenger

Festgehalten ist hier der Moment der Zieleinfahrt. Das entsprechende Banner und die triumphierende Geste des Herrn im Heck sprechen für sich.

Wir dürfen annehmen, dass es sich um eine Veranstaltung irgendwo in der Provinz handelte, wie die spärlichen Zuschauer verraten. Das Kennzeichen des NAG weist übrigens auf eine Zulassung in Braunschweig hin.

Wie die meisten Sportversionen gängiger Modelle besaß auch der NAG C4b eine Straßenzulassung, d.h. der Besitzer fuhr auf eigener Achse wieder nach Hause. Offenbar hielt sich sein sportlicher Ehrgeiz bei dieser Gelegenheit ohnehin in Grenzen.

Denn mit zwei zusätzlichen Passagieren litt das Leistungsgewicht des NAG erheblich. Für diese frei verkäufliche Straßensportversion wird ein Spitzentempo von 100 km/h angegeben; nur die Werksrennwagen schafften über 130 km/h.

Dass ein Ritt im NAG C4b „Monza“ auch so Spaß machte, belegen die glücklichen Mienen der Insassen, soweit wir sie auf diesem Ausschnitt erkennen können:

NAG Typ C4b „Monza“; Originalfoto aus Sammlung Michael Schlenger

Schön und gut, könnten nun verwöhnte Leser sagen, aber vom Auto sieht man auch hier nicht viel mehr als den NAG-typischen ovalen Spitzkühler. Immerhin wirkt die v-förmig unterteilte und niedrige Windschutzscheibe sportlich.

Wer genau hinsieht, erkennt außerdem die freistehenden leichten Schutzbleche, die es nur an der Sportversion gab.

Zum Glück ist das nicht alles, liebe Freunde der Vorkriegsautomobile. Zusammen mit dieser Aufnahme konnte der Verfasser nämlich ein zweites Foto erwerben, das denselben Wagen bei derselben Gelegenheit zeigt.

Diese Aufnahme ist nun eine, die keine Wünsche offenlässt – schöner und detailreicher abgelichtet wird man einen NAG des Sporttyps C4b „Monza“ auf einer Privataufnahme kaum finden:

NAG Typ  C4b „Monza“; Originalfoto aus Sammlung Michael Schlenger

An eine schier endlose Motorhaube mit seitlich geführtem, armdicken Auspuffrohr schließt sich ein minimalistisches Passagierabteil an.

Interessanterweise besaßen auch die auf der Avus 1926 eingesetzten Werksrennwagen des Typs NAG C4 eine zweite Sitzreihe wie die Straßensportausführung auf unserem Foto. Dies entsprach den Anforderungen in der speziellen Klasse, in der NAG antrat

Bei den echten Renneinsätzen wird man zumindest auf die Mitnahme eines Koffers am Heck und gleich zwei Ersatzreifen sowie einen besonders gutgenährten Passagier wie auf dem Foto verzichtet haben:

Während wir die Herren schon bei der Zielfahrt an Bord des NAG sehen konnten, werden die Dame mit den Blumen und der junge Bursche im Hintergrund nicht mitgefahren sein – doch bei der mutmaßlichen Siegerehrung wollten sie nicht fehlen.

Interessant ist auf diesem Ausschnitt übrigens das Scheibenrad – in der Literatur ist beim NAG C4b „Monza“ nur von Drahtspeichenrädern die Rede. Gut möglich, dass der Besitzer dieses Wagens der unkomplizierteren und robusteren Lösung den Vorzug gab.

Man sieht: Die wahre Bandbreite dessen, was in der Vorkriegszeit auf den Straßen und Rennstrecken unterwegs war, erschließt sich erst beim Studium zeitgenössischer Originalfotos, denn die Wagen selbst sind meist Geschichte.

Immerhin hat zumindest einer der Seriensportversionen des Typs NAG C4b „Monza“ im Deutschen Technikmuseum in Berlin überlebt. Für Cineasten mag auch interessant sein, das einer dieser Wagen in einem russischen Stummfilm von 1926 „mitspielte“.

Wer nun auf den Appetit gekommen ist, dem sei an dieser Stelle gesagt, dass sich im Fundus des Verfassers zwei weitere Aufnahmen von NAG-Wagen des Sporttyps C4b „Monza“ befinden.

Die müssen aber noch ein wenig warten, es gibt ja soviel mehr Spannendes im Vorkriegssektor, das erzählt und illustriert werden will…

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DAS soll ein Taxi sein? Ein NAG Typ K3 von 1913

Dass in der „guten alten Zeit“ nicht alles besser war als heute, steht außer Frage. Verglichen mit den Verhältnissen vor 100 Jahren leben wir in mancher Hinsicht in der besten aller Welten:

  • Gesundheitsversorgung für jedermann und minimale Kindersterblichkeit
  • Wahlrecht und Bildungszugang unabhängig von Geschlecht und sozialer Abkunft
  • erschwingliche und sichere individuelle Mobilität
  • saubere Luft und keimfreies fließendes Trinkwasser

Außerdem: Keiner der Staaten Europas ist mehr gewillt oder in der Lage, einen Krieg gegen seine Nachbarn anzuzetteln. Freier Handel und Kapitalverkehr als Quelle des Wohlstands nicht zu vergessen.

Und sonst?

Vor der Baukunst um 1900 und den damaligen Ingenieursleistungen speziell im Schienenverkehr stehen wir mit Ehrfurcht. Wir ahnen, dass keiner der heutigen Versuche eine solche ästhetische Qualität und Dauerhaftigkeit aufweisen wird.

Mit dem organisatorischen und technischen Können der Schöpfer einer einzigen Weltausstellung der Jahrhundertwende ließe sich vermutlich jedes Jahr ein neuer Flughafen hierzulande eröffnen – heute machen das die Chinesen.

Wo die Gegenwart mit einer glorreichen Vergangenheit nicht mitzuhalten vermag, lässt sich auch an einem vermeintlich banalen Alltagsobjekt ablesen wie einem Taxi – womit wir beim Thema wären:

NAG Typ K3; originale Postkarte aus Sammlung Michael Schlenger

Diese Aufnahme eines opulent anmutenden Chauffeurwagens wurde im Jahr 1913 ins ländliche Holstein versandt – ausgerechnet in ein Dorf namens Armstedt.

Darauf präsentiert sich der Fahrer des großzügigen Automobils selbstbewusst seinen Angehörigen: „Seht her, ich hab’s zu etwas gebracht, ich fahre ein Taxi!“

Während man als Taxifahrer heute weit unten in der sozialen Stufenleiter steht – sofern man nicht wie andere gescheiterte Existenzen von dort den Sprung in die Politik schafft – war das vor über 100 Jahren ein anspruchsvoller, angesehener Beruf.

Der Verfasser – geprägt von Erfahrungen mit unfähigen Taxifahrern in Frankfurt/Main – würde sich zu jeder Uhrzeit und an den unmöglichsten Orten dem Können und den Umgangsformen des Fahrers auf dem Foto anvertrauen.

Als Fahrgast würde man sich nach langem Arbeitstag – wenn die letzte Bahn längst abgedampft ist – in die üppig gepolsterten Sessel im Passagierabteil des Wagens fallen lassen und genüsslich die Beine ausstrecken.

Kein unbestelltes Radiogedudel, kein schlechtes Rasierwasser, kein aufgenötigtes Gespräch über Eintracht Frankfurt würde den Genuss trüben.

Natürlich würde einen der Wagen zuverlässig und komfortabel nach Hause bringen, denn es handelt sich um einen NAG aus dem Berliner AEG-Konzern:

Ein ovaler Kühlerausschnitt fand sich vor dem 1. Weltkrieg zwar auch bei anderen deutschen HerstellernMAF und Oryx beispielsweise –  doch die spielten im Droschkengeschäft keine Rolle.

In der damaligen Weltstadt Berlin – auch davon kann heute keine Rede mehr sein – stellten NAG-Wagen einen erheblichen Teil des Taxibestands – sie waren in dieser Hinsicht gewissermaßen der Mercedes ihrer Zeit.

Wer sich mit der Geschichte dieser einst so bedeutenden Berliner Automarke beschäftigt, fragt sich, weshalb es bis heute keine umfassende Darstellung der PKW-Produktion von NAG gibt, die 1934 ein unrühmliches Ende fand.

Ähnlich wie bei einer anderen einst hochbedeutenden deutschen Marke – Adler aus Frankfurt/Main – harrt speziell die Geschichte der frühen NAG-Wagen bis heute einer überzeugenden Aufarbeitung, sei es in Buchform oder im Netz.

Dabei gibt es im Internetzeitalter jede Menge Aufnahmen, die eine lückenlose Beschreibung der Modellgeschichte erlauben sollten – die Adler- und NAG-Fotogalerien in diesem Blog geben eine Vorstellung davon.

Machen wir’s kurz: Das NAG-Taxi würde der Verfasser anhand der wenigen Abbildungen in der Literatur als Typ K3 8/22 PS ansprechen, der von 1912-14 gebaut wurde.

Das ähnliche Modell K2 6/18 PS mit dem Zusatz „Darling“ lässt sich aufgrund der Abmessungen ausschließen. Denkbar wäre zwar auch, dass wir es mit der stärkeren Version K5 13/55 PS zu tun haben, doch für ein Taxi wäre das eine Nummer zu groß.

Oder unterliegen wir da einer Fehleinschätzung? Wie gesagt, vor über 100 Jahren waren die Maßstäbe in vielerlei Hinsicht andere. Damals galt noch: „Einen guten Staat erkennt man unter anderem daran, dass es gute Straßen und gute Schulen gibt“.

Darüber zu urteilen, wo wir heute in dieser Hinsicht stehen, sei dem Leser überlassen…

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Ganz schön exklusiv: Ein NAG D4 10/45 PS Tourenwagen

Wer diesen Oldtimerblog für Vorkriegswagen schon ein wenig länger verfolgt, vermisst vielleicht „Neuigkeiten“ zur einstigen Berliner Marke NAG, für deren charakteristische Wagen der Verfasser seit jeher eine Schwäche hat.

Der letzte NAG, den wir hier präsentiert haben, war ein Typ C4 10/30 PS, wie er von 1920-24 in für deutsche Verhältnisse beachtlichen Stückzahlen gebaut wurde – zur Klarstellung: die Rede ist von wenigen tausend Exemplaren…

In der NAG-Galerie finden sich eine ganze Reihe von Originalfotos dieser robusten Wagen aus dem AEG-Konzern, beispielsweise dieses hier:

NAG Typ C4  10/30 PS; Originalfoto aus Sammlung Michael Schlenger

Die Aufnahme ist zwar etwas verwackelt, doch sind alle wesentlichen Details gut wiedergegeben:

  • der NAG-typische Ovalkühler mit mittigem Knick,
  • das sechseckige NAG-Emblem auf der Stange zwischen den Scheinwerfern und
  • die in der unteren Haubenhälfte eingeprägten breiten Luftschlitze.

Der Betrachter merke sich außerdem die Form der spitz auslaufenden Schutzbleche, die beim oben abgebildeten Wagen links und rechts auffallend unterschiedlich sind.

Nun aber zu dem NAG, um den es heute eigentlich geht:

NAG Typ D4 10/45 PS; Originalfoto aus Sammlung Michael Schlenger

Klarer Fall, möchte man meinen: Spitz zulaufender Ovalkühler – ganz sicher ein NAG der 1920er Jahre. Aber auch ein Typ C 10/30 PS?

Nun, auf den ersten Blick dachte der Verfasser an dieses Modell, das sich so oft auf Fotografien der wilden 1920er Jahre findet.

Verfolgte NAG damals nicht wie einige andere deutsche Hersteller eine „Ein-Typen-Politik“? Das war die freundliche Umschreibung dafür, dass man nach dem 1. Weltkrieg nur ein Modell in halbwegs rationeller Form zu fertigen imstande war.

Die Konkurrenz von der Siemens-Tochter Protos machte das seinerzeit so mit dem gleichnamigen Typ C 10/30 PS; selbst Horch aus Zwickau bot nur ein Modell an.

Fast schien es, als sei die Aufnahmesituation das einzig Besondere an dem NAG, doch wie im wirklichen Leben lohnt es sich, vermeintliche Gewissheiten in Frage zu stellen. Der erste Reflex ist oft der richtige, aber nicht immer, so auch hier:

Dass dieser NAG ohne Scheinwerferstange und Markenplakette daherkommt und ihm auch die kleinen Lampen zur Ausleuchtung des Straßenrands fehlen, mag für sich noch nicht viel besagen.

Doch die völlig abweichende Gestaltung der Vorderschutzbleche, die rund statt spitz auslaufen und ein ausgeprägtes Profil zur Stabilisierung aufweisen, hat Gewicht.

Keiner der NAG C-Typen, die dem Verfasser bislang untergekommen sind, weist diese Besonderheiten auf. Dafür gibt es eine Aufnahme in der NAG-Galerie, bei der alles passt, und zwar diese:

NAG Typ D 10/45 PS; Originalfoto aus Sammlung Michael Schlenger

Hier haben wir dieselbe Gestaltung der Vorderschutzbleche und ein aufgesetztes Blech mit hohen schmalen Luftschlitzen in der Motorhaube.

Leider können wir die Gestaltung der Haubenschlitze beim NAG auf unserem Foto nicht erkennen, doch spricht alles dafür, dass auch er einer der selten abgebildeten D-Typen ist, die 1924 die Nachfolge des C-Typs antraten.

Unter der Haube hatte sich trotz kaum veränderten Hubraums von 2,6 Liter Entscheidendes getan: Hängend im Zylinderkopf angebrachte Ventile erleichterten den Gaswechsel deutlich, wodurch die Höchstleistung um satte 50 % zunahm.

Die Spitzenschwindigkeit des Typs D4 10/45 PS stieg gegenüber dem Typ C4 10/30 PS von 75 auf 90 km/h – bei den damaligen Straßenverhältnissen mehr als ausreichend.

Bis 1927 baute NAG den leistungsgesteigerten und optisch leicht modernisierten Typ D – vermutlich eines der am längsten gebauten Spitzkühlermodelle überhaupt.

Wer die 11.000 Reichsmark für den Tourenwagen aufbringen konnte – für eine Limousine waren sogar fast 15.000 Mark zu berappen – dem war auch sonst ein exklusiver Lebenswandel möglich.

Unser Foto belegt das trotz der ländlichen Umgebung sehr schön:

Diese Herrschaften haben sich gerade ausgehfein gemacht – oder sind am Morgen noch in Sektlaune von einer Feier zurückgekehrt.

Was genau der Anlass war, um teilweise im schicken Abendkleid bzw. Smoking auf Automobil oder Motorrad zu posieren, wissen wir leider nicht.

Doch ist in solchen alten Aufnahmen soviel Leben drin, fast meint man dabei zu sein nach über 90 Jahren. Es sind Zeugnisse wie dieses, die uns die Fahrzeuge der Vorkriegszeit nahebringen wie das kein steril präsentiertes Museumsstück schafft.

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Macht auf jedem Parkett eine gute Figur: NAG C4

Regelmäßige Leser dieses Oldtimerblogs könnten beim Stichwort NAG und dem Typ C4 der Meinung sein, dass sie diesen Artikel getrost übergehen können.

Denn das ab 1920 gebaute Erfolgsmodell der Berliner Siemens-Tochter gehört zu den häufigsten Gästen auf diesen Seiten.

Gefühlt ein Dutzend dieser markanten Wagen wurden anhand historischer Fotos aus der Sammlung des Verfassers bereits vorgestellt. Warum drei weitere zeigen?

Nun, zum einen ist ein NAG C4 immer ein eindrucksvolles Automobil – nur wenige andere deutsche Wagen der frühen 1920er Jahre hatten ein so unverkennbares Markengesicht. 

Zum anderen ist es spannend zu sehen, in was für unterschiedlichen Situationen und Gegenden man dem technisch unauffälligen, aber höchst zuverlässigen 10/30 PS-Wagen begegnet.

Beginnen wir mit einer konventionell anmutenden Aufnahme:

NAG Typ C4; Originalaufnahme aus Sammlung Michael Schlenger

Hier haben sich sechs Insassen vom siebten auf einem Ausflug in einer Gegend mit sandigem Boden und Nadelwald ablichten lassen.

Der 4,60 m lange Tourenwagen bot erkennbar großzügige Platzverhältnisse, nur auf größeres Gepäck musste man bei voller Besetzung verzichten.

Zur Identifikation von Marke und Typ muss man nicht viele Worte verlieren. Der moderate Spitzkühler mit wohl ovalem Ausschnitt lässt gleich an NAG denken.

Einen Stoewer D-Typ kann man ausschließen, dort stünde der von der Seite sehr ähnliche Kühler leicht schräg. Auf dem Originalabzug sind zudem auf den Nabenkappen die von Sechsecken eingefassten Buchstaben NAG zu erahnen.

Selten so schön zu sehen ist der Aufbau in der nach dem 1. Weltkrieg nur noch kurze Zeit üblichen Tulpenform. Auf den meisten Bildern des Typs C4 in der NAG-Fotogalerie sieht man die spätere, sachlicher gehaltene Karosserieausführung mit fast senkrechten Bordwänden.

Nicht zuletzt liefert diese Aufnahme einige Anregungen für Vorkriegsautobesitzer in Sachen stilgerechter Bekleidung.

Man muss nicht gleich zum Hemd mit „Vatermörder“-Kragen greifen, wie der Herr mit Bart, der modisch in der Kaiserzeit stehengeblieben ist. Wer wie er nicht alles mitmacht, was der Zeitgeist befiehlt, ist dem Verfasser übrigens sympathisch.

Aber ein weißes Hemd mit Ärmelband und Weste, dazu eine am besten schon gut gebrauchte „Schieberkappe“, das macht sich auch heute gut zu so einem Wagen, wirkt lässig und zugleich korrekt – im Sinne von rücksichtsvoll.

Jetzt aber weiter mit unserer kleinen NAG C4-Revue. Das folgende Foto transportiert uns gleich auf eine ganz andere – etwas schiefe – Ebene:

Dieses Foto ist eines von mehreren aus der Sammlung des Verfassers, die Wagen der Zwischenkriegszeit bei einem Automobilturnier zeigen, das auch kuriose Prüfungen wie die hier zu sehende umfasste.

Dabei ging es darum, mit seinem Wagen auf eine als Wippe angelegte Ebene aufzufahren, und zwar so, dass man dort möglichst lange das Gleichgewicht hielt.

Die Chancen erhöhte theoretisch ein Mitfahrer auf der Rückbank, der die Neigung besser im Blick behalten konnte als der Mann am Steuer und – hoffentlich rechtzeitig – das Signal zum Halt gab.

Genau dieser Moment scheint auf diesem Schnappschuss festgehalten zu sein:

Wie es scheint, hat der Mann hinten aber zu spät erkannt, dass der kopflastige NAG bereits zu weit über die Mitte der Wippe gefahren ist. Vielleicht dachte der gut genährte Fahrer auch, dass er selbst den Schwerpunkt des Wagens darstellt…

Auch hier wird man den tulpenförmigen Tourenwagenaufbau registrieren. Der Wagen war demnach zum Aufnahmezeitpunkt – in der zweiten Hälfte der 1920er Jahre – schon älter. Gebaut wurde der NAG Typ C4 übrigens nur bis 1924.

Mit echten Sporteinsätzen des NAG C4 beschäftigen wir uns bei anderer Gelegenheit – man soll nicht gleich sein ganzes Pulver verschießen. Bleiben wir also bodenständig und begeben uns nach: Ostfriesland!

NAG Typ C4 mit Paul von Hindenburg; Originalfoto aus Sammlung Michael Schlenger

Was auf den ersten Blick wie ein großer Empfang wirkt, war auch einer – nur in der Kleinstadt Leer im Nordwesten unseres Landes.

Wir sehen hier einen alten Bekannten auf dem Rücksitz – Reichspräsident Paul von Hindenburg. Seine Vita und tragische Rolle in der deutschen Geschichte haben wir erst kürzlich anhand eines Maybach-Fotos ausführlich behandelt.

Daher konzentrieren wir uns hier ganz auf den Wagen – wiederum ein NAG C4. Nun sieht man den typischen Spitzkühler mit dem ovalen Ausschnitt komplett, auch das NAG-Emblem auf der Stange zwischen den Scheinwerfern.

Dank der hervorragenden Qualität der Aufnahme lässt sich die Karosserie in allen Details studieren. Der Tourenwagenaufbau hat hier nur noch eine angedeutete „Taille“ und kommt mit dem tiefschwarzen Hochglanzlack sehr streng daher.

Im Vergleich zum frühen Typ C4 mit Tulpenkarosserie fällt außerdem auf:

  • Die außenliegenden ovalen Türgriffe sind verschwunden – zum Öffnen muss man den innenliegenden Griff betätigen – sehr raffiniert.
  • Des Weiteren ist die vordere Aufhängung der hinteren Blattfeder nicht mehr in einem separaten Gehäuse untergebracht, sondern wird vom durchgehend glattflächigen Schwellerblech kaschiert.
  • Die Seitenverkleidung zwischen Motorhaube und A-Säule weist drei zusätzliche Luftschlitze auf, die anders geformt sind als die in der Haube selbst. Das könnte auf eine Spezialkarosserie hinweisen.

Man hat sich offenbar nicht lumpenlassen in Leer in der zweiten Hälfte der 1920er Jahre. Vermutlich war der NAG das repräsentativste Fahrzeug, das man auftreiben konnte für die Fahrt vom Bahnhof in die Stadt.

Denn natürlich ist von Hindenburg nicht die ganze Strecke von Berlin aus mit dem offenen Wagen gereist. Das ging mit der Eisenbahn damals deutlich entspannter.

Der etwas grimmig dreinschauende Fahrer könnte uns gewiss mehr verraten:

„Meine Güte, jetzt hat Graf von Wedel dem Bürgermeister schon unseren NAG zur Verfügung gestellt, damit der Reichspräsident in Leer nicht mit dem Pferdegespann unterwegs sein muss. Und da ziehen einige der Banausen nicht einmal den Hut!“

In der Tat, ein paar halsstarrige Friesenköpfe haben den Zylinder einfach aufgelassen, während von Hindenburg und die meisten Honoratioren den Hut abgenommen haben. Solche Details lassen mehr ahnen, als wir heute wissen.

Möglich aber auch, dass unser Chauffeur sich bloß über den zerdellten Vorderkotflügel geärgert hat.

„Dem Herrn Graf war das ondulierte Schutzblech natürlich gleichgültig, der hat mit dem Unterhalt von Schloss Evenburg ja genug zu tun. Aber wenn ich’s rechtzeitig gewusst hätte, hätte ich das Blech vom alten Janssen noch rasch richten lassen.“ 

Tja, vielleicht weiß ja ein Leser mehr über diesen Besuch von Reichspräsident Paul von Hindenburg in Leer in den späten 1920er Jahren oder über den NAG selbst.

Der Wagen muss damals einem hochgestellten Besitzer in der Region gehört haben. Wer außer Graf von Wedel auf Schloss Evenburg bei Leer kam dafür in Frage?

© Michael Schlenger, 2017. All entries in this blog (including embedded photos) are copyrighted by the author, unless otherwise indicated. Excerpts and links may be used, provided that credit is given to Michael Schlenger and http://www.klassiker-runde-wetterau.com with appropriate and specific direction to the original content.

NAG-Protos Einsatzwagen der preußischen Polizei

Das Stichwort „Oldtimer“ bringt bei vielen die Augen zum leuchten. Doch denken tun Oldtimer-Liebhaber dabei an ganz unterschiedliche Vehikel.

Die Motorradfraktion kennt bloß zweirädrige Veteranen, für Nutzfahrzeugfans zählen nur alte Laster und Busse, und dann gibt es Zeitgenossen, bei denen sich alles um historische Fahrräder oder Flugzeuge dreht.

Wo soll man da die Grenze ziehen, wenn man einen Oldtimerblog betreibt? Nun, zum Beispiel, indem man sich auf PKW beschränkt – auf dem Sektor gibt es bereits mehr als genug fesselnde Objekte.

Aber was ist mit Nutzfahrzeugumbauten, wie sie nach den beiden Weltkriegen oft zu finden waren? Tja, diese Autos sind so faszinierend, dass man sie ungern außen vor lassen möchte. Darum ebenfalls hinein ins Beuteschema!

Dasselbe gilt für Behördenfahrzeuge, die auf Serien-PKWs basierten, also Mannschafts- und Kübelwagen für Polizei und Militär. Die Kübelwagenfreunde finden auf diesem Blog bereits reichlich Anschauungsmaterial (Bildergalerie).

Polizeiautos konnten wir bislang nur wenige dingfest machen. Zuletzt ging uns ein Audi 22/55 PS der sächsischen Polizei ins Netz. Heute stellen wir ein weiteres Beispiel vor – wie immer als Originalfoto aus der Sammlung des Verfassers:

Hier haben wir mal wieder ein schönes Beispiel für den besonderen Reiz historischer Autoaufnahmen.

Das sind keine sterilen Fotos aus Museen oder Schnappschüsse von Feld-, Wald-, Wiesentreffen, wo meist irgendein Dreiviertelhosenträger mit bleichem Gebein und Bierbauch den Hintergrund ruiniert.

Das sind quicklebendige und zugleich würdevolle Zeugnisse, die etwas vom Rang der Fahrzeuge in ihrem einstigen Umfeld erkennen lassen.

Doch was für ein Wagen ist das, mit dem sich sechs Männer in Uniform und fünf in Zivil haben ablichten lassen? Wie so oft wird man beim näheren Blick auf die Frontpartie schlauer:

Auf der Kühlermaske sitzt das sechseckige Emblem der Berliner Marke NAG, die nach der Übernahme von Protos 1926 als NAG-Protos firmierte.

Unterhalb der drei dunklen Sechsecke im oberen Teil des Emblems, die die Buchstaben „NAG“ tragen, zeichnet sich schwach der Schriftzug „Protos“ ab.

Markant sind ansonsten nur die trommelförmigen Scheinwerfer und die auffallend hohe zweigeteilte Frontscheibe mit Fanfare am oberen Rahmen.

Wer nun aufgrund der Dimensionen des Wagens an ein LKW-Modell von NAG denkt, liegt falsch. Die Lastwagen der traditionsreichen AEG-Tochter trugen andere Kühler und waren deutlich größer.

Nein, diese Frontpartie entspricht – bis auf die Windschutzscheibe – genau derjenigen der 6-Zylinder-PKW von NAG-Protos, die 1927/28 gebaut wurden.

Diese eindrucksvollen Fahrzeuge, die mit 60 PS aus 3,0 Litern bzw. 70 PS aus 3,6 Litern Hubraum verfügbar waren, haben wir vor längerer Zeit bereits vorgestellt. Hier ein Vergleichsfoto einer Limousine (Bildbericht):

NAG-Protos 12/60 oder 14/70 PS; Originalaufnahme aus Sammlung Michael Schlenger

Nach der Lage der Dinge gibt es keinen Zweifel: NAG baute Ende der 1920er Jahre auf Basis seiner zivilen 6-Zylinder-PKW auch Mannschaftswagen für die öffentliche Hand.

Mag das Erscheinungsbild der uniformierten Männer auf unserem Foto eher militärisch erscheinen, handelt es sich doch eindeutig um ein Polizeifahrzeug.

Das verrät das sternförmige Abzeichen auf der halb geöffneten Tür des NAG-Protos, auf die der Offizier ganz rechts seinen rechten Arm stützt:

Wie es scheint, wendet er sich gerade an den mit Krawatte und Knickerbockern zivil gekleideten Herrn, der hier wie bei einem Treffen alter Kameraden posiert.

Gut möglich, dass es sich um ein Treffen Ehemaliger und noch Aktiver handelt. Ein Kenner von Polizeiuniformen der Weimarer Republik tippte bei dieser Aufnahme auf Polizisten des damaligen Freistaats Preußen.

Viel mehr lässt sich zu dieser bemerkenswerten Aufnahme, die ausgesprochen lässig und natürlich wirkt, vorerst nicht sagen.

Denkbar, dass ein NAG-Protos 6-Zylinder mit Aufbau speziell für die Polizei bislang nirgends dokumentiert ist. Die dürftige Literatur zu dieser einst so bedeutenden Berliner Marke gibt dazu jedenfalls nichts her.

Auch hier sind Hinweise sachkundiger Leser willkommen, die ein kleines Puzzlestück deutscher Automobilgeschichte richtig einzuordnen helfen.

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Dicker Brummer aus Berlin: NAG-Protos 14/70 PS

„Mal wieder NAG„, wird sich mancher Leser dieses Vorkriegs-Oldtimerblogs denken. „Bestimmt bringt er bloß ein weiteres Tourenwagen-Foto aus den 1920ern.“

Das könnte man in der Tat mal wieder; es ist nämlich ein besonderes Exemplar des NAG Typ C4 aufgetaucht, der hier bereits öfters behandelt wurde. Aber dieser rasante „Special“ muss noch warten.

Stattdessen geht es hier um eines der großen Sechszylindermodelle, die die Berliner Siemens-Tochter NAG in der zweiten Hälfte der 1920er Jahre in Kleinserie baute.

Die ursprünglich als D6- bzw. D7-Typen bezeichneten Autos wurden nach Übernahme des ebenfalls in Berlin ansässigen Konkurrenten Protos als NAG-Protos vermarktet.

Ein frühes Exemplar dieser mächtigen Wagen haben wir hier vorgestellt. Heute geht es um das weiterentwickelte Modell, das von 1928-30 gebaut wurde. Hier ein Exemplar, das 1932 in der Nähe von Passau aufgenommen wurde:

NAG-Protos 14/70 PS aus Sammlung Michael Schlenger

Ins Auge fällt zuerst das enorme Sitzfleisch des Herrn, der uns den Rücken zuwendet. Für ihn kamen die großzügigen Platzverhältnisse in der 5 Meter langen Pullman-Limousine gerade recht.

Diese Karosserieausführung hilft uns bei der Bestimmung der Motorisierung. Denn wenn man der spärlichen Literatur zu NAG trauen kann,  gab es den Aufbau als Pullman-Limousine ab Werk nur bei der 14/70 PS-Ausführung des NAG-Protos.

Neben diesem 3,6 Liter Wagen gab es eine 12/60 PS-Ausführung, deren 3,1 Liter Aggregat mit dem schweren Aufbau wohl überfordert gewesen wäre.

Dass es sich überhaupt um einen Wagen der Marke NAG-Protos handelt, ist auf dem Foto nicht ohne Weiteres zu erkennen. Wir können das aber herleiten.

Dazu werfen wir einen genaueren Blick auf die Frontpartie:

Man sieht auf den ersten Blick wenig, was die Identifikation erleichtert. Das könnte irgendein amerikanischer Wagen sein oder ein davon inspiriertes deutsches Auto. 

Doch halten wir folgende Details fest: 1. Mehr als 10 waagerechte Luftschlitze in der Motorhaube, angeordnet in zwei Reihen. 2. Scheibenräder mit kleinem Lochkreis und Nabenkappe mit sechseckigem Emblem, 3. Kühlermaske mit leicht abwärts geschwungener Einfassung, 4. Lange, oben abgerundete Schwellerschutzbleche.

Für sich genommen wäre keines dieser Elemente typisch. Doch wenn sie alle nebeneinander auftauchen, will das schon etwas heißen, und das ist auf folgender Aufnahme von 1929 der Fall:

NAG-Protos 14/70 PS aus Sammlung Michael Schlenger

Auch ohne Vergrößerungsglas sieht man, dass das ebenfalls eine Pullman-Limousine mit Scheibenrädern und waagerechten Haubenschlitzen in zwei Reihen ist.

Auf den zweiten Blick stimmen auch die Schutzbleche am Schweller unterhalb der Türen überein.

Endgültige Gewissheit liefert dann die Frontpartie:

Der „NAG“-Wimpel auf dem rechten Vorderschutzblech bestätigt schon einmal die Berliner Abkunft des Wagens, so amerikanisch er auch sonst wirkt.

Wer angesichts der Scheibenräder an Adler der Typen „Standard 6 bzw. 8“ denkt, vergleiche Lochkreis und Ausführung der Nabenkappe. Letztere gibt den entscheidenden Hinweis: Das sechseckige Emblem darauf ist das von NAG-Protos.

Das NAG-Emblem wurde nach Übernahme von Protos unten um den Schriftzug „Protos“ ergänzt und von einem entsprechend verlängerten Sechseck eingerahmt.

Alle übrigen Details passen ebenfalls zu einem NAG-Protos 14/70 PS, wie er von 1928 bis 1930 in einigen hundert Exemplaren gebaut wurde. Das über 2 Tonnen schwere Prachtstück war also schon immer eine Rarität.

So etwas fuhren Leute, die 13.500 Reichsmark auszugeben bereit waren für ein Fahrzeug, das noch seltener, um fast ein Drittel teurer und zugleich langsamer war als ein Adler 8-Zylinder – von US-Wagen ganz zu schweigen.

Der dicke Besitzer auf dem ersten Foto kehrt uns also nicht zufällig den Rücken. Dem ging die Meinung der Masse am A… vorbei – und das macht ihn sympathisch.

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NAG-Treffen in Berlin „Unter den Linden“

Aus Berlin erreichen uns in diesen Tagen (Dezember 2016) Nachrichten von einem Terror, den man sich einhandelt, wenn der Staat sich seiner vornehmsten Aufgaben entledigt: der Kontrolle über seine Außengrenze und die innere Sicherheit.

Man kann nur hoffen, dass diese Ereignisse zu einem Umdenken führen – wenn nicht bei den politisch Verantwortlichen, dann beim Souverän, der die fahrlässige Zerstörung einer bislang selbstverständlichen Ordnung mitansehen muss.

Soviel Politik muss beim Stichwort „Berlin“ sein – man wünschte sich, es ging ohne diesen Seitenblick auf einen Kontrollverlust, der in einem Rechtsstaat bis vor kurzem undenkbar war.

Schauen wir lieber zurück ins Berlin der „Roaring Twenties“ – zumindest für Freunde von Vorkriegsautos eine glückliche Zeit. Heute wohnen wir – wie in der Überschrift versprochen – einem „Treffen von NAG-Wagen“ bei:

© Postkarte aus Berlin um 1925 aus Sammlung Michael Schlenger

Wer weiß, dass das Kürzel NAG einst für Nationale Automobil Gesellschaft stand, dürfte sich auch daran erinnern, dass dies eine Berliner Marke war, die bis Ende der 1920er Jahre einen hervorragenden Ruf genoss.

Am Anfang der 1901 geschaffenen Marke NAG stand der Wunsch der Muttergesellschaft AEG, in die Automobilproduktion zu expandieren. Dazu übernahm man zunächst die Allgemeine Automobilgesellschaft AAG, die bereits ein marktfähiges Fahrzeug im Programm hatte.

Ab 1903 entstanden unter der Bezeichnung NAG eigene Konstruktionen, die sich rasch Ansehen erwarben. Von Anfang an waren NAG-Wagen am runden (später eiförmigen) Kühlerausschnitt zu erkennen. 

Auch als nach dem 1. Weltkrieg Spitzkühler bei deutschen Herstellern in Mode kamen, hielt NAG am ovalen Kühler fest. Das Ergebnis sah so aus aus:

© NAG C4 (10/30 PS) Tourenwagen, Originalfoto aus Sammlung Michael Schlenger

Die NAG-Wagen der frühen 1920er Jahren lassen sich aufgrund ihrer markanten Kühlerpartie am besten von vorne identifizieren. Frontalaufnahmen von Automobilen wie das obige findet man allerdings in jener Zeit nur selten.

Für Prospekte und private Zwecke wurden Autos meist von der Seite aufgenommen, was oft Schwierigkeiten bei der Identifikation bereitet. Denn abgesehen von der Kühlerpartie sahen sich die meisten Wagen damals sehr ähnlich.

Die eingangs gezeigte Postkarte stellt eine seltene Ausnahme dar. Sie zeigt die Berliner Prachtstraße „Unter den Linden“, die vom Brandenburger Tor bis zum einstigen Schloss reicht.

Hier wurde bereits Mitte der 1920er Jahre dreispurig gefahren und selbst dann war noch Platz für seitlich parkende Wagen. Ganz vorne steht wie bestellt – ein NAG:

Trotz der Unschärfe ist die sechseckige Plakette mit dem NAG-Emblem zu erkennen, die an der Verbindungsstange zwischen den Scheinwerfern angebracht war.

Dieses Element findet sich am NAG Typ C3 (10/30 PS), der von 1920-24 gebaut wurde und von dem wir hier schon einige Exemplare vorstellen konnten (Bildergalerie).

Der Wagen mit seinem 2,6 Liter großen Vierzylindermotor gehörte zu den meistgebauten NAGs überhaupt. Einige tausend fuhren einst auf Deutschlands Straßen und etliche wurden exportiert, NAG hatte auch international einen guten Ruf.

Doch Berlin scheint das bevorzugte Revier der charakterstarken Wagen gewesen zu sein. Auf unserer Aufnahme aus Berlin sieht man hinten zwei weitere NAGs:

Der eine setzt gerade zum Überholen eines Radfahrers an, der andere befindet sich hinter einem weiteren Radfahrer und dürfte ebenfalls gleich ausscheren.

Die übrigen Fahrzeuge sind weniger leicht zu identifizieren. Der Außenlenker, der sich im Bildausschnitt vorne rechts befindet, dürfte ein D-Typ von Presto aus Chemnitz sein. Auch diesem Modell begegnet man auf diesem Blog öfters (Galerie).

Interessant ist auch das Treiben auf den übrigen Bildpartien:

Neben dem Lastkraftwagen vorn links fährt wahrscheinlich ein Benz-Spitzkühlermodell. Das Auto dahinter mit dem auffallend eckigen Flachkühler dagegen gibt noch Rätsel auf. Hat ein Leser eine zündende Idee?

Weiter hinten scheint ein offener Omnibus auf Gäste zu warten, die „Zur Rennbahn“ wollen. Hinter ihm steht ein Kollege, der Rundfahrten anbietet.

Wer genau hinsieht, wird auf der gegenüberliegenden Straßenseite am rechten Bildrand einen Vertreter des Kutschzeitalters sehen, wohl ein Fiaker für Touristen.

Insgesamt eine schöne Momentaufnahme aus der Zeit um 1925. Von den harten politischen Gegensätzen der damaligen Zeit ahnt der Betrachter nichts. Doch waren sie den meisten Berlinern auf diesem Foto wohl bewusst.

Die politische Führung wurde als unfähig wahrgenommen, die drängenden Problem der Zeit zu lösen oder zumindest in den Griff zu bekommen. Die daraus resultierende Polarisierung ist Deutschland bekanntlich nicht gut bekommen…

Stoewer D-Typ oder NAG C4? Das ist die Frage…

Auf diesem Oldtimerblog finden Freunde von Vorkriegsautos beinahe täglich „neue“ historische Originalfotos von Wagen aller möglichen und unmöglichen Marken.

Dabei bemüht sich der Verfasser, möglichst der Jahreszeit entsprechende Aufnahmen herauszusuchen. Im lichtlosen und kalten Dezember mag vermutlich niemand ein Urlaubsbild wie das folgende sehen müssen:

© Tourenwagen der 1920er Jahre ; Originalfoto aus Sammlung Michael Schlenger

Dieser hier bislang unterbelichteten Marke aus dem benachbarten Ausland werden wir uns diesen Winter allerdings noch ausführlich widmen.

Wer ahnt, um welches Kaliber es sich dabei handelt, darf sich auf eine ganze Reihe Fotos von Fahrzeugen desselben Herstellers freuen.

Damit die trübe Dezemberstimmung aber nicht in Euphorie umkippt, belassen wir es heute bei der Betrachtung folgender angemessen tristen Aufnahme:

© NAG C4; Originalfoto aus Sammlung Michael Schlenger

Vor dem Hintergrund blattloser Bäume und eines grauen Himmels sehen wir einen einschüchternd wirkenden Tourenwagen in Tiefschwarz. Würde der Fährmann über den Styx Auto fahren, könnte es so aussehen…

Uns interessiert natürlich, um was für ein Modell es sich handelt. Der erste Gedanke des Verfassers war: NAG C4. Diesen Anfang der 1920er Jahre verbreiteten Typ der Berliner AEG-Tochter haben wir hier schon öfter vorgestellt (Bildergalerie)

Doch kam bei der näheren Betrachtung eine zweite Vermutung auf. Für einen NAG C4 wirkt der Wagen einfach zu mächtig. Zum Vergleich hier eine Aufnahme dieses 30 PS leistenden Vierzylindertyps von NAG:

© NAG C4; Originalfoto aus Sammlung Michael Schlenger

Ja, die beiden Autos weisen Gemeinsamkeiten auf, speziell um die Kühlerpartie. Doch solche Spitzkühlermodelle gab es nach dem 1. Weltkrieg von etlichen Herstellern.

Die schiere Größe des Wagens auf dem Ausgangsfoto und die raffinierter geschnittene Partie vor der niedrigen Frontscheibe ließ den Verdacht aufkommen, dass es ein D-Typ der renommierten Stettiner Firma Stoewer sein könnte.

Ein weiteres Detail schien diese Annahme zu bestätigen, die Kühlerfigur:

Was dort auf einer Weltkugel thront, ist eindeutig ein Greif – seit altersher das Wappentier der preußischen Provinz Pommern. Die dort ansässige Firma Stoewer montierte solche Kühlerfiguren auf ihre von Kennern geschätzten Automobile.

Nach Rücksprache mit dem Stoewer-Museum machte sich allerdings Ernüchterung breit: Dies sei kein Stoewer D-Typ und der Greif sei in Stettin erst später als Kühlerfigur verbaut worden.

Also zurück zur ersten Vermutung, dass es doch ein NAG C4 ist. Und tatsächlich liefert obige Ausschnittsvergrößerung den Schlüssel zur Identifikation. Denn mittig an der Verbindungsstange zwischen den Frontscheinwerfern erkennt man schemenhaft die sechseckige Plakette, die typisch für die NAGs jener Zeit war.

Man sieht sie auch auf dem weiter oben zumVergleich gezeigten, leider sehr körnigen Abzug eines NAG C4-Tourenwagens:

Damit wäre klar, dass es sich in beiden Fällen um einen NAG des Typs C4 handelt, der von 1920-24 in einigen tausend Exemplaren gebaut wurde.

Für den Verfasser immer wieder erstaunlich ist es, wieviele Fotos es von diesem absolut gesehen eher seltenen Automobil heute noch gibt. Offenbar genossen die eindrucksvollen Wagen mit der markanten Kühlerpartie besondere Wertschätzung.

Dass wir uns nach über 90 Jahren über solche Sachen den Kopf zerbrechen, hätte die damaligen Insassen gewiss amüsiert:

„Junger Mann, natürlich liegt uns Pommern am Herzen, daher auch die Kühlerfigur. Doch unser Chauffeur Wilhelm ist ein wenig konservativ und schwört nun einmal auf NAG. Die Wagen haben uns im Weltkrieg nie im Stich gelassen, sagt er.“

Tja, offenbar wusste man einst im fernen Berlin Automobile zu bauen, die den Stettinern Konkurrenz zu machen wussten. Tempi passati…