Wo sind sie geblieben? Hansa 1100/1700

Dass die Deutschen bis heute an einem schweren geschichtlichen Erbe zu knabbern haben, steht außer Frage. Man merkt das auf vielen Ebenen, obwohl die heutige Generation jenseits der Pflicht zur Erinnerung doch keine Schuldgefühle mehr plagen sollten.

Im Hinblick auf die automobilhistorische Hinterlassenschaft der Vorväter leg(t)en jedenfalls Franzosen, Briten und Italiener einen anderen Stolz auf die eigenen Traditionslinien an den Tag, als dies speziell im Westen unserer Republik der Fall ist.

Dem Großreinemachen nach dem Krieg und dem Willen, nun alles besser und schöner zu machen als je zuvor, fiel dort ein Großteil der überlebenden Vorkriegswagen zum Opfer, wenn es keine Prestigewagen waren – und auch die konnte es erwischen.

So sind selbst zahlreich gebaute Wagen von Marken wie Brennabor, Hanomag, NSU-Fiat, NAG, Presto, Protos und Stoewer nach meiner Wahrnehmung im Westen fast völlig verschwunden – und keineswegs nur die Modelle, die ab 1939 eingezogen wurden. In Ostdeutschland sieht das zum Glück anders aus.

Ein weiterer, einst bedeutender Hersteller, auf den dieser Befund zutrifft, ist Hansa aus Bremen. Auf von mir besuchten Klassikerveranstaltungen stößt man eher auf ein Rudel Bentleys, BMWs, Bugattis, Horchs und Mercedes als auf einen Hansa.

Bentley-Vorkriegsmodelle bei den Classic Days auf Schloss Dyck 2017; Bildrechte: Michael Schlenger

Das mag noch verständlich sein, was die frühen Modelle bis in die 1920er Jahre betrifft. Doch ausgerechnet das meistgebaute Hansa-Modell – der Typ 1100/1700 aus den 30ern – scheint hierzulande weitgehend ausgestorben zu sein.

Dabei ist diese erfolgreiche Neukonstruktion von 1934 eines der attraktivsten Mittelklassemodelle eines deutschen Herstellers überhaupt, wie ich finde:

  • komplikationslose Motoren – ein 1,1 Liter Vierzylinder mit 28 PS und ein 1,6 Liter-Sechszylinder mit 40 PS,
  • zeitgemäße Fahrwerke mit hydraulischen Bremsen,
  • moderates Gewicht von gut einer Tonne und damit ordentliche Fahrdynamik,
  • sehr gut aussehende Limousinen- und Cabrioletaufbauten.
Hansa-Reklame für das Modell 1100/1700; Original aus Sammlung Michael Schlenger

Dumm nur, dass die adretten Wagen recht teuer waren – wie traditionell alle deutschen Modelle mit unzureichenden Stückzahlen.

Fast 3.000 Reichsmark waren für die 2-türige Cabrio-Limousine in der Motorisierung mit 1100er Motor zu berappen, die wir hier (teilweise) sehen:

Hansa 1100 Cabrio-Limousine; Originalfoto aus Sammlung Michael Schlenger

Leider ist mir über diese schöne Szene nichts Näheres bekannt. Sie scheint auf dem Lande entstanden zu sein, der Art des Fachwerks nach zu urteilen irgendwo in Mitteldeutschland. Vielleicht weiß es ein Kenner genauer.

Nachtrag: Leser Uwe Beesdo aus Steinigtwolmsdorf – seines Zeichens Tischler mit Spezialisierung auf historische Holzbauten – weiß es genauer und schreibt mir: „Im Hintergrund sieht man ein sogenanntes Umgebindehaus. Diese Holzbauweise ist typisch für die Oberlausitz (Ostsachsen), sowie Teilen von Schlesien.“

Die vier Luftklappen in der Haube – nebenbei einer der Kostentreiber in der Produktion – verraten, dass sich diese junge Familie einen Vierzylinder-Hansa 1100 geleistet hat. Das Fehlen des zweiten Scheibenwischers und eines Chromrings am Scheinwerfer dürfte auf eine preisgünstige Basisausführung verweisen, die mir noch nicht begegnet ist.

Dass es auch anders ging, das zeigen zwei weitere Fotos eines Hansa jener Zeit, die ich heute präsentieren will. Zugleich verraten diese Dokumente, dass man mit der Sechszylinder-Version nicht zwangsläufig glücklicher sein musste:

Hansa 1700 Cabriolet; Originalabzug aus Sammlung Michael Schlenger

Das könnte eine wunderbare Aufnahme sein, wenn die junge Dame am Steuer nicht so missgelaunt schauen und die Kamera meiden würde. Nehmen wir zu ihren Gunsten an, dass sie nicht gern fotografiert wurde.

Die nunmehr fünf statt vier Luftklappen (in der oberen Reihe) verraten, dass wir hier die Sechszylindervariante (Hansa 1700) vor uns haben, die zudem einen fast 20 cm größeren Radstand aufwies – der längere Vorderwagen war wiederum ein Kostentreiber.

Hier haben wir nun vollverchromte Scheinwerfer und zwei Scheibenwischer. Kaum so gedacht sein dürfte, dass das niedergelegte Verdeck den Blick in den Rückspiegel blockierte, vermutlich wurde es nicht in der vorgesehenen Ruhelage fixiert.

Nicht grundlegend anders stellt sich die Situation auf dem zweiten Foto dar, das bei derselben Gelegenheit entstand. Hier hatte „sie“ nun die Kamera in der Hand und „er“ schaut so freundlich ins Objektiv, wie man das erwarten würde:

Hansa 1700 Cabriolet; Originalabzug aus Sammlung Michael Schlenger

Nun ist auch der Vorderwagen ganz zu sehen, wenngleich das Nummernschild auch auf dem Originalabzug unleserlich ist.

Dennoch haben wir eine Vorstellung davon, wo diese beiden Fotos entstanden sein könnten – oder zumindest, woher die beiden herkamen, die sich mit dem Hansa abgelichtet haben. Auf der Rückseite der Abzüge ist nämlich der Stempel eines Fotoladens in Schwarzenberg/Sachsen erhalten.

Da der Osten Deutschlands in meiner hessischen Schulkarriere nicht vorkam – dafür wurden sozialistische Diktaturen wie die in Nicaragua ausführlich (und seitens des Lehrpersonals oft wohlwollend) abgehandelt – war mir der einst bedeutende und heute noch sehenswerte Ort im Erzgebirge nicht geläufig.

So lernt man nicht zuletzt über solche Aufnahmen reizvolle Winkel unseres Landes kennen oder bekommt zumindest eine Ahnung davon, was die deutsche Teilung in den Köpfen angerichtet.

Zum Abschluss wäre noch ein kleines Rätsel zu lösen, bei dem wiederum historische Kennntnis des Ostens wie des Westens unseres Landes gefragt ist.

Die folgende Aufnahme aus der frühen Nachkriegszeit zeigt abermals einen Hansa, doch ist offen, ob es sich um das Basismodell 1100 oder die Sechszylindervariante 1700 handelt. Außerdem stellt sich die Frage, wo das Auto zugelassen war:

Hansa 1100 oder 1700, aufgenommen ab 1948; Originalfoto aus Sammlung Michael Schlenger

Auch wenn die Radkappe links vorne und das Kühleremblem verlorengegangen sind, die Stoßstange zum Teil fehlt und das Blech arg mitgenommen ist, haben wir es mit einem heiteren Dokument aus der frühen Nachkriegszeit zu tun.

Ob die vier, die sich vor dem Hansa haben fotografieren lassen, nur Passanten oder die Insassen des Wagens waren, muss wohl offenbleiben. Ihre Kleidung wirkt auf den ersten Blick etwas zusammengewürfelt, doch keineswegs vernachlässigt.

So vollkommen individuell diese Zeitgenossen wirken, ist ihnen ein beträchtliches Stilbewusstsein gemeinsam:

Ob nun die alpenländische Jacke des heiteren Herrn im Vordergrund, die opulente Dauerwelle seiner adretten Nachbarin im zeittypischen Kostüm oder die kühne Kombination aus Karojacke und Nadelstreifenhose des in die Ferne schauenden Herrn mit der Gefährtin im kurzen hellen Faltenrock – diese Leute scheinen kurz nach dem Krieg in materieller Hinsicht nicht das schlechteste Los gezogen zu haben.

Doch wo könnte dieses Zeitdokument entstanden sein? Das Nummernschild muss aus der Besatzungszeit stammen (weiße Buchstaben auf schwarzem Grund) und die „48“ in der Mitte unten verrät, dass es frühestens 1948 ausgegeben wurde. Bloß wo?

Vielleicht gibt die beachtliche Kirche im Hintergrund einen Hinweis – ich tippe auch hier auf Mittel- oder Ostdeutschland. Wer es genauer weiß, nutze bitte die Kommentarfunktion.

Außerdem würde ich mich über Hinweise auf überlebende Fahrzeuge dieses attraktiven Hansa-Typs freuen. Denn „Wo sind sie geblieben?“ war ja die Eingangsfrage.

© Michael Schlenger, 2020. All entries in this blog (including embedded photos) are copyrighted by the author, unless otherwise indicated. Excerpts and links may be used, provided that credit is given to Michael Schlenger and https://vorkriegs-klassiker-rundschau.blog with appropriate and specific direction to the original content.

Hansa Typ A: Evolution von 1907 bis 1912

Heute beschäftige ich mich nach längerer Abstinenz wieder mit einem der sehr frühen Modelle der einst blühenden Hansa-Automobil-Gesellschaft im oldenburgischen Städtchen Varel.

Fotos von Hansa-Wagen jener Zeit sind trotz des beachtlichen Erfolgs der Marke sehr selten zu finden. Die Literatur bietet kaum ein Dutzend Originalaufnahmen für die Zeit vor dem 1. Weltkrieg und stützt sich ansonsten auf Prospektabbildungen.

Im Netz scheint es keine eigenständige Präsenz dieser einst so bedeutenden Marke zu gegeben – ich lasse mich aber diesbezüglich gern eines Besseren belehren.

Ein A-Modell von Hansa – titelgebend für den heutigen Blog-Eintrag – begegnet einem nach der 1905 erfolgten Gründung der Hansa-Automobil-Gesellschaft (HAG) erstmals um 1907 – so ausdrücklich zwar nicht in der Literatur, aber in folgender Reklame:

HAG Typ A10 6/10 PS; Originalreklame vor 1908

Dieser kleine A-Typ besaß noch einen Zweizylindermotor. Die Literatur erwähnt zwar nicht diese Typbezeichnung, wohl aber einen Zweizylindertyp mit identischem Hubraum – das Modell 5/10 PS. Korrekt wäre nach obiger Reklame 6/10 PS – wohl einer der unvermeidlichen (und zahlreichen) Übertragungsfehler.

Daneben gab es ab 1907 einen weiteren A-Typ mit identischen Steuer-PS, aber Vierzylindermotor. Auch hier scheint die Bezeichnung in der Literatur (6/14 PS) nicht ganz zu stimmen – korrekt wären nach folgender Reklame 6/12 PS:

HAG Typ A6/12 PS; Originalreklame vor 1908

Der Zweizylinder-A-Typ wurde beinahe jährlich in der Leistung gesteigert. So finden sich in rascher Abfolge ab 1908 die Bezeichnungen 6/12 PS, 6/14 PS (1909) und 6/16 PS (1910-12) – nunmehr unter dem Markennamen Hansa statt HAG.

In einem früheren Blogeintrag konnte ich einen solchen Hansa A-Typ von 1908/09 identfizieren, nämlich diesen hervorragend aufgenommenen Tourenwagen:

Hansa Typ A 6/12 oder 6/14 PS bzw. A 10/18 PS oder A10/20 PS, 1908 bzw. 1909; Originalfoto aus Sammlung Michael Schlenger

Weiter kompliziert wird die Sache dadurch, dass es parallel zum A-Typ mit 6 Steuer-PS einen äußerlich wohl schwer unterscheidbaren 10 PS-Hansa gab, der ebenfalls als A-Typ firmierte.

Im seinerzeitigen Blogeintrag hatte ich mich tendenziell für das stärkere Modell ausgesprochen, aber solche Zuschreibungen können angesichts der prekären Überlieferungslage bei frühen Hansa-Wagen nur unter Vorbehalt erfolgen.

Klar war nur von der Karosserieform her, dass dieser Hansa-Typ vor 1910 entstanden sein dürfte, da ihm der ab dann fast durchgängig verbaute Windlauf zwischen Motorhaube und Windschutzscheibe fehlt.

Besagter Windlauf – seinerzeit auch als Windkappe oder Torpedo bezeichnet – ist dagegen auf folgendem Foto eines Hansa zu sehen, das ich hier erstmals zeige:

Hansa Typ A 6/16 PS (Zweizylinder) oder 6/18 PS (Vierzylinder) von 1912; Originalfoto aus Sammlung Michael Schlenger

Anhand dieser „neuen“ Aufnahme lässt sich sehr schön der optische Entwicklungssprung des A-Typs von Hansa zwischen ca. 1909 und 1912 nachvollziehen – nach heutigen Maßstäben ein zu vernachlässigender Zeitraum – vor über 100 Jahren dagegen eine ganze Fahrzeuggeneration.

Geblieben ist nur der typische Kühler, während ansteigende Motorhaube und Windlauf von den neuen Zeiten künden, die ab 1910 anbrachen.

Kurze Zeit nach dem Beginn des neuen Jahrzehnts nahm Hansa auch Abschied vom Zweizylinder mit 6 Steuer-PS. Er wurde 1912 von einem annähernd gleichgroßen Vierzylindertyp abgelöst, der nun als 6/18 PS firmierte.

Damit hatte sich binnen vier Jahren die Leistung des 6 PS-Typs um 50 % erhöht. Ob der heute neu vorgestellte Wagen nun einer der letzten Zweizylinder-Hansa des Typs 6/16 PS oder einer der ersten Vierzylindertypen 6/18 PS war, lässt sich derzeit nicht sagen.

Tatsächlich könnte es sich auch um den zeitgleichen Typ C mit nahezu identischen Abmessungen handeln, der über einen 8/20 PS-Vierzylinder verfügte.

Überhaupt ist festzustellen, dass die Dokumentation der Hansa-Modelle vor dem 1. Weltkrieg derartig lückenhaft, teils auch widersprüchlich ist, dass man alle hier gemachten Angaben zu Typen und Motorisierungen nur als vorläufig betrachten kann.

Lediglich bei der Datierung bin ich mir nahezu sicher:

Eine solche Frontpartie mit Flachkühler, ansteigender Haube und daran sauber anschließendem, noch steiler aufwärtszeigendem Windlauf findet man bei deutschen Autos schwerpunktmäßig um 1912 plus/minus 1 Jahr.

Ausnahmen bestätigen die Regel, doch hat sich diese Einordnung anhand der Gestaltung der Frontpartie aus meiner Sicht oft genug bewährt, um bis zum Vorliegen von mehr datierten Originaldokumenten auch bei Hansa als Arbeitshypothese gelten zu können.

Wie immer bin ich dankbar für weiterführende Hinweise – auch fundierte Korrekturen von Markenkennern. Das Schöne am Blog-Format ist ja die Möglichkeit, nachträgliche Verbesserungen und Ergänzungen vornehmen zu können.

Bei Bedarf kann man irgendwann auch eine komplett neue Abhandlung schreiben, in die neue Erkenntnisse und Einschätzungen einfließen.

Von daher kann ich das Blog-Format nur allen Spezialisten empfehlen, die zu „ihren“ Marken weit mehr wissen als ich, aber vermutlich stets einen guten Grund finden, von einer „richtigen“ Publikation abzusehen, weil man sich noch nicht sicher ist…

© Michael Schlenger, 2020. All entries in this blog (including embedded photos) are copyrighted by the author, unless otherwise indicated. Excerpts and links may be used, provided that credit is given to Michael Schlenger and https://vorkriegs-klassiker-rundschau.blog with appropriate and specific direction to the original content.

Familiengeschichte: Hansa Typ C 8/20 PS und 8/24 PS

Zu  den unaufgearbeiteten Kapiteln der deutschen Automobilgeschichte gehört aus meiner Sicht die Produktion von Hansa vor dem 1. Weltkrieg.

Im letzten Blog-Eintrag, der sich damit beschäftigte, habe ich auf die widersprüchlichen Angaben zu den Abbildungen früher Hansa-Wagen in der Literatur hingewiesen.

Mittlerweile dürfte meine Hansa-Galerie die umfangreichste allgemein zugängliche Dokumentation der Typen bis 1914 darstellen. Leider lassen sich bislang nur wenige der zahlreichen Modelle präzise ansprechen.

Am gesichertsten ist wohl die Identifikation des in der Literatur erwähnten Typs D 10/30 PS, der auffallend oft in Fotos aus dem 1. Weltkrieg festgehalten ist.

Hier ein Potpourri der bisher in meinem Blog vorgestellten Aufnahmen dieses Typs:

Ob in der um 1912 gebauten Flachkühlerausführung oder der 1913/14 eingeführten Version mit Schnabelkühler – der Hansa Typ D 10/30 PS ist stets an den sechs Luftschlitzen zu erkennen, meist im hinteren Teil der Motorhaube.

Über Typen und Baujahr hinweg markenspezifisch sind die beiden Griffmulden im Seitenteil der Motorhaube. Man findet sie teils nach außen, teils nach innen gewölbt bei den meisten Hansa-Modellen bis in die 1920er Jahre.

Wer in meinem Blog schon länger mitliest, erinnert sich eventuell an die folgende Aufnahme aus meiner Sammlung, die den ersten frühen Hansa zeigt, mit dem ich mich beschäftigt habe:

Hansa Typ C 8/24 PS; Originalfoto aus Sammlung Michael Schlenger

Diese Aufnahme einer Familie, die Anfang der 1920er Jahre mit ihrem Vorkriegs-Hansa unterwegs war, zeigt mit großer Wahrscheinlichkeit einen Typ C 8/24 PS.

Im Unterschied zum stärkeren D-Typ 10/30 PS war hier die Motorhaube kürzer und besaß dem geringeren Kühlungsbedarf gemäß nur fünf statt sechs Luftschlitze (auf dem Foto sind nur vier sichtbar, doch die Literatur zeigt Aufnahmen eines identischen Wagens mit fünf Luftschlitzen).

Der Hansa C-Typ mit 2,1 Liter-Vierzylinder wurde bereits 1911 eingeführt. Anfänglich leistete der Seitenventiler allerdings nur 20 PS und wies noch einen Flachkühler auf.

Der oben gezeigte Hansa Typ C mit „Schnabelkühler“ wurde dagegen erst ab 1913/14 gebaut und leistete dann bei identischem Hubraum 24 PS.

Die mir zugängliche Literatur zeigt keinen einzigen Hansa Typ C in der anfänglichen Ausführung als 8/20 PS-Modell. Doch ist mittlerweile eine hervorragende Aufnahme aufgetaucht, die meines Erachtens genau einen solchen Wagen zeigt:

Hansa Typ C 8/20 PS; Originalfoto aus Sammlung Klaas Dierks

Wie so oft bei deutschen Wagen der Zeit vor dem 1. Weltkrieg verdanke ich diesen Fund der glücklichen Hand von Leser Klaas Dierks.

Die Identifikation als Hansa Typ C 8/20 PS stützt sich zum einen auf die fünf Luftschlitze in der Motorhaube, die auch der leistungsgesteigerte Typ 8/24 PS besaß, zum anderen auf den Flachkühler mit ansatzweise erkennbarem Markenschriftzug, der in dieser Form spätestens 1914 durch einen Schnabelkühler abgelöst wurde.

Die beiden Luftschlitze in der Karosserieflanke hinter der Haube – dem sogenannten Windlauf oder Torpedo – dienten übrigens der Belüftung des Fußraums, in dem sich bei längerem Betrieb die Abwärme von Motor und Getriebe staute.

Während ich mir bei der Ansprache des Wagens als Hansa Typ C 8/20 PS um 1912 ziemlich sicher bin, weist das Fahrzeug zwei Besonderheiten auf:

Zum einen besitzt dieser im 1. Weltkrieg eingesetzte Tourer bereits Stahlspeichenräder, zum anderen befinden sich Schalt- und Handbremshebel im Innern der Karosserie:

Das ist ein interessanter Befund, da bei deutschen Autos oft bis Mitte der 1920er Jahre an außenliegenden Hebeln für Gangschaltung und Bremse festgehalten wurde.

Es gibt allerdings auch andere Beispiele für eine frühzeitige Verlegung nach innen, auf die mitunter Modelle mit wiederum außen angebrachten Hebel folgten.

Festzuhalten ist hier zudem, dass die Positionsleuchten wie bei Automobilen vor 1913/14 allgemein üblich noch nicht elektrisch, sondern mit Petroleum betrieben waren. Diejenige auf der Fahrerseite fehlt auf dieser Aufnahme.

Die Kennung unterhalb der Windschutzscheibe verrät, dass dieser Hansa Typ C 8/20 PS zur 7. Armee gehörte, die den 1. Weltkrieg über an der Westfront eingesetzt war.

Der Fahrer dieses Wagens befand sich in der vergleichsweise glücklichen Lage, nicht direkt an der Front als Infanterist eingesetzt zu sein.

Dennoch konnte auch er nicht sicher sein, gesund in die Heimat zurückzukehren, als er diese Aufnahme anfertigen ließ, die vor nunmehr über 100 Jahren wohl vor einem Schloss irgendwo in Belgien oder Frankreich entstand.

Dokumente wie dieses geben bei aller Freude über die großartigen Automobile jener Zeit auch Anlass innezuhalten und sich zu vergegenwärtigen, wie dünn das Eis war, auf dem sich unsere Vorfahren damals bewegten.

Unabhängig von der Historie der frühen Hansa-Automobile vielleicht ein Anlass, anhand solcher alten Fotos wieder einmal in die eigene Familiengeschichte einzutauchen…

© Michael Schlenger, 2019. All entries in this blog (including embedded photos) are copyrighted by the author, unless otherwise indicated. Excerpts and links may be used, provided that credit is given to Michael Schlenger and https://vorkriegs-klassiker-rundschau.blog with appropriate and specific direction to the original content.

 

 

Der erste Borgward: Hansa 2000 von 1938/39

Die legendäre Bremer Automarke Borgward verbinden die meisten Klassiker-Liebhaber in erster Linie mit den Pontonmodellen der Nachkriegszeit, die in den 1950er Jahren zu den modernsten und attraktivsten Autos gehörten, die in Deutschland produziert wurden.

Doch der Erfolg dieser Borgward-Wagen und der Konkurs des Unternehmens von Carl F. Borgward im Jahr 1961 ist natürlich kein Thema für meinen Blog, der sich ganz den Fahrzeugen der Vorkriegszeit verschrieben hat.

Dass unter dem Namen Borgward bereits ab 1939 Automobile entstanden, ist jedoch ein ebenso interessantes Thema, das bloß heute kaum noch jemandem geläufig ist.

Tatsächlich kam Carl F. Borgward auf einigen Umwegen zum PKW-Bau, weshalb man sich fragt, was davon zielgerichtetem Vorgehen und was dem Zufall zu verdanken ist. Entscheidend war wohl der frühzeitige Kontakt zu den altehrwürdigen Hansa-Lloyd-Werken in Bremen, für die Borgwards erste Firma ab 1920 Kühler lieferte.

Ab Mitte der 1920er Jahre hatte Borgward dann erheblichen Erfolg mit den neu entwickelten Goliath-Lieferwagen. Produziert wurden diese in Sichtweite der Fabrik, in der die Automobile von Hansa-Lloyd entstanden.

1929 nutzte Borgward finanzielle Schwierigkeiten von Hansa-Lloyd zur Übernahme der Firma. Die Produktpalette wurde gestrafft und nach einem Kleinwagen-Intermezzo (Hansa 400 / 500) entstanden ab 1934 in Bremen wieder richtige Autos:

Hansa 1700 Cabriolimousine; Originalfoto aus Sammlung Klaas Dierks

Die Aufnahme dieser schönen Cabriolimousine des Sechszylindertyps Hansa 1700 verdanke ich Leser Klaas Dierks. Den Typ als solchen – auch die Vierzylindervariante Hansa 1100 – habe ich hier schon mehrfach anhand von Originalaufnahmen präsentiert.

Für mich ist der bis 1939 gebaute Hansa 1100/1700 eines der elegantesten deutschen Mittelklasseautos der damaligen Zeit. Er lässt bereits erkennen, dass Carl F. Borgward der Sinn danach stand, seinen Kunden etwas Besonderes zu bieten.

Genau das tat er spätestens mit dem ab 1938 gefertigten größeren Schwestermodell Hansa 2000. Dieser Sechszylindertyp war bei identischen Fahrleistungen und etwas geringeren Abmessungen eine Alternative zum weit teureren und wesentlich durstigeren Mercedes 230.

Allerdings brachte Borgward aus mir unbekannten Gründen keine nennenswerten Stückzahlen beim Hansa 2000 zustande. Auch die Umbenennung in Borgward 2000 ab 1939 brachte keinen größeren Erfolg am Markt.

So sind von diesem interessanten Modell – dem ersten Auto, das den Namen Borgward trug – in knapp zwei Jahren überhaupt nur 2.000 Stück entstanden. Von einer industriellen Produktion kann man hier kaum sprechen, merkwürdig.

Dies erklärt jedenfalls, warum zeitgenössische Fotos des Hansa bzw. Borgward 2000 Mangelware sind. Die älteste Aufnahme in meiner Sammlung ist die folgende:

Hansa bzw. Borgward 2000; Originalfoto aus Sammlung Michael Schlenger

Diese reizvolle Aufnahme ist im März 1940 anlässlich einer Reifenpanne eines Hansa bzw. Borgward 2000 entstanden, der im Dienst der Wehrmacht unterwegs war. Das Kürzel „WH“ auf dem Kofferraumdeckel bestätigt zusammen mit der matten Lackierung die Zugehörigkeit zum Fuhrpark einer Heereseinheit.

Die Identifikation als Hansa bzw. Borgward ist anhand der charakteristischen Form der vorderen Luftklappe in der Seitenwand des Motorraums und der Form der Scheibenräder sowie der Radkappe möglich.

Nebenbei haben wir hier ein frühes Beispiel für eine zwar noch zweiteilige, aber bereits flach aufliegende Motorhaube ohne Seitenteil. Auch das Fehlen eines Trittbretts ist ein Hinweis darauf, dass die vertrauten Elemente der Vorkriegszeit bald einer fundamental anderen Karosseriearchitektur weichen sollten.

Der großgewachsene Soldat scheint ein Unteroffiziersanwärter zu sein (das verraten die silbernen Krageneinfassungen). Das weitgehende Fehlen militärischer Ausrüstung lässt darauf schließen, dass die Fahrt irgendwo in friedlichen Gefilden stattfand.

Zum Aufnahmezeitpunkt war Polen längst erobert und besetzt – der Frankreichfeldzug hatte noch nicht begonnen. Von daher ist der Aufnahmeort ungewiss.

Die nächste Aufnahme eines Hansa bzw. Borgward 2000 aus meiner Sammlung stammt aus der frühen Nachkriegszeit – sie ist im Mai 1947 entstanden:

Hansa bzw. Borgward 2000; Originalfoto aus Sammlung Michael Schlenger

Hier sehen wir den Wagen zwar aus günstigerer Perspektive. Doch ein Großteil des Kühlergrills wird von einem Holzgasgenerator verdeckt, mit dem privat betriebene PKW in der Kriegszeit die Knappheit an Benzin überbrückten.

Solche Anlagen sind in der Nachkriegszeit bald wieder entfernt worden, doch dieser Wagen ist ein Beispiel dafür, dass die Behelfslösung noch eine Weile beibehalten wurde.

Das zum Aufnahmezeitpunkt fast 10 Jahre alte Auto steht – von der zerdellten Radkappe rechts vorne abgesehen – noch ganz gut da. Auch das empfindliche Verdeck scheint den Krieg gut überstanden zu haben.

Sehr wirkungsvoll unterstützen hier die tropfenförmigen Scheinwerfer das Erscheinungsbild des Wagens mit strömungsgünstig wirkendem Aufbau.

Der freundlich in die Kamera schauende Herr mit Barett und elegantem hellen Staubmantel könnte ein Franzose in Zivil gewesen sein. Ob er zu den französischen Besatzungstruppen gehörte, wissen wir nicht.

Wie es scheint, hat er eine Kamera umhängen – vielleicht war er Journalist. Was ihn mit dem Hansa bzw. Borgward mit Holzgasantrieb verband, muss offen bleiben.

Zu guter letzt kann ich noch eine rare Heckansicht des Hansa bzw. Borgward 2000 anbieten, die sich auf folgender Ansichtskarte aus Leipzig von 1961 findet:

Hansa bzw. Borgward 2000; Ausschnitt aus einer Postkarte (Serie „Bild und Heimat“, Foto Kühn) aus Sammlung Michael Schlenger

Die im Original weit größere Ansichtskarte zeigt die nach dem Krieg notdürftig wieder hergerichteten Reste des Thüringer Hofs in Leipzig, der im Kern auf das 15. Jahrhundert zurückgeht.

Die Fenstereinfassungen und das Portal scheinen noch originale Teile der einstigen Renaissancefassade zu sein, auch die schmiedeeisernen Kandelaber haben die zahlreichen schweren Bombardierungen der Leipziger Innenstadt überstanden, die bis Mitte April 1945 – eine Woche vor der Besetzung durch die US-Armee – anhielten.

An dem davorstehenden Hansa bzw. Borgward 2000 sind einige Modifikationen vorgenommen worden – kein Wunder: das Auto war zum Aufnahmezeit fast ein Vierteljahrhundert alt.

Die Radkappen scheinen ebensowenig original zu sein wie die silbern angestrichene Stoßstange. Erkennt jemand, woher diese Teile stammten?

Auch die Lackierung des Wagens war mit Sicherheit nicht mehr die erste. Denkbar, dass der Wagen im Krieg bei der Wehrmacht diente und anschließend eine neue Farbgebung erhielt.

Interessanterweise hat sich der Suchscheinwerfer erhalten, der genau demjenigen entspricht, der an dem 1947 fotografierten Auto mit Holzgasgenerator montiert war. Offenbar handelte es sich um ein schon ab Werk erhältliches Zubehör.

Der Fotograf dieser Ansichtskarte war vermutlich froh, dass vor dem Thüringer Hof einige ansehnliche Vorkriegswagen abgestellt waren, die noch auf viele Jahre hinaus allem überlegen waren, was die sozialistische Planwirtschaft zustandebrachte:

Das hübsche zweisitzige Cabriolet weiter vorn konnte ich übrigens noch nicht identifizieren – ich tippe hier aber auf ein tschechisches Modell.

Von dem Hansa bzw. Borgward 2000 abgesehen bietet sich dem heutigen Besucher dieser Ausschnitt der (später wieder aufgestockten) Fassade des Thüringer Hofs noch genauso dar. Auch beherbergt das Haus immer noch einen Gasthof gleichen Namens.

Man sieht: Noch weit nach dem Ende des 2. Weltkriegs waren Vorkriegsautos in Ostdeutschland allgegenwärtig und eine selbstverständliche Ergänzung der übriggebliebenen oder wiederaufgebauten historischen Bauten.

Nur ein Hansa 2000 bzw. der gleichnamige Borgward war schon damals eine ausgesprochene Rarität. Vielleicht war es sogar der Wagen des Fotografen – wer weiß?

© Michael Schlenger, 2019. All entries in this blog (including embedded photos) are copyrighted by the author, unless otherwise indicated. Excerpts and links may be used, provided that credit is given to Michael Schlenger and https://vorkriegs-klassiker-rundschau.blog with appropriate and specific direction to the original content.

1912/13 noch mit Flachkühler: Hansa Typ D 10/30 PS

Der Winter nähert sich seinem Ende – da begibt man sich leicht auf dünnes Eis… Und so wage ich mich heute wieder einmal an eine deutsche Marke heran, über deren frühe Autotypen wenig Gesichertes vorliegt: Hansa.

Die Hansa-Wagen aus dem in Friesland gelegenen Varel – zusammen mit Ladenburg (Benz) und Ober-Ramstadt (Röhr) eine der kleinsten deutschen Städte, in der es einst eine nennenswerte Automobilfabrikation gab – sind leider miserabel dokumentiert.

Wer im Netz nach Informationen und Bildern zu den Wagen dieser 1905 gegründeten Marke sucht, landet in vielen Fällen in meinem Blog. In Sachen Suchmaschinenpräsenz ist das ja erfreulich, nur hilft es weder mir noch anderen weiter, wenn „neue“ Fotos von Hansa-Wagen auftauchen, deren Identifikation Schwierigkeiten bereitet.

Zwar gibt es in der Literatur zu deutschen Autos bis 1920 (von Fersen und Schrader) einige Fotos mit Typzuschreibung, doch diese widersprechen sich teilweise. So wird dort ein Wagen auf ein und demselben Foto einmal als Typ A 6/18 PS (von Fersen) und einmal als Typ C 8/24 PS (Schrader) bezeichnet – letztere Ansprache dürfte richtig sein.

Weitere ab 1911 gebaute Typen (E und G) werden zwar genannt, doch technische Details gibt es nur in Minimalausführung bei von Fersen. In der jüngeren Publikation von Schrader findet man gar nichts dazu – es war wohl nichts Verlässliches verfügbar.

Doch eines der mit den Typen E und G verwandten Modelle lässt sich recht gut erfassen – der Hansa Typ D 10/30 PS (siehe meinen ausführlichen Blogeintrag dazu). Wenn nicht alles täuscht, zeigt folgendes Originalfoto ebenfalls dieses Modell:

Hansa Typ D 10/30 PS: Originalfoto aus Sammlung Klaas Dierks

Der Hansa auf dieser Aufnahme von August 1915 war beim Kraftfahrbataillon Berlin Schöneberg eingesetzt .

Das über 100 Jahre Foto ist von sehr guter Qualität – das Original bietet gegenüber der hier gezeigten datenreduzierten Version noch mehr Schärfe und Tonwertabstufungen – typisch für Plattenkameraaufnahmen jener Zeit.

Wir verdanken dieses Dokument dem Spürsinn von Leser Klaas Dierks, der schon etliche herausragende Fotos vergleichbaren Kalibers beigesteuert hat.

Bei der Gelegenheit sei daran erinnert, dass dieser Blog von Beiträgen solcher  Enthusiasten lebt, die dafür einiges an Zeit und Geld investieren. Dafür wissen sie ihre Schätze hier in einem hochwertigen Forum gut aufgehoben.

Die Hauptmerkmale des Hansa Typ D 10/30 PS sind auf folgendem Ausschnitt zu erkennen:

Hansa-typisch sind – weitgehend typ- und baujahrübergreifend – die beiden hoch angebrachten Griffmulden an den Motorhaubenseiten.

Die sechs Luftschlitze sind beim Hansa Typ D 10/30 PS sonst im hinteren Haubendrittel angebracht, aber das will vermutlich nichts viel bedeuten.

Mangels Abbildungen ist unklar, ob die parallel verfügbaren größeren Modelle G 12/40 PS und E 15/50 PS über mehr Luftschlitze verfügten. Konstruktiv waren sie jedenfalls eng mit dem Typ D 10/30 PS verwandt.

So verfügten diese großen Hansa-Modelle über Motoren, deren Ventile nicht mehr seitlich neben den Zylindern standen, sondern strömungsgünstig im Zylinderkopf des Motors hingen. Vor dem 1. Weltkrieg war dies noch eine sehr seltene Lösung.

Der Schnabelkühler fand sich vermutlich ebenfalls bei allen Hansa-Typen D, E und G. Die Literatur schweigt dazu, doch vermute ich, dass der Schnabelkühler erst 1914 eingeführt wurde – als eigenwillige Alternative zur Spitzkühlermode.

Tatsächlich stammt keines der mir bekannten Fotos von Hansa-Wagen mit Schnabelkühlern aus der Zeit vor 1914, obwohl – wie gesagt – die großen Typen D, E und G bereits ab 1911 gebaut wurden.

Das Foto aus der Sammlung von Klaas Dierks ist nicht zuletzt deshalb wertvoll, da hier auch ein Teil des Markenschriftzugs auf dem Kühler zu sehen ist. Er ist in ein Oval eingefasst, das oben und unten von senkrechten Stäben „gehalten“ wird.

Diese beiden vertikalen Streben findet man nur bei Hansa-Wagen jener Zeit, was auch die Ansprache von Fahrzeugen erlaubt, bei denen der Schriftzug verdeckt oder nicht zu lesen ist – wie hier zum Beispiel:

Hansa Typ D 10/30 PS; Originalfoto aus Sammlung Michael Schlenger

Diese schön inszenierte Aufnahme aus meiner Sammlung zeigt zwar einen Wagen mit Flachkühler, aber die erwähnten Streben auf dem Kühler sind klar zu erkennen.

Auch hier haben wir die charakteristischen, hoch angebrachten Griffmulden an den Haubenseiten sowie abermals sechs Luftschlitze – diesmal im hinteren Drittel der Haube.

Vergleicht man die eigenwillige Form der Vorderschutzbleche, die vorne schräg nach oben zeigen, erkennt man eine weitere Übereinstimmung mit dem zuvor gezeigten Hansa Typ D 10/30 PS mit Schnabelkühler.

Interessant ist, dass auch dieser Hansa bereits über elektrische Positionslichter vor der Windschutzscheibe verfügt. Sie sind nicht mehr außen an der Karosserie angebracht, sondern in den Windlauf eingelassen.

Die genannten Details erlaubent aus meiner Sicht eine Datierung auf 1912/13. Davor wären elektrische Positionslichter – sofern überhaupt vorhanden – außen montiert gewesen. Und danach wäre mit einem Schnabelkühler zu rechnen, so meine Vermutung.

Vielleicht ist Ihnen bei der Betrachtung des Hansa auf dem Bild von Klaas Dierks aufgefallen, dass dieser außer über elektrische Positionslichter zusätzlich über gasbetriebene Positionslampen verfügte.

Hier wollte jemand offenbar auf „Nummer sicher“ gehen für den Fall, dass die elektrische Anlage den Dienst einstellt. Bewusst gesehen habe ich so etwas noch nirgends – ein weiteres Beispiel dafür, was solche alten Fotos immer noch hergeben.

Auch hier ein näherer Blick auf die Frontpartie des Wagens:

Wer ganz genau hinschaut kann mit etwas gutem Willen auf der Nabenkappe die Abkürzung HAG erahnen, die für „Hansa Automobil Gesellschaft“ stand.

An der Identifikation der Marke kann kein Zweifel bestehen, aber wie sicher ist die Ansprache als frühe Flachkühlerversion des Hansa Typs D 10/30 PS?

Nun, solange keine eindeutig zugeschriebenen Abbildungen der beiden stärkeren Schwestertypen E und G vorhanden sind, steht die Identifikation unter Vorbehalt.

Ich bin aber zuversichtlich, dass es nicht zuletzt mit Hilfe von Lesern gelingt, weitere solche Fotos aufzuspüren, die mehr Klarheit zu schaffen vermögen.

Bis dahin genießen wir einfach diese eindrucksvollen Dokumente, die uns mit einer längst untergegangenen Welt konfrontieren, als es sei es gestern gewesen:

Wer uns hier ernst und selbstbewuss posierend über einen Abstand von über 100 Jahren fixiert, war einst der Fahrer dieses Hansa.

Er trägt die für Chauffeure damals üblichen Insignien, also Schirmmütze (oft mit Markenemblem), Kurzmantel zwecks besserer Beweglichkeit beim Fahren und bei Reparaturen sowie Schaftstiefel bzw. Ledergamaschen, die Schutz vor Verschmutzung boten und wärmten.

Man beachte aber auch das weiße Hemd mit lässig um den Stehkragen gebundener Krawatte. Man bekommt hier eine Vorstellung davon, dass ein Fahrer damals eine besondere und durchaus geschätzte Position einnahm.

Fotos von Chauffeuren aus der Frühzeit des Automobils zeugen durchweg von  Standesbewusstsein und der Würde des außergewöhnlichen Berufs, den sie ausübten. Ihre Passagiere sicher und zuverlässig bei Wind und Wetter ans Ziel zu bringen, erforderte mit den damaligen Fahrzeugen außerordentliches Können.

Wer nicht in die Welt des Kraftfahrzeugs eingeweiht war, für den war der souveräne Betrieb eines Automobils pure Magie. Chauffeur zu sein, darauf durfte man einst mit Recht stolz sein, als es keine Automatik, Fahrassistenten und Navigationsgeräte gab.

So ändern sich die Zeiten – doch wer heute noch solch einen Wagen der Frühzeit zu bewegen vermag, kann sich ebenfalls der Bewunderung seiner Mitmenschen sicher sein…

© Michael Schlenger, 2019. All entries in this blog (including embedded photos) are copyrighted by the author, unless otherwise indicated. Excerpts and links may be used, provided that credit is given to Michael Schlenger and https://vorkriegs-klassiker-rundschau.blog with appropriate and specific direction to the original content.

Alles für den extraschicken Auftritt: Hansa 1100 / 1700

Zu den Vorkriegsautomodellen aus deutscher Produktion, von denen zumindest ich nicht genug bekommen kann, gehört der elegante Hansa 1100/1700, der als Vier- bzw. Sechszylinder von 1934-39 entstand.

Die Freunde des konkurrierenden Adler Trumpf Junior mögen es mir verzeihen, aber der Hansa kam bei gleichem Preis raffinierter daher, vor allem als Coupé:

Hansa 1100/1700, Reklame von 1936/37; Original aus Sammlung Michael Schlenger

Sicher: Der Grafiker hat hier dem flotten Hansa Proportionen angedichtet, die eines Horch-Achtyzlinder würdig gewesen wären. Auch die kühn zugeschriebene „unerhörte Leistung“ hielt sich eher im zeittypischen Rahmen (28 bzw. 40 PS).

Doch blechseitig hatte die seit 1929 zum Konzern von Carl Borgward gehörende Bremer Traditionsmarke durchaus etwas Besonderes auf die Beine gestellt und dazu eine eigene Karosseriefertigung eingerichtet.

An eigenwilligen Details wie der schräg nach hinten geneigten B-Säule und der distinguierten Heckgestaltung sieht man, dass dieser Aufbau kein Massenprodukt von Ambi-Budd war, wie das beim Adler Trumpf Junior der Fall war:

Hansa 1100; Originalfoto aus Sammlung Michael Schlenger

Die erwähnte Neigung der B-Säule entsprach annähernd derjenigen der Frontscheibe, was der Karosserie eine dynamische Anmutung verlieh. Dagegen wirkte der Adler Trumpf Junior deutlich behäbiger.

Schön nachvollziehen lässt sich die Linienführung anhand der folgenden Aufnahme, die ich vor einiger Zeit hier präsentiert habe. Dabei sind auch die Luftklappen in der Haube gut zu erkennen, deren Zahl die Motorisierung erkennen ließ.

Vier Klappen besaß der 1100ccm messende Vierzylinder, beim 1,7 Liter-Sechszylinder waren es fünf. Hier ist zudem ein ungewöhnliches Zubehör zu sehen:

Hansa 1100 Coupé; Originalfoto aus Sammlung Michael Schlenger

Ich hatte seinerzeit die Frage aufgeworfen, ob jemand mehr zu dem der Entlüftung des Innenraums dienenden Element sagen kann, das oben am Seitenscheibenrahmen angebracht ist.

Kurze Zeit später erhielt ich Post von einem Blogleser, der etwas Großartiges beizutragen wusste – und zwar in Form eines originalen Hansa-Zubehörprospekts, in dem genau dieses Teil aufgeführt ist.

Wie so oft bei Dokumenten zu deutschen Vorkriegsmodellen hat dieses Faltblatt in Ostdeutschland überlebt, wo es die Wegwerfmentalität des Westens nicht gab – sieht man von einmal von den Abrissorgien des sozialistischen Regimes ab.

Leider meinte irgendwann jemand, auf dem Titelfoto herumkritzeln zu müssen:

Hansa-Zubehörbroschüre; Original aus Sammlung Michael Schlenger

Wir können dieses Manko verkraften wie auch einige Wasserflecken im Innern – die entscheidenden Abbildungen sind durchaus präsentabel. Einige davon zeige ich heute.

Im Original ist das Faltblatt übrigens teilweise farblich gehalten, die entscheidenden Bildausschnitte sind aber in Schwarz-Weiß, weshalb ich mich der Blog-Ästhetik entsprechend für eine entsprechene Wiedergabe entschieden habe:

Meine Auswahl aus diesem reichhaltigen Zubehör (weitere Optionen sind übrigens auf der Rückseite genannt, aber nicht abgebildet) ist natürlich subjektiv.

Sollte jemand als Besitzer eines solchen Hansa Interesse an weiteren Detaildarstellungen haben, stelle ich diese gern zur Verfügung.

Bevor wir zu dem bereits erwähnten Belüftungselement kommen, fangen wir der Einfachheit am Kühler an. So war das Kühlergitter in der Basisausstattung dunkel lackiert, weshalb hier eine silberne Ausführung als Alternative angeboten wurde:

Daneben war eine weitere Variante mit senkrechten Stäben verfügbar – ebenfalls silbern lackiert. Die Einfassung der Kühlermaske war bereits ab Werk verchromt, jedenfalls sind mir bislang keine das Gegenteil beweisende Aufnahmen begegnet.

Fast schon ein Muss für den Hansa-Fahrer war der Erwerb einer im Winter nützlichen Kühlermanschette zur Reduzierung des Luftdurchsatzes. Als Material wird hier eine Art Kunstleder mit der Bezeichnung „Autoduck“ genannt:

„Dreifach verstellbar“ bedeutet hier wohl folgendes:

  • Stellung 1  – ganz geschlossen: zur raschen Aufwärmung des Kühlwassers direkt nach dem Start bei sehr tiefen Temperaturen
  • Stellung 2 – halb aufgeknöpft: zum dauerhaften Betrieb bei großer Kälte
  • Stellung 3 – ganz aufgeknöpft: für Dauerbetrieb bei niedrigen Temperaturen

Hier nun für den Betrieb in der warmen Jahreszeit die erwähnte Entlüftungsvorrichtung zur seitlichen Montage:

Aus Aluminium gearbeitet war nur der Rahmen, die nach außen weisenden Elemente waren dagegen wohl aus Plexiglas, da sie auf dem weiter oben gezeigten Foto durchsichtig erscheinen.

Es muss sich hierbei um ein Hansa-spezifisches Zubehör gehandelt haben, das an den Scheibenrahmen angepasst wurde; leider wird nichts zur Befestigung gesagt. Denkbar, dass es von unten in den Scheibenrahmen gesteckt und dann mit Nieten befestigt wurde.

Ein weiteres Originalfoto eines Hansa mit zeitgenössischem Zubehör ist das folgende, das einen Typ 1700 mit Hamburger Zulassung zeigt:

Hansa 1700 Coupé; Originalfoto aus Sammlung Michael Schlenger

Hier sehen wir als Extras für den besonders schicken Auftritt zwei Chromhupen sowie einen üppig dimensionierten Nebelscheinwerfer.

Entsprechendes Zubehör findet sich auch in unserem zeitgenössischen Faltblatt, wenngleich sich die Ausführung im Detail unterscheidet.

Hier haben wir zunächst ein als Extra angebotenes Hupenpaar von Bosch:

Auf den ersten Blick scheint das derselbe Hupentyp zu sein wie auf dem zuvor gezeigten Foto des Hansa mit Hamburger Zulassung.

Jedoch scheint bei der in Fahrtrichtung rechten Hupe beim Ausstanzen der unteren Schlitze in der vorderen Abdeckung etwas schiefgelaufen zu sein, wie der Vergleich mit der anderen Hupe zeigt.

Oder haben wir es hier mit einer verunglückten Retusche im Zuge der Erstellung des Zubehörfaltblatts zu tun? Nicht eindeutig sagen lässt sich zudem, ob die Hupen des Hansa auf dem Foto auch den BOSCH-Schriftzug tragen, das Original lässt kein Urteil zu.

Sicher ein anderes Teil als im Zubehörfaltblatt wurde an dem Hansa aus Hamburg in Form des Nebelscheinwerfers verbaut. Hansa bot u.a. diese Ausführung an:

Immerhin verrät der Text, dass weitere Varianten erhältlich waren. Kein Wort wird dagegen zu dem Bügel verloren, an dem der Nebelscheinwerfer montiert wurde.

Die Ausführung im Faltblatt wurde offenbar am vorderen Rahmenende befestigt, wo auch die Stoßstange angebracht war.

Auf dem Foto des Hamburger Hansa sehen wir dagegen eine andere, aufwendigere und raffiniertere Ausführung des Haltebügels:

Hier ist besagter Bügel nicht nur verchromt, sondern auch weit eleganter in die Frontpartie integriert. Ich vermute, dass es sich hierbei um eine individuelle Anfertigung handelte, für die Bohrungen in der Karosserie erforderlich waren.

Das Emblem auf dem Kühlergrill ist das des DDAC, in dem nach 1933 die deutschen Autoclubs von den Nationalsozialisten zwangskollektiviert wurden.

Auch in solchen Details offenbarte sich eine auf Ausschaltung von Individualität und Pluralismus abzielende, antibürgerliche Ideologie – übrigens eine latente Gefahr.

Die betrüblichen Zeitumstände, unter denen die schönen Hansa-Wagen entstanden, sollten einen aber nicht von einer eingehenden Beschäftigung damit abhalten.

Einige dieser Fahrzeuge haben die Zeiten überdauert und heutige Besitzer sind möglicherweise dankbar für alle originalen Dokumente, die Einblicke in Details erlauben, die sonst nirgends dokumentiert sind.

Am Ende fragt man sich, weshalb sich der schicke Hansa 1100 bei identischem Preis, gleicher Leistung und ähnlichen Abmessungen schlechter verkaufte als der Adler Trumpf Junior.

Sicher, der Adler konnte mit Frontantrieb auftrumpfen, doch der war manchem Autoenthusiasten in den 1930er Jahren noch suspekt. Zudem bot der Hansa hydraulische Vierradbremsen, nicht nur Seilzugbremsen.

Möglich, dass Adler aus Frankfurt das größere Prestige besaß, im deutschen Sprachraum über eine bessere Präsenz verfügte und logistisch zu größeren Stückzahlen imstande war.

Dafür sollte Hansa bzw. der Borgward-Konzern nach dem Krieg noch zu großer Form auflaufen, während sich Adler wie Hanomag aus schwer nachvollziehbaren Gründen gegen eine Wiederaufnahme der PKW-Produktion entschied…

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Hochelegant, aber zu teuer: Hansa Konsul Cabriolet

Die frühen 1930er Jahre in Deutschland waren wirtschaftlich verheerend und politisch brisant – im Strudel der in ihren letzten Zügen liegenden Weimarer Republik gerieten auch etliche deutsche Automarken unter die Räder.

Einst bedeutende Hersteller wie Brennabor, NAG und NSU mussten damals die PKW-Produktion einstellen. Neben der Wirtschaftskrise setzte die Konkurrenz der in allen Bereichen führenden US-Automobilindustrie den meist rückständigen deutschen Autobauern zu.

Einige hiesige Traditionshersteller entgingen damals mit kreativer Modellpolitik dem Ruin – darunter Adler aus Frankfurt, Stoewer aus Stettin – und Hansa aus Bremen.

Das altehrwürdige Werk von Hansa-Lloyd war 1929 vom aufstrebenden Unternehmer Carl Borgward übernommen worden. Die Produktion der großen 6- und 8-Zylinder von Hansa wurde unter der Regie von Borgward nicht weitergeführt.

Stattdessen bot Borgward unter der Marke Hansa eine Reihe neuer Modelle an, die ordentliche Motorisierung und absolut stilsichere Gestaltung boten:

Hansa „Konsul“; Originalfoto aus Sammlung Marcus Bengsch

Im Jahr 1931, als dieses hochelegante Modell „Konsul“ vorgestellt wurde, bot in der Mittelklasse kein deutscher Hersteller Vergleichbares.

Stilistisch bewegte man sich auf dem Niveau teurer Sechs- bzw. Achtzylinder-Modelle von Mercedes und Röhr. Auch leistungsmäßig bot man durchaus Beachtliches.

Der „Konsul“ von Hansa war mit einem 2,6 Liter-Sechszylinder und 50 PS oder einem gleichstarken Vierzylinder mit 3,3 Liter Hubraum verfügbar. Daneben gab es anfänglich auch eine 4-Zylinder-Version mit 2,1 Litern und 40 PS.

Damit hatte der Kunde die Wahl zwischen einem laufruhigen 6-Zylinder aus US-Produktion (Hersteller: Continental) und einem elastischeren großen 4-Zylinder aus Eigenfertigung. Beide Aggregate erlaubten eine Höchstgeschwindigkeit von 90 km/h.

Zwar hätte die Leistung bei dem nicht übermäßig schweren Wagen (Limousine: 1.300 kg) für ein höheres Spitzentempo gereicht. Doch in Zeiten vor dem Bau der Autobahn brauchte man das nicht – wichtiger waren Steigfähigkeit und schaltfaules Fahren.

Mit so einem schönen Automobil wollte man reisen, nicht rasen:

Auf diesem Ausschnitt sehen wir übrigens die typischen Griffmulden, die schon bei Hansa-Modellen vor dem 1. Weltkrieg oberhalb der Luftschlitze angebracht waren – eine der wenigen Konstanten in der wechselhaften Geschichte der Marke.

Praktisch dieselbe Ansicht der Kühlerpartie mit dem eigenwilligen helmartigen Kühlerverschluss findet sich auf Seite 148 des Standardwerks „Deutsche Autos 1920-45“ von Werner Oswald.

Die mächtigen vollverchromten Scheinwerfer, die geschwungene Chromstange dazwischen und die Doppelstoßstange sind klare Anleihen von US-Wagen jener Zeit. Gleichzeitig verleiht die schräggestellte Frontscheibe dem Hansa etwas Sportliches.

Im Unterschied zu der Abbildung im „Oswald“ zeigt das hier vorgestellte Foto den Hansa Konsul als vier- (nicht bloß zwei)sitziges Cabriolet:

Diese edle Ausführung war die teuerste, die ab Werk zu bekommen war – knapp 5.500 Mark waren dafür in der Vierzylinderversion zu berappen. Mit dem gleichstarken 6-Zylinder von Continental erhöhte sich der Preis auf fast 6.000 Mark.

Damit wären wir bei aller Schönheit des Wagens und der idyllischen Situation auf unserem Foto beim Schwachpunkt des Hansa „Konsul“. Der Wagen war zu teuer – nicht nur absolut, sondern auch im Vergleich zu amerikanischen Importfahrzeugen.

So kostete ein Chevrolet mit gleichstarkem 6-Zylindermotor als viersitziges Cabriolet 1931 mit 5.300 Mark weniger und war insgesamt agiler. Das Fehlen von Hydraulikbremsen war damals verkraftbar.

Wer so viel Geld aufbringen konnte und sich nicht auf die Kleinwagenklasse beschränken musste, kaufte gleich einen der gut ausgestatteten und ausgereiften „Amerikanerwagen“, zumal auch der Hansa nur mit Starrachsen daherkam.

So blieb es bei einer Produktion von einigen hundert (angeblich maximal 600) Fahrzeugen des Typs Hansa „Konsul“. Schade, dieses elegante Modell hätte, zumindest was die Erscheinung angeht, eine stärkere Verbreitung verdient.

Ob von der offenen Version ein Exemplar überlebt hat – weiß es jemand?

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1911-24: Das Hansa 8 PS-Modell im Wandel der Zeiten

Zu den bedeutenden deutschen Vorkriegsautomarken, deren Geschichte kaum überzeugend dokumentiert ist, gehört neben Brennabor, NAG, Presto und Protos auch Hansa.

Die Ursprünge der Marke lassen sich bis 1905 zurückverfolgen. Damals wurde im oldenburgischen Varel die Hansa Automobil-Gesellschaft gegründet, die einige Zeit Wagen unter der Marke HAG mit Motoren nach DeDion-Bauart fertigte.

Schon 1907 stellte man einen selbstkonstruierten Vierzylindermotor vor:

HAG Typ A 12, zeitgenössische Prospektabbildung von 1908

Markentypische Elemente sind bei diesem 6/12 PS-Modell noch nicht zu erkennen. Zeitgenössisch ist die rechtwinklig auf die hintere Schottwand treffende Motorhaube – meist ein guter Datierungshinweis bei deutschen Autos aus der Zeit vor 1910.

Ab 1911 entstand dann ein Modell der Steuerklasse 8 PS mit 20 PS aus 2,1 Liter Hubraum, das den Anfang unserer Zeitreise markiert.

Der Wagen war mit dem strömungsgünstigen Übergang zwischen Haube und Frontscheibe – als Windlauf oder Torpedo bezeichnet – auch formal auf der Höhe:

Hansa Typ C 8/24 PS; Originalfoto aus Sammlung Michael Schlenger

Diese schöne Aufnahme zeigt sehr wahrscheinlich das ab 1913 gebaute, etwas stärkere 8/24 Modell, das sich äußerlich nur geringfügig vom 8/20 PS-Typ unterscheidet.

Auf S. 211 im älteren Standardwerk „Autos in Deutschland 1885-1920“ von Hans-Heinrich von Fersen findet sich das frühe 8/20 PS Modell (dort irrtümlich als 8/24 PS bezeichnet).

Das darauf aufbauende Nachfolgewerk „Deutsche Autos 1885-1920“ von Halwart Schrader zeigt dann ein korrekt beschriftetes Foto des Hansa 8/24 PS-Typs, das vollkommen mit unserer Aufnahme übereinstimmt.

Wir haben dieses nach dem 1. Weltkrieg entstandene Foto hier besprochen, daher nehmen wir uns nun die nächste Entwicklungsstufe des Hansa 8 PS-Modells vor.

Dabei handelt es sich um ein Übergangsmodell, dessen Motor bei unveränderten 2,1 Liter Hubraum offiziell 26, laut Literatur aber sogar 30 PS leistete. Möglich, dass dabei zwischen Dauer- und kurzfristiger Spitzenleistung unterschieden wurde.

Hier haben wir das gute Stück, das an die 80 km/h schnell war:

Hansa Typ P 8/24 PS; Originalfoto aus Sammlung Michael Schlenger

Bei diesem fast sportlich anmutenden Tourenwagen erinnert der Schnabelkühler noch an die Entstehung des 8 PS-Modells in der Vorkriegszeit. Das abgebildete Fahrzeug haben wir hier bereits gezeigt.

Von nun an firmierte es als Typ P (nicht mehr Typ C), was bis Produktionsende 1928 beibehalten wurde. Zu den Erkennungsmerkmalen des Typs P 8 PS gehörten die nach innen gestanzten Luftschlitze – formal eine saubere und markante Lösung.

Während die Frontpartie des Wagens auf dem Foto bereits etwas lädiert ist, erscheint der hintere Aufbau noch sehr ansehnlich:

Wer einen Sinn dafür hat, erkennt hier die spannungsreiche und körperhafte Gestaltung des konventionellen Tourenwagenaufbaus, wie sie Anfang der 1920er Jahre noch gängig war, die jedoch später einer streng sachlichen Auffassung wich.

Abgesehen von der farblich abgesetzten, raffiniert getreppten Schwellerpartie dominieren in der Seitenansicht leichte Schwünge und Bögen die Gerade wird vermieden.

Auch die Taillierung des Wagenkörpers zum Schweller hin ist eine Tradition der Vorkriegszeit, die sich im Lauf der 1920er Jahre ebenso verlor wie die ausdrucksstarken Kühlerformen (vgl. den vorherigen Blogeintrag).

Doch bevor wir dazu kommen, wollen wir der Leserschaft eine weitere Aufnahme des Übergangsmodells Hansa Typ P 8/26 PS nicht vorenthalten.

Es bezieht seinen Reiz unter anderem aus dem selten zu sehenden geschlossenen Verdeck und der Aufnahmesituation:

Hansa Typ P 8/26 PS; Originalfoto aus Sammlung Michael Schlenger

Diese exzellente Aufnahme verdanken wir Leser Klaas Dierks, der mit seinem sicheren Blick für fotografische Qualität und Gespür für außergewöhnliche Automobile diesem Blog schon einige Sternstunden bereitet hat.

Der Wagen auf diesem Foto stimmt in allen wesentlichen Details mit dem zuvor gezeigten Hansa Typ P 8/26 PS überein.

Allerdings ist hier der Schnabelkühler noch heile und man sieht die hansatypischen oberhalb der Luftschlitze angebrachten Griffmulden in der Motorhaube (vgl. auch die Aufnahme des Hansa Typ C 8/24 PS.)

Auf beiden Aufnahmen des Hansa Typs P 8/26 PS sind die Ausführung der Vorderschutzbleche, der Ersatzradmulde, des Halters für das Reserverad und der Haubenschlitze vollkommen identisch.

Weshalb auf dem ersten Foto besagte Griffmulden nicht zu sehen sind, muss offenbleiben. Die Identfikation der beiden Hansa-Wagen kann aber als gesichert gelten.

Auch kleine Unterschiede wie die abweichende Frontscheibenausführung können angesichts der Fertigung dieser Wagen in Manufaktur als unwesentlich gelten.

Einen näheren Blick ist das montierte Verdeck wert, das dem Hansa eine ganz andere Anmutung verleiht:

Man sieht hier deutlich, dass ein ungefüttertes Tourenwagenverdeck nur notdürftigen Schutz bot, selbst bei Montage der seitlichen Steckscheiben blieb ein solches Auto eine zugige Angelegenheit.

Vergessen wir aber nicht: Fast die gesamte Bevölkerung Deutschlands war damals den Unbilden des Wetters völlig ungeschützt ausgesetzt – auf dem Weg zur Arbeit, bei der Feldarbeit oder auf dem Bau, beim Verwandtenbesuch mit dem Pferdegespann usw.

Unser ernst schauender Hansa-Fahrer wird gewusst haben, in welch‘ privilegierter Position er sich befand, und wenn er ein angestellter Chauffeur war. Möglicherweise wurde er anlässlich einer Ausflugstour von den Besitzern des Wagens fotografiert.

Nach Ansicht des Verfassers wurde das Foto im Rheintal in Fließrichtung links aufgenommen – eventuell auf der wildromantischen Strecke zwischen Bingen und Loreley. Wer’s genauer oder besser weiß, möge die Kommentarfunktion nutzen.

Kommen wir zum Abschluss unserer Reise durch die Zeit von 1911 bis 1924. In etwas mehr als zehn Jahren kam es – beschleunigt durch den 1. Weltkrieg – auf fast allen Ebenen zu ungeheuren Umwälzungen.

Dass eine neue Zeit angebrochen war – die, wie sich erwies, nicht unbedingt besser war als die des untergegangenen Kaiserreichs – zeichnete sich gegen Mitte der 1920er Jahre auch bei den bis dato meist konservativen deutschen Autoherstellern ab.

Der Tendenz zu einer sachlichen, mitunter arg schlichten und ans Belanglose grenzenden Linienführung ging auch an Hansa nicht vorbei.

Ab 1924 erhielt der Typ P eine erneute Leistungsspritze36 PS leistete der nach wie vor 2,1 Liter messende Seitenventiler nun – außerdem eine neue Kühlerpartie:

Hansa Typ P 8/36 PS; Originalaufnahme aus Sammlung Michael Schlenger

Was hier durch eine Kühlermanschette für den Betrieb in der kalten Jahreszeit verdeckt ist, ist ein Flachkühler, wie ihn unzählige Wagen jener Zeit erhielten.

Gleichzeitig dominieren schlichte, kastenartige Aufbauten, die bei Serienmodellen nur selten Raffinesse entfalten. Daher sind viele Autos um die Mitte der 1920er Jahre schwer auseinanderzuhalten.

Umso wichtiger werden Details wie die unveränderte Gestaltung der Luftschlitze und der Griffmulden in der Motorhaube sowie die Form des Reserveradhalters – alles übrige könnte zu irgendeiner Limousine jener Zeit gehören.

Damit wären wir am Ende unserer Reise durch die Geschichte des Hansa 8 PS-Modells angelangt.

Möglich ist solch eine Exkursion nur auf Grundlage geduldigen Sammelns von Originalaufnahmen, akribischem und kritischem Studium der – oft spärlichen – Literatur und nicht zuletzt dank des Wissens und der Dokumente sachkundiger Leser…

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Eleganz mit dem gewissen Extra: Ein Hansa 1100

An die 150 internationale Automarken der Vorkriegszeit sind im Lauf der Zeit auf diesen Oldtimerblog in historischen Originalfotos aus der Sammlung des Verfassers und aus dem Fundus von Lesern vorgestellt worden.

Luft nach oben ist beim Thema Vorkriegsautos immer – allein aus den USA sind über 5.000 Hersteller bekannt und in Europa kommen nochmals weit über tausend dazu, vor allem solche aus Frankreich und England.

Doch auch die Markenwelt im deutschsprachigen Raum bietet jede Menge Abwechslung – man denke nur an die faszinierenden Hersteller aus Böhmen und Österreich, über die hierzulande kaum berichtet wird.

Selbst wenn man sich auf das Gebiet des heutigen Deutschlands beschränkt, hat man es mit einer tropischen Fülle an Marken zu tun, die heute kaum noch einer kennt. Eine davon sagt immerhin den Borgward-Freunden noch etwas: Hansa!

Gern gesteht der Verfasser, dass er eine Schwäche für die eleganten Typen 1100 und 1700 hat, die ab 1934 unter dem traditionsreichen Namen Hansa im Borgward-Konzern gebaut wurden. Hier haben wir einen davon:

Keine Sorge, vom eigentlichen Gegenstand des heutigen Blogeintrags bringen wir noch ein technisch überzeugenderes Foto. Doch schon auf diesem Ausschnitt aus einer unscharfen Aufnahme erkennt man die Charakteristika des Typs.

  • Alle vertikalen Linien vom Kühler über Frontscheibe und A-Säule bis hin zum hinteren Türabschluss weisen dieselbe Neigung auf.
  • Besonders markant und bei deutschen Autos wohl einzigartig ist die Schrägstellung der B-Säule, die man bei britischen Wagen der 1930er Jahre findet.
  • Typisch sind auch die vier hochliegenden, angeschrägten Luftklappen in der Motorhaube, die durch Chromleisten akzentuiert sind. Das gab es beim Hanomag Rekord ebenfalls, doch aber dort reichen die Klappen weiter hinunter.

Gerade der Vergleich mit dem Hanomag Rekord, der bei allen sonstigen Qualitäten bieder wirkt, vedeutlicht die formale Klasse des Vierzylinder-Hansa 1100 und des parallel angebotenen Hansa 1700 mit Sechszylinder.

Nicht zuletzt die weit hinuntergezogenen seitlichen „Schürzen“ an den Schutzblechen lassen den technisch ebenfalls unspektakulären Hansa moderner erscheinen als den etwas stärkeren Hanomag Rekord – beide besaßen übrigens Hydraulikbremsen.

Bevor wir zum heutigen Stargast kommen, werfen wir noch einen Blick auf die Originalaufnahme, zu der obiger Bildausschnitt gehört:

Hansa 1100 im Riesengebirge; Originalfoto aus Sammlung Michael Schlenger

Laut Beschriftung des Abzugs entstand das Foto einst im Riesengebirge im Grenzland zwischen Schlesien und der Tschechei. Mit der über 1.600 m hohen Schneekoppe war das Riesengebirge bis 1945 Deutschlands höchstgelegenes Mittelgebirge.

Der Verfasser hat einige Zeit damit verbracht, den Gasthof im Hintergrund zu identifizieren – solche komfortablen Unterkünfte waren in der Region einst als „Bauden“ bekannt – leider vergeblich. Vielleicht kann ein Leser weiterhelfen.

Nach diesem Einstieg wechseln wir nach Westfalen, in die Industrie- und Garnisonsstadt Iserlohn. Dort entstand 1937 folgende Aufnahme eines Hansa 1100:

Hansa 1100; Originalfoto von 1937 aus Sammlung Michael Schlenger

Zur Identifikation des Wagens müssen wir wohl nichts mehr sagen – alle oben erwähnten Charakeristika sind auf Anhieb zu erkennen.

Schön nachvollziehen lassen sich hier die harmonisch fließenden Linien der Heckpartie, die bis heute oft gestalterisch vernachlässigt wird oder von bizarren Ideen geprägt ist, die keiner Logik folgen.

So weit, so gut. Die formalen Qualitäten des Hansa 1100 und seines großen Bruders Hansa 1700 haben wir hier ja schon des öfteren gewürdigt.

Doch abgesehen von der schönen Aufnahmesituation – kein Auto wirkt für sich allein so lebendig wie mit den einstigen Besitzern – findet sich neben der bekannten Eleganz der Linienführung ein Extra, das das Foto außergewöhnlich macht:

Der Aufsatz am oberen Ende der Seitenscheibe scheint – wenn nicht alles täuscht – der besseren Entlüftung des Innenraums zu dienen.

Kann jemand Näheres zu diesem Zubehör sagen, das offenbar passgenau für den Fensterausschnitt des Hansa 1100 bzw. 1700 verfügbar war? Wer war der Hersteller und gibt es zeitgenössische Reklamen, die die Vorteile des Teils benennen?

Mit diesem Aufruf könnten wir den heutigen Blogeintrag beenden, wäre da nicht eine offene Frage: Woher wissen wir, dass dieses Foto einst in Iserlohn entstand?

Nun, es gibt einen zweiten Abzug, der denselben Wagen aus anderer Perspektive und nun mit dem mutmaßlichen Fotografen der ersten Aufnahme zeigt:

Hansa 1100; Originalfoto von 1937 aus Sammlung Michael Schlenger

Hier erkennt man schemenhaft den ominösen Aufsatz auf der Fahrertür, von dem eben die Rede war. Zudem stammen die beiden Abzüge aus derselben Quelle.

Dieser Hansa besaß eine Zulassung in Westfalen (Kennung „IX“) und eine Ziffernfolge, die zum Nummernkreis für die Stadt Iserlohn passt (Quelle: Andreas Herzfeld: Handbuch Deutsche Kfz-Kennzeichen Band 1 Deutschland bis 1945).

Auch aus dieser Perspektive wirkt der Hansa makellos proportioniert und sauber gezeichnet. Die wappenartig geformte Kühlerumrandung ist eigenständig, auf unnötigen Zierrat wird hier weitgehend verzichtet.

Lediglich die verchromte Abdeckung der Öffnung für die Anlasserkurbel (die nur selten zum Einsatz kam) setzt einen Akzent am unteren Kühlerende, das spitz und ganz leicht nach vorn geschwungen ausläuft.

Die feine Spannung der Kühlerpartie, an der kaum eine gerade Linie zu sehen ist, lässt sich auf folgender Aufnahme eines Hansa 1700 nachvollziehen:

Hansa 1700; Originalfoto aus Sammlung Michael Schlenger

Diese Aufnahme hat trotz schlechter Erhaltung einigen Reiz. So lässt sich auch an diesem 6-Zylindertyp die dynamische Gestaltung des Kühlers nachvollziehen, die den weiteren Aufbau bis hin zum hinteren Türabschluss bestimmt.

Zudem wird ein ortskundiger Leser sagen können, wo das Foto des Hansa 1700 einst entstand – der Verfasser tippt auf eine norddeutsche Hafenstadt. Nicht zuletzt lässt sich aus dem Wimpel am Vorderschutzblech etwas zum Besitzer ableiten.

Man sieht: Die eleganten Hansa-Wagen der Typen 1100 und 1700 sind auch nach über 80 Jahren noch für die eine oder andere Extra-Überraschung gut.

Möglich machen das historische Originalfotos und ihre Aufarbeitung auf diesem Oldtimer-Blog unter Mitwirkung sachkundiger Leser…

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Schnabelkühler-Typ der 1920er Jahre: Hansa P 8/26 PS

Der Erste Weltkrieg war in vielerlei Hinsicht wohl die größere Zäsur als der Zweite.

Mit ihm ging die Belle Epoque in Europa zuende – eine faszinierende Zeit, in der technische Innovationen in unvorstellbarem Tempo aufeinanderfolgten und zugleich die Kunst der schönen Formgebung ihren letzten Höhepunkt erreichte.

Man steht als Mensch des frühen 21. Jahrhunderts sprachlos vor den Leistungen der Ingenieurskunst jener Zeit, die fast immer auch ein ästhetischer Genuss waren – von spannungsreichen stählernen Bogenbrücken über kathedralenartige Turbinenhallen bis hin zu organisch durchgeformten Maschinen und Gerätschaften.

Mit dem technischen, organisatorischen und gestalterischen Können der Kaiserzeit würden uns die alltäglichen Demonstrationen an Unvermögen beispielsweise im Bereich der Infrastruktur hierzulande erspart bleiben.

Nur etwas mehr als 100 Jahre trennen uns von dieser einzigartigen Blütezeit. Doch deren Hervorbringungen wirken heute wie Relikte aus einer vor Urzeiten untergegangenen Welt:

Unbekanntes Automobil; Postkarte aus Sammlung Michael Schlenger

Auf dieser Postkarte aus dem Jahr 1909 sehen wir, wie sich beim Automobil die jahrhundertealte Tradition des Kutschbaus mit dem Maschinenbau vermählt.

Ganz selbstverständlich lebt hier die opulente Ästhetik des ausgehenden 19. Jahrhunderts fort, nur der Antrieb des Wagens hat sich geändert. Auch die junge Dame am Steuer ist ihrer Erscheinung nach der Tradition verhaftet.

Nur zehn Jahre später – nach Ende des 1. Weltkriegs – sehen Mensch und Maschine deutlich sachlicher aus:

Hansa Typ C 8/24 PS; Originalfoto aus Sammlung Michael Schlenger

Wir haben dieses Dokument vor längerer Zeit besprochen (hier). Es hilft uns bei der Einordnung der Aufnahme, um die es heute geht. Man sieht auf dem Foto einen vor dem 1. Weltkrieg entstandenen Hansa-Tourenwagen des Typ C 8/24 PS.

Der Schnabelkühler in Verbindung mit den organisch verrippten Schutzblechen und den erhaben geprägten Luftschlitzen ist typisch für das Hansa-Vorkriegsmodell (vgl. H.H. v. Fersen, Autos in Deutschland 1885-1920, S. 212):

Die elektrischen Scheinwerfer sind vermutlich nachgerüstet, das Foto ist auf jeden Fall nach dem 1. Weltkrieg entstanden, wie am Erscheinungsbild der jüngeren Insassen zu erkennen ist.

Nur wenige Jahre später hat sich auch im Automobilbau eine formale Sachlichkeit durchgesetzt, die in ihren besten Beispielen durchaus elegant wirkt, in den meisten Fällen aber blutleer und mitunter belanglos daherkommt.

Gerade Autos der 1920er Jahre sind daher oft kaum auseinanderzuhalten, wenn nicht gerade die wenigen markentypischen Elemente erkennbar sind.

Folgender Hansa Typ P 8/36 PS (Bildbericht) von Mitte der 1920er Jahre könnte alles Mögliche sein, wären da nicht die nach innen geprägten Luftschlitze in der Haube:

Hansa Typ P 8/36 PS; Originalfoto aus Sammlung Michael Schlenger

Die Formgebung der Luftschlitze – und der oben erwähnte Schnabelkühler – werden uns bei der Datierung des Wagens helfen, um den es hier eigentlich geht.

Mit besagtem Fahrzeug werden wir nicht nur eine Lücke in der Dokumentation der Hansa-Wagen in diesem Blog schließen, sondern zugleich zeigen, wie Anfang der 1920er Jahre Elemente der Vor- und Nachkriegszeit bei Wagen aus dem deutschen Sprachraum nebeneinander existierten.

Jetzt aber endlich zu dem angekündigten „Schnabeltier“ der 1920er Jahre:  

Hansa Typ P 8/26 PS; Originalfoto aus Sammlung Michael Schlenger

Abgesehen von dem seltenen Wagen ist das ein Foto wie aus dem Bilderbuch – perfekt belichtet, kontrastreich und mit unterschiedlich posierenden Insassen.

Es geht nichts über historische Automobilaufnahmen mit ihren einstigen Besitzern und Nutzern. Originale Werksfotos mögen heute für den Restaurator instruktiv (mitunter auch irreführend) sein; aber es ist meist kein Leben darin.

Werfen wir nun einen näheren Blick auf die Frontpartie, die am ehesten Aufschluss über die Identität früher Automobile gibt:

Da haben wir nach wie vor einen Schnabelkühler – was wie eine Beule im Kühlergehäuse aussieht, war durchaus beabsichtigt – und man kann sogar einen Teil des „Hansa“-Schriftzugs auf dem Kühlergrill lesen.

Alles wie auf dem Foto des Hansa Typ C 8/24 PS aus der Vorkriegszeit. Doch der aufmerksame Betrachter wird bemerken, dass dieser Wagen bereits dieselben nach innen geprägten Luftschlitze besitzt wie der Hansa Typ P 8/36 der 1920er Jahre.

Tatsächlich: Hier haben wir es mit dem ab 1921 gebauten Hansa Typ P 8/26 PS zu tun, der eine leistungsgesteigerte Neuauflage des Vorkriegstyps C 8/24 PS war.

Bei nahezu identischem Hubraum (2,1 Liter) leistete das Nachkriegsmodell trotz der tiefstapelnden Bezeichnung laut Literatur solide 30 PS. Damit konnte man sich in der ersten Hälfte der 1920er Jahre hierzulande sehen lassen.

Die Insassen „unseres“ Hansa Typ P 8/26 PS machen einen entsprechend zufriedenen Eindruck (überwiegend):

Unsere Vorfahren in ihren Automobilen abgelichtet zu sehen, gehört nicht zu den geringsten Reizen der Beschäftigung mit Vorkriegswagen. Bei manchen Typen wie etwa dem Fahrer fragt man sich, wo solche Charaktere heute zu finden sind.

Vielleicht ist in den letzten 100 Jahren mehr verlorengegangen als nur das souveräne technische und ästhetische Können – womöglich sind auch echte Persönlichkeiten rar geworden…

© Michael Schlenger, 2017. All entries in this blog (including embedded photos) are copyrighted by the author, unless otherwise indicated. Excerpts and links may be used, provided that credit is given to Michael Schlenger and https://www.klassiker-runde-wetterau.com with appropriate and specific direction to the original content.

Gut‘ Ding will Weile haben: Hansa Typ D 10/30 PS

Mancher Leser fragt sich vielleicht, wieso der letzte Blogeintrag schon einige Tage her ist – immerhin hat man ja diesen Oldtimerblog abonniert, weil es hier etwas gibt, was sonst im deutschen Sprachraum selten ist: 100 % Vorkriegsautos auf bisher unveröffentlichten historischen Fotos.

Der Titel des heutigen Eintrags sagt eigentlich alles: Gut‘ Ding will Weile haben. Das klingt in unseren Tagen so vorgestrig, dass es glatt das Motto dieses Blogs sein könnte, in dem die richtig alten Autos die „Stars“ sind.

Dass man mit den alten Tugenden der Geduld und der Beharrlichkeit auch bei Oldtimern gut fährt, das wird im heutigen Blogeintrag deutlich.

In Zeiten, in denen die Leute selbst die Partnerwahl mittels Auswahlmechanismen im Netz meinen beschleunigen zu müssen, soll hier ein Loblied auf das Vertrauen auf den Zufall und das Glück gesungen werden, das am Ende dem Geduldigen zuteil wird.

Also beginnen wir gemächlich im Tempo von vorgestern und arbeiten uns an eine Qualität heran, die nicht auf Knopfdruck zu bekommen ist – wie im richtigen Leben.

Als Einstieg entscheiden wir uns für eine Aufnahme, bei der die Chancen auf Identifikation des abgebildeten Wagens denkbar schlecht stehen:

Das ist trotz der schlechten Erhaltung – zahlreiche Retuschen waren hier erforderlich – immer noch ein ausdrucksstarkes Foto.

Im letzten Licht des Tages, das gerade noch die Gesichter beleuchtet, arbeiten zwei deutsche Soldaten irgendwo im 1. Weltkrieg am Motor eines großen Tourenwagens.

Motorhaube, Kühlergehäuse und Scheinwerfer sind komplett entfernt worden, hier muss eine größere Arbeit angestanden haben – eventuell musste ein neuer Motor installiert werden.

Gibt es hier irgendetwas, was auf die Identität dieses Fahrzeugs hinweisen könnte? Ja, aber dafür muss man sehr genau hinschauen:

Links unterhalb der mächtigen Hupe – vermutlich ein elektrisch betriebenes Horn – die am Windlauf auf halber Höhe montiert ist, zeichnen sich zwei senkrechte  Luftschlitze ab, deren untere Hälfte auf dem Foto leider nicht erhalten ist.

Dann sei auf die elektrischen Positionsleuchten verwiesen, die fast vollständig im Windlauf vor der Frontscheibe verschwinden – sehr markant, meist ragten diese Leuchten bei Autos aus der Zeit unmittelbar vor dem 1. Weltkrieg weiter hervor.

Diese beiden Details – und den Schwung der Vorderschutzbleche –  behalten wir im Hinterkopf und wenden uns einem weiteren, kaum besser erhaltenen Foto aus derselben Zeit zu:

Hier haben wir es mit einem Ausschnitt aus einem größeren Foto zu tun, das deutsche Militärkraftfahrzeuge auf dem Bahnhof in der französischen Stadt Tourcoing nahe der belgischen Grenze zeigt (so der umseitige Vermerk).

Wer genau hinschaut, erkennt an dem Tourenwagen Positionsleuchten, die genauso angebracht sind wie die an dem Wagen auf dem vorherigen Foto.

Mit etwas gutem Willen nimmt man zwei Luftschlitze links unterhalb der am Windlauf montierten Hupe  wahr. Die Form der Vorderkotflügel scheint ebenfalls identisch zu sein.

Erkennbar sind weitere Elemente, die marken- bzw. typspezifisch sein dürften.

Da wären die nach außen gewölbten Griffmulden am vorderen und am hinteren Ende der Motorhaube, die das Hochklappen der Seitenteile erleichterten. Unterhalb der hinteren Griffmulde zeichnet sich übrigens eine Reihe Luftschlitze in der Motorhaube ab.

Zudem weist der Kühler eine Besonderheit auf: Es handelt sich zwar um einen Flachkühler, doch der obere Teil der Kühlermaske ragt schnabelartig über das Kühlergitter nach vorne, worauf der Schatten darunter hindeutet.

Auf dem Kühlergrill scheinen Embleme und Zierleisten angebracht zu sein, Genaues lässt sich auch auf dem Originalfoto nicht erkennen. Doch insgesamt helfen uns diese Details weiter.

Denn auf folgender Aufnahme – wiederum aus dem 1. Weltkrieg – können wir zumindest einige dieser Elemente näher studieren:

Das ist ein Foto, das auch nach über 100 Jahren noch durch technische Qualität und intensiven Ausdruck begeistert.

Hier haben wir vier deutsche Offiziere bzw. Unteroffiziere – Details zu den Rängen von berufener Seite sind willkommen – die sich irgendwo auf dem flachen Land herumkutschieren lassen –  von einem Chauffeur, der wenig militärisch aussieht:

Im feinen Zwirn, darunter ein Manschettenhemd mit Vatermörderkragen, das kann nur ein Zivilist sein, sollte man meinen.

Doch die Schulterklappen und die Schirmmütze verweisen darauf, dass wir es mit einem Soldaten zu tun haben. Kann jemand etwas Erhellendes zu dieser abenteuerlichen Aufmachung sagen?

Genossen des Autofahrens Kundige in der Frühphase des 1. Weltkriegs Privilegien, was den Dienstanzug angeht? Oder ist das ein Einzelfall eines stilbewussten Fahrers, dessen Eigenmächtigkeiten vom Vorgesetzten gedeckt wurden?

Nachtrag: Leser und Wk1-Kenner Klaas Dierks nimmt an, dass es sich beim Fahrer um einen Angehörigen des damaligen kaiserlichen Yacht-Clubs handelt.

Auf jeden Fall ist das ein schönes Dokument – der Krieg scheint zum Aufnahmezeitpunkt weit weg gewesen zu sein.

Doch schon auf der nächsten Aufnahme wird es ernster:

Hier begleitet ein Tourenwagen desselben Typs einen LKW, der mit Sandsäcken beladen ist, die wohl zum Ausbau von Stellungen an der Front benötigt wurden.

Es könnte sich um dasselbe Auto wie auf dem vorherigen Foto handeln, allerdings fehlen die aufgemalten Kennungen, die auf die Einheit des Fahrzeugs verweisen.

Dummerweise kann man hier auch nicht die Vorderseite des Kotflügels hinten rechts erkennen, die beim vorherigen Auto aufallend zerdellt war.

Doch immerhin sehen wir hier dasselbe Ensemble aus Luftschlitzen, Griffmulden und Positionsleuchten, das uns auf den letzten Aufnahmen aufgefallen ist.

Leider ist hier vom Kühler nur wenig zu sehen, obwohl wir uns vorstellen können, dass es ebenfalls ein „Schnabelkühler“ ist, wie er vor dem 1. Weltkrieg von einigen deutschen Herstellern verbaut wurde, darunter Hansa und Horch.

Nun haben wir die Leser wohl genug auf die Folter gespannt. Gern wüsste man, um was für ein Auto es sich auf den bislang gezeigten Aufnahmen handelte.

Das können wir ohne viele Worte mit diesem herausragenden Originalfoto beantworten, das vor über 100 Jahren im 1. Weltkrieg auf deutscher Seite entstand:

Hansa Typ D 10/30 PS; Originalfoto aus Sammlung Michael Schlenger

Dieser hervorragend erhaltene Abzug eines exzellenten Fotos lässt keine Wünsche offen. Hier hat sich ein deutscher Unteroffizier beim Besteigen seines Hansa Typ 10/30 PS ablichten lassen.

Wer weiß, wie lange der Mann noch zu leben hatte – auf deutscher Seite wurde von vorne geführt – so mag es sein, dass er diese Aufnahme hat bewusst anfertigen lassen, bevor es an die Front ging.

Handelt es sich um eine in Expertenkreisen bekannte Person, deren Chauffeur nebenbei als Halbbruder von Kaiser Wilhelm II hätte durchgehen können?

Wie auch immer, solche Weltkriegsaufnahmen haben ihre ganz eigene Magie, man kann ihnen je nach Interessenlage viel abgewinnen.

Die einen mögen Details wie die Halbschuhe nebst ledernen Gamaschen und den pelzbesetzten Mantel des Militärs studieren.

Die anderen – darunter auch wir Veteranenautofreunde – interessieren uns eher für den eindrucksvollen Wagen und seine Charakteristika:

Hier haben wir nun endlich alle Elemente in einem exquisiten Foto versammelt, denen wir auf den vorangegangenen Aufnahmen mühsam nachgespürt haben.

Besser als hier kann man einen „Schnabelkühler“ wohl kaum studieren, von den übrigen Besonderheiten des Hansa Typ D 11/30 PS ganz abgesehen.

Mit dieser Spitzenaufnahme schließt sich der Kreis und wir können gleich mehrere unsichere bis hoffnungslos erscheinenden Fälle als gelöst betrachten.

Alle in diesem Blogeintrag gezeigten Fotos zeigen sehr wahrscheinlich einen Hansa des von 1911-14 gebauten Typs D, dessen 2,6 Liter großer Vierzylindermotor maximal 35 PS leistete.

10.000 Goldmark waren für dieses Automobil einst zu berappen, was dem Preis des Audi Typ B 10/28 PS entsprach, den wir hier zuletzt vorgestellt haben.

Daran kann man ermessen, in welchen Sphären sich die Hansa-Werke aus dem beschaulichen Varel in Oldenburg einst bewegten.

Qualität hatte damals wie heute ihren Preis und dass die Hansa-Wagen Qualitätsautos waren, belegen die zahlreichen Fotos, die von ihrem Einsatz im 1. Weltkrieg künden. Überlebt haben dürften davon keine.

Dass wir uns heute zumindest an diesen alten Aufnahmen erfreuen können, verdanken wir klassischen Tugenden: Geduld und Beharrungsvermögen.

Man sieht: Gut‘ Ding will Weile haben. Wenn etwas nach über 100 Jahren immer noch Leidenschaft zu wecken vermag, muss es gut gewesen sein. Die Hansa-Wagen waren es eindeutig.

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Eine rätselhafte Hansa 1100 Cabriolimousine

Die eleganten Wagen, die der Bremer Borgward-Konzern ab 1934 unter der traditionsreichen Marke Hansa als Typ 1100 (Vierzylinder) und Typ 1700 (Sechszylinder) baute, sind uns hier schon öfters begegnet.

Zunächst ein kurzer Überblick über die ab Werk verfügbaren Aufbauten. Hier haben wir die zweitürige Limousine mit dem coupéartigen Dach:

Hansa 1100 Limousine; Originalfoto aus Sammlung Michael Schlenger

 

Typisch für die bis 1939 gefertigten Hansa 1100 und 1700 waren die trapezförmigen Luftklappen in der Haube, deren Neigung derjenigen von Kühler und A-Säule folgt. Das 6-Zylindermodell besaß fünf statt vier dieser Klappen.

Markant ist auch die im geöffneten Zustand vorne herunterhängende Tür. Dies war der Preis für die elegant geneigte B-Säule, an der sie angeschlagen war.

Die folgende seltene Aufnahme von hinten rechts lässt dieses Detail gut erkennen:

Hansa 1100 Limousine; Originalfoto aus Sammlung Michael Schlenger

Die geschlossene Variante, die übrigens nur mit zwei Türen verfügbar war, ist nach Ansicht des Verfassers die formal überzeugendste.

Das deutlich teurere Cabriolet wirkt mit Verdeck zwar auch recht harmonisch, doch vermisst man den elegant gerundeten hinteren Dachabschluss der Limousine, ebenso wirkt der farbliche Kontrast von Verdeck und Karosserie unvorteilhaft:

Hansa 1700 Cabriolet; Originalfoto aus Sammlung Michael Schlenger

Der Besitzer des Wagens hatte dennoch allen Grund, sich glücklich zu schätzen, hatte er doch den 40 PS starken Hansa 1700 über den Krieg gerettet, wie das Besatzungskennzeichen der späten 1940er bzw. frühen 1950er Jahre verrät.

Wie es der Zufall wollte, fand sich eine weitere Aufnahme aus der frühen Nachkriegszeit, die ebenfalls ein überlebendes Hansa-Cabriolet zeigt, wenn auch in der Version als Typ 1100 mit bescheidenen 28 PS.

Auf dem bislang unveröffentlichten Foto sehen wir den Wagen mit geöffnetem Verdeck:

Hansa 1100 Cabriolet; Originalfoto aus Sammlung Michael Schlenger

So reizvoll diese Aufnahme auch ist – woran die charmanten Insassinnen erheblichen Anteil haben – so wenig glücklich wirkt doch der massive Frontscheibenrahmen, der wie nachträglich abgetrennt wirkt.

Vergleiche mit anderen Wagen in der Literatur belegen aber, dass diese Ausführung serienmäßig war. Sicher wäre eine filigranere Ausführung des oberen Scheibenabschlusses möglich gewesen, wie sie bei damals Cabriolets typisch war.

Vielleicht ließ sich durch die optisch nicht ideale Lösung eine weitere Verstärkung des Aufbaus vermeiden, was fertigungstechnisch von Vorteil war.

Dasselbe Detail findet sich an der Ausführung als Cabrioletlimousine wieder, wobei eine kräftige Ausführung des Frontscheibenrahmens bei diesem Aufbau üblich war:

Hansa 1700 Cabriolimousine; Originalfoto aus Sammlung Michael Schlenger

Diese etwas unscharfe, aber formal gelungene Aufnahme ist noch vor dem 2. Weltkrieg entstanden, auch dieses Foto war bislang unveröffentlicht.

Das Kennzeichen mit dem Kürzel „I P“ verweist auf eine Zulassung irgendwo in Schleswig-Holstein. Die Landschaft im Hintergrund spricht aber für eine Entstehung in südlicheren Gefilden.

Zu beachten ist auf dieser Aufnahme, dass bei der Cabriolimousine der hintere Türabschluss genauso verlief wie bei Limousine und Cabriolet. Demnach befand sich hinter der B-Säule ein weiteres Fenster.

Wer sich bislang fragt, weshalb wir so ausführlich auf die Details dieser nicht sonderlich exotischen Hansa-Typen der 1930er Jahre eingehen, wird bei der folgenden Aufnahme verstehen warum:

Hansa 1100 2-sitzige Cabrioletlimousine

Viel erkennt man auf den ersten Blick nicht, leider ist die Aufnahme technisch wie formal von schlechter Qualität. Dennoch ist sie eine nähere Betrachtung wert.

Zunächst sei festgehalten, dass auch dieses Auto ein Hansa 1100 ist, Form und Anordnung der Luftklappen in der Haube lassen in Verbindung mit den gelochten Stahrädern und den Radkappen keinen anderen Schluss zu.

Schaut man durch die Windschutzscheibe der Cabriolimousine, registriert man das Fehlen der B-Säule und des dahinterliegenden kleinen Fensters. Offenbar haben wir es hier mit einer kürzeren Version zu tun, wohl einer 2-sitzigen Ausführung.

Dumm nur, dass die dem Verfasser zugängliche Literatur zwar eine 2-sitzige Ausführung des Cabriolets kennt, nicht aber eine der Cabriolimousine.

Sollten wir es hier mit einer Sonderkarosserie zu tun haben?

Zum Glück besitzen wir eine zweite Aufnahme desselben Wagens, die zwar ebenso missglückt ist, aber trotzdem mehr Aufschluss gibt:

Hansa 1100 Cabriolimousine; Originalfoto aus Sammlung Michael Schlenger

Offensichtlich ist der Dachaufbau kürzer als bei der serienmäßigen Cabriolimousine ist. Das hintere Ende der Tür ist zugleich der Dachabschluss.

Bei allen anderen Karosserieversionen des Hansa 1100 bzw. 1700 endet das Dach hinter der Hinterachse, hier deutlich davor.

Auffallend ist auch die Zierleiste, die der Linie der Motorhaube folgt und hinter der Tür steil nach unten abfällt. Die serienmäßigen Hansa-Wagen besaßen solchen Zierrat nicht.

Man fühlt sich an die Front Luxus Cabrios von DKW erinnert, bei denen die Zierleiste aber raffinierter ausfiel und in Form eines Kometenschweifs auslief.

Eines ist jedenfalls klar: Dieser Hansa 1100 war eine Sonderanfertigung und der Verfasser wagt die These, dass sich eine weniger bekannte Firma daran versucht hat. Möglicherweise war der Wagen sogar ein Einzelstück.

Wie immer sind Kenner der Marke aufgerufen, ergänzende oder korrigierende Informationen beizusteuern, die dann in den Blogeintrag einfließen.

Wäre die Qualität der Aufnahmen besser, wären diese fast ein Kandidat für den „Fund des Monats“ gewesen, doch dafür ist bereits die Aufnahme eines anderen Hansa reserviert – und die wird in jeder Hinsicht beeindrucken…

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Auffallend dezent: Hansa Typ P 8/36 PS Limousine

Dieser Oldtimerblog speziell für Vorkriegsautos „lebt“ vom Fundus an historischen Originalaufnahmen, den der Verfasser zusammengetragen hat.

Neben einer möglichst vollständigen Dokumentation verblichener, aber heute noch bekannter deutscher Marken wie Adler, DKW, Hanomag, Horch und Wanderer sollen hier auch Wagen einstiger Hersteller der zweiten Reihe publiziert werden.

Damit sind angesehene Marken wie NAG, Protos, Röhr und Stoewer gemeint, aber mehr noch Fabrikate, die schon immer nur ein Nischendasein geführt haben: Apollo, Ehrhardt, Koco, Loreley, MAF, Oryx, Rex…

Davon schlummern etliche bislang unpublizierte Fotos im Fundus und bei einigen Exemplaren wird man feststellen, dass von ihnen in der Literatur kaum brauchbare Bilder existieren – ein Motiv mehr für diesen Blog.

Zu den Autobauern, deren Modellgeschichte nur dürftig dokumentiert ist, gehören die Hansa Automobilwerke in Varel (Oldenburg).

Das gilt zwar nicht für die nach der Übernahme durch Borgward ab 1929 gebauten Hansa-Wagen. Doch nur eine handvoll Aufnahmen sind nach Kenntnis des Verfassers vom folgenden Typ der 1920er Jahre publiziert:

Hansa Typ P 8/36 PS; Originalaufnahme aus Sammlung Michael Schlenger

Einer der Gründe dafür, dass man kaum eindeutig identifizierte Fotos dieses Typs findet, ist die ans Beliebige grenzende Schlichtheit des Wagens.

Wer sich ein wenig mit deutschen Autos der 1920er Jahre auskennt, mag hier auch an Modelle von Faun oder NSU denken. Tatsächlich sind es nur winzige Details, die einen Indizienbeweis zulassen (abweichende Meinungen willkommen!).

Erschwert wird die Sache durch die Kühlerabdeckung, die auf eine Entstehung der Aufnahme in der kalten Jahreszeit hindeutet. Zudem irritiert die Stoßstange:

Die Stoßstange ist ein Zubehörteil, das für sich genommen schon wieder interessant ist. Weiß jemand etwas über Hersteller und Konstruktion? Immerhin gab es solche Teile sogar bereits mit stoßabsorbierender Funktion.

Denkt man sich die Stoßstange weg, die heute wohl als „Abstandhalter“ oder „Einparkassistent“ bezeichnet würde, dann klärt sich der Blick und einige Elemente treten hervor, die uns weiterhelfen.

Da wäre zunächst der hoch aufragende Kühler im klassischen Stil des Dreiecksgiebels eines antiken Tempels. So unterschiedliche Marken wie Rolls-Royce und Fiat nutzten dieses Element – beide können wir hier ausschließen.

Die deutsche Firma Faun – ein weiterer Exotenhersteller, von dem allenfalls die Nutzfahrzeuge bekannt sind – verwendete eine ganz ähnliche Kühlerpartie:

Faun Typ K3 6/30 PS; Abbildung aus: „Die Motorfahrzeuge“, 1928

Doch weder die Gestaltung der Vorderschutzbleche noch der Luftschlitze in der Motorhaube „passen“. Auch die Ausführung der Felgen weicht deutlich ab.

Außerdem fehlen die markanten Griffmulden oberhalb der Luftschlitze, die zudem auf unserem Foto nach innen und nicht nach außen geprägt waren.

Damit wären wir bei Details, die sich wohl nur an Hansa-Wagen der Zeit nach dem 1. Weltkrieg finden. Leser dieses Blogs mögen sich daran erinnern, dass wir auf diese Elemente schon einmal hingewiesen haben – in der Rubrik Fund des Monats.

Dort hatten wir eine Chauffeur-Limousine des Typs Hansa P 8/36 PS vorgestellt. Der Aufbau war zwar ein anderer, doch das bedeutet bei solchen in Kleinserie gefertigten Wagen ebensowenig wie etwa abweichendende Scheinwerfer.

Nach der Lage der Dinge haben wir es hier mit einem weiteren Exemplar dieses von 1924-28 gebauten konventionellen Vierzylindertypen zu tun.

Mit einer Leistung von 36 PS aus 2,1 Litern Hubraum war der Wagen für deutsche Verhältnisse durchaus konkurrenzfähig – die Höchstgeschwindigkeit von 90km/h war völlig ausreichend.

Dass es wahrscheinlich ein Hansa der 1920er Jahre ist, darauf weist auch das auf dem Foto erkennbare ovale Emblem auf der Nabenkappe der Räder hin.

Dasselbe Detail findet sich beim Nachfolgertyp Hansa 13/60 PS, der 1927/28 in kleiner Stückzahl mit einem 6-Zylindermotor von Continental gebaut wurde:

Hansa TypA6 13/60 PS; Abbildung aus: „Die Motorfahrzeuge“, 1928

Hier findet man außerdem neben den zehnspeichigen Stahlfelgen mit fünf Radbolzen annähernd dieselbe Kühlerpartie wider.

Wie gesagt, die Zuschreibung beruht auf Indizien, aber immerhin einer ganzen Reihe davon. Wer es besser weiß, ist aufgerufen, seine Sicht der Dinge darzulegen, sie wird hier gern berücksichtigt.

Letztlich geht es darum, bei der Dokumentation seltener Vorkriegswagen über den Stand der teilweise jahrzehntealten Literatur hinauszugehen und Lücken zu schließen, um eines Tages ein vollständigeres Bild zeichnen zu können…

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Elegant und eigenwillig: Der Hansa 1100

In Zeiten, in denen viele Automobile keiner erkennbaren gestalterischen Linie mehr folgen oder im schlimmsten Fall absichtsvoll brachial daherkommen, sind speziell die Wagen der 1930er Jahre ein ästhetischer Genuss.

Da wird man über die bei deutschen Modellen oft magere Motorisierung hinwegsehen, wenn man sich an fließenden Linien, harmonischen Proportionen und raffinierter Farbgebung ergötzen kann.

In der Kleinwagenklasse verkörpern die hinreißenden DKW Front Luxus-Cabriolets wohl am perfektesten das Schönheitsideal der 30er Jahre. Davon kann man sich auf diesem Oldtimerblog hier und hier überzeugen.

In der Mittelklasse würden jetzt vermutlich die Mercedes-Freunde den Schönheitspreis für sich reklamieren. Dabei vergessen sie, dass beispielsweise Wanderer ähnlich gut gestaltete Typen anbot (Bildbericht).

Allerdings fehlte es den Mittelklassemodellen der beiden Marken ein wenig an Eleganz, sie wirken jedenfalls auf den Verfasser recht wuchtig. Darin kam eine Solidität zum Ausdruck, die die Kundschaft schätzte – es ging aber auch anders.

Welche Marke könnte noch in Frage kommen? Nun, Adler und Hanomag boten in der Mittelklasse eher Standard – sie bezogen ihre Karosserien von Ambi-Budd. Klar, es gab auch von Hebmüller, Karmann oder Autenrieth eingekleidete Wagen beider Hersteller, aber das waren Kleinserienprodukte.

Die Mittelklassemodelle von Ford und Opel sind ebenfalls nicht gerade preisverdächtig, wenn es um elegante Erscheinung geht. Das ist keineswegs abwertend gemeint, doch außergewöhnlich waren auch hier eher die Sonderkarosserien von Drauz, Gläser und Co.

Nein, die wohl attraktivsten Karosserien aus eigener Serienfertigung bot in der Mittelklasse die Borgward-Konzernmarke Hansa. Dieses subjektive Urteil soll anhand von drei Originalfotos begründet werden:

Hansa 1100; Originalaufnahme aus Sammlung Michael Schlenger

Das hier abgebildete Modell haben wir bereits an anderer Stelle präsentiert (hier), es ist der Hansa 1100 als zweitürige Limousine.

Eine Aufnahme der raffiniert gestalteten Heckpartie konnten wir aber bislang noch nicht anbieten. Umso erfreulicher ist dieses seltene zeitgenössische Foto.

Das niedrige, coupé-artige Dach mit der ungewöhnlich großen Heckscheibe ließ zunächst an einen englischen Wagen der Oberklasse denken. Doch dazu wollte der Rest des Autos nicht so recht passen.

Den Schlüssel zur Identifikation lieferte die schräggestellte B-Säule, die die Türlinie fortführt und die Neigung der Frontscheibe zitiert. Dieses Detail lässt den Wagen weit schnittiger als viele „Artgenossen“ erscheinen, zumal es mit Chrom akzentuiert ist.

Ansonsten wirkt der Wagen aus dieser Perspektive auffallend schmucklos, aber man hat nicht den Eindruck, dass ihm etwas fehlt.

Auch die kleinen Chromradkappen an den schlichten Scheibenrädern wirken angenehm zurückhaltend. Verfügbar waren allerdings auch gelochte Felgen bzw. Speichenfelgen (beim Sport-Cabriolet).

Dass der Hansa bei aller Eleganz mit eigenwilligen Details aufwartete, ist auf folgendem Bildausschnitt zu sehen:

Hansa 1100 in Innsbruck; Originalfoto aus Sammlung Michael Schlenger

Auf dieser Aufnahme steht der Hansa im Schatten, während die gegenüberliegende Fassade – deren Beschriftung die Lokalisierung in Innsbruck ermöglichte – von der Sonne beschienen ist.

Daher braucht das Auge einen Moment, um die Details der Frontpartie zu erkennen. Typisch für den Hansa 1100 mit 4 Zylindern sind die vier kleinen Luftklappen in der Haube. Der parallel verfügbare 6-Zylindertyp Hansa 1700 hatte fünf davon.

Gut erkennbar ist hier, dass die gesamte Architektur des Vorderwagens bis zur B-Säule der Neigung des Kühlers folgt. So konsequent machte das sonst niemand.

Die Ähnlichkeit der Frontpartie mit der des Citroen 11 CV „Traction Avant“ – vielleicht der beste Mittelklassewagen der 1930er Jahre überhaupt – dürfte Zufall sein; beide Typen wurden 1934 vorgestellt.

Wer bis hierher durchgehalten hat, soll abschließend durch eine Aufnahme der Frontpartie des Hansa belohnt werden. Auch dieses Foto ist eine Rarität, zum Glück wurde es einst als Postkarte reproduziert:

Hansa 1100 oder 1700; Postkarte der 1950er Jahre aus Sammlung Michael Schlenger

Hier sehen wir einen Hansa 1100 -eventuell auch 1700, genau lässt sich das nicht sagen –  über die Eisenbahnüberführung im sächsischen Bad Lausick fahren.

Das Bild ist ein Ausschnitt aus einer zu DDR-Zeiten entstandenen Postkarte. Der Hansa, dessen Produktion 1939 endete, dürfte zum Aufnahmezeit an die 20 Jahre alt gewesen sein, wirkt aber noch gut in Schuss.

Wer ein solches Schätzchen über den Krieg gerettet hatte – es gibt auch Aufnahmen von eingezogenen Hansa-Wagen bei der Wehrmacht – konnte sich glücklich schätzen.

Überhaupt ein Auto zu besitzen, war nach dem Krieg ein Privileg und auch für viele ostdeutsche Landsleute die Basis für geschäftlichen Erfolg – zumindest solange das zunehmend rabiater vorgehende Regime diesen noch duldete.

Mit dem 28 PS-Viertaktmotor und seiner Ganzstahlkarosserie war der Vorkriegs-Hansa bis zum Ende des „Arbeiter- und Bauernstaats“ die bessere Wahl gegenüber den meisten jüngeren Hervorbringungen der verstaatlichten Autoindustrie.

Die Ersatzteilversorgung mag zwar ein Problem gewesen sein, aber das waren die nach 1945 von „Volksgenossen“ zu „Genossen“ beförderten DDR-Insassen von der sozialistischen Mangelwirtschaft auch bei neuen Produkten gewöhnt.

Interessant wäre zu erfahren, ob in Ostdeutschland vielleicht mehr von den Hansa-Wagen der 1930er Jahre überlebt haben als im Westen. Viele werden es insgesamt jedenfalls nicht sein – Fahrzeuge dieses Typs sind äußerst selten.

Wer sich für die Eleganz der 1930er Jahre begeistert, eine Prise Eigenwilligkeit schätzt und damit leben kann, dass deutsche Autos jener Zeit keine PS-Monster sind, dürfte mit einem solchen Hansa glücklich werden – wenn er einen findet…

© Michael Schlenger, 2017. All entries in this blog (including embedded photos) are copyrighted by the author, unless otherwise indicated. Excerpts and links may be used, provided that credit is given to Michael Schlenger and http://www.klassiker-runde-wetterau.com with appropriate and specific direction to the original content.

FUND DES MONATS: Hansa Typ P Chauffeur-Limousine

Das Jahr 2016 neigt sich seinem Ende entgegen. Freunde von Vorkriegsautos konnten sich auf diesem Oldtimerblog bisher an mehr als 360 Einträgen mit Originalfotos erfreuen – und bis zum Jahreswechsel kommen noch etliche dazu.

Bisher wurden hier meist gängige Marken und Typen vorgestellt, um die Automobilgeschichte im deutschsprachigen Raum bis 1945 breit zu dokumentieren.

Bei einigen Herstellern wie BMW, DKW und Hanomag lässt sich in den Bildergalerien inzwischen fast die komplette Vorkriegshistorie in alten Fotos nachvollziehen.

An der Vervollständigung des Bildes wird weitergearbeitet; speziell bei Ford und Opel gibt es noch viel zu tun. Gleichzeitig wird für die Liebhaber des Ungewöhnlichen von nun an jeden Monat ein außerordentliches Fundstück präsentiert.

Die Rede ist nicht von raren Prestigegefährten, wie sie einst Schauspieler, Playboys und Maharadschas fuhren. Hier geht es um Serienwagen, die weitgehend in Vergessenheit geraten und in der Literatur kaum dokumentiert sind.

Den Anfang macht dieses Fahrzeug:

© Hansa Typ P, aus Sammlung Michael Schlenger

Na, wer hat auf Anhieb eine Idee, wer der Hersteller dieses großzügigen Wagens gewesen sein könnte?

Der Verfasser dachte mit Blick auf den Kühler zunächst an Fiat, dann an NSU, fand aber keine genaue Übereinstimmung und gab für’s erste auf. Unterdessen fand ein vergriffenes Buch der 1970er Jahre seinen Weg ins Privatarchiv: „Autos in Deutschland 1920-1939“, von Hans-Heinrich von Fersen.

Der 1996 verstorbene Baltendeutsche hinterließ ein automobilhistorisches Werk, auf dem Koryphäen wie Werner Oswald und Halwart Schrader aufbauten und von dem wir auch nach über 40 Jahren profitieren können.

Denn auf Seite 181 der 1975er Ausgabe des von Fersen’schen Buchs findet sich ein altes Katalogbild des Wagens auf unserem Foto. Eine andere Aufnahme in gleicher Qualität ist dem Verfasser in der gedruckten Literatur bislang nicht begegnet.

Hier haben wir sogar ein zeitgenössisches Originalfoto! Schauen wir genauer hin:

Drei Elemente sind es, die eine Identifikation erlauben: Da ist zunächst die Kühlermaske im strengen Stil einer antiken Tempelfassade mit schmucklosem Dreiecksgiebel. Das verspielte Hansa-Logo ist darauf nur zu erahnen.

Typisch ist des Weiteren der Verlauf der Innenseite der Vorderschutzbleche. Sie decken die sonst sichtbaren Rahmenausleger komplett ab, sehr elegant gelöst.

Markant sind außerdem die nach innen gewölbten Luftschlitze in der Motorhaube, ein wohl einzigartiges Detail. Auch die Griffe zum Aufrichten der Haube sind als Mulden ausgeführt und nicht aufgesetzt.

Alle diese Details finden sich am Typ P der norddeutschen Firma Hansa, die sich zwar nicht durch technische Innovationen, aber eine ziemlich komplizierte Markengeschichte auszeichnete.

Nach der Trennung der Hansa Automobilwerke (Varel) von Hansa-Lloyd (Bremen) im Jahr 1921 fertigte man zunächst ein Vorkriegsmodell weiter, den Typ D 10/30 PS. Dann bot man bis 1928 einen neuen Typ P 8/30 bzw. 8/36 PS an.

Die Angaben zu diesen Modellen sind widersprüchlich, stimmen aber hinsichtlich des Hubraums (2,1 Liter) und der Leistung annähernd überein. Mit 4-Gang-Getriebe und Vierradbremse (ab 1924) war der Hansa Typ P für deutsche Verhältnisse konkurrenzfähig, aber ansonsten technisch unauffällig.

Von dem Modell wurden wohl nur einige hundert Exemplare gefertigt. Offenbar wurde der Hansa Typ P aber von einigen begüterten Käufern als Möglichkeit wahrgenommen, sich von gängigen Prestigewagen abzuheben.

Unser Foto ist ein Beleg dafür, denn es zeigt einen aufwendigen Aufbau als Chauffeur-Limousine:

Kennzeichnend ist das abgeschlossene Passagierabteil (mit Schiebefenster) mit davor befindlicher Fahrerkabine. Letztere war bei älteren Ausführungen noch nicht überdacht, dann sprach man von einem „Außenlenker“ (Coupé de Ville).

In den 1920er Jahren waren Außenlenker bereits überholt und selbst Wagen mit separatem überdachten Fahrerabteil gerieten aus der Mode. Solche Aufbauten wurden im deutschen Sprachraum als Chauffeur-Limousine bezeichnet.

Übrigens sieht man auf dieser Ausschnittsvergrößerung die Trittschutzbleche am Seitenschweller, deren Form sich nur am Hansa Typ P nachweisen lässt.

Dass ein Auto dieses Typs mit dem hier abgebildeten Aufbau irgendwo überlebt hat, können wir getrost ausschließen. Der Verfasser würde sich aber auch freuen, wenn er hier irrt – denn ein solcher Wagen wäre eine absolute Rarität.

Hansa 1700 Cabrio-Limousine in der Nachkriegszeit

Auf hochkarätigen Klassikerveranstaltungen hierzulande wie den Classic Days auf Schloss Dyck und der Classic Gala im Schlosspark Schwetzingen findet der Liebhaber von Vorkriegsautos Fahrzeuge, die schon als Neuwagen Raritäten waren.

Oft weiß man vor lauter Bentleys, Bugattis, Delahayes, Mercedes und Rolls-Royce kaum, wohin man schauen soll – herrlich! Aus Sicht des Verfassers zu kurz kommen aber einige extravagante Autos der Mittelklasse, die heute mindestens genauso selten sind.

Dazu zählen unter den deutschen Marken neben den eleganten DKW Front Luxus Cabriolets auch die sehr schön gezeichneten Hansa-Wagen aus dem Borgward-Konzern.

Zeitgenössische Fotos der Hansa-Typen 1100 und 1700 sind außerordentlich rar. Ein Originalfoto eines Horch der 1930er Jahre zu finden, ist dagegen ein Kinderspiel. Auf diesem Blog konnte immerhin bereits ein Hansa 1100 präsentiert werden.

Heute können wir ein hervorragendes Foto des 6-Zylindermodells Hansa 1700 zeigen:

© Hansa 1700; Originalfoto aus Sammlung Michael Schlenger

Wenn man die zwar gut proportionierten, aber massigen Formen zeitgenössischer Hanomags und Mercedes vor Augen hat – von Opel ganz zu schweigen – wirkt dieser Wagen fast französisch leicht und elegant. Man fühlt sich an den Citroen Traction Avant erinnert, der bei einigen Ausführungen ähnliche Luftklappen in der Motorhaube aufwies.

Wer ein Auge für so etwas hat, wird bemerken, dass besagte Klappen präzise der Neigung der Kühlermaske folgen und die Form der Fahrerkabine zitieren. Bei dem abgebildeten Wagen handelt es sich übrigens nicht um die Cabriolet-Ausführung, die nur 2 Fenster hatte, sondern um eine Cabriolimousine mit feststehenden Scheibenrahmen.

Der Zustand des Hansa ist leider nicht mehr der beste, wie ein genauerer Blick zeigt:

Der Hansa 1700 –die fünf Lüftungsklappen unterscheiden ihn vom 4-Zylinder-Typ 1100 – weist deutliche Gebrauchsspuren auf. Die Stoßstange wirkt improvisiert, die Reifen sind stark abgefahren und das Vorderschutzblech ist an mehreren Stellen zerkratzt.

Das Nummernschild ist ein von 1949-56 gebräuchliches Kennzeichen aus der französischen Besatzungszone Rheinland-Pfalz („FR“). Die Ziffernfolge „04“ steht für eine Zulassung im Landkreis Germersheim.

Den genauen Ort und Anlass der Aufnahme kennen wir nicht. Die Nadelstreifenhose des Fahrers lässt vermuten, dass man unterwegs zu einer festlichen Veranstaltung war – vielleicht einer Hochzeit.

Gut zu erkennen sind hier die oben montierten Scheibenwischer und der Winker im Frontscheibenrahmen. Der Eindruck, dass die Tür schief sitzt, täuscht – die Neigung ergibt sich aus dem schrägen Verlauf des Türendes.

Auch im Heckbereich weist einiges auf ein bewegtes Leben dieses Fahrzeugs hin. So fehlt die Radkappe und die Lackierung hat ihre besten Zeit hinter sich. Dennoch stellte ein so elegantes 6-Zylinderauto nach dem Krieg einen enormen Wert dar. Dank Ganzstahlkarosserie war der Hansa selbst nach vielen Jahren noch ausreichend robust.

Erst mit dem Siegeszug des Volkswagens ab Mitte der 1950er Jahre verschwanden solche hochwertigen Vorkriegsautos schnell aus dem Straßenbild. Unsere Aufnahme dürfte nach Lage der Dinge in der ersten Hälfte der 50er Jahre entstanden sein.

Man kann sich zwar kaum vorstellen, dass einst jemand einen Hansa 1700 wie den auf unserem Foto verschrotten ließ, doch muss es in vielen Fällen so gewesen sein. Heute gibt es nur noch sehr wenige überlebende Exemplare. Eines davon war 2012 beim Oldtimertag in Herbstein (Vogelsberg) zu sehen (siehe dortige Bildergalerie).

Ein Borgward der 1930er Jahre: der Hansa 1100

Mit dem Namen Borgward verbindet man vor allem die modernen Ponton-Wagen der 1950er Jahre des Bremer Herstellers. Auf diesem Blog wurde bereits Borgwards moderne Nachkriegskonstruktion Hansa besprochen, die 1949 vorgestellt wurde, als man bei der inländischen Konkurrenz noch im Tiefschlaf zu liegen schien.

In der Vorkriegszeit allerdings gehörte Borgward noch nicht zu den erfolgreichsten Produzenten. Erst 1931 hatte man die Hansa-Automobilwerke übernommen, deren Geschichte in einem separaten Artikel zu finden ist.

Im Konzern von C.F. Borgward ließ man die Marke Hansa weiterleben und entwickelte neue PKW-Modelle, die den traditionsreichen Namen trugen. Ein Achtungserfolg wurde der von 1934-39 gebaute Hansa 1100 bzw. 1700. 

Der als Vier- und Sechszylinder erhältliche Typ zeichnete sich vor allem durch eine ausgesprochen elegante Form aus, die den Wagen von den meisten deutschen Konkurrenten in seiner Klasse absetzte.

Die folgende zeitgenössische Originalreklame lässt den Wagen zwar länger und niedriger erscheinen, als er tatsächlich war, gibt die Linienführung aber recht gut wieder:

© Originalreklame für den Hansa 1100 bzw. 1700 aus Sammlung Michael Schlenger

Interessant ist, dass die Werbeleute in dieser Anzeige kein Wort zur Leistung der Motoren verloren. Offenbar war man sich bewusst, dass die über eine Tonne schweren Wagen mit dem 28 bzw. 40 PS starken Antrieb untermotorisiert waren.

Die Aggregate wiesen zwar zeitgemäße Konstruktionsmerkmale wie hängende Ventile auf, die gegenüber Seitenventilen einen besseren Gaswechsel ermöglichten. Doch bei 1,1 bzw. 1,7 Liter Hubraum wäre mehr standfeste Leistung möglich gewesen.

Der Vergleich mit dem Fiat 1100 bzw. 1500 macht dies deutlich: Der 1100er verfügte über einen 1934 vorgestellten Vierzylinder, der an sich 36 PS leistete, für die Großserie aber auf 32 PS gedrosselt wurde. Bei einem Wagengewicht von nur 850 kg reichte das für 105 km/h Spitze. Der 45 PS starke Sechszylinder des Fiat 1500 ermöglichte ab 1935 sogar 115 km/h.

Der Hansa 1100 dagegen kam gerade einmal auf 90 km/h Höchstgeschwindigkeit, der 1700er erreichte immerhin die 100km-Marke. Kein Wunder, dass den beiden Modellen kein großer Erfolg beschieden war. In den immerhin fünf Jahren Produktionszeit setzte man keine 30.000 Stück davon ab. Fiat verkaufte allein vom 1100er in nur zwei Jahren fast 60.000 Exemplare, viele davon auch in Deutschland.

Während man an Vorkriegsfotos des Fiat 1100 bzw. 1500 recht leicht gelangt, stellt eine historische Aufnahme eines Hansa 1100 bzw. 1700 eine Rarität dar:

© Hansa 1100; Originalfoto der späten 1930er Jahre aus Sammlung Michael Schlenger

Typisch für den Hansa 1100 bzw. 1700 sind neben der starken Neigung der Kühlerpartie und dem lang auslaufenden Heck die kleinen Luftklappen in der Motorhaube. Sie sind in dieser Größe und Form bei deutschen Marken nur beim Hansa zu finden.

Der Sechszylinder-Typ 1700 wies eine etwas längere Haube und eine zusätzliche Luftklappe auf, sodass unser Foto das Vierzylinder-Modell Hansa 1100 zeigt. Hier nochmals die markante Frontpartie im Detail:

Der Bildausschnitt liefert auch die entscheidende Hinweise auf die Datierung des Fotos:

Der Wagen im Hintergrund ist eine Opel Olympia Cabriolimousine, die ab 1935 gebaut wurde. Zu erkennen ist das Modell an der stark geneigten Windschutzscheibe, der Form des Ausstellfensters und dem – im Unterschied zum Opel Kadett – starken Mittelholm mit integriertem Winker.

Der Hansa war zum Aufnahmezeitpunkt schon stark gebraucht, wie der Zustand der Radkappe und der Stoßstange verraten. Das Nummernschild ist noch eines in der bis 1945 gebräuchlichen Form. Das Foto muss vor Kriegsausbruch entstanden sein, sonst hätten die Scheinwerfer die vorgeschriebenen Tarnüberzüge besessen.

Nach der Lage der Dinge ist das Bild frühestens 1935, aber wohl eher erst kurz vor Beginn des 2. Weltkriegs entstanden. Ob der nachdenklich schauende Fahrer des mit Hakenkreuzfähnchen versehenen Opel Olympia etwas von dem sich anbahnenden Unheil ahnte? Vermutlich nicht.

Spurlos vorübergegangen wird der Krieg an den acht Personen aus dem Großraum Berlin auf unserem Foto jedenfalls nicht gegangen sein. Auch für den Hansa standen die Überlebenschancen schlecht – heute ist ein solcher Wagen außerordentlich selten.

Übrigens: die merkwürdig hängende Tür auf dem Foto ist nicht defekt, sondern weist aufgrund des schräg verlaufenden Anschlags geöffnet eine entsprechende Neigung auf:

Auf diesem Blog ist außerdem ein Porträt des 6-Zylindertyps Hansa 1700 zu finden.

Kaiserzeit trifft Moderne: unterwegs in einem Hansa Typ C

Die Marke Hansa sagt heute allenfalls noch Freunden des einstigen Bremer Herstellers Borgward etwas. Die letzten Autos, die den ehrwürdigen Namen trugen, waren die bis 1958 gebauten Wagen des 6-Zylinder-Typs Borgward Hansa 2400.

Die wechselhafte Geschichte von Hansa ist einem separaten Bildbeitrag zu entnehmen. Hier soll näher auf ein spezielles Modell eingegangen werden, das auf folgendem Originalfoto der 1920er Jahre zu sehen ist:

© Hansa Typ C 8/24 PS; Originalaufnahme aus Sammlung Michael Schlenger

Auf den ersten Blick scheint das ein kaum identifizierbarer Tourenwagen zu sein, wie er von vielen Herstellern kurz vor und kurz nach dem 1. Weltkrieg gebaut wurde.

Oft unterschieden sich diese Wagen ab der Windschutzscheibe kaum. Die den Insassen vorbehaltene Partie folgte Mustern der Kutschbauzeit und wurde von den Karosseriebauern meist ähnlich ausgeführt.

So schnell darf man bei solchen alten Aufnahmen aber nicht aufgeben. Hinter vermeintlicher Durchschnittsware verbergen sich oft interessante Marken und Typen. Das geschulte Auge wird zunächst die individueller gestaltete Frontpartie nach Details abzusuchen, die eine Abgrenzung von anderen Fahrzeugen erlauben.

Zwar kann man im vorliegenden Fall kein Markenlogo erkennen, aber zwei gestalterische Elemente fallen aus dem Rahmen:

Da ist zum einen die Vorwölbung des Oberteils der Kühlermaske. Sie würde an sich zu einem der typischen Spitzkühlermodelle jener Zeit passen. Doch hier ist ein Flachkühler verbaut – diese Kombination findet sich bei nur sehr wenigen Autos.

Wohl einzigartig ist die rippenförmige Profilierung der Vorderschutzbleche, die sowohl außen wie auch innen zu erkennen ist. Sie diente der Stabilisierung des vibrationsanfälligen Kotflügelblechs und stellt eine ungewöhnliche Anwendung organischer Gestaltungsprinzipien im frühen Automobilbau dar.

Interessant wäre zu wissen, ob die Schutzbleche ihre Struktur bei der Produktion in einer Blechpresse erhielten oder ob sie aufwendig von Hand in diese Form getrieben wurden. Da der Automobilbau bei Hansa Manufakturcharakter hatte, ist letzteres zu vermuten.

Jedenfalls finden sich die beiden genannten Details präzise bei einem Hansa des Typs C 8/24 PS wieder, der in Halwart Schraders Standardwerk „Deutsche Autos 1885-1920“ abgebildet ist. Der Wagen dort steht auch im selben Winkel da. Allerdings unterscheiden sich die Scheinwerfer, dazu später mehr.

Der Hansa Typ C 8/24 PS wurde von 1911-1913/14 gebaut und bot technisch keine Überraschungen. Der 2 Liter große Seitenventiler war immerhin mit einem 4-Gang-Getriebe gekoppelt und beschleunigte den Wagen auf bis zu 75 km/h. Zeittypisch waren nur Hinterradbremsen verbaut. Immerhin befand sich der Schalthebel nicht mehr außen, was bei anderen Herstellern noch lange üblich bleiben sollte.

Viel mehr gäbe es zu dem Wagen an sich nicht zu sagen, doch sollen auch die Insassen gewürdigt werden, die eine ungefähre Datierung der Aufnahme erlauben:

Es bedarf keiner großen Phantasie, um hier eine Familie zu erkennen. Der verhalten freundlich schauende Herr im Vordergrund strahlt ganz die Würde eines Patriarchen aus der Zeit des 1918 untergegangenen Kaiserreichs aus. Sein gezwirbelter Schnauzbart und der Stehkragen verraten, aus welcher Zeit seine modischen und vielleicht auch weltanschaulichen Ideale stammen.

Der Sohn zu seiner Rechten ist dagegen ein Botschafter der Moderne. Glattrasiert, die Haare seitlich militärisch kurz, mit Kragen und Krawatte in der bis heute üblichen Form hätte er genausogut aus den 1930 oder 1950er Jahren stammen können. Hinten im Wagen dürften seine burschikos wirkende Schwester mit Bubikopf der 1920er Jahre und – vermutlich – die wenig begeistert dreinschauende Mutter sitzen.

Das Bild ist von großem Reiz, nicht nur wegen des seltenen Wagens, sondern wegen der Momentaufnahme, in der uns Vertreter zweier unterschiedlicher Welten ansehen.

Die Elterngeneration wurzelte noch im 19. Jh., war aber schon mit einem heute unvorstellbaren Innovationstempo großgeworden. Ihre Sprösslinge waren bereits ganz Kinder der Moderne, die Sachlichkeit und Effizienz als neue Tugenden predigte und sich von den Traditionen des alten Europa entfremdet hatte.

Der Hansa steht ebenfalls an der Nahtstelle zwischen Gestern und Heute. Vor dem 1. Weltkrieg gebaut, diente er später immer noch treu als Familienkutsche. Hierzulande war ein solcher Wagen bis Mitte der 1920er Jahre weder formal veraltet noch untermotorisiert. Man hat ihm sogar neue Scheinwerfer spendiert, darunter auch zwei elektrisch betriebene; vermutlich gab es entsprechende Nachrüstsätze.

In Frankreich und England sind solche Gefährte aus Familienbesitz oft bloß weggestellt worden, als sie endgültig überholt waren. Dort haben viele dieser Veteranen überlebt, oft in sehr originalem Zustand. In Deutschland wurde auch diesbezüglich nach dem 2. Weltkrieg leider zu gründlich „Ordnung gemacht“…

Hansa: Gesichter einer Automarke von 1908-1958

Die erste Hälfte des 20. Jahrhunderts sah zahllose Automobilmarken aufsteigen und wieder untergehen. Über viele gibt es nicht einmal nennenswerte Literatur – oft sind nur historische Fotos und Werbeanzeigen als Dokumente verfügbar.

Zwar bietet das Internet heute die Möglichkeit, Interessenten die verfügbaren Informationen in konzentrierter Form zugänglich zu machen. Davon wird aber zu wenig Gebrauch gemacht. Ausnahmen wie die Online-Präsenz der Marke Steiger bestätigen die Regel.

Zu den deutschen Autonamen jener Zeit, die eine ausführliche Würdigung verdienen, gehört die zwischen 1908 und 1958 existierende Marke Hansa. Hier wird nicht der Versuch einer ausführlichen Schilderung der wechselhaften Markengeschichte unternommen. Doch ein allgemeiner Überblick ist mit „Bordmitteln“ darstellbar:

Der Ursprung der Marke Hansa liegt in einer 1905 im friesischen Städtchen Varel gegründeten Automobilfabrik, die – wie die Stettiner Firma Stoewer – anfänglich Einzylinder-Wagen nach französischem Muster unter der Marke HAG baute.

1908 wurden dann Wagen mit selbstentwickeltem 4-Zylinder-Motor präsentiert, die erstmals den Namen Hansa trugen. Wie sich wenig später zeigte, war der Name passend gewählt, obwohl das kleine Varel nie zum Städtebund der Hanse gehörte. Folgende Abbildung ist eine Wiedergabe eines zeitgenössischen Fotos eines zweisitzigen Hansa Typ A von 1908:

© Hansa Typ A von 1908; Reproduktion eines zeitgenössischen Fotos; Sammlung Michael Schlenger

Zu dem gezeigten Wagen des Typs A sind nur spärliche bzw. widersprüchliche Informationen verfügbar – möglicherweise handelt es sich um ein Fahrzeug, das Sporteinsätze für Hansa absolvierte. Die Leistung des kleinvolumigen Vierzylindermotors  wurde von anfänglich 12 auf später 16 PS gesteigert. Daneben gab es einen Typ B mit 20 PS Leistung. Außer als Zweisitzer waren die ersten Hansa-Wagen auch als großzügige Tourer erhältlich.

Ab 1911 wurde der auf folgendem Originalfoto zu sehende Typ C gebaut, der bis zu 24 PS aus gut 2 Liter Hubraum schöpfte und schon ein 4-Gang-Getriebe besaß:

© Hansa Typ C 8/24 PS; Originalaufnahme aus Sammlung Michael Schlenger

Zu diesem Fahrzeug gibt es ein separates Porträt, da es einige Besonderheiten aufweist und zudem etwas über seine Besitzer verrät. Inzwischen hatte sich Hansa einen soliden Ruf erarbeitet und vertrieb Wagen außer im Deutschen Reich auch in Österreich-Ungarn. 

1914 – kurz vor Ausbruch des 1. Weltkriegs – stand die erste der vielen Wandlungen der Marke Hansa an. Hansa schloss sich mit der Automobilsparte des Norddeutschen Lloyd zusammen, die in der Hansestadt Bremen Wagen unter der Marke Lloyd fertigte. Damit gewann der Markenname Hansa nachträglich seine Berechtigung, änderte sich allerdings in Hansa-Lloyd:

© Hansa-Lloyd-Originalreklame, 1914/15; Sammlung Michael Schlenger

Zwar existieren weitere, grafisch oft reizvolle Reklamebilder von Hansa-Lloyd-Wagen aus der Zeit von 1914-18, doch verlagerte sich die Produktion nach Kriegsausbruch auf Militärlastwagen. Von den beworbenen Zivilfahrzeugen wurden vermutlich nur wenige gebaut und diese landeten dann wohl auch eher als Offizierswagen an der Front:

© Hansa-Lloyd-Originalreklame, 1914-16; Sammlung Michael Schlenger

Nach dem verlorenen Krieg lief die Automobilproduktion nur mühsam wieder an. Die Modelle, die noch vor Kriegsausbruch entwickelt worden waren, stellten formal wie technisch immer noch zeitgemäße Fahrzeuge dar. Für Neukonstruktionen fehlten ohnehin die Mittel und die Nachfrage.

So fällt es bei vielen deutschen Marken schwer, die Modelle der frühen Nachkriegszeit von ihren unmittelbaren Vorgängern zu unterscheiden. Die oft als „typisch deutsch“ bezeichneten Karosserien mit Spitzkühlern, geteilter Frontscheibe und schnittigen Linien waren bereits 1914 in Mode.

So hätte auch Hansa-Lloyd mit den im Krieg beworbenen Modellen weitermachen können. Hier zwei Beispiele aus dem Jahr 1916, die dies veranschaulichen:

© Hansa-Lloyd-Originalreklame, 1916; Sammlung Michael Schlenger

Doch sollte Hansa-Lloyd nach Ende des 1. Weltkriegs bis Mitte der 1920er Jahre weiterhin überwiegend Lastkraftwagen bauen. 1921 trennte sich die Firma Hansa aus Varel wieder von der Bremer Hansa-Lloyd und baute unter der alten Marke ein bewährtes Vorkriegsmodell in geringen Stückzahlen weiter.

Da beide Hersteller wirtschaftliche Schwierigkeiten hatten, schlossen sie sich 1929 erneut unter dem Namen Hansa-Lloyd zusammen. Wie bei anderen Nischenproduzenten war jedoch die Pleite im Umfeld der Weltwirtschaftskrise nicht mehr aufzuhalten.

Im Unterschied zu anderen damals untergegangenen Marken hatte Hansa-Lloyd noch Glück. Denn ein gewisser Carl C.F. Borgward aus Bremen nutzte damals die Gelegenheit, um seine Lieferwagenfertigung durch Übernahme von Hansa-Lloyd zu erweitern und um eine PKW-Produktion zu ergänzen.

Dazu wurde Anfang der 1930er Jahre eine neue Fahrzeugfamilie entwickelt, in der der alte Markenname Hansa weiterleben sollte. Zwar war der Erfolg gering, doch Mitte der 1930er Jahre sollte mit den attraktiv gestalteten und modernen Modellen Hansa 1100 und 1700 ein erneuter Versuch gelingen:

© Hansa-Originalreklame, um 1935; Sammlung Michael Schlenger

Kurz vor Beginn des 2. Weltkriegs endet die Produktion von Borgward-Fahrzeugen unter der Marke Hansa. Den Krieg über war Borgward weitgehend in die Herstellung von Rüstungsgütern eingebunden. Die Produktionsanlagen in Bremen wurden zwar 1944 durch Luftangriffe weitgehend zerstört. Jedoch ging die Fertigung in ausgelagerten Fabriken weiter.

Nach Kriegsende stellte man bei Borgward zunächst LKW her. 1948 kehrte Unternehmenschef Borgward aus amerikanischer Gefangenschaft zurück und gab die Produktion eines von ihm zwischenzeitlich entwickelten Wagen in moderner Pontonform in Auftrag. Das neue Modell erschien 1949 als erste deutsche PKW-Neukonstruktion nach dem Krieg und ließ über Nacht Wagen wie den Mercedes 170V alt aussehen. Hier ein zeitgenössisches Originalfoto:

© Borgward Hansa, um 1950; Sammlung Michael Schlenger

Mit dem Hansa 1500 und dem 1952 präsentierten Hansa 1800 etablierte sich Borgward als ernstzunehmender Anbieter in der Mittelklasse. Die außen wie innen großzügigen Wagen mit modernem Fahrwerk sprachen erfolgreiche jüngere, stilbewusste Käufer an, wie man auf vielen Fotos jener Zeit erkennen kann.

Den traditionsreichen Markennamen Hansa verwendete Borgward nochmals beim bis 1958 gebauten Modell 2400. Dieser Wagen verfügte über 6-Zylinder-Motoren, die bis zu 100 PS leisteten. Mit diesem eindrucksvollen Fahrzeug fand die Geschichte der Marke Hansa nach 50 Jahren ihren Abschluss. 

Drei Jahre später – 1961 – ging Borgward in Konkurs, vielleicht unnötigerweise. Jedenfalls hätte der überschaubaren Markenlandschaft hierzulande ein weiterer Qualitätsanbieter gut getan…

Das Fabrikgebäude in Varel, in dem vor dem 1. Weltkrieg die ersten Autos der Marke Hansa entstanden, existiert übrigens noch. Derzeit wird nach einer Nutzung gesucht, die den Bestand des Bauwerks gewährleistet und auch seiner Historie gerecht wird (Website).