Ein Traum in 3D: Audi „Front“ 225 Cabriolet

Nur selten hat man bei historischen Aufnahmen von Vorkriegsautomobilen die Gelegenheit, ein und denselben Wagen aus mehreren Perspektiven präsentiert zu bekommen.

Heute kann ich ein schönes Beispiel dafür zeigen – anhand des hier wiederholt besprochenen Audi „Front“, der von 1933 bis 1938 gebaut wurde. Keine 5.000 Exemplare entstanden einst von dem exklusiven Zwickauer Sechszylinder mit Vorderradantrieb.

Wer bei Zwickau vornehmlich an Horch denkt, liegt keinesfalls daneben, denn ab Mitte 1934 wurde der Audi Front ebenfalls im Horch-Werk gebaut. Im bisherigen Werk war für die Nischenmarke kein Platz mehr – die Fertigung der populären DKWs ging vor.

Schon daran sieht man, wie sehr sich die Audi-Welt von heute von der Vorkriegszeit unterscheidet. Bei der Gelegenheit ist zu sagen, dass die nach dem Krieg in Ingolstadt wiederbelebte Marke sich heute vorbildlich um die vier einst sächsischen Marken kümmert, die im Auto Union-Verbund zusammengeschlossen waren – woran die vier Ringe des Audi-Emblems bis heute erinnern.

Tatsächlich war der Audi „Front“ der erste Wagen der Marke, der damit ausgestattet war:

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Audi „Front“ von 1934/35; Originalfoto aus Sammlung Michael Schlenger

Diese Aufnahme habe ich hier vor einigen Monaten zusammen mit den Vorgängerversionen besprochen – sie soll den Auftakt für eine 3D-Reportage der prachtvollen Cabriolet-Version des Audi „Front“ darstellen.

Alle nun folgenden Aufnahmen stammen von ein und demselben Wagen aus dem Raum Annaberg/Erzgebirge und sind am gleichen Tag entstanden. Auf den winzigen Abzügen – von einem Fotogeschäft in Schwarzenberg/Sachsen – haben sich mehrere sehr reizvolle Ansichten erhalten, die ich nun der Reihe nach präsentiere.

Die unspektakulärste ist diese Aufnahme von der Seite, die einen unverstellten Blick auf die makellosen Linien der von Gläser in Dresden gelieferten Karosserie bietet:

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Audi „Front“ 225 Cabriolet; Originalfoto aus Sammlung Michael Schlenger

Wie eine Raubkatze, die zum Sprung ansetzt, wirkt hier der Wagen, der bei einem Gewicht von 1,5 Tonnen gerade einmal 50 PS leistete.

Die nach vorn hin ansteigenden Linie der seitlichen „Schürzen“ an den Vorderschutzblechen unterstützt diesen Eindruck ebenso wie die nach hinten abfallende Gürtellinie mit dem dezent angesetzten Kofferraum.

Optisch scheint hier mehr Gewicht auf dem Heck als auf dem langen Vorderwagen zu liegen, obwohl dieser den Motor und das davor angebrachte Getriebe beherbergt.

Das ist schon sehr raffiniert gestaltet, auch wenn man hier den grafischen Effekt vermisst, den die Zweifarblackierung des Audi auf dem ersten Foto hervorruft.

Doch die Besitzer scheinen diese puristische Anmutung geschätzt zu haben – offenbar liebten sie eine einheitlich helle Farbgebung nicht nur bei ihrem Wagen:

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Audi „Front“ 225 Cabriolet; Originalfoto aus Sammlung Michael Schlenger

Für mich ist diese Aufnahme ein Beispiel dafür, dass die Anwesenheit von Menschen auf solchen Fotos den abgebildeten Wagen die Anmutung als rein technisches Objekt nimmt – sie vielmehr mit Leben füllt und oft den Wagen zu einem gleichrangigen Begleiter ihrer Besitzer und Insassen macht.

So müssen unsere Altvorderen das einst ebenfalls empfunden haben, sonst wären nicht massenweise solche Aufnahmen entstanden, die Mensch und Maschine harmonisch vereint zeigen.

Das obige Foto ist zweifellos ein besonders schönes Exemplar – allein schon aufgrund des wunderbar geschnittenen Reisekleids, das zugleich hochgeschlossen und doch körperbetont daherkommt – so etwas sieht man heute leider nicht mehr.

Mag die gekonnt posierende junge Dame auch ein wenig ernst dreinschauen, begegnet sie uns auf der nächsten Aufnahme schon freundlicher:

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Audi „Front“ 225 Cabriolet; Originalfoto aus Sammlung Michael Schlenger

Nanu, warum war denn auf der anderen Seite kein Ersatzrad zu sehen?

Allein dies macht schon den Wert dieses Bilds aus, denn nun bekommt man einen Eindruck davon, wie ein seitlich montiertes Reserverad die Linienführung verändert.

Im direkten Vergleich wirkt es auf einmal störend – doch ganz darauf verzichten wollte der Besitzer des Audi nicht darauf, daher entschied er sich für die Option „ein Ersatzrad“, wobei auch zwei oder (eher theoretisch) keines möglich gewesen wären.

Dass es in den 1930er Jahren oft dem Kunden überlassen blieb, wieviel Sicherheit er in Form von Reserverädern mit sich führen wollte, spricht für das damals bereits deutlich gesunkene Risiko eines Plattfußes – Hufnägel auf den Straßen waren selten geworden.

Das Beste auf unserem kleinen Rundgang um den Audi „Front“ 225 kommt aber zum Schluss.

Nicht nur, dass die folgende Aufnahme eine eher rare Heckansicht zeigt, auch unsere anfänglich etwas unnahbar erscheinende junge Dame zeigt hier neue Seiten:

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Spielerisch turnt sie auf dem Trittbrett und hält sich dabei an der Oberkante des etwas heruntergekurbelten Seitenfensters (siehe das erste Foto aus dieser Reihe) fest.

Sportlich-elegant ist abermals die Wirkung des raffiniert geschnittenen Kleids, das die perfekte Ergänzung zu diesem Audi darstellt – so etwas hätte man auch in einer damaligen Modezeitschrift erwarten können.

So reizvoll die Szene ist, sei der Vollständigkeit halber auf ein technisches Detail hingewiesen, das die Ansprache dieses Audi als Typ „Front“ 225 ab April 1935 erlaubt.

Denn im Unterschied zur äußerlich sonst identischen Vorgängerversion war hier aufgrund umfangreicher Änderungen unter der Haube der Benzintank ins Heck gewandert, was eine Neugestaltung des Kofferraums erforderte.

Wenn nicht alles täuscht, haben wir einen solchen Audi „Front“ Typ 225 vor uns, bei dem der Kofferraum außen an Volumen gewonnen hatte. Interessanterweise sind die außenliegenden oberen Scharniere in der mir vorliegenden Literatur nicht zu finden.

Mag sein, dass die bei Gläser gefertigten Cabriolet-Aufbauten in solchen Details differierten, vielleicht liefert dieses Element aber auch einen Datierungshinweis. Immerhin wurde das Modell in dieser Ausführung bis Frühjahr 1936 gebaut.

Danach folgte der vielleicht noch edler gestaltete Audi Typ 225 Luxus – aber das ist eine andere Geschichte, die ich hier und hier bereits erzählt habe…

© Michael Schlenger, 2019. All entries in this blog (including embedded photos) are copyrighted by the author, unless otherwise indicated. Excerpts and links may be used, provided that credit is given to Michael Schlenger and https://vorkriegs-klassiker-rundschau.blog with appropriate and specific direction to the original content.

Rarität aus Zwickau: Audi Typ B 10/28 PS Tourenwagen

Dem heutigen Audi-Besitzer gibt der Titel meines heutigen Blog-Eintrags womöglich Rätsel auf: Ein Audi aus Zwickau, nicht aus Ingolstadt? Und eine Rarität, kein Großserienwagen?

Nun, vor über 100 Jahren war so ziemlich alles anders in Deutschland, auch die Welt der Automobile, die damals noch jung und voller Tatendrang war:

1909 verließ ein gewisser August Horch das unter seinem Namen firmierende Unternehmen im sächsischen Zwickau aufgrund interner Querelen.

Rasch gelang es Horch, das Kapital für eine Neugründung einzusammeln. Brilliant war die Namensgebung der neuen Firma: „Audi“ bedeutet „Horch!“ auf Lateinisch, klingt außerdem nach „Auto“ und ist den meisten Sprachen mühelos auszusprechen.

Ab 1910 wurden die ersten Audis gebaut – natürlich in Zwickau, damals einer der wichtigsten Standorte der deutschen Autoindustrie. Die Stückzahlen blieben gering, Audi wollte von Anfang als Qualitätsmarke wahrgenommen werden.

Großes Ansehen brachten die Siege bei der gefürchteten Österreichischen Alpenfahrt 1911-14, die sich zuletzt über knapp 3.000 km mit 30 Alpenpässen erstreckte. So wundert es nicht, dass die hervorragend konstruierten Audi-Wagen einige Jahre lang dieselbe Exklusivität genossen wie die Autos von Horch.

Ein schöner Beleg dafür ist die folgende Originalreklame aus meiner Sammlung, die im Kriegsjahr 1915 publiziert wurde:

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Audi Typ D 18/45 PS; Originalreklame aus Sammlung Michael Schlenger

Ein Ausschnitt daraus, der nur den Wagen zeigt, ist auf Seite 53 des Standardwerks „Audi Automobile 1909-1945“ (Verlag Delius-Klasing, 2. Auflage 2015) abgebildet.

Das Foto ist identisch, bloß ist die Beschriftung in dem sonst hervorragenden Werk fehlerhaft. Der Audi gehörte nämlich nicht dem sächsischen Kronprinzen, sondern dem König von Sachsen, der den deutschen Kronprinzen an der Westfront besuchte – wie aus der originalen Reklame eindeutig hervorgeht.

Zwar ein vernachlässigbarer redaktioneller Fehler, doch zeigt sich einmal mehr, dass man nicht alles für bare Münze nehmen sollte, was in der Literatur geschrieben steht.

Nach dem 1. Weltkrieg baute Audi zunächst die Vorkriegstypen weiter, so auch diesen Wagen, um den es heute geht:

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Audi Typ B 10/28 PS; Originalfoto aus Sammlung Michael Schlenger

Vielleicht erinnert sich einer meiner Leser daran, dass ich vor längerem bereits eine Vorkriegsversion des Audi Typ B 10/28 PS vorgestellt habe (hier).

Dort war die Kühlergestaltung noch eine andere, und das Audi-Emblem war plan in das Oberteil des Kühlergehäuses eingelassen:

Audi_Typ_B_Tourenwagen_vor_1914_Frontpartie

Auch Details wie der hoch aufragende Windlauf – das strömungsgünstige Blech zwischen Motorhaube und Frontscheibe – sind Hinweise auf eine frühe Entstehung dieses ab 1911 gebauten Audi mit 2,6 Liter messendem Vierzylindermotor.

Die Scheinwerfer und Positionsleuchten waren bei diesm Exemplar noch gasbetrieben und fehlen hier ganz – damals montierte man die empfindlichen Laternen mitunter nur für Nachtfahrten.

Gegen Ende des 1. Weltkriegs hatte sich elektrische Beleuchtung als Standard durchgesetzt, was für eine spätere Entstehung des Audis auf dem heute vorgestellten Foto spricht:

Audi_Typ_B_10-28_PS_Nachkrieg_Frontpartie

Weitere Unterschide sind die nun waagerecht verlaufende Motorhaube und der flacher ausgeführte Windlauf – außerdem das leicht nach unten geneigte „Audi“-Emblem, das zudem etwas in das Kühlernetz hineinragt.

Da das letztgenannte Detail auf dem obigen Ausschnitt nur schlecht zu erkennen ist, wenn man es nicht bereits woanders gesehen hat, habe ich folgende Aufnahme eines noch existierenden Audi des stärkeren Schwestermodells Typs C 14/35 PS eingefügt, der parallel zum Typ B verfügbar war und bis 1925 gebaut wurde:

Audi_Typ_C_ClassicDays_2017_Frontpartie
Audi Typ C 14/35 PS; Bildrechte: Michael Schlenger

Diese Aufnahme habe ich 2017 bei den Classic Days auf Schloss Dyck am Niederrhein angefertigt. Nebenbei ist das Foto ein Beleg für die außergewöhnliche Qualität der Fahrzeuge, die zum hierzulande einzigartigen Rang der Veranstaltung beiträgt.

Wann genau Audi zu dieser Gestaltung des Markenemblems überging, konnte ich bislang nicht genau ermitteln – die mir zugänglichen Fotos sprechen für das Jahr 1914.

Übrigens war es gar nicht so einfach, eine Belegaufnahme für den Audi Typ B 10/28 PS zu finden, die mit meinem Foto übereinstimmt. Dabei war jedoch nicht nur das genaue Studium der Kühlerpartie hilfreich, sondern auch ein Detail an der sonst meist wenig individuellen Karosserieflanke:

Audi_Typ_B_10-28_PS_Nachkrieg_Seitenpartie

Markant ist nämlich die Gestaltung des Kastens am hinteren Endes des Trittbretts, hinter dem sich die Aufnahme für die Blattfeder der Hinterachse befindet. Auch die Ausführung des Heckschutzblechs und die Platzierung der Tür finden sich genau so auf einer originalen Abbildung in einem Zeitungsartikel, der sich mit der Audi-Geschichte befasste.

Auch sonst stimmt der dort abgebildete Audi Typs B 10/28 PS vollkommen mit „meinem“ überein. Nur mit der Datierung auf das Jahr 1911 bin ich nicht einverstanden – vermutlich bezog sich die Angabe im Artikel auf den Baubeginn des bis 1917 hergestellten Typs (1911 entstand nur 1 Wagen des Modells).

Ganze 350 Stück sollen in dem Zeitraum vom Audi Typ B 10/28 PS gefertigt worden sein. Bislang ist nur ein überlebendes Exemplar bekannt, das sich im sehenswerten Horch-Museum in Zwickau befindet, wo vor über 100 Jahren alles begann..

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Endlich von vorn! Audi Front 225 Cabriolet von 1934/35

„Endlich von vorn“ – das könnte man glatt auf den neuen Frontantriebswagen beziehen, der ab 1933 im Auto Union-Verbund unter der Traditionsmarke Audi gefertigt wurde.

Leser Marcus Bengsch verdanke ich das Foto einer frühen Ausführung dieses modernen und zugleich eleganten Modells, das zunächst nur mit einem von Wanderer übernommenen 6-Zylinder-Motor mit 40 PS ausgestattet war:

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Audi Front Typ UW; Originalfoto aus Sammlung Marcus Bengsch

Von den späteren Ausführungen unterschied sich diese Version wie folgt:

  • senkrechte Luftklappen in der Motorhaube
  • Vorderschutzbleche ohne seitliche „Schürzen“

Der Vollständigkeit halber sei angemerkt, dass ganz zu Beginn die Luftklappen in der Haube quer angeordnet waren – auf ein entsprechendes Foto warte ich noch…

Übrigens wurde die Karosserie der oben abgebildeten Limousine von Ambi-Budd aus Berlin bezogen, die denselben Stahlaufbau auch anderen Herstellern lieferten.

Das mag erklären, warum sich die eigentliche Schönheit der Audi-Fronttriebler hier noch nicht so recht entfalten konnte.

Wie anders ist das Bild bei den Cabriolet-Versionen, deren Aufbauten meist von einem der ganz großen Namen des deutschen Karosseriebaus stammten – Gläser aus Dresden.

Hier haben wir einen Audi Front Typ UW als Vierfenster-Cabriolet von Gläser:

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Audi Front Typ UW; Originalfoto aus Sammlung Michael Schlenger

Anhand der nun vorhandenen seitlichen „Schürzen“ an den Frontkotflügeln lässt sich dieser Wagen auf das Winterhalbjahr 1933/34 datieren.Das Foto selbst ist natürlich späteren Datums, es entstand im Juli 1937.

Im März 1934 wurden die aus Aluminium gefertigten Klappen in der Motorhaube durch in Stahl gepresste senkrechte Schlitze ersetzt. Das Erscheinungsbild des Audi Front änderte sich dadurch nachhaltig, wenngleich unter der Haube immer noch der mit dem Wagengewicht überforderte 40 PS-Wanderer-Motor werkelte.

Von dieser formal überarbeiteten Ausführung des Jahrs 1934 hatte ich bislang nur eine Heckansicht im Angebot:

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Audi Front Cabriolet von 1934; Originalfoto aus Sammlung Michael Schlenger

Nun kann man durchaus der Ansicht sein, dass eine Aufnahme aus solcher Perspektive noch größeren Seltenheitswert besitzt. Sie entstand übrigens in den späten 1960er bzw. frühen 1970er Jahren, als es in der „DDR“ eine bereits sehr lebendige Altautoszene gab.

Sehr wahrscheinlich existiert dieser Audi – hier ebenfalls mit Gläser-Aufbau als Vierfenster-Cabriolet – noch.

Es sei daran erinnert, dass unsere ostdeutschen Landsleute trotz der bedrückenden Umstände des Sozialismus auf oft abenteuerliche Weise die Ressourcen fanden, viele herrliche Vorkriegsmodelle am Leben zu erhalten, die im modernitätsbesessenen Westen häufig in die Schrottpresse wanderten.

Nicht unerwähnt bleiben darf auch, dass das mit zunehmender wirtschaftlicher Misere immer rabiater auftretende DDR-Regime später private Besitzer solcher Schätze dazu zwang, sich zwecks Devisenbeschaffung davon zu trennen.

Doch zurück zum Audi Front mit der im Frühjahr 1934 geänderten Gestaltung der Haubenschlitze. Denn heute kann ich ein solches Exemplar „endlich von vorn“ zeigen – so ist der Titel meines heutigen Blog-Eintrags nämlich gemeint:

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Audi Front von 1934/35; Originalfoto aus Sammlung Michael Schlenger

Der Unterschied zu dem weiter oben gezeigten dunkel lackierten Cabrio mit den seitlichen Luftklappen könnte kaum größer sein.

Die leicht schräggestellten Haubenschlitze wirken wesentlich eleganter und geben der Haubenseite eine filigrane Struktur. Die Schwesterfirma DKW nutzte denselben Effekt übrigens bei den Luxusauführungen ihrer populären Zweitakt-Fronttriebler.

Die Zweifarblackierung mit hellem Karosseriekorpus grenzt die Elemente des Aufbaus dezent voneinander ab und lässt den Wagen leichter erscheinen, als er war. Immerhin 1,5 Tonnen brachte das Cabriolet auf die Waage.

Dank der stattlichen Figur des Herrn im Vordergrund wirkt der Audi Front hier fast kompakt, was er mit 4,50 m Länge und knapp 1,60 m Höhe freilich nicht war.

An den harmonischen Linien des Wagens gibt es nicht das Mindeste auszusetzen – hier haben die Gestalter und Handwerker von Gläser beste Arbeit abgeliefert. Nur die als Zubehör lieferbare Chromabdeckung des Ersatzrads wirkt ein wenig neureich.

Aber das ist wohl das Einzige, was sich an diesem herrlichen Wagen bemängeln ließe. Leider muss offen bleiben, ob wir hier noch einen Audi Front des Jahres 1934 vor uns haben oder bereits einen von 1935.

Der Hauptunterschied zwischen den Jahrgängen fand sich unter Motorhaube – ab 1935 war der überforderte 40 PS-Motor durch ein wiederum von Wanderer stammendes 50-PS-Aggregat mit ebenfalls sechs Zylindern ersetzt worden.

Formal hatten sich lediglich leichte Änderungen ergeben, vor allem am hier nicht sichtbaren Kofferraum. Vielleicht sieht ein sachkundiger Leser aber ein Detail, das dennoch eine konkrete Bestimmung des Baujahrs erlaubt.

Dabei mag die folgende Ausschnittsvergrößerung helfen, auf der sich nochmals die formale Raffinesse des Audi Front mit Aufbau von Gläser genießen lässt.

Audi_Front_Typ_225_Gläser_Cabriolet_Frontpartie

Gut nachvollziehen lassen sich hier unter anderem die Dimensionen der „Eins“ auf dem Kühlergehäuse, die bei dieser Ausführung des Audi Front zum letzten Mal so eindrucksvoll ausfallen sollten.

In der nächsten Entwicklungsstufe gestaltete man dieses noch aus den 1920er Jahren stammende Element deutlich dezenter und der Eleganz des Wagens angemessener. Damit wären wir beim Audi Front 225 Luxus, wie er ab 1936 gebaut wurde.

Diese letzte Ausbaustufe ist Gegenstand eigener Blogeinträge (hier und hier), an die ich sicher irgendwann mit „neuen“ Aufnahmen vergleichbaren Kalibers anknüpfen kann.

Wie immer freue ich mich dabei über Originalfotos aus den Privatsammlungen von Lesern. Im heutigen Fall konnte ich auf einen Abzug zurückgreifen, den mir Leser Raoul Rainer (Online-Galerie) großzügig vermacht hat – danke dafür!

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„Neues“ vom Audi Typ 225 Luxus Cabriolet

Luxus – das ist ein vielschichtiger Begriff, mit dem im Wandel der Zeiten unterschiedliche Dinge verknüpft wurden. Ursprünglich bedeutete das lateinische Wort „luxuria“ soviel wie „üppiges Wachstum“ oder „außerordentliche Fruchtbarkeit“.

Schon in römischer Zeit bekam das Wort in seiner übertragenen Bedeutung jedoch einen negativen Beiklang und stand für „Verschwendung“ in der Lebensführung. Die christliche Theologie knüpfte später daran und zählte die „luxuria“ im Sinne von Ausschweifung und Genussucht zu den sieben Todsünden.

In der Neuzeit gewann „Luxus“ dagegen eine positive Bedeutung im Sinne von „überflüssig, aber begehrenswert“. Wer ein Leben im Luxus zubringen, sich in Luxushotels und -restaurants aufhalten, sich mit Luxusgegenständen umgeben und sich Luxusproblemen widmen kann, wird zwar neidvoll beäugt, aber nicht verachtet.

So trat auch die sächsische Traditionsmarke Audi keineswegs ins Fettnäpfchen, als sie im Frühjahr 1936 die optisch wie technisch verfeinerte Version ihres seit 1933 gebauten Frontantriebswagens als „Audi 225 Luxus“ vorstellte.

Ein sehr schönes Originalfoto des Modells verdanken wir Leser Marcus Bengsch:

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Audi Typ 225 Luxus; Originalfoto aus Sammlung Marcus Bengsch

Dieses schöne zweifenstrige Cabriolet habe ich bereits an anderer Stelle vorgestellt. Es handelt sich um die eher seltene Ausführung als 2-Fenster-Cabriolet. Das im Vorderschutzblech eingelassene Reserverad war ein Zubehör, das den Grundpreis von rund 6.700 Reichsmark nochmals erhöhte.

Gefertigt wurden die offenen Aufbauten der Fronttriebler von Audi traditionsgemäß von der in Dresden ansässigen Karosseriebaufirma Gläser. Man erkennt das charakteristische hochovale Gläser-Emblem schemenhaft am unteren Ende der A-Säule.

Etwas besser zu erkennen ist das Emblem auf der folgenden Aufnahme, die die gängigere Ausführung als 4-Fenster-Cabriolet zeigt:

Audi_225_Luxus_Cabrio_4-fenstrig_Galerie

Was bei der ersten Aufnahme nur zu erahnen war, ist hier in wünschenswerter Klarhkeit zu erkennen – die leicht geneigte „1“, die seit 1923 den Kühler von Audis schmückte. Beim modernisierten Audi Typ 225 Luxus fiel sie jedoch kleiner aus.

Typisch für das Modell sind die beiden Reihen schrägstehender Luftschlitze in der Motorhaube, die von drei waagerechten Chromleisten eingefasst sind. Die Scheibenräder mit Chromradkappen waren ebenso Standard wie die großen tropfenfömigen Scheinwerfer.

Die Lampen auf den Kotflügeln waren Positionslichter, der Fahrtrichtungsanzeiger war ein herkömmlicher Winker, der seitlich im Holm der Frontscheibe eingelassen war.

Alle diese Details – auch die massive einteilige Stoßstange – finden sich auf dem folgenden Foto wieder, das ein Neuzugang in der Sammlung von Leser Klaas Dierks ist (das Originalfoto ist übrigens weit größer):

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Audi Typ 225 Cabriolet; Ausschnitt eines Originalfotos aus Sammlung Klaas Dierks

Hier sind nun auch die erwähnten vier versenkbaren Seitenfenster mit Chromrahmen zu sehen, außerdem wiederum die Plakette von Gläser aus Dresden.

Das Kennzeichen dieses Audi verweist übrigens auf eine Zulassung im Raum Kiel. Auf dem Bügel vor dem Kühler befindet sich ein großer Extrascheinwerfer, trotz der Ausrichtung leicht nach oben wahrscheinlich ein Nebelscheinwerfer.

Klaas Dierks konnte eine weitere Aufnahme eventuell desselben Wagens beisteuern:

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Das ist eine in mehrfacher Hinsicht reizvolle Aufnahme. Zum Beispiel sehen wir hier die halb versenkten hinteren Seitenscheiben und das mit einer Hülle versehene, hochaufgetürmte Verdeck mit den seitlichen Sturmstangen.

Erfahrene Restauratoren solcher Fahrzeuge wissen, wieviel Zeit und Geld allein in Details wie Scheibenmechanik und Verdeckgestänge versenkt werden können. Das war aufwendigste Handarbeit in meisterhafter Ausführung, was die Arbeiter bei Gläser und Audi damals leisteten.

Wer sich einen solchen Manufakturwagen leisten konnte, wusste natürlich, was für eine privilegierte Stellung in der gesellschaftlichen Hierarchie man damit einnahm.

Der Sechszylindermotor des Audi 225 Luxus mit 55 PS aus 2,3 Litern Hubraum mag heute bescheiden anmuten, damals war aber bereits ein braver Opel oder Hanomag mit 25 PS weniger für die allermeisten Deutschen ein unerreichbarer Traum.

Warum aber schaut die junge Dame mit Cabriohaube, die hier mit einer Hand an der Tüklinke des Familien-Audis posiert, so mürrisch drein?

Audi_225_Luxus_Cabrio_KaufhausAlbrecht_SH_Dierks_Ausschnitt1

Ob ihr die Kombination aus dem Mäntelchen und dem kurzen Kleid darunter peinlich ist? Wohl ebensowenig wie die Tatsache, dass sie aus den Ärmeln des Mantels schon herausgewachsen ist.

Vielmehr scheint ihr etwas anderes nicht zu passen. „Jetzt machen wir hier schon ein Foto mit unserem schicken Audi Cabrio und da mogelt sich ausgerechnet dieser ungezogene Bauernlümmel ins Bild“, mag sie sich gedacht haben.

Denn kurz bevor einer aus der Gesellschaft auf den Auslöser der Kamera drückte, hat sich rechts ein halbnackter blonder Junge in Stellung gebracht hat und schaut ernst, aber durchaus selbstbewusst in das Objektiv:

Audi_225_Luxus_Cabrio_KaufhausAlbrecht_SH_Dierks_Ausschnitt2

Der braungebrannte Knabe mit Lederhose gehörte mit Sicherheit nicht zu der Reisegesellschaft im Audi, sondern wird die Gelegenheit genutzt haben, sich einmal zusammen mit reichen Leuten ablichten zu lassen.

Denn auch wenn man – zumindest in der warmen Jahreszeit – nicht allzuviel zum Leben auf dem Lande braucht, wie man hier sieht, wusste man als aufgeweckter Bursche schon, was die Städter da für ein feines Luxusgefährt mitgebracht hatten.

Dass sich der Junge von dieser vierrädrigen Erscheinungsform des Überflusses angezogen fühlte, spricht für den natürlichen Reiz von Luxus, wenn er so stilsicher daherkommt wie im Fall dieses schönen Audi Typ 225 Cabriolet…

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Metamorphosen: Vom Audi Front „UW“ zum Typ 225

Beim Stichwort Metamorphosen denkt man wohl nicht unmittelbar an Automobile der Vorkriegszeit.

Doch führt ein Weg von der gleichnamigen Sammlung mythischer Verwandlungsgeschichten des römischen Dichters Ovid (43 v. Chr.-17 n. Chr.) dorthin:

  • Ovid erzählt in Buch 2 seiner Metamorphosen die Geschichte des Sohnes des Sonnengottes Helios.
  • Der Sprössling – offenbar ein Freund exklusiver Fortbewegung – leiht sich den Wagen des Vaters aus, mit dem die Sonne ihren Weg über das Firmament nimmt.
  • Der übermütige Sohn verliert die Kontrolle über das Gefährt, wodurch die Erde in Flammen gerät.
  • Am Ende der katastrophalen Ausfahrt stürzt der Draufgänger in den Tod.

Der Name des tragischen Helden, der Großes versuchte und an Selbstüberschätzung scheiterte, lautete „Phaeton“…

In Anlehnung an den mythischen Sonnenwagen wurde „Phaeton“ im klassisch gebildeten 19. Jahrhundert die Bezeichnung für eine leichte offene Kutsche.

Bei Aufkommen der ersten Automobile nannte man dann Wagen mit einfachem offenen Aufbau ebenfalls Phaeton:

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NAG Typ N2 6/12 PS „Puck“, Reklame von 1908/09

Wie diese Originalreklame von NAG aus Berlin deutlich macht, wird „Phaeton“ nicht „Fäton“ ausgesprochen, sondern „Fa-eton“. Später löste die Bezeichnung Tourenwagen den archaisch klingenden Namen Phaeton ab.

Damit hätten wir im Unterschied zum Sohn des Sonnengottes noch die Kurve gekriegt und können uns endlich den Verwandlungen des Audi Front Typ „UW“ widmen.

Teilweise erzählt hatten wir die Geschichte dieses ab 1933 gebauten Fronttrieblers bereits vor einiger Zeit. Doch nun ist ein Foto aufgetaucht, mit dem wir die einzelnen Stadien der Verwandlung des Typs genauer illustrieren können.

Audi verfolgte wie viele deutsche Hersteller der späten 1920er Jahre eine heillos verfehlte Modellpolitik. Während im übrigen Europa – selbst im armen Italien –  längst die Großserienproduktion nach US-Vorbild eingesetzt hatte, meinten unzählige Marken hierzulande, ihr Glück im Oberklassesegment versuchen zu müssen.

Dieser ans Irrationale grenzende Ansatz brach auch Audi fast das Genick. Rettung kam jedoch in Form der Übernahme durch DKW-Chef Rasmussen, der im Zwickauer Audi-Werk die Chance zur Massenproduktion sah.

Erst einmal leistete sich DKW allerdings den Fehlschlag mit der Fertigung amerikanischer Rickenbacker-Motoren für Audi Modelle.

Doch bei den DKW-Kleinwagen hatten die Zwickauer gezeigt, wie attraktiv man Fronttriebler verpacken konnte und wie gut sie sich verkaufen ließen, wenn man über ausreichende Produktionskapazitäten verfügte.

So plante man für die einverleibte Marke Audi eine neue Karriere als Hersteller frontgetriebener Wagen, die oberhalb der kleinen DKWs angesiedelt waren. 1933 war es soweit – der erste Audi Front wurde präsentiert:

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Audi Front Typ „UW“ 8/40 PS; Originalfoto aus Sammlung Michael Schlenger

Im Audi Front kam ein Wanderer-Sechszylindermotor mit 40 PS zum Einsatz.

Hintergrund: In der Zwischenzeit war auf Betreiben der Gläubigerbanken DKW nebst Tochter Audi mit Horch in der Auto Union zusammengefasst worden, zu der sich noch Wanderer aus Chemnitz gesellte.

Man erkennt die ganz frühen Exemplare des Audi Front übrigens am Fehlen seitlicher „Schürzen“ an den vorderen Schutzblechen wie auf obiger Aufnahme.

Doch schon ab Herbst 1933 wurden am Audi Front Vorderschutzbleche mit seitlichen Schürzen verbaut. Vorerst beibehalten wurden die großen Luftklappen in der Haube:

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Audi Front Cabriolet; Originalfoto aus Sammlung Michael Schlenger

Man mag jetzt die Qualität des Fotos beanstanden, doch ist zu bedenken, dass von diesem Modell nur einige hundert Exemplare gefertigt wurden. Jede Originalaufnahme darf man daher beinahe als Rarität ansehen.

Nachdem diese Ausführung des Audi Front im Herbst 1933 auf den Markt gekommen war, wich sie schon im Frühjahr 1934 einer modellgepflegten Version. Diese ist am Übergang zu schrägstehenden Luftschlitzen in der Motorhaube zu erkennen.

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Audi Front Typ UW Cabriolet; Originalfoto aus Sammlung Michael Schlenger

Man mag kaum glauben, dass unter der Haube dieses eindrucksvollen, 1,3 Tonnen schweren Oberklassefahrzeugs nach wie vor derselbe 40 PS-Sechszylinder arbeitete.

Selbst die in der gehobenen Mittelklasse angesiedelten Hanomag-Sechszylinder des Typs „Sturm“ leisteten 1934 bereits 50 PS.

Die miserablen Absatzzahlen des formal so gelungenen Audis resultierten 1935 im Einbau eines 2,25 Liter großen Sechszylinders mit nun 50 PS. Äußerlich ist dieser Audi Front 225 kaum vom oben gezeigten späten Audi Front Typ UW zu unterscheiden.

Woher wissen wir also, dass die Heckansicht des Wagens (eine weitere Rarität) nicht ebenfalls den motorenseitig modernisierten Audi Front 225 zeigt?

Nun, auf der Rückseite des zu „DDR“-Zeiten in Ostdeutschland entstandenen Fotos wurde einst fein säuberlich von Hand vermerkt:

Audi Typ UW Zyl. 6, Hub 2000, PS 40, Baujahr 1934

Solche zeitgenössischen oder später aus dem Gedächtnis festgehaltenen Angaben müssen nicht immer richtig sein, doch der Detaillierungsgrad lässt vermuten, dass sich der Fotograf mit dem Besitzer unterhalten oder Angaben am Fahrzeug selbst notiert hat.

Eine letzte Metamorphose des Audi Front erfolgte 1936, als das leistungsgesteigerte und formal verfeinerte Modell „Front 225 Luxus“ auf den Markt kam:

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Audi Front Typ 225 Luxus; Originalreklame aus Sammlung Michael Schlenger

Doch damit wären wir am Ende dieser „Metamorphosen“ angelangt. Die Fortsetzung ist Gegenstand gleich mehrerer eigener Blogeinträge (hier, und hier).

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Abschied vom Sommer: Audi Typ 225 Cabriolet

Pünktlich zum kalendarischen Herbstanfang am 21. September verabschiedete sich hierzulande der grandiose Sommer des Jahres 2018. Von nun an werden die Nächte wieder länger als die Tage – günstige Voraussetzungen für diesen Oldtimerblog…

Bevor es herbstlich wird – auch auf den hier gezeigten Fotos von Vorkriegsautos – darf sich die Leserschaft an einem letzten Gruß des scheidenden Sommers erfreuen:

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Audi Typ 225 Luxus, 2-Fenster-Cabriolet; Originalfoto aus Sammlung Marcus Bengsch

Ignorieren wir für einen Moment den Drang, das prächtige Cabriolet zu identifizieren. Ist dies nicht ein traumhaftes Automobil, wie es typisch für die 1930er Jahre war?

Sparen wir uns den Vergleich mit dem, was heutzutage an offenen Wagen produziert wird. Die Ära solcher Manufakturwagen ist lange vorbei und Fotografien wie diese entstanden zuletzt vor 80 Jahren.

Dann kam die Katastrophe des 2. Weltkriegs und danach sollte nichts mehr so sein wie zuvor. Zu dokumentieren, was dabei verlorenging, das ist eine der vielen Motivationen dieses Blogs für Vorkriegsautos auf alten Fotos.

Blenden wir zurück ins Frühjahr 1936: Die zum Auto-Union-Verbund gehörende Marke Audi stellte damals eine technisch wie formal überarbeitete Version ihres seit 1933 gebauten Frontantriebsmodells vor.

Wer Frontantrieb für eine Errungenschaft der Nachkriegszeit hält, hält wohl auch Elektroautos eine Innovation des 21. Jahrhunderts. Fronttriebler bauten damals neben Audi erfolgreich unter anderem Adler, Citroen und DKW.

Die Audi Front-Modelle waren allerdings stückzahlenmäßig ein Misserfolg. Doch sie gehörten zum Elegantesten, was die deutsche Automobilindustrie in den 1930er Jahren zustandebrachte. Nur einige tausend Stück davon entstanden in Manufaktur.

Die am häufigsten gebaute Version war das Vierfenster-Cabriolet, das wir hier vorgestellt haben:

Audi_225_Luxus_Cabrio_4-sitzig_Galerie

Hier sieht man deutlich die auf der Kühlermaske thronende „1“, ab 1923 das Markenzeichen von Audi – die heute verwendeten vier Ringe waren dagegen das Emblem der Auto-Union, zu der Audi ab den 1930er Jahren gehört.

Die „1“ findet sich ebenso auf dem ersten Foto wieder wie die zwei Reihen Luftschlitze in der Haube, die tropfenförmigen Frontscheinwerfer und die elegant geformten Positionsleuchten auf den Schutzblechen – das sind die Hauptunterschiede des Audi 225 Luxus gegenüber dem Vorgänger:

Audi_225_Luxus_2-Fenster-Cabrio_Bengsch_FrontpartieIm Unterschied zu ersten Aufnahme haben wir hier jedoch das seltenere Zweifenster-Cabriolet des Audi 225 Luxus.

Die genauen Stückzahlen dieses ebenfalls von Gläser/Dresden gefertigten Aufbaus scheinen nicht bekannt zu sein. Mehr als einige hundert werden es nicht gewesen sein.

Das hochelegante Fahrzeug verfügte über einen kultivierten Sechszylindermotor mit 2,3 Liter Hubraum, der ab 1936 für deutsche Verhältnisse beachtliche 55 PS abwarf.

An die 110 km/h Spitzengeschwindigkeit waren damit drin – genug für die Autobahn – allerdings wurden nur seilzugbetriebene Bremsen geboten, damals schon veraltet.

Von höherer Leistung nahm man wohl auch aus Rücksicht auf die noch recht verschleißanfälligen Gelenke des Frontantriebs Abstand. Wer wollte außerdem mit einem derartigen Prachtexemplar auch rasen?

Wer sich so etwas leisten wollte, musste gut betucht sein – 6.675 Reichsmark waren für das 2-fenstrige Cabriolet hinzulegen. Die Positionsleuchten kosteten 22,50 Mark extra.

Die jungen Damen in dem Audi werden sich ihres privilegierten Status bewusst gewesen sein:

Audi_225_Luxus_2-Fenster-Cabrio_Bengsch_Insassen

Doch dann kam der Zweite Weltkrieg, der am Ende (fast) alle gleich machte. So wissen wir wie so oft nicht, was aus den einst so glücklichen Autobesitzern auf diesen alten Fotos in den stürmischen folgenden Jahren geworden ist.

Von dem prachtvollen Zweifenster-Cabriolet, das wir heute bewundern durften, hat offenbar nur ein einziges Exemplar überlebt

Literatur: Peter Kirchberg/Ralf Hornung: Audi-Automobile 1909-1940, Verlag Delius Klasing, 2015

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Powered by Rickenbacker: Audi Typ SS „Zwickau“

In den letzten Blogeinträgen kamen herausragende Vorkriegsmodelle zu ihrem Recht, die bei den Classic Days 2018 auf Schloss Dyck am Niederrhein zu bewundern waren.

Bevor wir in die „Niederungen“ konventioneller (doch nicht weniger interessanter) Vorkriegswagen im deutschen Sprachraum zurückkehren, widmen wir uns einem Prachstück, das auf einer alten Postkarte in unsere Zeit gelangt ist.

Dabei handelt es sich um ein Achtzylindermodell der sächsischen Marke Audi, die vor dem Krieg auf hochwertige Manufakturwagen spezialisiert war.

Hier haben wir einen dieser feinen Wagen, die wie die Modelle von Horch in Zwickau gefertigt wurden:

Audi_SS_Zwickau_Ak_Photograph_Görlitz_Galerie

Audi Typ SS „Zwickau“; originale Postkarte aus Sammlung Michael Schlenger

Woran genau man den Typ erkennt, damit beschäftigen wir uns noch. Auf den ersten Blick sieht man auf jeden Fall, dass es sich um ein Achtzylindermodell handelt.

Mancher Leser mag sich daran erinnern, dass wir vor geraumer Zeit schon einen Achtzylinderwagen von Audi gezeigt haben. Das war der 100 PS starke Typ R, der 1927 vorgestellt wurde und später die selbstbewusste Bezeichnung „Imperator“ erhielt.

Originalfotos dieses über 5 Meter langen und mehr als 2 Tonnen schweren Kolosses sind selten, das gilt besonders für die raffinierten Spezialaufbauten. Immerhin ließ sich ein Werksfoto auftreiben, das die Pullmanlimousine des Typs R zeigt:

Audi_Typ_R_Imperator_1928-29_Galerie

Audi Typ R „Imperator“; Werksfoto aus Sammlung Michael Schlenger

Zum Zeitpunkt der Vorstellung dieses mächtigen Wagens war Audi schon geraume Zeit in wirtschaftlichen Schwierigkeiten.

Ein Schuldenschnitt im Jahr 1926 hatte der Firma zwar etwas Zeit gekauft, doch die mittelständische Eigentümerfamilie erkannte, dass sie mit dem Automobilbau auf keinen grünen Zweig kommen würde.

Als Käufer fand sich der expansionsfreudige Inhaber der Zschopauer DKW-Werke, J.S. Rasmussen. Er hatte 1927 in den USA die 6- und 8-Zylindermotorenfertigung  der insolventen Firma Rickenbacker gekauft und suchte nach einem Einsatzfeld dafür.

Doch hielt sich die Nachfrage nach Rickenbacker-Motoren am deutschen Markt in Grenzen – die meisten Hersteller boten selbst 8-Zylinder an (wie Horch) oder arbeiteten daran (wie Adler, Brennabor, Hansa, NAG, Röhr, Stoewer usw.).

Da bot sich für Rasmussen in Form der Audi-Werke ein scheinbar ideales Einsatzgebiet für die nach Deutschland transportierte Rickenbacker-Motorenfertigung.

Nach Übernahme von Audi im Jahr 1928 ließ Rasmussen den in Zwickau entwickelten 8-Zylinder noch ein Jahr lang im Imperator verbauen, dann bekamen die parallel verfügbaren Rickenbacker-Aggregate den Vorzug.

Damit wären wir wieder bei der eingangs gezeigten Aufnahme eines 8-Zylinder-Audi mit Zulassung im schlesischen Görlitz. Seine Frontpartie unterschied sich in einem Detail von der des Imperator:

Audi_SS_Zwickau_Ak_Photograph_Görlitz_Ausschnitt

Im Unterschied zum „Imperator“ ist auf dem oberen Teil der Kühlermaske kein „Audi“-Schriftzug mehr angebracht – dieser ist nur noch im unteren Teil der „8“ auf der Scheinwerferstange zu sehen.

Stattdessen prangt oben auf dem Kühler das Wappen der Stadt Zwickau, die namensgebend für den neuen Audi mit Rickenbacker-Achtzylinder war.

Ungeachtet der ähnlichen Frontpartie unterschied sich der Audi Typ SS „Zwickau“ in vielen Details vom Vorgängertyp „Imperator“:

  • Der amerikanische Motor war mit 5,1 Litern Hubraum großvolumiger als der von Audi entwickelte Achtzylinder des Imperator (4,9 Liter).
  • Die Spitzenleistung war identisch (100 PS), fiel beim Rickenbacker-Aggregat aber bereits deutlich früher an.
  • Dank neun statt fünf Kurbelwellenlagern lief der Motor kultivierter.
  • Der Typ „Zwickau“ besaß zusätzlich einen lang übersetzten 4. Gang, der eine Drehzahlabsenkung bei hohem Tempo ermöglichte.
  • Die zuvor gestängebetätigte Vierradbremse wich einer hydraulischen Bremse von ATE nach Lockheed-Patent.
  • Der Radstand fiel merklich kürzer aus als beim Imperator und das Gewicht sank um 300 kg.

Ein großer Markterfolg war der Audi Typ R „Zwickau“ mit gut 450 Exemplaren bis 1932 allerdings auch nicht (Imperator: 145 Stück von 1928-29).

Neben dem 8-Zylindertyp „Zwickau“ fertigte Audi übrigens auch ein 6-Zylindermodell T mit der Bezeichnung „Dresden“, dessen Aggregat ebenfalls von Rickenbacker stammte. Dieses Modell war allerdings mit nur 76 Exemplaren ein Reinfall.

Auf alten Fotos erkennt man diesen Typ am Dresdener Stadtwappen oben auf der Kühlermaske und natürlich am Fehlen der „8“ auf der Scheinwerferstange.

Sollte ein Leser eine Aufnahme eines solchen Modells besitzen, wäre der Verfasser für eine digitale Kopie zur Vervollständigung der Audi-Typengalerie sehr dankbar.

Übrigens sind die Audis der Typen R „Imperator“, SS „Zwickau“ und T  „Dresden“ in der Seitenansicht schwer zu erkennen. Da Audi damals keine eigene Karosseriefertigung besaß, entstanden die Aufbauten bei Fremdfirmen und waren oft hochindividuell.

Davon kann der heutige Besitzer eines Audis – so ausgezeichnet die Wagen auch sonst sind – nur träumen. Man sieht: Zur Erfüllung mancher Träume kommt man auch im 21. Jahrhundert an einer Reise in die Vorkriegszeit nicht vorbei…

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Königlicher Entwurf kurz vor dem Krieg: Audi Typ 920

Zu den schillerndsten deutschen Automarken, die im 21. Jahrhundert noch existieren, gehört zweifellos Audi. Dabei führt gar keine direkte Verbindung von den heutigen Audi-Modellen zurück zum ersten Audi Typ A 10/22 PS von 1910.

Die Leserschaft möge es verzeihen, dass wir von diesem in weniger als 140 Exemplaren gebauten Audi-Erstling bislang kein Originalfoto vorweisen können.

Immerhin fand sich im Fundus des Verfassers eine Aufnahme des ab 1912 gebauten Nachfolgers Audi Typ B 10/28 PS:

Audi_Typ_B_Tourenwagen_vor_1914_Galerie

Audi Typ B 10/28 PS; Originalfoto aus Sammlung Michael Schlenger

Vorgestellt haben wir das Modell hier. Nebenbei: Davon wurden auch bloß 350 Stück gebaut – die Aufnahme ist nach über 100 Jahren also eine veritable Rarität.

Bei Vorkriegs-Audis hat man es ohnehin nur mit Exoten zu tun – die Marke führte ein reines Nischendasein. Dennoch kann Audi heute auf ein einzigartiges Erbe zurückschauen und man betreibt dort die Traditionspflege mit Hingabe.

Das liegt auch nahe, denn am Anfang der Markengeschichte steht einer der ganz großen Namen in der deutschen Automobilhistorie – August Horch.

Bis Ende der 1920er Jahre baute Audi luxuriöse Wagen in geringen Stückzahlen – Bilder davon sind ebenso wie im Fall der Modelle vor dem 1. Weltkrieg sehr selten.

Ein besonders spektakuläres Beispiel verdanken wir einem Leser, der schon einiges zu diesem Blog beigesteuert hat:

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Audi Typ M 18/70 PS; Originalfoto aus Sammlung Klaas Dierks

Von dem mächtigen 6-Zylindertyp M 18/70 PS entstanden zwischen 1924 und 1928 gerade einmal 230 Stück. Aufnahmen davon sind absolut außergewöhnlich.

Auf Dauer konnte das Dasein von Audi in der Luxusnische natürlich nicht gutgehen.

Die erste große Zäsur war die Übernahme von Audi im Jahr 1928 durch den DKW-Konzern, der bis dato nur Motorräder gebaut hatte. Damit endete zum ersten Mal die eigenständige Konstruktion und Produktion von Audi-Wagen.

Nach wenig erfolgreichen Versuchen, die Marke Audi am Markt neu zu platzieren, fanden sich DKW und Audi Anfang der 1930er Jahre zusammen mit Horch (!) und Wanderer unter dem Dach des Auto-Union-Konzerns wieder.

Das Zwickauer Audi-Werk war bis dato vor allem zur Produktion der Frontantriebswagen von DKW genutzt worden. Im Auto-Union-Verbund wurde die Marke Audi reanimiert, die nun ebenfalls Fronttriebler fertigte, aber in der oberen Mittelklasse.

Ein großer Erfolg waren diese Audis zwar weiterhin nicht, aber sie sorgten mit ihrer dynamischen Linienführung für ein exklusives Markenimage:

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Audi „Front“ 8/40 PS Typ UW; Originalfoto aus Sammlung Michael Schlenger

So elegant diese Fronttriebler von Audi auch wirkten, sorgten sie bei den Käufern für Ungemach. Die je nach Aufbau fast 1,5 Tonnen schweren Wagen waren mit anfänglich 40, später 50 bzw. 55 PS untermotorisiert.

Bei konservativen Herstellern wie Mercedes sah das zwar nicht besser aus, doch die Audi-Klientel erwartete schon damals mehr Fahrdynamik.

Opel reagierte seinerzeit auf die Erwartungen des Publikums mit dem über 130 km/h schnellen Admiral, und Ford hatte mit dem 90 PS starken V8 ebenfalls einen flinken Pfeil im Köcher.

Vor diesem Hintergrund wählte man die richtige Strategie, was den Nachfolger der Audi-Frontantriebswagen betraf:

  • Da die Antriebsgelenke der Fronttriebler einer höheren Leistung nicht gewachsen waren, entschied man sich für die Rückkehr zum Heckantrieb.
  • Als Antrieb nahm man einen von Horch entwickelten 6-Zylinder mit 3,2 Litern, dessen Ventile über obenliegende Nockenwelle und Königswelle gesteuert wurden – wahrhaft königlich für einen Wagen der oberen Mittelklasse.
  • Formal orientierte man sich an modernen amerikanischen Vorbildern wie dem Buick „Eight“ von 1937.

Das eindrucksvolle Ergebnis sehen wir auf folgender Aufnahme:

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Audi Typ 920; Originalfoto aus Sammlung Michael Schlenger

Hier haben wir einen der modernsten Serienwagen aus deutscher Produktion aus der Zeit unmittelbar vor Ausbruch des 2. Weltkriegs vor uns.

Damit bot Audi einen souverän motorisierten Wagen, der eine Höchstleistung von über 80 PS und eine Spitzengeschwindigkeit von 130 km/h schaffte.

Zeitgenössischen Tests zufolge wirkte der Audi selbst bei Dauertempo 120 nicht angestrengt. Hinzu kamen das ausgezeichnete Fahrwerk sowie das vollsynchronisierte Getriebe von ZF, das man vom Horch 8 übernommen hatte.

Das hier vorgestellte Foto eines solchen Audi Typ 920 zeigt eine in Zwickau zugelassene Limousine – eventuell lässt sich die Kennung einem aus anderen Quellen bekannten oder sogar noch existierenden Fahrzeug zuordnen.

Von den knapp 1.300 bis 1940 produzierten Audis des Typs 920 haben bloß rund zwei Dutzend überlebt, von der Limousine sogar nur eine handvoll.

Immerhin können wir diesen mit einigen königlichen Attributen ausgestatteten Audi hier auf einem kaum weniger raren Originalfoto genießen…

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Damenwahl: Audi 225 Luxus 4-Sitzer- Cabriolet

Heute haben wir wieder einmal die Gelegenheit, eines der raren Frontantriebsmodelle von Audi aus den 1930er Jahren zu bestaunen.

Für die Seltenheit dieser Wagen, von denen zwischen 1933 und 1938 keine 5.000 Exemplare entstanden, war keineswegs der Frontantrieb verantwortlich. Dieser kam bei Marken wie Adler, Citroen und DKW nämlich durchaus in Großserie zum Einsatz.

Die populären DKW-Fronttriebler wurden übrigens im ehemaligen Audi-Werk in Zwickau gebaut, das DKW im Rahmen der Übernahme von Audi 1928 zufiel. Für eigenständige Audi-Wagen blieb da nur noch ein Nischendasein.

Das änderte sich auch nach Zusammenschluss der Marken Audi, DKW, Horch und Wanderer unter dem Dach der Auto-Union nicht wesentlich. Audi wurde als gehobene Marke unterhalb von Horch positioniert.

Bei der Gestaltung der Audi-Modelle wurden bewusst Anleihen bei den prestigeträchtigen Achtzylindermodellen von Horch genommen. Hier haben wir ein solches Prachtexemplar des Typs Horch 830, aufgenommen 1934:

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Horch Typ 830, Originalfoto aus Sammlung Michael Schlenger

Bei aller äußeren Ähnlichkeit waren die Audi-Wagen jener Zeit – die quasi nebenher im Horch-Werk gefertigt wurden – technisch vollkommen eigenständig.

Audi-spezifisch war nicht nur der Frontantrieb, der bereits 1930 im Planungsstadium war. Auch mit dem 6-Zylindermotor mit Block aus Leichtmetall grenzte sich der anfänglich als Audi „Front“ bezeichnete Wagen vom großen Bruder ab.

Obwohl sich das moderne Konzept bei den Protoypen bewährte – Altmeister Charly Kappler absolvierte Anfang 1933 die knapp 1.700 km lange Testfahrt von Berlin nach Monte Carlo in etwas mehr als einem Tag – gab es in der Praxis jede Menge Probleme.

Auch die Leistung von 40 PS aus 2 Litern Hubraum sorgte für Skepsis bei den Käufern.

In Zwickau reagierte man mit einem gründlich überarbeiteten Modell, das 1935 erschien und als Audi Typ 225 firmierte. Die Bezeichnung verwies auf den vergrößerten Hubraum des 6-Zylinders mit nun 50 PS Leistung.

Gleichzeitig startete man eine Image-Kampagne, zu der ein in Kleinserie gefertigter bildschöner Roadster mit Karosserie von Gläser aus Dresden maßgeblich beitrug. Bilder davon wurden über Postkarten wie die folgende aus Heidelberg verbreitet:

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Audi Typ 225 Roadster in Heidelberg; Ansichtskarte aus Sammlung Michael Schlenger

Diese elegante Sonderausführung ist auch deshalb interessant, weil sie in einem formalen Detail die ab 1936 gebaute nochmals überarbeitete Version des Audi 225 vorwegnahm.

Auch der im Jahr der Berliner Olympischen Spiele als Audi 225 „Luxus“ vorgestellte Wagen besaß nämlich zwei übereinanderliegende Reihen von Luftschlitzen – beim Horch 853 jener Zeit findet man sie ebenfalls.

Damit wären wir endlich bei der Aufnahme, um die es heute eigentlich geht – hier haben wir genau so einen Audi 225 Luxus in der Ausführung als vierfenstriges Cabriolet:

Audi_225_Luxus_Cabrio_4-sitzig_Galerie

Audi 225 Luxus, 4-Fenster-Cabriolet; Originalfoto aus Sammlung Michael Schlenger

Dieser schöne Schnappschuss hält eine Situation irgendwo an einer innerstädtischen Autogarage und Tankstelle fest, die in etwa so ausgesehen haben mag:

Der Besitzer des Audi hatte den Wagen für einen Moment abgestellt, vielleicht kaufte er sich eine Zeitung oder Zigaretten für unterwegs.

Zwei Spaziergängerinnen gefiel das Auto offenbar ausnehmend gut und so nötigten sie ihre mit Kamera bewaffnete Begleitung zu der Aufnahme:

„Nun mach‘ hin, bevor der Audi-Mann zurückkommt“, scheint die resolute der beiden Damen zu sagen, während sie besitzergreifend nach der Türklinke greift. „Ich seh‘ ihn noch in der Schlange am Kiosk stehen“, könnte die Begleiterin mit dem flotten Cape hinzusetzen, die sich nach hinten umschaut.

Sich am Auto fremder Leute ablichten zu lassen, das war in der Vorkriegszeit gang und gebe – in Deutschland blieb ein eigener Wagen damals für die meisten unerreichbar.

Einer der elegant gezeichneten Sechszylinder-Fronttriebler von Audi – das war eine Gelegenheit, die man sich nicht entgehen lassen durfte. Vom hier zu sehenden Typ 225 Luxus entstanden bis 1938 nur rund 1.750 Wagen (Quelle: Audi).

Neben den erwähnten zwei Reihen Luftschlitzen in der Motorhaube gab es weitere Details, die den Audi 225 Luxus von seinen frontgetriebenen Vorgängern unterschied.

Die auf dem Kühler thronende „Eins“, seit 1923 das Markenemblem von Audi, fiel hier kleiner und eleganter aus, das integrierte Kühlwasserthermometer entfiel. Außerdem gab es als Zubehör windschnittige Positionslichter auf den Vorderschutzblechen:

Audi_225_Luxus_Cabrio_4-sitzig_Frontpartie

Bei genauem Hinsehen erkennt man neben den vier Ringen auf der Mittelstrebe des Kühlers, die auf die Zugehörigkeit von Audi zur 1932 gegründeten Auto-Union verweisen, ein weiteres Emblem, das die Datierung des Wagens ermöglicht.

Es handelt sich um ein Andenken an die Olympischen Spiele in Berlin, das das Brandenburger Tor mit den fünf olympischen Ringen zeigt. Dies macht es zumindest wahrscheinlich, dass der Audi aus dem ersten Produktionsjahr 1936 stammte.

Rund 7.000 Reichsmark waren für das hier zu sehende Cabriolet zu berappen, wenn man das eine oder andere Zubehör bestellte. Seinerzeit war das ein Vermögen und so ist es kein Wunder, dass die Wahl der beiden Damen zielsicher darauf fiel…

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Einer von 25: Audi Typ 225 Spezial-Cabriolet

Was wir heute zeigen, ist dermaßen selten, dass es eigentlich verdient, als Fund des Monats präsentiert zu werden.

Zwei Dinge sprechen dagegen: Zum einen kann der Monat Februar noch einige Überraschungen mit sich bringen, nicht nur auf der Bühne des Berliner Staatstheaters…

Zum anderen ist die Qualität der Originalaufnahme nicht gut genug. Bei der Marke, um die es geht – Audi – ist das ein häufiges Problem, was Vorkriegsmodelle angeht.

Der gemeine Audi-Fahrer des 21. Jahrhunderts, der im Rudel auf der linken Autobahnspur zum Kundentermin hetzt, hat meist keine Vorstellung davon, wie gering die Stückzahlen der Wagen „seiner“ Marke bis zum 2. Weltkrieg waren.

Da muss man nehmen, was man kriegen kann, schlimmstenfalls auch so etwas:

Audi_Typ_G_8-22_PS_Galerie1

Audi Typ G 8/22 PS; Originalfoto aus Sammlung Michael Schlenger

Dass auf dieser schwer beschädigten Aufnahme überhaupt etwas zu erkennen ist, verdankt sich langwierigen Retuschen. So wie die Partie um das Ersatzrad sieht der gesamte Abzug im Original aus.

Dass das Foto einen Audi zeigt, wäre ohne den schriftlichen Vermerk von alter Hand nicht mehr zu erkennen gewesen. Sogar der Typ wurde festgehalten: 8/22 PS.

Demnach sehen wir hier einen Audi des Typs G 8/22 PS, der noch vor dem 1. Weltkrieg vorgestellt wurde und von dem bis 1926 etwas mehr als 1.000 Stück entstanden.

Selbst in den 1930er Jahren – nach Integration in den Auto Union-Verbund – blieb Audi ein Nischenhersteller. Der moderne Frontantriebswagen des Typs Front UW mit zahme 40 PS leistendem 6-Zylinder wurde 1933/34 nur gut 1.800mal gebaut.

Auch in diesem Fall sind gute Originalfotos Mangelware:

Audi_Front

Audi „Front“ Typ UW; Originalfoto aus Sammlung Michael Schlenger

Immerhin ahnt man hier etwas von der Eleganz, die speziell die Cabriolets von Audis Frontantriebswagen auszeichnete.

Das war kein Zufall, denn die offenen Versionen der Audis wurden nicht im Stammwerk im sächsischen Zwickau gefertigt.

Die rassigen Cabriolets stammten vielmehr von einer der stilsichersten Karosseriemanufakturen im damaligen Deutschland: Gläser aus Dresden. 

Mit diesem Stichwort nähern wir uns dem eigentlichen Gegenstand der heutigen Betrachtung, der auf folgender wiederum technisch mäßigen Aufnahme zu sehen ist:

Audi_Front_225_Spezial-Cabriolet_Gläser_1937_Galerie

Audi Typ 225 Spezial-Cabriolet; Originalaufnahme aus Sammlung Michael Schlenger

Ein Vorteil dieses Schnappschusses von der anderen Straßenseite liegt darin, dass wir den Aufnahmeort lokalisieren können.

Das Hotel Breidenbacher Hof gibt es heute noch in Düsseldorf, wenn auch stark verändert. Interessant für den modernen Betrachter ist, dass man ohne den Vorkriegswagen auf eine Aufnahme der frühen 1950er Jahre tippen wurde.

Nun, die architektonische Nüchternheit der Nachkriegszeit zeichnete sich schon in den 1930er Jahren ab. Der organisch gestaltete Wagen wirkt hier wie ein Fremdkörper.

Ebenso lagen die Konzepte der autogerechten Stadt damals in den Schubladen junger Architekten und Stadtplaner, denen die gezielten Bombardements der Alliierten in den historischen Zentren deutscher Städte die anschließende Arbeit erleichterten.

Wir übergehen dieses unerfreuliche Kapitel lieber und widmen uns dem Wagen, der wenige Jahre zuvor vor dem Breidenbacher Hof geparkt hatte:

Audi_Front_225_Spezial-Cabriolet_Gläser_1937_Ausschnitt

Wie schon erwähnt ist die Qualität der Aufnahme ziemlich bescheiden. Doch das wird wettgemacht durch das prachtvolle zweitürige Cabriolet mit gepfeilter Frontscheibe, das darauf zu sehen ist.

Wer genau hinsieht, kann oberhalb des vorderen Endes der Motorhaube die Silhouette der „1“ erahnen, die damals bei Audi als Kühlerfigur fungierte (siehe obiges Foto des Audi „Front“ Typ UW).

Schemenhaft zu erkennen sind die tropfenförmig gestalteten Frontscheinwerfer und die stromlinienförmig gezeichneten Vorderschutzbleche mit weit herunterreichenden Seitenschürzen. Hier kann man schon von Radhäusern sprechen.

Entscheidend ist etwas anderes: Die beiden horizontalen Felder in der Motorhaube, die die Kühlluftschlitze einrahmen, weisen eine unterschiedliche Länge auf.

Das gab es nur beim Audi Typ 225 in der 1937 gebauten Sonderversion mit der Bezeichnung „Spezial-Cabriolet“, die bei Gläser in Dresden entstand. Von diesem vollendet gestalteten Modell entstanden – man halte sich fest – nur 25 Exemplare.

Mit einem Mal gewinnt diese so unscheinbare und technisch mangelhafte Aufnahme eine ganz andere Bedeutung.

Vom Kennzeichen ist immerhin die Ziffernfolge „200 594“ zu erkennen. Damit sollten Spezialisten für Vorkriegs-Audis in der Lage sein, dieses Exemplar zu identifizieren, sofern es weitere Aufnahmen davon gibt.

Es gibt heute – soweit wir wissen – nur ein einziges überlebendes Auto dieses raren und hinreißend schönen Modells. Und wir können hier die rare Aufnahme eines solchen Fahrzeugs genießen, das einst über 8.000 Reichsmark kostete.

Das ist vielleicht einer der Vorzüge unserer Epoche: Das enorme gestalterische Können der Altvorderen ist lange dahin, aber die Früchte genießen, das können wir noch….

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E-Typ einmal anders: Audi 22/55 PS in „Stahlgewittern“

Der heutige Blogeintrag kommt mit gleich zwei Wortspielen daher – natürlich geht es hier nicht um den E-Typ von Jaguar, der mal wieder die Titelseite der „Motor-Klassik“ schmückt. Auch die Stahlgewitter sind nur als Anspielung zu verstehen.

Nichts gegen den Jaguar E-Type übrigens, formal wie technisch eines der begeisterndsten Autos, die je gebaut wurden. Sie sind nur nicht selten, wie man etwa hier sieht:

jaguar_e-types_goodwood_2016

Jaguar E-Types; Bildrechte Michael Schlenger

Dieses E-Type-Rudel fand sich 2016 auf dem Besucherparkplatz des Goodwood Revival Meeting in Südengland ein.  Man geht anerkennend daran vorbei – es gibt nun einmal Spannenderes – nicht nur in Goodwood, sondern auch hier.

Blenden wir 100 Jahre zurück (wir schreiben November 2017): Es herrscht Krieg in Europa. Vor einem Jahr, also im Dezember 1916, haben Deutschland und Österreich-Ungarn ein Angebot zu Friedensverhandlungen gemacht.

Dies geschah aus einer Position relativer Stärke der „Mittelmächte“. Es hätte dem Schlachten in Frankreich ein Ende machen können, in dem seit 1914 Millionen junger Männer von ihren Regierungen verheizt wurden.

Bei einem Friedensschluss 1917 wäre Europa wohl die russische Revolution, der Versailler Vertrag und das nationalsozialistische Regime erspart geblieben.

Doch die Gegenseite, die „Entente“ aus England, Frankreich und Russland, antwortete mit Forderungen, die auf die Zerstörung der staatlichen Einheit des Gegners abzielten.

Hinzu kam im April 1917 die Kriegserklärung der USA an Deutschland und Österreich-Ungarn. Das Schlachten sollte bis zum bitteren Ende 1918 weitergehen.

In Deutschland führte unterdessen die britische Seeblockade zu einer dramatischen Rohstoffverknappung. Dieses Originalfoto kündet davon:

Audi_D_oder_E_1914_Galerie.jpg

Audi Typ E 22/55 PS; Originalfoto aus Sammlung Michael Schlenger

Das ist eine Aufnahme, wie sie manche Freunde von Vorkriegsautos vielleicht noch nie gesehen haben. Sie führt eindringlich vor Augen, welche Improvisationen im 1. Weltkrieg auf Seiten der Mittelmächte erforderlich wurden.

Hier haben wir einen 6-sitzigen Tourenwagen, der an der Vorderachse  Stahlfederräder hat, mit denen man sich über den Mangel an Reifengummi hinweghalf.

Einer der Hersteller solcher Reifen war die Berliner Firma Seidel & Co., die im Krieg mit dem Markennamen AROP Reklame machte:

AROP-Reklame_Galerie

Originalreklame für AROP-Räder aus Sammlung Michael Schlenger

Autoräder ohne Pneu – dafür steht die Bezeichnung AROP. Mit den stahlgefederten Laufrädern dürfte der Hersteller ein gutes Geschäft gemacht haben.

Weiß ein Leser etwas über Laufeigenschaften und Haltbarkeit dieser Räder? Wie es scheint, bestand die Lauffläche aus einer Gummischicht, vergleichbar einem Vollgummireifen, nur dass die Stahlfedern für mehr Komfort sorgten.

Ein bemerkenswertes Detail zwar, doch interessanter ist der Wagen selbst – ein Audi, wie das Emblem auf folgender Ausschnittsvergrößerung erkennen lässt:

Audi_D_oder_E_1914_Ausschnitt1

So eindeutig die Marke ist, so  schwierig ist die Ansprache des genauen Typs.

Die bis zum Beginn des 1. Weltkriegs gebauten Audis gehörten einer Typenfamilie an, deren Entstehung bis in das Jahr 1910 zurückreicht.

Die vier Typen A, B, C und D unterschieden sich hauptsächlich in der Dimensionierung ihrer Motoren mit vier paarweise gegossenen Zylindern.

Auch wenn es zu den raren frühen Audis eine hervorragende Publikation gibt – Audi-Automobile 1909-40 von Kirchberg/Hornung (Verlag Delius-Klasing) – mangelt es an Bildmaterial zu den einzelnen Typen.

So ist aus Sicht des Verfassers unklar, welcher Logik die drei bis Ende des 1. Weltkriegs verbauten Kühlerformen folgten:

  • Der 137mal gebaute Audi Typ A 1/22 PS (1910-12) besaß einen Flachkühler wie das Auto auf dem Foto, doch hat auch ein Modell mit Schnabelkühler überlebt.
  • Von 1912-17 wurde der Audi Typ B 10/28 PS gebaut, in 350 Exemplaren. Von ihm finden sich Fotos mit Flachkühler, allerdings ragt dort das Audi-Emblem in das Kühlergitter hinein.
  • Den parallel verfügbaren Audi Typ C 14/35 PS, der über 1100mal gebaut wurde, gab es noch vor Kriegsausbruch 1914 mit Flach- und Spitzkühler, wobei beim Flachkühler das Audi-Emblem ebenfalls in das Kühlergitter hineinragte.
  • Vom nur rund 50mal gebauten Audi Typ D 18/45 PS (ab 1911) ist dem Verfasser nur ein Foto in der Literatur bekannt, das einen Flachkühler zeigt, wiederum mit in das Kühlernetz hineinragendem Emblem.
  • Bleibt das Spitzenmodell, der Audi Typ E 22/55 PS (ab 1913), von dem 300 Stück entstanden. Im Museum Sinsheim steht ein frühes Exemplar dieses Typs mit einem ähnlichen Kühler wie beim Wagen auf unserem Foto.

Doch auch hier gibt es im Detail einige Unterschiede, die mit der Produktion in Manufaktur erklärbar sind. Vermutlich war die Kühlerversion je nach Kundenwunsch variabel, so wie auch Benz Flach- und Spitzkühler parallel anbot.

Zudem gab es keine Werkskarosserien, weshalb kein früher Audi dem anderen glich.

Wie lässt sich angesichts dieser Ausgangslage der Audi auf dem Foto als E-Typ 22/55 PS identifizieren? Nun, die schieren Dimensionen sprechen dafür.

Während es alle Typen mit einem Radstand von etwas über 3 Metern gab, waren die ganz langen Modelle den Typen D und E vorbehalten.

Dabei fiel der Audi E-Typ mit einem maximalen Radstand von fast 3,50 m aus dem Rahmen. Nur bei ihm erreichte auch der offene Tourenwagen eine Gesamtlänge von deutlich über 4,50 m.

Hinzukommt, dass vom annähernd gleich dimensionierten D-Typ wie erwähnt nur rund 50 Stück gebaut wurden. Somit spricht die Wahrscheinlichkeit dafür, dass unser Foto Audis Spitzenmodell Typ E 22/55 PS zeigt. 

Mit diesem kraftvollen Wagen, der eine eher theoretische Spitzengeschwindigkeit von 100 km/h erreichte, verfügten die hinter der Front aufgenommenen Soldaten eine Fortbewegung, die man nur als privilegiert ansehen konnte:.

Audi_D_oder_E_1914_Ausschnitt2

Die Herren, die uns hier über eine Kluft von über 100 Jahren ansehen, scheinen Unteroffiziere der sächsischen Armee gewesen zu sein, wie ein Leser mitteilt. Das Nummernschild deutet auf die Zugehörigkeit zum XIX. Armeekorps hin, dessen Einzugsgebiet in Sachsen lag und das an der Westfront eingesetzt wurde.

Die friedliche Aufnahmesituation war keine Garantie dafür, dass den Männern das Grauen der Materialschlachten und der Gräbenkämpfe erspart blieb, wie sie in Ernst Jüngers „In Stahlgewittern“ brutal-trocken geschildert werden.

So mag die Stahlbereifung des mutmaßlichen Audi Typ E 22/55 PS auf die heute unvorstellbaren Härten verweisen, denen diese Generation von einer auf allen Seiten gleichermaßen rücksichtslosen politischen Führung ausgesetzt wurde.

Übrigens ist der Verfasser wie immer dankbar für ergänzende oder auch korrigierende Anmerkungen zu dem abgebildeten Fahrzeug, das in jedem Fall zur Zeit des 1. Weltkriegs eine äußerst seltene Erscheinung gewesen sein muss.

© Michael Schlenger, 2017. All entries in this blog (including embedded photos) are copyrighted by the author, unless otherwise indicated. Excerpts and links may be used, provided that credit is given to Michael Schlenger and https://www.klassiker-runde-wetterau.com with appropriate and specific direction to the original content.

 

 

 

 

 

 

 

 

Wer A sagt, muss auch B sagen: Audi 10/28 PS von 1912

Woran erkennt man eigentlich einen frühen Vorkriegswagen der Marke Audi? Dieser scheinbar einfachen Frage gehen wir heute nach – wie gewohnt anhand bisher unpublizierter Originalfotos.

Um die Antwort vorwegzunehmen und zugleich maximale Verwirrung zu stiften – ein früher Vorkriegs-Audi ist vor allem daran zu erkennen, dass gut leserlich der Schriftzug „Audi“ vorn auf dem Kühler prangt.

Moment, werden jetzt alle diejenigen rufen, die sich unter einem Vorkriegs-Audi einen Wagen vorstellen, der wie heute vier ineinandergreifende Ringe trägt, z.B. dieser hier:

DKW_Reichsklasse_Standesamt_Galerie

DKW „Reichsklasse“; Originalfoto aus Sammlung Michael Schlenger

So naheliegend es auch vielen erscheint, hier einen frühen Audi zu vermuten, bleibt es dabei: Die vier Ringe waren vor dem Krieg nie ein typisches Merkmal eines Audi – sie verwiesen schlicht auf den übergeordneten AUTO-UNION-Verbund.

Dazu gehörten neben Audi die ebenfalls sächsischen Marken DKW, Horch und Wanderer. Deshalb findet man die vier Ringe stets in Kombination mit dem Emblem der jeweiligen Konzernmarke – im vorliegenden Fall DKW:

DKW_Reichsklasse_Standesamt_Reserverad

Das typische DKW-Logo ist über den „Auto-Union“-Ringen recht gut zu erkennen.

Interessant ist bei diesem Ausschnitt der Hinweis auf dem Reserverradbezug, dass es sich um die Basisvariante „Reichsklasse“ eines der frontgetriebenen Zweizylinder-Zweitakter handelt, die in den 1930er Jahren enorm populär waren.

Offenbar wurde die „Reichsklasse“ nicht als minderwertig gegenüber der besser ausgestatteten Version „Meisterklasse“ empfunden. Kann jemand sagen, was unterhalb des Schriftzugs Reichsklasse zu sehen ist – eventuell der Aufkleber oder Aufdruck eines Autohauses?

Zurück zum Thema: Auch der folgende Wagen ist kein Audi, obwohl zumindest eine gewisse „Verwandschaft“ besteht:

Horch_830_Cabriolet_09-1934_Ausschnitt

Horch 830; Originalfoto aus Sammlung Michael Schlenger

Hier verraten das gekrönte „H“ und die Kühlerfigur in Form einer geflügelten Weltkugel, dass wir einen Horch vor uns haben, und zwar einen vom Typ 830.

Damit kommen wir Audi schon etwas näher, denn August Horch hatte nach seinem Weggang aus dem nach ihm genannten Unternehmen im Jahr 1910 unter der lateinischen Bezeichnung „Audi!“ („Horch!“) eine neue Firma gegründet.

Der Vollständigkeit halber sei hier ein weiterer Audi-Kandidat gezeigt, der trotz vier Ringen bzw. gerade deshalb ebenfalls keine Chancen hat:

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Wanderer W24; Originalfoto aus Sammlung Michael Schlenger

Diese Aufnahme zeigt einen Wagen der vierten Marke der Auto-Union, Wanderer. Bei näherem Hinsehen ahnt man ein geflügeltes „W“ auf der Spitze der Motorhaube, das auf den Hersteller hinweist.

Ja, woran könnte man dann einen Audi der Zwischenkriegszeit erkennen? Könnte es eine stilisierte „1“ gewesen sein? Immerhin ist „A“ der erste Name im Alphabet und „Audi“ kam so gesehen der erste Rang im Auto-Union-Verbund zu.

Tatsächlich hat es genau so etwas gegeben:

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Audi Typ 225 Luxus; Originalreklame aus Sammlung Michael Schlenger

Damit sind wir zwar etwas weiter, aber beileibe noch nicht am Ziel.

Tatsächlich verwendete man bei Audi die „Eins“ als Kühlerfigur bereits ab 1923 – also lange bevor die Firma Teil des Auto-Union-Verbunds wurde. Doch war eingangs nicht von frühen Vorkriegs-Audis die Rede?

Genau – Freunde der sächsischen (!) Marke denken bei Vorkriegs-Audis nämlich nicht nur an Gefährte der Zwischenkriegszeit, sondern auch an vor dem 1. Weltkrieg entstandene Autos.

Und da stellten sich die Dinge völlig anders da, nämlich so:

Audi_Typ_B_Tourenwagen_vor_1914_Galerie

Audi Typ B 10/28 PS; Originalfoto aus Sammlung Michael Schlenger

Das war nun ein ziemlicher Umweg bis zum Audi Typ B 10/28 PS, der im Titel des heutigen Blogeintrags angekündigt wurde.

Nebenbei wird so deutlich, wie verschlungen die Wege waren, auf denen der Markenname Audi und das vertraute Emblem bis in die Gegenwart gelangt sind.

Tatsächlich ist es alles andere als einfach, einen der ganz frühen Audis zu erkennen, wenn man kein Markenspezialist ist. So verstrich einige Zeit vom Erwerb dieses schönen Fotos bis zur Identifikation von Marke und Typ.

Dabei erscheint der Fall auf den ersten Blick ganz einfach: Sind von der Kühlerpartie nicht genügend Details zu erkennen, kann man dort nicht den Markennamen lesen?

Nein, lautet die Antwort, kann man leider nicht:

Audi_Typ_B_Tourenwagen_vor_1914_Frontpartie

Dummerweise hat unser Fotograf vor über 100 Jahren den Schärfenbereich des Kameraobjektivs zu knapp bemessen bzw. die Entfernung falsch eingeschätzt.

So sind nur die fein dekorierten Holzfenster im Hintergrund scharf abgebildet – nebenbei Exemplare im späten Jugendstil, die von einem untergegangenen Sinn für handwerkliche Qualität und formale Gestaltung künden.

Immerhin kam dem Verfasser nach einigen Recherchen – besser: ziellosem Durchblättern von Automobilliteratur – der Gedanke, dass dies ein Audi aus der Zeit vor dem 1. Weltkrieg sein könnte.

Darauf brachte ihn die Abbildung eines Audi Typ „A“ von 1910-12 im Standardwerk „Audi-Automobile 1909-1940“ von Kirchberg/Hornung. Dort fand sich ein Wagen mit ganz ähnlicher Kühlerpartie.

Zwar fehlte Audis Erstling vom Typ A in dem Buch noch der stufenlose Übergang von der Motorhaube über den Windlauf zur Frontscheibe. Doch wer „A“ sagt, muss auch „B“ sagen, so das Sprichwort.

Schon Ende 1911 ließ Audi auf den Typ „A“ den ähnlichen, aber auf 28 PS erstarkten Typ B erscheinen, außerdem die noch leistungsfähigeren Typen C und D.

Von diesen Wagen gibt es in der Literatur nur wenige historische Originalfotos. Der Audi Typ B ist in besagter Publikation in einem Exemplar von 1916 dokumentiert, das sogar noch existiert.

Dessen Frontpartie sieht aber eher wie diese hier aus:

Audi_Typ_C_ClassicDays_2017_Frontpartie

Audi Typ C, Baujahr: 1919; Bildrechte: Michael Schlenger

Bei diesem auf Schloss Dyck anlässlich der Classic Days 2017 präsentierten Audi Typ C von 1919 ragt die ovale Plakette mit dem diagonal verlaufenden „Audi“-Schriftzug in das Kühlernetz hinein, auch wirkt der Kühler hier höher als auf dem Foto.

Dennoch hilft uns diese Aufnahme bei der Eingrenzung des Wagentyps auf dem historischen Foto. Denn Audis der unmittelbaren Vorkriegszeit, also 1913/14, besaßen dasselbe Markenemblem wie der auf Schloss Dyck gezeigte Wagen, nur ragte es noch nicht in das Kühlernetz hinein:

Audi_Typ_B_Tourenwagen_vor_1914_Frontpartie2

Man sieht die Ähnlichkeit des schön gewölbten oberen Kühlerabschlusses und man kann auch erkennen, dass die ovale Markenplakette einen schräg nach oben verlaufenden Schriftzug aufweist.

Auch die vier nach hinten versetzten niedrigen Luftschlitze in der Motorhaube weisen auf einen Audi jener Zeit hin.

Der recht niedrige Kühler lässt vermuten, dass wir es mit dem kleinen Typ B zu tun haben. Denn bei den Schwestermodellen C, D und E (mit 35, 45 bzw. 55 PS) baute der Motor bei identischer Grundkonstruktion deutlich höher.

Gut nachvollziehen lassen sich die Größenunterschiede anhand einer im erwähnten Audi-Standardwerk auf S. 25 wiedergegebenen Abbildung der vier Aggregate, die Audi 1914 im Programm hatte.

Nachfolgende Aufnahme zeigt das typische Erscheinungsbild der Audi-Motoren der Typen B bis E mit den paarweise zusammengegossenen Zylindern:

Audi_Typ_C_ClassicDays_2017_Motor

Motor eines Audi Typ C von 1919; Bildrechte: Michael Schlenger

Die 28 PS des im Audi Typ B verbauten Motors mit 2,6 Liter Hubraum waren für die 1,2 Tonnen wiegende Tourenwagenversion ausreichend. Rund 70-80 km/h Höchstgeschwindigkeit waren damit erzielbar.

Die meisten Käufer der rund 350 bis 1917 gebauten Exemplare dürften eine eher gemächliche Gangart geschätzt haben. Auch die Insassen des Audis auf unserem Foto machen nicht den Eindruck, dass sie es sonderlich eilig hatten:

Audi_Typ_B_Tourenwagen_vor_1914_Insassen

Das waren Leute des gehobenen Bürgertums, die in der Lage waren, rund 10.000 Goldmark für einen solchen Manufakturwagen auf den Tisch zu legen.

Die aufpreispflichtigen Scheinwerfer scheinen sie sich aber verkniffen zu haben. Offenbar durfte man damals  bei Tage auch so herumfahren – eine aus heutiger Sicht sympathisch wirkende unbürokratische Regelung.

Übrigens können wir nicht ganz ausschließen, dass wir hier sogar eine rare Aufnahme des Vorgängertyps A 10/22 PS vor uns haben, von dem zwischen 1910-12 nur 137 Stück entstanden.

Ein Blick unter die Haube ist uns leider verwehrt – aber vielleicht kann ein Spezialist für ganz frühe Audis ja weiterhelfen.

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https://klassiker-runde-wetterau.com/2017/05/30/downsizing-im-jahr-1914-audi-typ-g-822-ps/

Ein DKW mit 6 Zylindern: der Audi „Front“

Die sächsische Marke DKW – speziell ihre Frontantriebswagen – gehören zu den häufigsten „Gästen“ auf diesem Oldtimerblog für Vorkriegsautomobile.

Dabei sind wir schon einigen Spezialausführungen begegnet wie dem schicken F5 Front Luxus Roadster oder dem rassigen Tornax Rex. Doch selbst die besaßen nie mehr als zwei Zylinder und arbeiteten nach dem Zweitaktprinzip.

Da mutet ein 6-Zylinder-DKW doch arg unglaubwürdig an – auch die eher seltenen Hecktriebler aus Zwickau mussten sich mit vier Töpfen begnügen.

Dennoch lässt sich die These vertreten, dass DKW einst auch Sechszylinderwagen vom Stapel ließ – die bloß als Audi verkauft wurden.

Das zu erklären, ist nicht ganz einfach. Am besten beginnen wir mit dem Audi, den wir hier zuletzt anhand eines Fotos eines Lesers vorstellen konnten:

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Audi Typ M 18/70 PS; Originalfoto aus Sammlung Klaas Dierks

Das ist der mächtige Audi Typ M 18/70 PS mit 4,7 Liter großem 6-Zylindermotor, der bis 1928 in rund 230 Exemplaren gebaut wurde. Die Stückzahl verrät bereits, dass Audi damals Manufakturwagen produzierte.

Daneben meinte man mit einem 8-Zylinderwagen glänzen zu müssen, dem nur 145mal gebauten „Imperator“.

Die Leserschaft wird es verzeihen, dass der Verfasser in diesem Fall auf eine Werksaufnahme aus seinem Archiv zurückgreifen muss – private Fotos dieses Dinosauriers sind nun einmal äußerst rar:

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Audi Typ R 19/100 PS Imperator; Werksaufnahme aus Sammlung Michael Schlenger

Auf diesen 100 PS starken Koloss im „Amerikaner“-Stil wollen wir an dieser Stelle nicht näher eingehen.

Das Fahrzeug illustriert aber, in welcher Nische sich Audi Ende der 1920er Jahre bewegte. Versuche, die Produktionskapazität auszuweiten, scheiterten an Kapitalmangel und fehlenden Typen, die dafür geeignet gewesen wären.

Am Ende waren die hochverschuldeten Audi-Werke nur noch Verfügungsmasse der Banken, die diesen Ballast geschickt bei DKW platzierten, deren Chef Rasmussen damals eine kühne Expansionsstrategie verfolgte.

Nach der Übernahme durch DKW im Jahr 1928 wurden im Audi-Werk noch eine Weile Achtzylinderwagen produziert, doch der Absatz ging immer weiter zurück.

Daran war DKW nicht ganz unschuldig. Denn auch dort hatte man sich in Sachen 8-Zylinderwagen verkalkuliert. DKW hatte in den USA das „Rickenbacker“-Motorenwerk gekauft und dessen Maschinen nach Deutschland verschifft.

Die auf Weisung von DKW mit Rickenbacker-Motoren gebauten 8-Zylinder-Audis erwiesen sich als Desaster.

Unterdessen hatte DKW-Chef Rasmussen jedoch erkannt, dass sich das Zwickauer Audi-Werk viel besser zur Massenproduktion des neu entwickelten DKW-Front-Typs eignete, der ein Riesenerfolg werden sollte.

Hier haben wir die Ausbaustufe DKW F4, wie sie 1934/35 gebaut wurde:

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DKW F4 Front; Originalfoto aus Sammlung Michael Schlenger

Schon bei den DKW-Kleinwagen hatten die Zwickauer gezeigt, wie attraktiv man Fronttriebler verpacken konnte und wie gut sie sich verkaufen ließen, wenn man über ausreichende Produktionskapazität verfügte.

Die hatte DKW in Zwickau in Form des Audi-Werks. Dennoch plante man für die einverleibte Marke eine neue Karriere als Hersteller frontgetriebener Wagen, die oberhalb der DKWs angesiedelt waren.

1933 war es soweit – der erste Audi Front wurde präsentiert:Audi_Front_Anfang_1933_Galerie

Das soll ein Fronttriebler sein? Tja, so ändern sich die Zeiten.

Heute geht der Vorderradantrieb mit banalster Gestaltung einher, und die Käufer scheinen in dieser Hinsicht entsprechend abgestumpft zu sein. Doch in den frühen 1930er Jahren waren frontgetriebene Autos in Europa die Speerspitze des Fortschritts und entsprechend selbstbewusst kamen diese Wagen daher.

Zudem war in den 1930er Jahren noch die Kunst stilsicherer Formgebung lebendig und man nutzte plastische Gestaltungstechniken statt Computer-Design – ein Grund für die skulpturenhafte Anmutung vieler Autos jener Zeit.

Übrigens war in der Zwischenzeit auf Betreiben der Gläubigerbanken DKW nebst Tochter Audi mit Horch in der Auto Union zusammengefasst worden, zu der sich noch Wanderer aus Chemnitz gesellte, was Anlass zum legendären Emblem aus vier ineinandergreifenden Ringen gab.

So kam im ersten Audi Front kurzerhand ein Wanderer-Sechszylindermotor mit 40 PS zum Einsatz. Für den Frontantrieb waren einige Anpassungen erforderlich, doch das zunächst knapp 2 Liter messende Aggregat fügte sich gut ein.

Man erkennt die ganz frühen Exemplare des Audi Front vor allem am Fehlen seitlicher „Schürzen“ an den vorderen Schutzblechen:

Audi_Front_Anfang_1933_Ausschnitt

Audi Front 8/40 PS; Originalfoto aus Sammlung Michael Schlenger

Wer hier spontan an einen Horch denkt, hat vermutlich die „1“ auf dem Kühler übersehen – das Erkennungszeichen der Audis seit 1923. Ansonsten ist die stilistische Ähnlichkeit durchaus gegeben.

Die Form der seitlichen Luftklappen in der Motorhaube entspricht zwar nicht dem Erscheinungsbild der frühen Limousinen, doch hier haben wir ein Cabriolet, das in der Regel von Gläser in Dresden gebaut wurde und solche Details aufwies.

Leider ist die Qualität der Aufnahme zu schlecht, um die markante „Gläser“-Plakette erkennen zu können, die meist unten vor der A-Säule angebracht wurde.

Nicht viel besser ist das folgende Foto, doch private Aufnahmen von Audis der Vorkriegszeit sind so selten, dass man nehmen muss, was man kriegen kann:

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Audi Front 8/40 PS; Originalfoto aus Sammlung Michael Schlenger

Trotz der Unschärfe lässt sich dieser Audi Front sehr genau datieren. Er weist noch die seitlichen Luftklappen auf, die im Frühjahr 1934 Schlitzen wichen. Gleichzeitig verfügt er über Kotflügelschürzen, die erst ab Herbst 1933 auftauchten.

Man mag kaum glauben, dass sich ein so edles Auto nur schleppend verkaufte. Einer der Gründe war die geringe Leistung – selbst die eher biederen Hanomag-Sechszylinder des Typs „Sturm“ leisteten 50 PS.

Daher verbaute man ab 1934 beim Audi Front einen ebenfalls 50 PS leistenden Motor, dessen Hubraum (2,25 Liter) nun Einzug in die offizielle Bezeichnung hielt: Audi Front Typ 225.

Der neue Motor wurde wieder von Wanderer übernommen, galt aber als sehr durstig. Auch andere Mängel lasteten auf dem Image des überarbeiteten Modells.

Erst die 1936 vorgestellte, optisch und technisch weiter verfeinerte Version Audi Typ 225 Luxus wusste vollends zu überzeugen. Dazu trug auch die nochmals gesteigerte Motorleistung von 55 PS bei:

audi_front_reklame_galerie

Audi-Reklame ab 1936; Original aus Sammlung Michael Schlenger

Außer der gestiegenen Motorleistung sind dieser historischen Reklame weitere Details zu entnehmen:

Auf der Mittelstrebe des Kühlers prangt das Auto-Union-Emblem, das bei den ganz frühen Exemplaren des Audi Front noch fehlte.

Außerdem sieht man zwei übereinanderliegende Reihen Kühlluftschlitze, die bis Produktionsende 1938 beibehalten wurden. Rund 4.400 Exemplare des auf DKW-Initiative entstandenen Audi „Front“ entstanden bis dahin.

Zwar liest man bisweilen wie im Fall von DKW oder Adler, dass die frontgetriebenen Audis nach Kriegsbeginn 1939 von der Requirierung für die Wehrmacht verschont blieben, weil sie als untauglich galten.

Doch Fotos von Frontantriebswagen aller drei genannten Marken finden sich zahlreich in den Fotoalben deutscher Soldaten und das nicht nur bei Versorgungseinheiten hinter der Front.

Es wäre ja auch merkwürdig, dass ausgerechnet der frontgetriebene Citroen 11 CV eines der verbreitetsten und beliebtesten Beutefahrzeuge bei der Truppe war und die Fronttriebler aus eigener Produktion verschmäht worden sein sollen.

Einen einst im Dienst der Wehrmacht gelaufenen Audi Typ 225 Luxus zeigt wahrscheinlich auch diese Aufnahme:

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Audi Typ 225 Luxus, Originalfoto aus Sammlung Michael Schlenger

Der durchgehend matte Lack und das verlorengegangene Auto-Union-Emblem auf dem Kühler machen einen Einsatz im Krieg wahrscheinlich.

Auch die nicht originale Stoßstange spricht dafür, dass wir es mit einem Veteranen zu tun haben, der nach dem Krieg in neue Hände kam, die auf Originalität wenig Wert legten.

Vielleicht kann ein Leser sagen, auf welche Nationalität das merkwürdige Kennzeichen verweist. Mangels Kombinationsmöglichkeiten kann es nur zu einem kleinen Staat oder einer Organisation mit begrenzter Fahrzeugzahl gehört haben.

Der Verfasser ist für alle Hinweise in dieser Richtung dankbar!

Literatur: Audi-Automobile 1909-40, von Peter Kirchberg und Ralf Hornung, Verlag Delius Klasing, 2. Auflage 2015

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Fund des Monats: Audi Typ M 18/70 PS Pullman-Cabriolet

Für die Beschäftigung mit den Automobilen der Vorkriegszeit gibt es viele Gründe:

Der eine schätzt die eigentümliche Schönheit und spezielle Bedienung der Pionierautos der Messingära, der andere genießt die oft schlichte Funktionalität der 1920er Jahre, wiederum ein anderer schwelgt lieber in der Opulenz der 30er.

Dann gibt es die Sportler, die sich für liebenswerte Cyclecars und rassige Specials begeistern und diese noch heute in authentischer Manier ausfahren.

Nicht unerwähnt lassen wollen wir auch die Gourmets, für die nur die großen Raritäten und Luxusgeschöpfe aus Edelmanufakturen zählen. 

Für diese Klientel haben wir heute einen besonderen Leckerbissen – einen Audi!

Ja, wird jetzt mancher denken, dem Kerl geht das Material aus, jetzt versucht er schon einen Audi zum Exoten hochzuschreiben.

Doch den Freunden ausgestorbener Marken wie Apollo, MAF oder Oryx sei versichert – der Fundus enthält auch für Kenner noch reichlich Überraschungen.

Warum dann ausgerechnet Audi? Nun, man muss sich von der Vorstellung freimachen, dass die heutigen „Premium“-Fahrzeuge, die unter diesem Namen die Autobahnen bevölkern, irgendetwas mit den Vorkriegs-Audis gemein haben.

Als Beweis dieses sensationelle Originalfoto, das wir Leser Klaas Dierks verdanken:

Audi_18_70_PS_Typ_M_Klaas_Dierks_Galerie

Audi Typ M 18/70 PS; Originalfoto aus Sammlung Klaas Dierks

Bevor wir uns diesem kolossalen Geschöpf mit der gebotenen Demut nähern, ein paar Worte zur Bedeutung der Marke von Audi in der Vorkriegszeit.

Der 1910 von August Horch nach dem Ausscheiden aus dem gleichnamigen Werk in Zwickau gegründete Hersteller gehörte von Anfang an zur Elite der deutschen Oberklasseproduzenten.

Die technisch brillianten Wagen wurden in Manufaktur produziert, waren dementsprechend sagenhaft teuer und schon zu Lebzeiten Raritäten.

So unglaublich es aus heutiger Sicht klingt: Audi gelang es nur in den Jahren 1934 und 1939 mehr als 1.000 Autos zu bauen, das entsprach in den USA der Tagesproduktion eines Serienherstellers der zweiten Reihe…

Kein Wunder, dass jeder Vorkriegsliebhaber schon etlichen Horchs begegnet ist, aber einem Audi aus jener Zeit? Tja, der Verfasser hatte immerhin einmal das Vergnügen, beim Festival de l’Automobile 2013 im elsässischen Mühlhausen.

Jetzt aber zu dem Prachtstück auf dem Foto:

Audi_18_70_PS_Typ_M_Klaas_Dierks_Frontpartie

Wer hier die vier Ringe sucht, die heutige Audis auf Anhieb erkennbar machen, sei daran erinnert, dass diese erst nach Einbeziehung von Audi in die Auto-Union ab 1933 auf dem Kühlergrill erschienen.

Hier haben wir es aber eindeutig mit einem Modell der 1920er Jahre zu tun. Formal weisen vor allem die Gestaltung der Vorderschutzbleche und die senkrechte Frontscheibe auf eine frühe Entstehung hin.

1923 tauchte die hier gut zu erkennende „Eins“ auf dem Kühlerverschluss der Audis auf. Damit hätten wir das frühestmögliche Baujahr dieses Wagens. Tatsächlich wurde der Prototyp des mächtigen Fahrzeugs im selben Jahr vorgestellt.

Es handelt sich um den von 1924 bis 1928 gebauten Typ M mit der Leistungsbezeichnung 18/70 PS.

Zwar gab es ab 1927 einen auf den ersten Blick ähnlichen Audi, den nur 145mal gebauten Typ R „Imperator“. Bei diesem war aber das hier noch in das Kühlernetz hineinragende Audi-Emblem nach oben in die Kühlermaske gewandert.

Doch kein Grund enttäuscht zu sein, denn der Audi Typ M war fast genauso selten und ebenfalls technisch enorm aufwendig:

Sein 4,7 Liter messender Sechszylinder verfügte über die damals präziseste Art der Ventilsteuerung, eine königswellengetriebene obenliegende Nockenwelle. Die Höchstleistung von 70 PS war zugleich die Dauerleistung.

Bei einem Wagengewicht von rund 2,5 Tonnen – je nach Karosserieaufbau – wurde diese Leistung ebenso benötigt wie die servounterstützten Vierradbremsen.

Audi bot hier eine eigenständige Lösung: Der Pedaldruck wurde über zwei Hydraulikzylinder verstärkt, wobei die Bremsen selbst noch seilzugbetätigt waren.

Hauptvorteil war die bequeme Bedienung, die auch beim Verzögern aus Höchstgeschwindigkeit (100 km/h) gewährleistet war. Mehr Tempo war damals auf öffentlichen Straßen ohnehin nicht vertretbar.

Bevor wir auf den Preis dieses Luxusdampfers zu sprechen kommen, werfen wir noch einen Blick auf den Aufbau:

Audi_18_70_PS_Typ_M_Klaas_Dierks_Insassen

Wer nun meint, dass die Insassen besonders klein gewesen sein müssen, irrt. Die vor dem Wagen stehende Dame mit dem Fuchspelz dürfte gut 1,70 Meter groß gewesen sein. Das lässt sich anhand der Gesamthöhe des Audi von 2,05 Meter abschätzen.

Zu diesem Koloss müssten die meisten Menschen auch heute noch aufschauen. Dank der Gesamtlänge von 5 Meter wirkte der Audi aber dennoch wohlproportioniert, wie andere Aufnahmen in der Literatur belegen.

Übrigens stammte dieser grandiose Aufbau als Pullman-Cabriolet nicht von Audi selbst – man hatte im Werk keine Karosseriefertigung. Leider ist dem Verfasser nicht bekannt, wer den Aufbau lieferte – die Literatur schweigt sich dazu aus.

So oder so war für solche technologische Meisterschaft und majestätische Ausführung ein aberwitziger Preis zu zahlen. Das hier abgebildete Pullman-Cabriolet kostete mit Karosserie im Jahr 1927 sagenhafte 27.000 Mark.

Zum Vergleich: Der zeitgleich von Adler angebotene 6-Zylindertyp 18/80 PS (nicht zu verwechseln mit dem Nachfolger Standard 6) war 10.000 Mark billiger!

Noch mehr Geld als für den Audi konnte man in Deutschland eigentlich nur bei Maybach versenken. Entsprechend fiel der Absatz“erfolg“ aus. In den vier Jahren der Produktionsdauer wurden nur 228 Exemplare vom Audi Typ M gefertigt.

Der höchste Jahresabsatz wurde 1926 erzielt: 84 Stück, das war fast die Gesamtproduktion von Audi in diesem Jahr (116 Wagen). Dass davon heute überhaupt noch einige wenige existieren, grenzt an ein Wunder.

Ein zeitgenössisches Originalfoto von solch einem Fabeltier ist beinahe eine ebensogroße Rarität. Dass uns der Besitzer hier großzügig an seinem Finderglück teilhaben lässt, dürfen wir als Privileg empfinden…

Literatur: Audi-Automobile 1909-40, von Peter Kirchberg und Ralf Hornung, Verlag Delius Klasing, 2. Auflage 2015

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„Downsizing“ im Jahr 1914: Audi Typ G 8/22 PS

Bei der Beschäftigung mit der Frühzeit des Automobils stößt man immer wieder auf Phänomene, die heutzutage von Werbeleuten – korrigiere: Marketing-Professionals – als großer Geistesblitz verkauft werden.

So standen der aktuell vielgerühmten „E-Mobility“ vor über 100 Jahren in den USA jede Menge Elektroautos gegenüber, die den damaligen Bedürfnissen perfekt entsprachen.

Die bis heute ungelösten Probleme wie hohes Gewicht, exorbitante Kosten, lange Ladedauer, geringe Energiedichte und Reichweite sowie abnehmende Batteriekapazität spielten damals keine Rolle.

Ein Automobil war ohnehin ein Luxusgegenstand. Überhaupt autonom unterwegs sein zu können, war ein Privileg und gegenüber den frühen Benzinkutschen waren Elektroautos ausgereift und einfach zu bedienen – wie gesagt, vor über 100 Jahren.

Ein anderes Schlagwort ist das „Downsizing“ – im Prinzip der Versuch, Bauteile oder ganze Aggregate ohne nennenswerte Nutzeneinbußen zu verkleinern und damit wirtschaftlicher zu machen.

In die Hose geht das Ganze, wenn man über Jahrzehnte errungene Standards wie großzügige Kofferräume, reichlich Beinfreiheit und gute Übersichtlichkeit für gestalterische Exzesse opfert, wie das in der Gegenwart der Fall ist.

Kein Wunder, dass so viele Leute im Alltag Wagen der 1980/90er Jahre nutzen, die moderne Fahrwerke, Sicherheit und viel Platz bieten…

In der Frühzeit des Automobils bedeutete „Downsizing“ dagegen, dass man versuchte, Standards der Oberklasse in kleinerem Format zu verwirklichen. Das galt für Proportionen, Verarbeitung und Leistungsfähigkeit.

Mitunter waren die Wagen, die dabei herauskamen, in mancher Hinsicht besser als das auf den ersten Blick höherwertige und teurere Vorbild. Ein Beispiel dafür sehen wir auf folgender historischen Aufnahme:

Audi_Typ_G_8-22_PS_um_1920_1_Ausschnitt

Audi Typ G 8/22 PS; Originalaufnahme aus Sammlung Michael Schlenger

Auch wenn die genaue Identifikation kühn erscheint, lässt sich dieser Tourenwagen als Audi des Typs G 8/22 PS ansprechen. Den Beweis führen wir noch anhand einer zweiten Aufnahme desselben Wagens, also etwas Geduld.

Nach der Gründung durch August Horch im Jahr 1910 brachte Audi eine Reihe konstruktiv und äußerlich ähnliche Modelle auf den Markt, die sich durch stetig wachsende Leistung auszeichneten.

Auf den Erstling, den Audi A mit 22 PS, folgten die Typen B (28 PS), C (35 PS), D (45 PS) und E (55 PS). Damit ging ein Hubraumwachstum auf zuletzt 5,7 Liter einher, bei gleichbleibender Zylinderzahl (4) und im Prinzip unveränderter Bauweise.

Doch 1914 entschied man sich zu einem radikalen Schritt: Auf einem technisch weitgehend identischen, aber verkleinerten und leichteren Fahrgestell montierte man einen neukonstruierten Motor mit einem Hubraum von nur 2,1 Liter.

Dieses Aggregat sollte bis in die frühen 1920er Jahre der modernste Antrieb bleiben, den Audi im Angebot hatte. Hier wurden erstmals alle vier Zylinder in einem glattflächigen Block zusammengefasst.

Den 1. Weltkrieg über und bis 1926 baute Audi über 1.000 Wagen des G-Typs. Nur ein einziger davon soll noch existieren, so das Standardwerk „Audi Automobile 1909-1940“ von Peter Kirchberg und Ralf Hornung.

Umso wertvoller erscheint da jedes Originalfoto dieses Typs. Damit wären wir bei Aufnahme Nr. 2 des hier vorgestellten Wagens:

Audi_Typ_G_8-22_PS_um_1920_2_Galerie

Auf diesem Foto finden sich die Details, die eine präzise Identifikation des Wagentyps erlauben.

Dass wir es mit einem Audi aus der Zeit kurz nach dem 1. Weltkrieg zu tun haben, verrät der eigenwillige Spitzkühler mit dem leicht nach unten geneigten ovalen „Audi“-Emblem an der Front der Kühlermaske.

Damit kommen freilich alle Vorkriegstypen in Frage, die Audi ab 1919 weiterbaute. Leider hilft uns das Audi-Standardwerk von Kirchberg/Hornung in diesem Fall nicht weiter.

Doch vor einigen Tagen kam mit der Post ein Buch, an dessen Entstehung beinahe 40 Jahre zuvor ebenfalls Peter Kirchberg beteiligt war.

Er verfasste 1975 in der damaligen „DDR“ zusammen mit Paul Gränz ein bis heute unerreichtes Werk über die einstigen Automarken auf ostdeutschem Boden: „Ahnen unserer Autos“.

Darin findet sich auf Seite 42 der 2. Ausgabe von 1981 eine Abbildung des Fahrgestells des Audi Typ G 8/22 PS mit Kühler und Motor. In allen Details stimmt diese Aufnahme mit der Ausschnittsvergrößerung auf unserem Foto überein:

Audi_Typ_G_8-22_PS_um_1920_2_Ausschnitt

Wir sehen hier denselben glattflächigen Motorblock mit den waagerechten Kühlrippen, wie ihn in den ersten Jahren nach dem 1. Weltkrieg nur der kompakte Audi Typ G 8/22 PS besaß.

Auch die markante Formgebung des Kühlwassergehäuses, in der sich die äußere Kühlerform spiegelt, sowie der steil nach unten reichende Schlauch bzw. Flansch am Motor stimmen präzise überein.

Erst 1921 sollte Audi mit dem Typ K einen moderneren Wagen vorstellen, ohne annähernd ähnliche Stückzahlen zu erreichen. Nur die Audi-Frontantriebsmodelle der 1930er Jahre hatten vergleichbaren Erfolg.

Tatsächlich gehören die Vorkriegs-Audis zu den seltensten deutschen Automobilen jener Zeit – man findet in der heutigen Klassikerszene eher einen Horch als einen der konkurrierenden Wagen aus Zwickau (!). Ja, wer bei Audi spontan an Ingolstadt denkt, muss leider nachsitzen…

Solche Aha-Effekte sind beinahe an der Tagesordnung, wenn man sich einmal auf die Welt der Vorkriegsautos einlässt. Dort gab es einst eine Vielfalt, von der wir heute entgegen der offiziellen Propaganda nur träumen können.

© Michael Schlenger, 2017. All entries in this blog (including embedded photos) are copyrighted by the author, unless otherwise indicated. Excerpts and links may be used, provided that credit is given to Michael Schlenger and http://www.klassiker-runde-wetterau.com with appropriate and specific direction to the original content.

Exklusiver geht’s kaum: Audi Typ E 22/55 PS Tourenwagen

Damit keiner meint, auf diesem Blog gebe es in Sachen altes Blech nur Standard (hier und hier), bringen wir heute mal wieder etwas richtig Exklusives, einen Audi!

Audi, sind das nicht diese rasenden Vertreterkisten, die gefühlt mindestens 50 % der linken Autobahnspur für sich beanspruchen? Oder waren das nicht früher biedere Mittelklassemobile, mit denen man nicht von der Schule abgeholt werden wollte?

Weit gefehlt: Hier geht es um Audis aus einer Zeit, in der die Wagen zum Seltensten gehörten, was man auf Deutschlands Straßen zu Gesicht bekam.

Vor 100 Jahren war Audi ein Premiumhersteller, der von den meisten Typen nur ein paar hundert Exemplare baute. So verfügt der Verfasser zwar über Originalfotos von Raritäten wie AGA, Brennabor, NAG, Presto oder Stoewer, die hier nach und nach vorgestellt werden. Doch bei den frühen Audis herrscht bislang Fehlanzeige.

Dank eines Lesers dieses Blogs – Udo Ammerschuber aus Weimar (Thüringen) – können wir heute ein besonderes Prachtexemplar präsentieren:

Audi_E_22-55PS_Ammerschuber_Galerie

© Audi Typ E 20/55 PS Tourenwagen, Mitte der 1920er Jahre; Bildrechte: Udo Ammerschuber

Bevor wir den genauen Typ besprechen, ein kurzer Rückblick zur Markenhistorie: Zu den Gründern von Audi gehörte August Horch – neben Daimler und Benz der wohl wichtigste deutsche Autokonstrukteur der Frühzeit. Horch verließ 1909 das unter seinem Namen firmierende Unternehmen im sächsischen Zwickau aufgrund interner Querelen.

Rasch gelang es Horch, das Kapital für eine Neugründung einzusammeln. Ein brillianter Schachzug war die Namensgebung: „Audi“ bedeutet schlicht „Horch!“ auf Lateinisch, es klingt außerdem nach „Auto“ und ist den meisten Sprachen mühelos auszusprechen.

Ab 1910 wurden dann die ersten Audis gebaut – natürlich in Zwickau, damals einer der wichtigsten Standorte der deutschen Autoindustrie. Die Stückzahlen blieben gering, Audi wollte von Anfang als Qualitätsmarke wahrgenommen werden.

Enormes Ansehen brachten die Siege bei der Österreichischen Alpenfahrt 1911-14. Hinter dem harmlosen Namen verbarg sich eine knüppelharte Zuverlässigkeitsprüfung, die sich zuletzt über knapp 3.000 km mit 30 Alpenpässen erstreckte.

Das spektakuläre Abschneiden der Audi-Teams kam dem Markenimage auch nach dem 1. Weltkrieg zugute, als zunächst die Vorkriegstypen weitergebaut wurden.

Damit wären wir bei dem Foto, das uns Udo Ammerschuber freundlicherweise zur Verfügung gestellt hat. Er hat es im Fotoalbum der Familie gefunden und weiß, dass es den Wagen seines Urgroßvaters zeigt; Marke und Typ waren ihm aber unbekannt.

Nun, da können wir Abhilfe schaffen. Wie so oft bei Tourenwagen der Vorkriegszeit ist die Gestaltung der Frontpartie entscheidend. Schauen wir genauer hin:

Audi_E_22-55PS_Ammerschuber_Frontpartie

Vom Kühlergrill sieht man nicht viel, aber umso mehr von der Kühlerfigur – einer „1“, die von der in Fahrtrichtung linken Seite gesehen richtig herum steht. Ab 1923 war die „1“ das Markenzeichen von Audi – ein erstes wichtiges Indiz, wenn auch noch kein Beweis.

Geht man nun mit der Arbeitshypothese „Audi Tourenwagen Mitte der 1920er Jahre“ die Bilder in der einschlägigen Literatur durch, findet man genau eine Entsprechung: den von 1913-24 gebauten Audi Typ E 22/55 PS.

Nur er weist die charakteristische Abfolge von vier Luftschlitzen in der Motorhaube und zwei weiteren im Seitenteil auf. Auf dem Foto von Udo Ammerschuber ist der untere Teile der Luftschlitze nicht zu sehen, da das Original an dieser Stelle beschädigt ist. Retuschen halfen hier nur bedingt, das ursprüngliche Erscheinungsbild herzustellen.

Zum Vergleich sei auf den Audi Typ E auf Seite 60 des im Verlag Delius-Klasing erschienen Standardwerks „Audi-Automobile 1909-40“ von Kirchberg/Hornung verwiesen. Der dort in der Mitte links abgebildete Wagen stimmt in allen Details mit dem Fahrzeug auf dem Foto überein.

Wie muss man sich den auf dem Foto nur teilweise zu sehenden Kühler dieses Wagens vorstellen? Zufälligerweise hat der Verfasser 2013 beim Festival de l’Automobile im elsässischen Mühlhausen die Frontpartie eines ähnlichen Audi jener Zeit fotografiert, leider ohne die charakteristische Eins auf dem Kühler:

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© Audi Spitzkühler-Tourenwagen, Anfang der 1920er Jahre; Bildrechte: Michael Schlenger

Es handelt sich um einen Spitzkühler, wie ihn etliche deutsche Autos kurz vor und nach dem 1.Weltkrieg trugen. So markant fiel er aber nur bei den damaligen Audis aus.

Nach so viel formalen Details ein paar Worte zur Technik: Der Audi Typ E 22/55PS war vor und nach dem 1. Weltkrieg das Spitzenmodell der Zwickauer Marke und entsprechend großzügig motorisiert. Der Vierzylinder mit satten 5,7 Liter Hubraum leistete 55 PS, die er über ein 4-Gang-Getriebe an die Hinterachse übertrug.

Das Wagengewicht hing vom Aufbau ab und betrug in der offenen Ausführung 1,7 Tonnen. An die 100km/h konnte man mit dem Wagen erreichen, wenngleich das auf den Straßen jener Zeit ein theoretischer Wert war. Wichtiger war die dank des großen Hubraums souveräne Leistung an Steigungen.

Ein derartig leistungsfähiger und großzügiger Wagen hatte natürlich seinen Preis. 1914 rief Audi für den Typ E 22/55 PS damals unglaubliche 14.500 Reichsmark für das Chassis mit Motor, aber ohne Karosserie auf. Nach dem Krieg wurde es eher teurer…

Wie sahen die Leute aus, die sich so etwas leisten konnten? Dazu ein letzter Blick auf das schöne Foto von Udo Ammerschuber:

Audi_E_22-55PS_Ammerschuber_Insassen

Das waren selbstbewusste, weltgewandte Leute, die es gewohnt waren, in eine Kamera zu schauen. Das Foto ist eine würdige Erinnerung an sie und den grandiosen Audi, der wahrscheinlich den Weg alles Irdischen gegangen ist. Nur rund 300 Stück davon wurden in der langen Bauzeit von 1913-24 gefertigt.

Ein solcher Audi war schon immer eine Rarität und daher sei dem Besitzer dieses Privatfotos herzlich für die Genehmigung gedankt, es hier veröffentlichen zu dürfen.

Übrigens steht im Automuseum in Mühlhausen einer der wenigen überlebenden Audis des Typs E 22/55 PS.