Fund des Monats: Hansa-Lloyd Trumpf-Aß oder NAG?

Der Fund des Monats November fiel für mich anfänglich fast ein wenig enttäuschend aus. Denn weder konnte ich mit einem Foto aus meinem eigenen Fundus aufwarten, noch vermoche ich Wesentliches zur Identifikation des darauf abgebildeten Wagens beitragen.

So schien es mir jedenfalls auf den ersten Blick zu sein.

Dennoch bin ich sicher, dass Sie – liebe Leser – ganz auf Ihre Kosten kommen. Das gilt vor allem, wenn Ihnen der Sinn nicht nur nach Nischenfabrikaten steht, sondern auch gelungene Aufbauten Ihr Herz erfreuen – und es gern ein wenig rätselhaft sein darf.

Diese ideale Kombination kann ich jedenfalls heute anbieten, und ich wüsste wirklich nichts daran auszusetzen, wäre da nicht der Makel, dass ich mich (fast) komplett mit fremden Federn schmücke. Doch das werden Sie mir in diesem Fall verzeihen:

Hansa-Lloyd „Trumpf-Aß“ von 1927 ((angeblich); Foto aus dem Borgward Archiv; Originalabzug aus Sammlung Jörg Pielmann

Ein zweitüriges Cabriolet mit hinreißender Linienführung ist das zweifellos. Ich hätte es aus stilistischer Perspektive auf ca. 1930 datiert, doch worum es sich genau handelt, das wäre mir vermutlich verborgen geblieben.

Ins Auge fällt unabhängig davon das ungewöhnlich niedrige Chassis, welches auf eine „Underslung“-Konstruktion hindeutet. Diese ist dadurch gekennzeichnet, dass die blattgefederten Achsen nicht unterhalb des Leiterrahmens angebracht sind, sondern darüber. Der Rahmen ist also unter der Achse entlanggeführt, was einen wesentlich niedrigeren Schwerpunkt und damit bessere Straßenlage ermöglicht.

Diese Lösung wurde bereits weit vor dem 1. Weltkrieg ersonnen – das US-Fabrikat „American Underslung“ trug den Hinweis sogar im Namen. Doch kam so etwas letztlich nur für sportliche Fahrzeuge in Betracht, die sich nicht auf den meist noch kaum befestigten und unebenen Straßen im Alltag bewähren mussten.

Doch zum Posieren in der Großstadt und bei einschlägigen Schönheitskonkurrenzen eignete sich dieses Konzept vorzüglich.

Die elegante Erscheinung des oben gezeigten Wagens ist natürlich auch der außergewöhnlich langen Motorhaube geschuldet, die auf einen Reihensechser oder gar ein Achtyzlinderaggregat schließen lässt; beide bauten wesentlich länger als ein Vierzylindermotor, zumindest wenn sie auch einen größeren Hubraum besaßen.

Aber was ist das denn jetzt für ein Fahrzeug, werden Sie wissen wollen?

Nun, zwar kam mir die Form ein wenig vertraut vor, doch wäre ich nicht auf das gekommen, was auf der Rückseite des Originalabzugs steht, welcher sich in der Sammlung von Leser Jörg Pielmann befindet:

Demnach handelte es sich bei dem schicken Zweitüren-Cabrio um das Achtzylindermodell „Trumpf-Aß“ aus dem Hause Hansa-Lloyd, Baujahr 1927.

Tatsächlich baute der norddeutsche Traditionshersteller ab 1926 in kleinen Stückzahlen auch Achtzylinderwagen mit satten 100 PS Höchstleistung – anfänglich mit 4,6 Litern Hubraum, ab 1927 dann mit 5,2 Litern.

Das waren auch technisch beeindruckende Konstruktionen mit hochfeinem Ventiltrieb über im Zylinderkopf liegende Nockenwelle, getrieben wiederum von einer Königswelle.

Nüchtern veranlagte Zeitgenossen werden sich freilich von solchem Vokabular nicht ablenken lassen. „Stand auf dem Abzug nicht etwas von 7 Litern Hubraum?“ werden Skeptiker stattdessen fragen.

Vollkommen richtig und als ebenfalls keinen vermeintlichen Autoritäten hörige Person machte mich das ebenso stutzig wie die für mich unplausible Jahresangabe 1927.

Konnte man dem Vermerk vielleicht auch in sonstiger Hinsicht nicht trauen?

Werfen wir nochmals einen Blick auf die Vorderpartie des Wagens und prägen uns das Erscheinungsbild der Motorhaube mit den Proportionen der Luftschlitze und der Position des hinteren Haubenhalters ebenso ein wie die Gestaltung des Kühlwasserdeckels:

Und noch etwas: Die Ausführung der Räder mit dem sechseckigen Emblem auf den Nabenkappen behalten wir ebenfalls im Hinterkopf.

Solchermaßen präpariert wenden wir uns nun einem Foto aus meiner Sammlung vor, das ich schon einmal präsentiert habe – es zeigt einen NAG-Protos des Typs 16/80 PS (Bauzeit: 1930-33) in der besonders begehrten Ausführung als Sport-Cabriolet.

Hier haben wir das Prachtwück auf einem originalen Pressefoto:

NAG-Protos 16/80 PS Sport-Cabriolet (Typ 208), Bauzeit: 1930-33, originales Pressefoto von 1930 aus Sammlung Michael Schlenger

Meinen Sie nicht auch, dass die Gestaltung von Haubenpartie, Vorderkotflügel und Kühlwasserdeckel vollkommen übereinstimmen?

Gut, die Radkappen weichen ab, handelt es sich doch hier um Drahtspeichenräder mit Zentralverschlussmutter statt Radbolzen. Aber das sechseckige Logo, das auf den Nabenkappen des angeblichen Hansa zu sehen ist, findet sich hier unterhalb des Motorhaubenhalters.

Kann das ein Zufall sein? Ich halte das für sehr unwahrscheinlich, auch wenn der „Hansa“ auf dem Foto von Jörg Pielmann am Heck anders gestaltet ist als das Sport-Cabrio von NAG-Protos.

Denkbar wäre zwar, dass der Hansa vom selben Karosseriebauer eingekleidet wurde wie der NAG-Protos. Aber wenn ich es richtig verstehe, war der Aufbau als Sport-Cabriolet ein Werksfabrikat des Herstellers selbst.

Außerdem halte ich es für unglaubwürdig, dass die markante Gestaltung des Deckels für den Kühlwassereinfüllstutzen (wohlgemerkt: keine Kühlerfigur) bei zwei Herstellern identisch sein sollte, die nichts miteinander zu tun haben.

Sie sehen: Am Ende habe ich doch etwas Eigenes beizusteuern zu diesem Fund des Monats. Natürlich mag ich falsch liegen mit meiner These, dass der vermeintliche Hansa ein Wahrheit ein NAG-Protos war und bloß das Foto falsch beschriftet wurde.

Doch jetzt sind Sie an der Reihe, liebe Leser, denn dass Sie diese schönen Dinge einfach nur so genießen dürfen, das kann ich nicht immer gewährleisten.

Manchmal kommt man der Lösung nur im sportlichen Meinungsaustausch näher und dass wir es hier mit einem ganz besonderen Sport(objekt) zu tun haben, daran kann kein Zweifel bestehen…

Michael Schlenger, 2023. All entries in this blog (including embedded photos) are copyrighted by the author, unless otherwise indicated. Excerpts and links may be used, provided that credit is given to Michael Schlenger and https://vorkriegs-klassiker-rundschau.blog with appropriate and specific direction to the original content.   

Der Weg zur Erleuchtung: Ein Selve Tourer um 1920

In der griechischen Philosophie der Antike wie im Zen-Buddhismus gibt es ein hübsches Gleichnis, dessen jeweilige Aussage bemerkenswert übereinstimmt. In beiden Fällen geht es den Schülern um die Erlangung des jeweils höchsten Ziels – der Seelenruhe, der Glückseligkeit oder eben der Erleuchtung (Zen).

Die Schüler bemühen sich redlich, studieren die einschlägigen Werke, meditieren eifrig und denken sich, dass sich so irgendwann der erhoffte Zustand einstellen muss. Doch weit gefehlt, nichts dergleichen will ihnen gelingen.

Sie fragen daraufhin ihren Lehrmeister, was sie noch tun können. In einer fernöstlichen Variante ignoriert sie der Meister völlig oder murmelt irgendeine Belanglosigkeit wie „Das Wasser fließt stets den Berg hinab“ und lässt sie damit allein. Sie müssen schon selbst zur inneren Erleuchtung gelangen, sonst ist es keine.

Die griechische Version, an die ich mich erinnere, geht in die Richtung, dass der Lehrer ihnen rät, das Streben nach der Seelenruhe einfach sein zu lassen. In dem Moment, in dem sie aufhören, angestrengt danach zu suchen, folge diese ihnen ganz von selbst wie der eigene Schatten.

Daran musste ich heute denken, als ich wieder einmal Dutzende von Fotos in meinem Fundus mit unidentifizierten Vorkriegswagen durchstöberte – wild entschlossen, dass sich ein Geistesblitz einstellen möge. Doch nichts in der Hinsicht geschah.

Eigentlich hätte ich es besser wissen müssen, denn die Erleuchtung in diesen Dingen gelingt tatsächlich oft meist beiläufig im Vorübergehen, wenn man eigentlich einer anderen Sache nachgeht und sich plötzlich wie von selbst eine Erkenntnis einstellt.

So hatte ich bereits aufgegeben und dachte, dass ich dann eben irgendeinen eindeutigen Fall präsentiere – am Material mangelt es ja nicht. Doch dann blieb der Blick hieran hängen:

Selve Typ 6/20 PS oder 6/24 PS, Bauzeit: 1919-1923; Originalfoto: Sammlung Matthias Schmidt (Dresden)

Dieses schöne Foto eines Tourenwagens der frühen 1920er Jahre hatte mir Leser Matthias Schmidt (Dresden) vor einiger Zeit in digitaler Form zugesandt. Irgendeine Vermutung hatte ich seinerzeit geäußert, doch die Aufnahme dann erst einmal aus dem Auge verloren.

Heute aber wurde mir schlagartig klar, warum sich dieses Auto mit der hübschen, aber damals keineswegs einzigartigen Zweifarblackierung und dem ebenfalls modischen Spitzkühler ohne erkennbares Emblem präzise ansprechen lässt.

Die Kühlerform fand sich seinerzeit ähnlich auch beim Presto Typ D 9/30 PS, während die beiden Griffmulden in der Seite der Motorhaube eher typisch für Hansa-Automobile waren.

Doch für die angestrebte Erleuchtung sorgte letztlich, dass ich die seitlich am Windlauf hinter der Motorhaube montierten Standlichter bemerkte. Diese waren der Schlüssel zur Erkenntnis, denn die gab es so nach meiner Wahrnehmung nur an den Typen 6/20 PS bzw. 6/24 PS, welche der norddeutsche Hersteller Selve von 1919-1923 baute.

Hier haben wir ein prachtvolles Vergleichsexemplar auf einem Foto von Leser Klaas Dierks:

Selve Typ 6/20 PS oder 6/24 PS, Bauzeit: 1919-1923; Originalfoto: Sammlung Klaas Dierks

Ignorieren Sie die abweichende Ausführung des Tourenwagenaufbaus, das war damals individuelle Manufakturarbeit. Konzentrieren Sie sich stattdessen ganz auf die Frontpartie.

Stellt sich mühelos die Erleuchtung ein?

Falls nicht, muss das folgende Beispiel aber nun wirklich erhellend wirken – denn hier erkennt man sogar das Selve-Emblem auf dem Kühler:

Selve Typ 6/20 PS oder 6/24 PS, Bauzeit: 1919-1923; Originalfoto: Sammlung Peter Graß

Sie sehen: So einfach kann es sein, sich illluminieren zu lassen. Die dazu erforderlichen Beleuchtungsmittel und die Bereitschaft, sich ganz den sinnlichen Eindrücken auszuliefern, vorausgesetzt geht das ganz von alleine.

Es mag etwas weit hergeholt erscheinen, doch in der Tat lassen sich solche Fälle am ehesten dadurch lösen, dass man nicht angestrengt nach der Erkenntnis sucht, sondern sich einfach dem ausliefert, was an Eindrücken bereits in einem selbst vorhanden ist.

Ganz ohne eigenes Zutun bleibt unser Geist an Vergleichbarem hängen, das er einmal unbewusst bemerkt und abgespeichert hat und serviert unserem Bewusstsein die ersehnte Erkenntnis wie auf dem Silbertablett. Dann dürfen wir uns erleuchtet fühlen und empfinden für einen Moment Glückseligkeit, weil sich zuvor rätselhafte Dinge in sonnenklarer Erkenntnis auflösen, auch wenn es bloß um Vorkriegsautos geht.

Solchermaßen erleuchtet verabschiede ich mich für heute. Morgen steht der Fund des Monats November an – was das sein wird? Keine Ahnung, ich lasse es einfach geschehen. Das scheint mir der rechte Weg zur Erleuchtung zu sein in diesen dunklen Tagen…

Michael Schlenger, 2023. All entries in this blog (including embedded photos) are copyrighted by the author, unless otherwise indicated. Excerpts and links may be used, provided that credit is given to Michael Schlenger and https://vorkriegs-klassiker-rundschau.blog with appropriate and specific direction to the original content.   

Krasse Kontraste: Mercedes-Benz 170 (W15)

Ich weiß nicht, was Sie sehen, wenn Sie gerade aus dem Fenster schauen – bei mir in der hessischen Wetterau jedenfalls haut es seit Stunden Schnee herunter, der inzwischen auch liegenbleibt und das Ende November.

Für meine klimatisch verwöhnte Region ist das eher eine seltene Situation und die Aussicht auf frühmorgendliches Schneeschippen oder zumindest Streuen vor der Hofeinfahrt sorgt nicht eben für Begeisterung.

Zu krass ist der Kontrast zu dem, was ich vor gerade zwei Tagen in Italien hinter mir ließ:

Blick vom Monte Subasio auf die Valle Umbra im November 2023; Bildrechte: Michael Schlenger

Auf knapp 700 Meter Höhe, etwas unterhalb der am Südhang des Monte Subasio (Umbrien) gelegenen Einsiedelei „Eremo della Trasfigurazione„, bot sich mir dieser prächtige Blick auf die Ebene der „Valle Umbra“ – einer uralten Kulturlandschaft zwischen Perugia und Spoleto.

Wie üblich ist die Landschaft auch nach einem warmen und trockenen Sommer noch grün, denn über’s Jahr gibt es reichlich Regen (dieses Frühjahr eher mehr als sonst) und das Lokalklima hat sich dort über die Jahrhunderte kaum geändert. Wo bereits in vorrömischer Zeit vor 2500 Jahren Wein- und Olivenanbau praktiziert wurden, ist das auch heute der Fall.

Allerdings lag am Morgen meiner Abfahrt ein erster Hauch Schnee wie Puderzucker auf den Gipfeln oberhalb 1000 Metern und erinnerte daran, dass der Winter dort für krasse Kontraste sorgen kann. Das soll auch das Thema meines heutigen Blogeintrags sein.

Tatsächlich ist der Weg aus der Welt der Gegenwart in den Winter der Vorkriegszeit ein ganz kurzer und ebenso von krassen Kontrasten geprägt:

Mercedes-Benz 170 oder 200; Originalfoto: Sammlung Marcus Bengsch

Hier ist die Welt zumindest oberflächlich betrachtet noch in Ordnung, denn die Sonne lacht und man kann sich als privilegierter Automobilist irgendwo im Grünen abseits des Lärmens der Großstadt dem süßen Schlummer hingeben – wenn man nicht gerade zu tun hat wie die Dame an der Reiseschreibmaschine.

Diese Berliner Herrschaften verdankten ihr vordergründiges Glück dem Besitz eines Mercedes-Benz des Sechszylindertyps 170 (W15), der ab 1931 gebaut wurde. Es kann sich auch um eine frühe Ausführung des Modells 200 (ab 1933) handeln, die nahezu identisch aussah und mit 40 PS nun einigermaßen passabel motorisiert war.

Beide Versionen besaßen noch einen Flachkühler, der erst 1935 einem moderaten Spitzkühler wich. Formal konservativ gezeichnet – eigentlich schon veraltet – zeichnete sich der kleine Mercedes immerhin durch ein zeitgemäßes Fahrwerk mit Einzelradaufhängung aus – vorne an den Querblattfedern erkennbar.

Gleichwohl war der Kontrast zu den damals modernsten Konzepten krass – zu denen bereits der Vorderradantrieb zählte, wie ihn Stoewer, DKW und Adler in den frühen 30ern kultivierten. Offenbar wollte die Mercedes-Kundschaft aber nicht zur Avantgarde gehören.

Krasse Kontraste ergeben sich aber auch bei der Betrachtung eines weiteren Dokuments, welches einen solchen kompakten Sechszylinder-Mercedes jener Zeit zeigt.

Das fängt schon damit an, dass es mir nicht wie gewohnt als Papierabzug, sondern als Glasnegativ vorliegt:

Mercedes-Benz 170 oder 200; Glasnegativ aus Sammlung Michael Schlenger

In den 1930er Jahren als Privatperson statt eine Rollfilmkamera noch eine Plattenkamera zu verwenden, ist schon außergewöhnlich und ein weiterer krasser Kontrast zu den technischen Tendenzen der Zeit.

Wir haben dadurch jedenfalls das Vergnügen, dem Original ganz nah zu sein, denn diese Glasplatte befand sich tatsächlich an dem (leider unbekannten) Ort, an dem die Aufnahme entstand.

Nun können wir schauen, wie sich dieser negative Zeitzeuge in ein positives Abbild verwandelt.

Im ersten Schritt zaubern wir aus dem eingescannten Negativ via Bildbearbeitung ein Positiv daraus. Dieses stellt sich allerdings unerwartet flau und kontrastarm dar:

Mercedes-Benz 170 oder 200; Glasnegativ aus Sammlung Michael Schlenger

Da muss einfach mehr Kontrast her, entschied ich. Auch das lässt sich via Software (ich verwende die kostenlose 0815-Anwendung „Irfan-View“) einfach bewerkstelligen.

Belichtungsfehler und Filmmängel, aber auch durch falsche Lagerung bedingtes Verblassen (bei Abzügen) lassen sich vom Amateur mühelos und ganz nach Gusto korrigieren.

Ich fackelte ich nicht lange und schob den Regler so weit hoch, bis mir das Ergebnis gefiel. Das sieht so aus und steht in krassem Kontrast zu der ersten Aufnahme des Mercedes 170:

Mercedes-Benz 170 oder 200; Glasnegativ aus Sammlung Michael Schlenger

Was sagen Sie nun? Zuviel des Guten oder gerade richtig?

Sicher eine Geschmacksfrage, aber nun bekommt man immerhin eine Ahnung von der Situation in einem winterlich verschneitem Wald bei einigen Minusgraden.

Sicher werden die beiden hier noch gut aufgelegten Herren auf baldige Weiterfahrt gedrängt haben, auch wenn der Wagen serienmäßig keine Heizung besaß. Mercedes war bei Extras schon immer knauserig. Dieses Defizit ließ sich freilich im Zubehörhandel beheben.

Auch wenn einen die Situation beinahe selbst frösteln lässt, sei noch ein näherer Blick auf den Wagen gewagt, denn hier kann man die vordere Querblattfeder erkennen, an welcher die Räder zumindest unabhängiger federn konnten als bei einer Starrachse:

Mercedes-Benz 170 oder 200; Glasnegativ aus Sammlung Michael Schlenger

Das Kennzeichen des Wagens verrät, dass der Mercedes im einstigen Landkreis Melle zugelassen war, also im Regierungsbezirk Osnabrück.

Mehr konnte ich leider nicht in Erfahrung bringen, da ich das Glasnegativ ohne weiterführende Informationen erworben habe.

Dass am Ende eines Daseins nur noch solche spärlichen Reste von einem einst intensiven Leben künden, das gehört zu den krassen Kontrasten zwischen unserer Selbstwahrnehmung und dem wenigen, was letztlich von uns übrigbleibt und irgendwo an den Gestaden der Zeit strandet – sofern es nicht völlig unbemerkt bleibt…

Michael Schlenger, 2023. All entries in this blog (including embedded photos) are copyrighted by the author, unless otherwise indicated. Excerpts and links may be used, provided that credit is given to Michael Schlenger and https://vorkriegs-klassiker-rundschau.blog with appropriate and specific direction to the original content.   

Spurensuche: Beckmann-Automobile (Folge 5: 1906/07)

Zur Monatsmitte steht eine neue Folge der Beckmann-Spurensuche an, die ich dank der Dokumente und Informationen von Christian Börner unternehmen darf. Er ist der Urenkel von Paul Beckmann, der 1898 im damals noch schlesischen Breslau mit dem Bau von Automobilen begann.

Die Geschichte dieser einst durchaus bedeutenden Marke ist bislang nicht umfassend und in die Tiefe gehend dokumentiert. Was ich hier in Sachen Beckmann präsentiere, kratzt sicher nur an der Oberfläche, weckt aber vielleicht bei dem einen oder anderen Sammler das Interesse und führt so hoffentlich zu neuen Materialien und Erkenntnissen.

Leider habe ich heute nicht viel Zeit, um mir ein Konzept zurechtzulegen, denn ich habe es ein wenig eilig – geht es doch morgen für rund 10 Tage auf Reisen. Doch Herr Börner hat vorgebaut und so können wir es diesmal sportlich angehen.

Die Jahre 1906/07, denen wir uns heute widmen, waren nämlich für die inzwischen florierende Firma Beckmann von Wettbewerbseinsätzen geprägt, die interessante Spuren hinterlassen haben.

Doch wollen wir bei der Gelegenheit nicht unerwähnt lassen, dass Paul Beckmann bereits ab 1902 an solchen Prüfungen teilgenommen hatte und die Qualitäten seiner Wagen unter Beweis stellen konnte. Dazu übergebe ich das Wort an Christian Börner:

„Mein Urgroßvater Paul Beckmann wollte sich bereits frühzeitig durch Teilnahme an Automobil-Wettbewerben Gewissheit über die Fähigkeiten seiner Wagen verschaffen und den damit verbundenen Werbeeffekt nutzen.

Sein erster mir bekannter Einsatz war die Teilnahme an der „Qualitätsfahrt Breslau-Wien“ über eine Distanz von 450 km im Juni 1902. Die drei gestarteten Beckmann-Wagen errangen die drei ersten Preise, Beckmann kam mit seinem Mitfahrer als zweiter ins Ziel. Weiß jemand mehr über die übrigen Teilnehmer an dieser Fahrt?

Im Jahr darauf – also 1903 – nahm Paul Beckmann wiederum persönlich an der 800 km langen „Zuverlässigkeitsfahrt Breslau-Frankfurt a.M.“ teil, an der elf Fahrzeuge beteiligt waren. Von den drei ausgesetzten Ehrenpreisen fiel einer an Beckmann, die beiden anderen Preise ergatterten zwei Opel-Wagen. Auch hier wären ergänzende Informationen, zeitgenössische Berichte und Abbildungen willkommen.“

Bilddokumente konnte mir Christian Börner dann erstmals für Sporteinsätze anno 1906 zur Verfügung stellen. Hier haben wir den Chef höchstselbst auf dem beeindruckenden 40-Beckmann-Wagen mit dem er damals die „Herkomer Konkurrenz“ bestritt:

Paul Beckmann am Steuer des 40 PS-Modells, 1906; Originalabbildung via Christian Börner

Das ist das bislang mit Abstand beeindruckendste Foto eines „Beckmann“, das wir anlässlich unserer Spurensuche bewundern dürfen.

Ein Tourenwagen dieses Kalibers kann anno 1906 nicht bloß der Spleen eines lokalen Nischenherstellers aus Schlesien gewesen sein – Beckmann-Wagen stießen tatsächlich überregional auf Interesse, auch wenn das in der Literatur teils anders zu lesen ist.

Besagte „Herkomer-Konkurrenz“ fand im Juni 1906 zum zweiten Mal statt. Dazu wieder O-Ton von Christian Börner:

„Diese Fahrten waren Zuverlässigkeitsprüfungen auf langen Distanzen, ergänzt durch Sonderprüfungen. Für die 1906er Fahrt hatten sich sage und schreibe 155 Teilnehmer mit Fahrzeugen 46 unterschiedlicher Hersteller aus dem In- und Ausland angemeldet.

Paul Beckmann witterte die Werbewirksamkeit einer Teilnahme und hatte sich ebenfalls registrieren lassen. Die Herkomer Konkurrenz nahm ihren Ausgangspunkt in Frankfurt am Main (auf der Hanauer Landstraße an Kilometer 3, um genau zu sein) und führte dann über die spektakuläre Distanz von 1.600 km über München, Salzburg, Wien, Klagenfurt, Innsbruck zurück nach München, wobei zwischendurch diverse Sonderprüfungen zu bewältigen waren.

Hier sehen wir Paul Beckmann auf seinem wackeren 40 PS-Wagen beim Zieleinlauf nach der „Schnelligkeitsprüfung“:

Beckmann 40 PS-Modell bei der Herkomer Konkurrenz 1906; Originalabbildung via Christian Börner

Bei dieser Geschwindigkeitsprüfung auf der 5,5 km langen Strecke im Forstenrieder Park erreichte Paul Beckmann eine hervorragende Durchschnittsgeschwindigkeit von 92 km/h und damit den 7. Wertungsplatz. Dabei ließ er manche weit stärkere Wagen, z.B. von Mercedes oder Métallurgique, hinter sich.

In der Gesamtwertung der Herkomer Konkurrenz 1906 wurde Beckmann ein silbernes Ehrenschild zuerkannt – was auch immer das bedeutete.

Der Bekanntheit der Marke im Deutschen Reich – und vielleicht sogar darüber hinaus – konnte das jedenfalls nur zuträglich sein.

Paul Beckmann sorgte anno 1906 konsequenterweise auch für einen repräsentativen Stand seiner Firma auf der Berliner Automobil-Ausstellung:

Beckmann-Stand auf der IAA in Berlin 1906; Originalabbildung via Christian Börner

Sieht so die Präsenz eines Nischenherstellers von lediglich lokaler Bedeutung auf einer der wichtigsten Automessen Europas aus?

Ganz bestimmt nicht – und von daher müssen Beckmann-Automobile mehr Spuren hinterlassen haben als die wenigen, die sich in der kargen und veralteten Literatur zu der Marke finden.

Christian Börner weiß zu berichten, dass die Marke Beckmann auch das Jahr 1907 wieder „sportlich“ angehen ließ.

„Im Januar 1907 fand in Schweden eine äußerst anspruchsvolle Winter-Fernfahrt von Stockholm nach Göteborg über 515 km statt – der Schwedische Winterpokal)

Daran nahm ein gewisser H.P. Janek aus Helsingborg mit seinem Beckmann-Doppelphaeton 12/14 PS teil. Er startete zwar mit der Nummer 1, musste aber auch bereits als erster schon nach 8 Minuten aufgeben – ein glatteisbedingter Unfall setzte seinen Ambitionen ein jähes Ende.“

Hier haben wir den Unglücksraben beim Start:

Beckmann 12/14 PS beim Schwedischen Winterpokal 1907; Originalabbildung via Christian Börner

Interessant ist diese Episode natürlich deshalb, weil sie den wohl ersten dokumentierten ausländischen Besitzer eines Beckmann zeigt. Auch in dieser Hinsicht sind weitere Dokumente wünschenswert, die im Idealfall noch frühere Beispiele dafür liefern.

1907 fand zudem eine neuerliche Ausgabe der Herkomer Konkurrenz statt. Wieder ließ es sich Paul Beckmann nicht nehmen, selbst an dem vielbeachteten Wettbewerb teilzunehmen. Christian Börner weiß dazu folgendes:

„Insgesamt waren 189 Teilnehmer gemeldet, davon sind 161 angetreten, ins Ziel gekommen sind nach sechs Tagen lediglich 108 – offenbar fand eine harte Auslese statt.

Der Start war diesmal in Dresden, die Route war 1.818 km lang und ging über Leipzig, Eisenach, Würzburg, Mannheim, Freudenstadt, Lindau, München und Augsburg zum Ziel in Frankfurt am Main.

Eine Sonderprüfung auf Geschwindigkeit gab es abermals im Forstenrieder Park bei München, außerdem eine Bergwertungsprüfung am Kesselberg (Lkr. Bad Tölz).“

Beim Start in Dresden entstand damals diese Aufnahme des teilnehmenden Beckmann:

Beckmann 40 PS-Modell bei der Herkomer Konkurrenz 1907; Originalabbildung via Christian Börner

„In Anbetracht der großen Konkurrenz mit vielen wesentlich stärkeren Fahrzeugen, darunter 12 Mercedes, 16 Benz, je 7 Adler und Opel, war es eine achtbare Leistung von Paul Beckmann und seinem 40 PS-Phaeton, in der Gesamtwertung als 16. das Ziel strafpunktfrei erreicht zu haben. Hierfür wurde ihm eine goldene Plakette verliehen.“

Mit der Erwähnung dieser sportlichen Lorbeeren für die Beckmann-Wagen in den Jahren 1906/07 will ich die heutige Spurensuche beenden.

Zwar gab es Ende 1907 noch eine beeindruckende Neuerung der Breslauer Autofirma zu bestaunen, doch die betraf genau genommen das Modelljahr 1908 und wird daher der Ausgangspunkt, wenn wir Mitte Dezember wieder auf Entdeckungsfahrt auf den Spuren der Beckmann-Automobilbaus gehen.  

Nach diesem sportlich in die Tastatur gehämmerten Blog-Eintrag werde ich mir nun einige Stunden des Schlummers gönnen, bevor es morgen (eigentlich schon heute) wieder einmal gen Süden geht. Italien lockt auch im November mit seinen Reizen…

Ende November nehme ich meine Niederschriften in diesem Online-Tagebuch wieder auf – bis dahin muss ich auf das inzwischen reichliche Material in meinem Blog und in den begleitenden Galerien verweisen – zu beidem können Sie gegebenfalls gern beitragen.

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Beim Produkttest porträtiert: Ein Studebaker „Special Six“

Ein Unternehmenschef, der selbst mit seinem Geld im Feuer steht, wenn es pressiert – einer, der sein Produkt selbst erprobt und dessen kritischster Tester ist: Das ist das Ideal des Entrepreneurs im Unterschied zum bloß angestellten Geschäftsführer.

Der Kapitalist, der auf Gedeih und Verderb mit dem Schicksal seiner Firma verbunden ist, weil er sein Vermögen darin investiert hat – alles gewinnen und alles verlieren kann. Das war in vielen Fällen das Geheimnis der unglaublichen Blüte der US-Automobilindustrie, die bis in die 1930er Jahre weltweit ihresgleichen suchte.

Im heutigen Blog-Eintrag kommt beides zusammen – der Unternehmenslenker, der die Kundenperspektive aus eigener Anschauung kennt und ein amerikanisches Automobil, das im besten Sinn ein Kind des frei flottierenden Kapitalismus war.

Die frühe Geschichte der Marke Studebaker liest sich atemberaubend – sie begann mit den Brüdern Studebaker in South Bend (Indiana), die bereits ein Vermögen mit Pferdewagen gemacht hatten, als sie 1902 das erste Automobil unter ihrem Namen herausbrachten.

Die weitere Geschichte ist von einer raschen Abfolge von Kapitalgebern und Unternehmenslenkern geprägt, die ein Motiv einte: am rapide expandierenden US-Automarkt (dem mit Abstand größten der Welt) reich und einflussreich zu werden.

Mit bräsiger Beamtenmentalität, die vor allem auf die Sicherstellung einer üppigen Pension schielt, ist unternehmerischer, also strikt marktorientierter Geist nicht vereinbar – auch wenn in unseren Tagen wieder einmal zu 100 % vom Steuerzahler alimentierte Figuren meinen, die Geschicke gleich einer ganzen Volkswirtschaft „planen“ zu können.

Ich weiß nicht, inwieweit der Direktor der Munitionsfabrik Preßburg einst auch an „seinem“ Betrieb beteiligt war und ob dieser überhaupt privatwirtschaftlich organisiert war. Normalerweise sind Rüstungsfirmen ja eng mit der Politik verbandelt – nebenbei eine fatale Allianz damals und heute, weil es einen freien Markt für Kriegswaffen nicht gibt.

Allerdings wissen wir, dass Oskar Braun, der in den 1920er Jahren der Munitionsfabrik Preßburg vorstand, mit der Ernsthaftigkeit eines Entrepreneurs zum Test der eigenen Produkte ausrückte:

Studebaker „Special Six“ von 1925/26; Originalfoto aus Familienbesitz (via Johannes Kühmayer, Wien)

Im vorliegenden Fall ist das deshalb so genau bekannt, weil der Neffe von Oskar Braun, welcher hier mit Hut vor einem Tourenwagen anlässlich eines Jagdausflugs porträtiert ist, mir dieses Foto mit der Bitte um Identifikation des Wagens zugesandt hat.

Sein Name ist Johannes Kühmayer und diese Aufnahme ist nicht die erste und hoffentlich nicht die letzte, die ich mit Automobilen seiner weitverzweigten Verwandtschaft aus Vorkriegszeiten zeigen darf.

Als ich das Foto erhielt, wusste ich sofort, was für ein Wagen das war, mit dem Oskar Braun nebst Jagdgesellschaft ausgerückt war, um die Wirksamkeit der Munition selbst am (noch) lebenden Objekt zu testen.

Die Jagd betrachte ich grundsätzlich als ein notwendiges Übel in einer vom Menschen geprägten Kulturlandschaft. Jeder, dessen Vorgarten (oder bei manchen auch: Golfplatz) von Wildschweinen ruiniert wurde, wird das ebenso sehen.

Hingegen die Jagd zum Vergnügen am Töten und zum Zelebrieren eines primitiven Trophäenkults verachte ich. Nur komplexbehaftete oder aus der Art geschlagene Zeitgenossen töten ihre Mitgeschöpfe ohne Not und halten ihre im Fall von Schusswaffen risiko- und anstrengungslose Betätigung aus der Ferne auch noch für Sport.

Wer sich jetzt angegriffen fühlt, hat Pech gehabt. Ein Blog ist ein persönliches Tagebuch, in dem Dritte online mitlesen können. Dazu muss man ein voll ausgebildetes entspanntes Verhältnis zur ggf. auch radikal anderen Meinung haben – leider zunehmend eine Rarität.

Nun aber zurück zu dem Jagdwagen, welchen Munitionsfabrikleiter Oskar Braun einst nutzte, wenn es zum praktischen Produkttest ins Gelände ging. Dafür waren amerikanische Fabrikate von jeher besonders geeignet, vereinten sie doch oft breite Spur, große Bodenfreiheit und starke Motoren, um auch abseits befestigter Straßen voranzukommen.

Im vorliegenden Fall gibt es nicht viel zu rätseln – wir haben es mit einem Studebaker „Special Six“ des Modelljahrs 1925/26 zu tun. Er verfügte über ein 65 PS leistendes Sechszylinderaggregat. Nicht ausschließen können wir, dass es sich sogar um einen „Big Six“ mit 75 Pferdestärken handelte, der formal weitgehend identisch war.

Ich erspare mir und Ihnen umständliche Herleitungen, denn wie es der Zufall will, befindet sich in meinem Fundus ein passendes Foto, das alle Fragen beantwortet und darüber hinaus durch seine besondere Ausstrahlung begeistert:

Studebaker „Special Six“ von 1925/26; Originalfoto: Sammlung Michael Schlenger

Dieser einst im Tessin aufgenommene Studebaker von 1925/26 entspricht präzise dem Tourenwagen, mit welchem sich einst Direktor Oskar Braun anlässlich eines Outdoor-Produkttests porträtieren ließ.

Eine prachtvolle Aufnahme ist das, welche die gewünschte Klarheit schafft, zugleich aber von einem problematischen Thema ablenkt und uns mit der Vorstellung eines strahlenden Sommertags in südlichen Gefilden erfreut.

Oft genug waren es solche „Amerikanerwagen“, wie man damals hierzulande zu sagen pflegte, welche ihren Besitzern eine souveräne Überquerung der Alpen ermöglichten. Eine Aktivität, welche noch mehr meine Billigung findet als die eines Firmenlenkers, der „sein“ Produkt selbst erprobt, weil sein Wohl und Wehe davon abhängt…

Nachtrag: Zum weiteren Schicksal seines Onkels Oskar Braun teilte mir Johannes Kühmayer noch das Folgende mit:

Mein Onkel Oskar Braun war meist in Begleitung seiner Frau Hilda oft wochenlang vorzugsweise am Balkan und in der Türkei auf Geschäftsreisen. Die beiden wurden sogar vom Gründer der modernen Türkei Kemal Atatürk zum Abendessen eingeladen.

Abschließend sei noch erwähnt, dass vor dem Hintergrund der Wirtschaftskrise und der Entscheidung der Prager Regierung, den Rüstungsstandort Preßburg zu Gunsten von Brünn aufzugeben, Oskar Braun mit der letzten Patrone seinem Leben ein Ende bereitete. Er hinterließ vier Kinder und seine Gattin.“

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Fällt aus dem Rahmen: Dürkopp KD 8/15 PS von 1908

Wer sich für Vorkriegswagen begeistern kann, muss schon zwangsläufig auch ein Liebhaber des Exzentrischen sein – vor allem in der automobilen Frühzeit gab es unzählige Kreationen, die aus dem Rahmen fielen.

Das nehmen aber oft erst wir Nachgeborenen mit dem Abstand von Jahrzehnten wahr.

Denn was sich von den konkurrierenden Antriebskonzepten, Produktionsverfahren und Ausstattungsvarianten durchsetzen würde, war ja damals ebensowenig gewiss wie das heute ist – auch wenn die derzeit mal wieder im Aufwind befindlichen Planwirtschaftler es mit ihrer erträumten Elektro-Monokultur besser zu wissen meinen.

Doch manches fiel schon vor weit über 100 Jahren so aus dem Rahmen, dass es auch den damaligen Zeitgenossen aufgefallen sein und als kaum zukunftsfähig erschienen sein muss.

Ein hübsches Beispiel dafür findet sich auf der Aufnahme, die ich heute vorstellen darf. Ich verdanke sie meinem Leser und Sammlerkollegen Matthias Schmidt aus Dresden:

Dürkopp Coupé, vermutlich Typ KD 8/15 PS ab 1908; Originalfoto: Sammlung Matthias Schmidt (Dresden)

So fremdartig dieses Coupé auf den ersten Blick auch anmuten will, haben wir es doch mit einem vollkommen konventionellen Automobil zu tun – jedenfalls auf den ersten Blick.

In Anlehnung an die bis in die Antike zurückreichende Kutschbautradition saß hier der Wagenlenker noch außen vor dem Passagierabteil, das zwei Personen Platz bot.

Grundsätzlich lässt sich dieser Wagentyp als Coupé ansprechen, aber man könnte ihn aufgrund des am Heck niederlegbaren Verdecks ebenso als Landaulet bezeichnen.

Interessanter als solche Wortklaubereien ist freilich die Frage, um was für einen Wagen es sich überhaupt handelt – also wer der Hersteller war und welcher Typ zu sehen ist.

Ich muss gestehen, dass ich wohl nicht darauf gekommen wäre, fände sich nicht auf der Rückseite des Originalabzugs der Hinweis auf die Bielefelder Marke „Dürkopp“:

Jetzt galt es „nur“ noch Baujahr und Typ in Erfahrung zu bringen. Dem stand freilich die Tatsache entgegen, dass es keine umfassende Literatur zur Automobilfabrikation des für seine Nähmaschinen und Fahrräder bekannten Herstellers gibt.

Das ist schwer zu begreifen, gehörte Dürkopp doch zu den frühesten deutschen Autobauern (ab 1898) und fertigte bis 1927 ausgezeichnete Wagen, auch im gehobenen Segment, von denen sich jede Menge Dokumente erhalten haben.

Bloß bislang fand sich niemand, der eine zumindest vorläufige Dokumentation der Dürkopp-PKWs angehen würde – an mangelndem Material kann es nicht liegen.

So musste ich auf bald 60 Jahre alte Literatur zurückgreifen, um der Sache näherzukommen. Denn die wohl bislang umfassendste Abhandlung über die Dürkopp-Automobile (zumindest bis 1920) findet sich bei Altmeister Heinrich von Fersen in seinem immer noch unverzichtbaren Klassiker „Autos in Deutschland 1885-1920„.

Dort (in der 2. Auflage von 1968) entdeckte ich auf S. 176 einen Dürkopp, der zwar weit stärker motorisiert war – den ab 1908 gebauten Typ 25/50 PS. Doch auf der Abbildung waren Details zu sehen, die sich auch auf dem Foto von Matthias Schmidt finden:

Besonders ins Auge fällt die Inspektions- oder Wartungsklappe auf der Motorhaubenseite. Eine solche in identischer Form und Anordnung besaß auch erwähnter Dürkopp 25/50 PS.

Doch die sehr kurze Motorhaube und das Fehlen von Luftschlitzen in der Haube verraten uns, dass wir es auf keinen Fall mit einem so starken Reisewagen zu tun haben, der bis zum Erscheinen des 85 PS leistenden Typs D von 1910 das Spitzenmodell der Marke war.

Vielmehr gehe ich aufgrund der Proportionen davon aus, dass uns das ab 1908 ins Programm aufgenommene Kleinwagenmodell KD 8/15 PS ins Netz gegangen ist.

Der technischen Spezifikation nach fiel der Typ keineswegs aus dem Rahmen – Opel beispielsweise führte 1909 sein 8/16 PS-Modell ein, das eine ähnliche Klientel ansprach.

Was allerdings den mutmaßlichen Dürkopp 8/15 PS auf dem heute vorgestellten Foto außergewöhnlich macht, das ist auf dem folgenden Bildausschnitt zu sehen:

Hier folgt der Chassisrahmen dem unteren Türabschluss – offenbar um den Einstieg zu erleichtern.

Stolperten die Insassen beim Aussteigen, fielen sie also gewissermaßen „aus dem Rahmen“ und fanden dann hoffentlich wieder Halt auf dem Trittbrett oder spätestens auf dem Boden.

Mir ist eine solche Anpassung der Rahmenkonstruktion an die Bedürfnisse der Passagiere noch bei keinem anderen Wagen begegnet.

Wenn es das auch andernorts gab, werden Sie mir das schon mitteilen. Bloß bin ich sicher, dass es keine Idee war, die dauerhaft verfolgt wurde, denn damit muss ein erheblicher baulicher Zusatzaufwand speziell bei dieser Karosserieversion verbunden gewesen sein.

Bei einem Zweisitzer oder einem Tourer wäre dies verzichtbar gewesen und man fragt sich, ob dieser Wagen vielleicht sogar ein Einzelstück war. Viel mehr aus dem Rahmen fallen konnte man jedenfalls nicht als mit einer derartigen Konstruktion.

Gern lasse ich mich von sachkundiger Seite belehren, womit wir es hier zu tun haben und was dazu aus statischer Sicht zu sagen ist. Sollte ich völlig aus dem Rahmen fallen mit meiner Interpretation, muss ich das verkraften – von daher: keine falsche Rücksichtnahme!

Michael Schlenger, 2023. All entries in this blog (including embedded photos) are copyrighted by the author, unless otherwise indicated. Excerpts and links may be used, provided that credit is given to Michael Schlenger and https://vorkriegs-klassiker-rundschau.blog with appropriate and specific direction to the original content.

Mehr Mini wagen! Mathis MY „Faux Cabriolet“

„Mehr Demokratie wagen“ – mit diesem für deutsche Ohren kühnen Schlachtruf zog einst ein Politiker in den (west)deutschen Wahlkampf, der heute vermutlich als „rechts“ (also zu bürgerlich) gebrand(t)markt würde. So ändern sich die Zeiten.

Mehr Demokratie haben wir nicht bekommen – jedenfalls keine Volksentscheide in Fragen existenzieller Bedeutung: Beteiligung an Kriegen, Duldung massenhafter illegaler Grenzübertritte, Zerstörung zuverlässiger Energieinfrastruktur usw.

Da das mit der Verschweizerung wohl nichts wird im „großen Kanton“, müssen wir uns wohl oder übel ins Private zurückziehen und unsere eigenen Formeln für ein gutes Leben finden.

Heute gehe ich in Vorlage und versuche es mit „Mehr Mini wagen!“. Das mag bei zeigefreudigen Damen und bewundernden Herren Anklang finden, doch was hat das mit Vorkriegsautos zu tun?

Ich behaupte: Wenn man will, lässt sich alles mit Vorkriegswagen in Verbindung bringen, denn es gibt nichts wirklich Neues unter der Sonne und unsere Vorfahren haben dem Leben bereits genügend Facetten in jeder Hinsicht abgewonnen, dass man dort umfassend fündig wird.

„Aber der Mini ist doch eine Erfindung der 60er Jahre“, mögen jetzt einige einwenden. Ich entgegne dem: „Keineswegs. Mini war schon in den 20ern groß angesagt.“

Wer sich mit der Skulptur der griechischen und römischen Antike beschäftigt hat, kann in Sachen „Mini“ sogar bereits bei der Jagdgöttin Diana oder den Amazonen zum Zuge kommen. Doch soweit (zurück) wollen wir heute dann doch nicht gehen.

Mini ist zunächst der Wagen, welcher auf folgendem Foto zu sehen ist, das ich kürzlich wie üblich für einen Mini-Betrag erworben habe. Von wenigen Ausnahmen abgesehen, beschränkte ich mich auf die Billigklasse um die 5 EUR – das Sammeln kommt auch so teuer genug über’s Jahr und schöne Funde macht man hier ebenfalls:

Mathis Typ MY „Faux Cabriolet“: Originalfoto: Sammlung Michael Schlenger

Wer auch immer diese Situation fotografiert hat, muss ein großer Freund ebensolcher Bäume gewesen sein – schon das macht ihn mir sympathisch.

Nadlige Gewächse zählen zwar nicht zu meinen Favoriten, doch ein mächtiger Baum ist per se eine beeindruckende Sache. Man kann ihn nicht nur in Fachwerk für Jahrhunderte fortdauern lassen, sondern ihn auch zur prachtvollen Kulisse wählen, wie hier geschehen.

Menschliche Schöpfungen dürfen gern grandios sein, doch wenn sie vor den Werken der übrigen Natur auf Zwergenmaß schrumpfen, hat auch das seine lehrreichen Seiten – denn so werden wir wieder unserer letztlich verschwindenden Bedeutung gemäß zurechtgestutzt.

Für die Dauer unseres Daseins wollen wir dennoch im Mittelpunkt stehen – ein zeitlos eitles Bedürfnis, das schon die Philosophen der Antike angeprangert haben, doch wir kommen einfach nicht aus unserer Haut und wollen uns partout an uns selbst erfreuen.

So „mini“ wir auch im globalen Kontext oder gar in dem des endlosen Flusses der Zeit sind, so erbaulich ist es doch, wenn einige Individuen zu großer Form auflaufen. Der winzige Mensch auf der Höhe, für einen schönen Moment herausgehoben – das hat etwas:

Mathis Typ MY „Faux Cabriolet“: Originalfoto: Sammlung Michael Schlenger

Wer von Ihnen hat sich zuerst der Kühlerpartie des Autos auf diesem Bildausschnitt zugewandt und sich gefragt, mit was für einem Hersteller und Typ man es zu tun hat?

Auch das ist das Schöne an diesen Dokumenten aus der Vorkriegszeit: In den besten Momenten lassen sie uns für einen Moment vergessen, dass wir uns doch eigentlich mit den Karosserien und der Technik von einst befassen wollen.

Dann kommt plötzlich etwas dazwischen, wie hier das Thema „Mini“. Von rechts nach links betrachtet werden die Kleider der Damen nämlich erfreulicherweise immer kürzer und man stellt fest, dass dies in allen Fällen passend ist.

Meine Favoritin ist zwar die junge Frau in der Mitte, doch ist festzustellen, dass auch ihre auf dem Trittbrett stehende Nachbarin für ihre Verhältnisse alles richtig gemacht hat.

Über dem Knie endende Kleider und Röcke tauchen in der Neuzeit erstmals wieder Mitte der 1920er Jahre auf, also vor fast 100 Jahren. Mein Motto „Mehr Mini wagen“ hätte man damals zwar wohl nicht verstanden, aber „mini“ und „Wagen“ finden sich hier dennoch.

Damit wären wir endlich bei dem Auto angelangt, das hier als Kulisse dient. Als französischen Mathis identifizieren konnte ich ihn anhand der flammenartigen Kühlerfigur:

Mathis „Emysix“von 1928; Quelle unbekannt

Wie es scheint, brannte die Flamme auf dem Kühler der Mathis-Wagen ab etwa Mitte 1928, sofern der Besitzer keine andere Figur montiert hatte.

Das allein erlaubt also noch keine Typansprache, aber immerhin eine zeitliche Eingrenzung. Zwar besitze ich (noch) keine Literatur zu dieser noch vor dem 1. Weltkrieg im damals deutschen Elsass gegründeten Marke, doch findet sich im Netz ein sehr passabler Abriss.

Wenn ich den dort zu findenden Abbildungen und Beschreibungen glauben darf, haben wir es bei dem Mathis auf dem heute vorgestellten Foto mit einem „Faux Cabriolet“ auf Basis des Typs MY zu tun, welcher von 1926 bis 1930 gebaut wurde.

Der Motor dieses Modells war trotz des repräsentativen Aussehens eher „mini“: Gerade einmal 1,2 Liter maß sein Vierzylindermotor. Die Spitzenleistung lag bei rund 22 PS, was je nach Übersetzung für Tempo 70-80 reichte – damals solider Standard.

Sie sehen: „Mini“ und „wagen“ oder auch „Wagen“ können sich auf’s Schönste zusammenfügen. Wer beanstandet, dass die Minis der 1960er Jahre aber noch reduzierter waren, hat zwar recht, was den Hubraum der ersten Austin „Mini“ angeht.

Doch im Hinblick auf die Rocklänge möchte ich bei Gelegenheit zeigen, dass im Einzelfall schon in Vorkriegszeiten noch weniger drin war – und das anhand einer überraschenden Aufnahme aus dem Deutschland der 1930er Jahre, die es in sich hat…

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Eine wahrlich glückliche Verbindung: Stoewer R-150

Heute hatte ich „hohen“ Besuch aus Berlin – jedenfalls gemessen an den Dimensionen des VW-Bus, welcher sich nachmittags vorsichtig in die schmale Hofeinfahrt hineintastete.

Zwei seit Jahren geschätzte Sammlerkollegen hatten sich anlässlich einer Veranstaltung in der Nähe angekündigt – eine schöne Gelegenheit, sich einmal persönlich kennenzulernen und natürlich in Vorkriegsdokumenten zu stöbern.

Ich hatte zwar erwartet, dass ich kleines Licht, das erst seit einigen Jahren ohne Systematik Material zusammenträgt, den beiden nicht viel zu bieten hatte. Doch tatsächlich war am Ende einiges dabei, womit ich den Herren eine Freude machen konnte und umgekehrt kam auch ich auf meine Kosten, den sie waren nicht mit leeren Händen gekommen.

Eine glückliche Verbindung, welche eine Vertiefung verdient, so lautete mein Fazit. Genau das soll auch das Thema meines heutigen Blog-Eintrags sein – in mehrfacher Hinsicht.

Eine glückliche Verbindung, auf die ich immer wieder gern zurückkomme und die ebenfalls eine Vertiefung verdient, war die Kombination des noch recht neuen Vorderradantriebs mit gekonntem Styling Anfang der 1930er Jahre.

Wenn Sie dabei zuerst an die attraktiv gezeichneten Frontantriebswagen von DKW denken, ist das nicht verkehrt. Es gab aber noch mehr Raffiniertes auf dem Sektor, wie ich finde.

Dazu müssen wir freilich erst an eine andere glückliche Verbindung erinnern, nämlich diejenige zwischen menschengemachter Maschine und natürlichen Pferdestärken – regelmäßige Leser erinnern sich vielleicht hieran:

Steyr Typ 30; Originalfoto: Sammlung Michael Schlenger

Diese großartige Szenerie war keineswegs die einzige, welche bei derselben Gelegenheit festgehalten wurde.

Zu diesem Ausritt hatten sich nämlich einige Automobilisten eingefunden, welche auch ihre vierrädigen Lieblinge angemessen festgehalten wissen wollten. Dazu zählte neben dem Steyr 30 ein Mercedes 170 und mindestens ein weiteres, deutlich exklusiveres Fahrzeug.

Um letzteres soll es heute gehen. Damit am Ende auch klar ist, worum es sich handelt und ich mir langatmige Herleitungen sparen kann (obwohl manche Leser gerade die schätzen), beginnen wir ganz vorn – so gehört es sich ja auch für einen Fronttriebler:

Stoewer R-150 Limousine; Originalfoto: Matthias Schmidt

Dieses repräsentative, wenn auch etwas düster wirkende Fahrzeug war das Ergebnis von nur drei Jahren Evolution, nachdem Stoewer aus Stettin noch 1930 (also kurz vor DKW) seinen ersten Wagen mit Vorderradantrieb vorgestellt hatte.

Mit jenem kleinen 1,2-Liter-Typ V5 hatte der Nachfolger R-140 bzw. R-150 kaum noch etwas gemeinsam – denn der war mit 1,5 Litern Hubraum und 35 PS klar in der Mittelklasse angesiedelt.

Nach den ersten noch bescheidenen Versuchen mit dem V5 gelang Stoewer spätestens mit dem 1934 eingeführten R-150 eine besonders glückliche Verbindung aus moderner Antriebstechnik und klassisch schöner Gestaltung:

Stoewer R-150; Abbildung aus: Handbuch des Reichsverbands der Automobilindustrie 1935 (Original aus Sammlung Michael Schlenger

Zugegeben, ganz so elegant wie auf dieser Zeichnung sah der R-150 als geschlossener Viertürer dann doch nicht aus.

Allerdings gab es davon auch eine Ausführung als zweitüriges Cabriolet, die man sehr wohl als glückliche Verbindung aus gefälliger Optik und vorteilhaften Fahreigenschaften betrachten darf.

Diese Version habe ich hier schon einmal vorgestellt – wenn ich sie nun nochmals zeige, dann nur, damit Sie am Ende auch mein Urteil nachvollziehen können, was den eigentlichen Gegenstand des heutigen Blog-Eintrags betrifft:

Stoewer R-150 Cabriolet; Originalfoto: Sammlung Michael Schlenger

Einprägen müssen Sie sich nur drei Dinge: die horizontal verlaufenden Luftschlitze in der Motorhaube, die erhaben ausgeführten Chromradkappen und die spindelförmige Chromleiste im oberen Bereich der Tür, welche diese optisch niedriger wirken lässt.

Hat man einmal diese Elemente des Stoewer R-150 in der Ausführung als Cabriolet verinnerlicht, dann ist man in der Lage, diese Version auch bei nur ausschnitthafter Wiedergabe zu erkennen.

Normalerweise würde man abwinken, wenn auf einem Autofoto kaum mehr als die Türpartie zu sehen ist. Doch gibt es auch in solchen Fällen glückliche Verbindungen, welche die Defizite mehr als ausgleichen.

Jetzt begeben wir uns wieder auf das herrschaftliche Anwesen, auf dem die eingangs gezeigte Aufnahme entstand.

Wieder geht es – wenn man genau hinschaut – um die glückliche Verbindung aus Pferdestärken und motorisiertem Fortbewegungsmittel – doch in den Schatten gestellt wird diese mühelos durch die glücklichste Verbindung, die man sich als Autoliebhaber und Verehrer alles Schönen vorstellen kann:

Stoewer R-150 Cabriolet; Originalfoto: Sammlung Michael Schlenger

Muss ich zu dieser wahrlich glücklichen Verbindung noch irgendetwas sagen? Wohl kaum, dann genießen wir still und erfreuen uns an den zeitlosen Momenten, welche uns die gemeinsame Beschäftigung mit Vorkriegswagen auf alten Fotos bescheren kann…

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Dafür steht man gerne Schlange: Amilcar C4

Einst gab es in Italien Leute, die man dafür bezahlte, dass sie sich für irgendwelche Behördengänge in die unvermeidbare Schlange stellten. So konnte man sich für wichtigere und ertragreichere Beschäftigungen freikaufen, sofern man das Kleingeld hatte.

Als langjähriger Italienfahrer und immer öfter dort Ansässiger habe ich den Eindruck gewonnen, dass dieses Berufsbild auf dem absteigenden Ast ist. Denn die Italiener haben wie die meisten unserer europäischen Nachbarn bei der Modernisierung der Verwaltung große Fortschritte gemacht.

Wer mag auch für banale Dinge Schlange stehen? Wie nervig das ist, erlebte ich kürzlich wieder auf der örtlichen Postfiliale. Mit aufreizender Langsamkeit wurde dort die bis zur Eingangstür reichende Kundschaft abgefertigt.

Als ich dran war, meinte die Schalterfachkraft doch tatsächlich noch etwas plaudern zu müssen. Offenbar war ich zu freundlich gewesen – weshalb ich ihr dann mit einer Geste in Richtung der Schlange hinter mir entgegnen musste, dass ich den Betrieb nicht unnötig aufhalten möchte (zudem stand ich im Halteverbot).

Natürlich kennt jeder aber auch Dinge, für die man gerne ansteht und sich dabei noch privilegiert vorkommt. Etwa dann, wenn die Gelegenheit besteht, einmal in einem französischen „Amilcar“ der frühen 1920er Jahre mitzufahren.

Bei den ersten Ausführungen dieses ab 1921 gebauten Vertreters der Cyclecar-Fraktion – also sehr leichten Wagen mit Reifen in Motorradformat und freistehenden Kotflügeln, aber ohne Differential an der Hinterachse – handelte es sich durchweg um Zweisitzer.

Hier hat es immerhin der Dackel geschafft, den Ehrenplatz als Beifahrer zu ergattern und schaut den ernst dreiblickenden Besitzer dankbar, ja geradezu verliebt an – es muss sich um eine Dackeldame gehandelt haben:

Amilcar Typ CS; Originalfoto: Sammlung Michael Schlenger

Woran man hier erkennt, dass dieser zweisitzige Wagen mit kurzem Radstand und sportlichen „Cantilever“-Federn an der Hinterachse ein „Amilcar“ war?

Nun, so sah nur ein Amilcar aus, so einfach ist das. Kein einzelnes Element genügt, um das zu erkennen – es ist die Kombination aus hohen Luftschlitzen in der Motorhaube, mittig gepfeilter Windschutzscheibe und in Holz nach Art eines Bootsrumpfs ausgeführten Karosserie, die Amilcar serienmäßig anbot.

Allerdings findet man diese Gestaltung an mehreren Typen des Herstellers, der im Pariser Vorort St. Denis produzierte. Diese auseinanderzuhalten, kann mitunter schwierig sein.

Wie es scheint, gab es die schicke Kompositkarosserie wie auf dem obigen Foto noch nicht bei Amilcars Erstling – dem Typ CC, obwohl dieser genau solch einen kurzen Radstand aufwies und nur für zwei Personen Platz hatte.

Doch bot Amilcar bereits ein Jahr nach Einführung des CC mit seinem 17 PS leistenden 900ccm-Vierzylinder ergänzend die leistungsgesteigerte Version CS auf weitgehend identischem Chassis an, deren 1 Liter-Aggregat fast 25 PS leistete.

Das war in der ersten Hälfte der 1920er Jahre ein phänomenaler Wert, und an die 100 km/h Spitze waren damit für kühne Lenker erreichbar. Wer es nicht ganz darauf anlegte, kam in den Genuss eines günstigen Leistungsgewichts, denn mit der einfachsten Karosserieausührung wog ein Amilcar CS nur rund 650 kg.

Das erklärt, weshalb die Amilcars auch am deutschen Markt wenig Konkurrenz hatten und bei sportlich orientierten Fahrern sehr begehrt waren – das belegen die zahlreichen Aufnahmen von Amilcar-Sportwagen mit deutscher Zulassung.

Der Typ CS von Amilcar war nach meinem Eindruck im Unterschied zum CC standardmäßig mit besagter Kompositkarosserie erhältlich. Wer sich nur das Chassis liefern ließ, konnte natürlich auch auf Basis des CC alles haben, was die Brieftasche hergab.

Doch einen Nachteil hatten die Amilcars der Typs CC und CS aus Sicht automobil bewegter Mitmenschen gemeinsam – sie boten entschieden zu wenig Platz.

Das änderte sich freilich ebenfalls 1922, als Amilcar parallel die Version C4 mit längerem Radstand anbot, die denselben Antrieb wie der leistungsgesteigerte CS besaß.

Drei oder gar vier Sitzplätze waren nun auf einmal verfügbar beim Amilcar C4 – kein Wunder, dass die Leute dafür Schlange standen!

Amilcar Typ C4; Originalfoto: Sammlung Michael Schlenger

Auf den ersten Blick sieht dieser Aufbau fast genauso aus wie der des eingangs gezeigten Zweisitzer des Typs CS. Doch der längere Radstand und der Mann im Heck verraten, dass wir es mit einem C4 zu tun haben.

Details wie die abweichenden Luftschlitze und die Gestaltung der Tür darf man getrost unter damals üblichen Variationen in der Produktion verbuchen, welche unter Manufakturbedingungen stattfand.

Ein hübsches Detail sei am Ende erwähnt: Die Kühlerfigur dieses Exemplars findet sich identisch bei dem folgenden Amilcar des frühen Typs CC wieder:

Amilcar Typ CC; Originalfoto: Sammlung Klaas Dierks

Die Amilcar-Wagen besaßen meines Wissens keine serienmäßige Kühlerfigur und doch haben wir hier zwei Exemplare mit identischem Maskottchen.

Wer etwas Erhellendes dazu beitragen kann – oder auch generell mehr zu den heute gezeigten Fahrzeugen weiß – ist wie immer eingeladen, uns an seinem Wissen über die Kommentarfunktion teilhaben zu lassen.

Denn so ungern ich Schlange stehe, so oft stehe ich auf dem Schlauch, was Vorkriegsautos angeht, von denen ich wenig weiß – die sportlichen Amilcars sind genauso ein Fall.

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Eine große Verwirrung: Horch 8/24 PS um 1912

„Eine große Verwirrung…“ das mag manchen an den verdatterten Prediger in der Filmsatire „Leben des Brian“ erinnern, der die selbsternannten Verkündiger vorgeblicher Glaubenswahrheiten und ihre Anhänger als lächerliche Figuren gnadenlos vorführt.

Wem dieser britische Anarchohumor nicht subtil genug oder gar anstößig ist, der mag es vielleicht mit Franz Kafkas († 1924) zeitloser Erzählung Die Abweisung halten.

Auch sie handelt von der großen Verwirrung der Leute – diesmal wenn es darum geht, der weltlichen Obrigkeit in Form eines Steuereinnehmers die eigenen Belange vorzutragen.

Die nötige innere Sammlung zu einer selbstbewussten Rede will dem Vertreter der Bürgerschaft dort einfach nicht gelingen, zu verwirrend ist die Präsenz des selbstherrlichen Beamten und der ihn begleitenden Uniformierten:

Mit dem „allerdemütigsten Lächeln, das sich vergeblich anstrengte, auch nur einen leichten Widerschein auf dem Gesicht des Obersten hervorzurufen… formulierte er die Bitte um Steuerbefreiung für ein Jahr, vielleicht auch noch um billigeres Holz aus den Wäldern. Dann verbeugte er sich tief und blieb in der Verbeugung.

Hübsch, nicht? Und wie so oft bei Meister Kafka bleibt man am Ende in einiger Verwirrung zurück – was war das eigentlich, was er da so merkwürdig präzis geschildert hat? Erlebtes, Geträumtes, vielleicht eine Vision der Verhältnisse 100 Jahre später?

Das muss jeder für sich entscheiden, welchen Reim er sich aus solcher literarisch meisterhaft bewirkten Verwirrung macht. Für ebensolche sorgt indessen auch ganz ohne künstlerische Ambitionen das Foto, das ich heute präsentieren möchte:

Horch 8/24 PS um 1912; Originalfoto: Sammlung Michael Schlenger

Schon bei Erwerb der Aufnahme war mir klar, dass diese einen Tourenwagen der sächsischen Marke Horch aus der Zeit kurz vor dem 1. Weltkrieg zeigt.

Verflixt, wie kann der Kerl das so einfach erkennen – das mögen Sie jetzt vielleicht denken.

Nun, nach Betrachung einiger tausend solcher Fotos von Autos vorwiegend deutscher Provenienz sammelt sich auch ohne Talent im Kopf zwangsläufig ein Kompendium solcher Abbildungen an, an denen jede neue Aufnahme in Millisekunden abgeglichen wird.

Im vorliegenden Fall genügt für diese Musterkennung, für welche „Künstliche Intelligenz“ gigantische Rechenleistung und hochkomplexe Algorithmen benötigt, die Übereinstimmung von genau zwei Elementen:

Das eine sind die schrägstehenden Luftschlitze in der Motorhaube, die es zwar auch bei anderen Herstellern wie etwa Opel gab, aber bei Horch besonders stark geneigt sind (vgl. meine Horch-Fotogalerie:

Das zweite Element ist das Kühleremblem. Davon ist auf den ersten Blick zwar kaum etwas zu erkennen, aber warten Sie einen Moment.

Schneller als jede Künstliche Intelligenz anhand von unzähligen Beispielen mühsam lernt, Übereinstimmungen zuverlässig zu erkennen, kann ich subito das nötige Wissen vermitteln.

Das tue ich anhand einer einzelnen Aufnahme aus meinem Fundus, die noch dazu einen Horch aus völlig anderer Perspektive zeigt:

Horch 6/18 PS oder 8/24 PS um 1912; Originalfoto: Sammlung Michael Schlenger

Dieser Wagen trägt vorn das Horch-Emblem, wie es etwa ab 1910 bis einschließlich 1912 auf flachem Kühler Verwendung fand. Ab 1913 wich dieser einem Schnabelkühler (also mit vorkragendem Oberteil).

Jetzt sehen Sie sich nochmals die Kühlerpartie des eingangs gezeigten Horch an – sicher sehen Sie dort nun ebenfalls genau dieses Markenemblem.

Können Sie mir folgen, oder habe ich bereits für große Verwirrung gesorgt? Falls nicht, folgt diese auf dem Fuße und ich muss zugeben, dass ich ihr selbst zum Opfer gefallen bin.

Bevor ich bekenne, was mich so nachhaltig verwirrt an diesem Horch, dass mir die Worte fehlen (eine eher seltene Situation), sei noch festgehalten, dass die Proportionen dieses Wagens auf einen Horch der untere MIttelklasse hindeuten.

Sehr wahrscheinlich haben wir es mit dem Typ 9/24 PS zu tun, der 1911 eingeführt wurde und einen konventionellen 2-Liter-Vierzylindermotor besaß. Ein gewisse Neuerung stellte bei Einführung die Druckumlaufschmierung dar.

Die besaß auch das Schwestermodell 6/18 PS, das äußerlich kaum zu unterscheiden war. Doch der große Tourenwagenaufbau und die höhere Stückzahl (ca. 900 vs. 200) machen den 8/24 PS zum wahrscheinlicheren Kandidaten.

Für die heutige Betrachtung sind solche Fragen aber zweitrangig, denn für weit größere Verwirrung sorgt hier etwas ganz anderes:

Erkennen Sie, was ich meine? Oder sind Sie noch nicht verwirrt genug? Sieht doch alles ganz normal aus, könnte einer denken.

Vorne gasbetriebene Scheinwerfer, Holzspeichenräder mit demontierbaren Felgen (und Reifen) – ein dazu passendes Reserverad (also nicht nur der Reifen), dahinter die außenliegenden Hebel für Gangschaltung und Handbremse.

In Reichweite des Fahrers befindet sich außerdem eine Ballhupe, die Frontscheibe ist oben ausklappbar und kann außerdem geneigt werden. Was soll da für große Verwirrung sorgen?

Na, dann schauen wir uns doch einmal an, was sich da sonst noch an Gerätschaften findet:

Keine Probleme bereiten die in das Windlaufblech zwischen Motohaube und Windschutzscheibe halb eingelassenen elektrischen Standlichter.

Doch was ist das für ein zylinderförmiges Rohr neben der Ballhupe? Für die Zeitung sicher zu klein und als Behälter für die Fahrzeugpapiere vielleicht etwas ungünstig angebracht.

Um die Verwirrung noch zu vergrößern, möchte ich außerdem auf die kuriose Rohrleitung verweisen, die vom Armaturenbrett aus zunächst nach oben steigt und dann rechtwinklig nach vorne abknickt um schließlich wieder abzutauchen, dabei immer breiter werdend.

Ich habe eine Vermutung, um was es sich bei diesen ominösen Anbauteilen handelt, doch möchte ich meine möglicherweise unbegründete Interpretation für mich behalten.

Daher sind jetzt Sie an der Reihe, liebe Leser. Und ganz gleich wie groß die Verwirrung sein mag, in meinem Blog sind alle gleichberechtigt, ihre Sicht der Dinge vorzutragen.

Wenn ich hier mit meinen tagebuchartigen Gedanken in Vorlage trete (ein Blog ist genau das: ein Online-Diarium, englisch: Web-Log), dann setze ich diese der Prüfung durch eine beeindruckende Zahl an Kennern und Sammlerfreunden aus, die hier mitlesen.

Also nur zu: Lässt sich die Verwirrung auflösen, die sich bei Betrachtung dieses Fotos eines Horch 8/24 PS von ca. 1912 einstellt? Oder bleibt es letztlich bei der Akzeptanz des Gegebenen wie in Franz Kafkas Erzählung „Die Abweisung“?

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Traurige Gestalt(en): Ein Brennabor Typ D

Wenn man sich in den 1930er Jahren als Deutscher ein Auto leisten konnte – und sei es das kleinste, einfachste und schwächste – dann hatte man an sich allen Grund, zufrieden mit seinem Status zu sein (sofern man nicht dem Feindbild des nationalsozialistischen Regimes und seiner fleißigen Zuarbeiter entsprach).

Es scheint jedoch zumindest eine Ausnahme gegeben zu haben, und mit der wollen wir uns heute ein wenig anhand eines Beweisfotos aus meinem Fundus beschäftigen.

Verantwortlich dafür war ausgerechnet ein Hersteller, der zu den ältesten und eine gewisse Zeit erfolgreichsten in deutschen Landen gehörte: Brennabor aus Brandenburg.

Zwar verlor die Marke nach ihrem Hoch Anfang der 1920er Jahre, als sie die stückzahlenmäßig bedeutendste in Deutschland war, rasch an Bedeutung. Doch noch Anfang der 30er hatte man ein durchaus repräsentativ wirkendes Modell im Angebot:

Brennabor Typ Ideal „Extra“ 7/30 PS; Originalfoto: Sammlung Michael Schlenger

Dieses auf dem 1929 eingeführten Typ „Ideal“ 7/30 PS basierende schicke Automobil besaß einen 1,6 Liter-Vierzylindermotor konventioneller Bauart und stellte ein solides Angebot in seiner Klasse dar – jedenfalls gemessen an anderen deutschen Fabrikaten.

Angeblich sollen rund 10.000 Wagen dieses Brennabor „Ideal“ entstanden – doch dies dürfte eine Schätzung sein, wie bei anderen Modellen des schlechtdokumentierten Herstellers.

Da mir bislang weit weniger Fotos dieses Typs ins Netz gegangen sind, als dies bei tatsächlich in solchen Größenodnungen gebauten anderen deutschen Wagen der Fall ist, halte ich die in der Literatur genannte Stückzahl für viel zu hoch.

Tatsächlich war Brennabor zu der Zeit, als der „Ideal“ gebaut wurde, mit seiner PKW-Sparte in großen Schwierigkeiten. Da in der Mittelklasse offenbar kein Blumentopf zu gewinnen war, verlegte man sich auf das Kleinwagensegment.

Doch in der 1-Liter-Klasse, in der man 1931 mit dem neu konstruierten Typ C 4/20 PS antrat, tummelten sich bereits einige gut etablierte Hersteller und Brennabor konnte mit seinem Angebot keinen neuen Akzent setzen, auch wenn die Werbung von einem „modernen “ und „technisch vollendeten“ Wagen schwärmte:

Brennabor-Reklame für den Typ C 4/20 PS; Original aus Sammlung Michael Schlenger

Da der Absatz dieses solchermaßen angepriesenen Gefährts lahmte, kam man 1933 mit einer optisch überarbeiteten Version heraus – dem Typ D mit nunmehr 22 PS.

Gleichwohl blieb das etwas mehr als 700 kg wiegende Auto ein lauwarmes und lahmes Angebot. Mit Spitze 75 km/h brauchte man damals in der 1-Liter-Klasse erst gar nicht anzutreten, das übertrafen bereits Wagen mit deutlich kleineren Aggregaten wie der DKW F2, der BMW 3/20 PS oder der Hanomag 3/18 PS. Nur der Opel 1 Liter war von ähnlich zäher Charakteristik.

In Anbetracht dieser wenig erbaulichen Konkurrenzsituation war dieser späte Brennabor-Wagen eine traurige Gestalt und man kann nachvollziehen, weshalb die Eigner dieses Brennabor uns hier überwiegend als ebensolche Gestalten erscheinen:

Brennabor Typ D von 1933; Originalfoto: Sammlung Michael Schlenger

Mir ist bisher keine Aufnahme begegnet, auf dem so viele griesgrämige Zeitgenossen gleichzeitig um ein Auto herum versammelt sind.

Es ist offensichtlich, dass dieses Foto kein Schnappschuss ist, die Situation wirkt sogar sorgfältig inszeniert. Wie kann es da gelingen, fast ausnahmslos so schlecht gelaunt bis desinteressiert zu wirken?

Der Brennabor jedenfalls scheint es nicht geschafft zu haben, so etwas wie Besitzerstolz geweckt zu haben, dabei wirkte die Haubenpartie des überarbeiteten Typs D sogar recht gefällig. Der moderne Frontantriebstyp V5 von Stoewer könnte Pate gestanden haben.

Ich kann mir die miesepetrige Stimmung auf diesem übrigens ziemlich seltenen Dokument nicht so recht erklären, aber sie passt zu der traurigen Gestalt, die der Typ D gegen Ende der Autotradition von Brennabor abgab.

Damit wir uns nicht von der Situation ebenfalls stimmungsmäßig herunterziehen lassen, will ich zeigen, dass es damals in dieser Klasse auch ganz anders ging, nämlich so:

Fiat 508A Cabrio-Limousine; Originalfoto: Sammlung Michael Schlenger

Dass auch diese adrette Cabrio-Limousine in Deutschland zugelassen war, darauf geben einige Insignien am Wagen selbst hinreichende Hinweise. Auch meine ich im Hintergrund eine Autobahn zu erkennen, was zur Entstehungszeit der Aufnahme 1937 passen würde.

Dass die beiden schick gekleideten Damen hier gut lachen haben, ist zumindest mit Blick auf ihren fahrbaren Untersatz nur zu verständlich.

Denn hier haben wir einen Fiat 508, der ab 1932 in der 1-Liter-Klasse Maßstäbe setzte. Schon die erste Ausführung stellte den Brennabor dank hydraulischer Bremsen und Stoßdämpfer, 12 Volt-Elektrik und besonderer Drehfreude des Kurzhubers mühelos in den Schatten. Mit 85 km/h Spitze war er auch das deutlich dynamischere Fahrzeug.

Der hier zu sehende Fiat 508A (ab 1934) wartete zusätzlich mit vier statt nur drei Gängen auf und leistete nun bereits 24 PS. Zu dem Zeitpunkt war der Brennabor 1-Liter-Typ C bzw. D bereits verdientermaßen Geschichte. Angeblich wurden davon rund 1.000 Wagen gebaut, eventuell waren es aber weit weniger.

Fiat dagegen eroberte das 1-Liter-Segment im Sturm. Schon der 508 in der ersten Ausführung von 1932/33 wurde in über 40.000 Exemplaren verkauft, vom Nachfolger 508 A (1934-37) entstanden sogar über 70.000 Stück.

Kein deutscher Hersteller erreichte in der 1-Liter-Klasse annähernd solche Zahlen. Dabei entstanden auch reizvolle Sonderversionen, von denen ich demnächst eine vorstellen werde, denn in diesen trüben Tagen benötigen wir alle dringend eine Stimmungsspritze…

Michael Schlenger, 2023. All entries in this blog (including embedded photos) are copyrighted by the author, unless otherwise indicated. Excerpts and links may be used, provided that credit is given to Michael Schlenger and https://vorkriegs-klassiker-rundschau.blog with appropriate and specific direction to the original content.

Opels großes Vorbild: Packard Modelljahr 1927

Sich an Vorbildern orientieren ist an sich nichts Schlechtes – über Jahrtausende erfolgte die Weitergabe von Können genau dadurch, dass man sich das Erreichen der Meisterschaft im jeweiligen Metier zum Ziel machte.

Erst dann hatte man das Handwerkszeug, um womöglich selbst ein Niveau zu erreichen, das wiederum Vorbildcharakter erlangt. Bleibt es bei einer bloßen Kopie des Vorbilds bzw. gelingt sie nur oberflächlich, ist kein bleibender Eindruck zu erwarten.

Genau das ist als Fazit der Sechszylinder-Offensive zu ziehen, welche Opel ab 1927 mit den Modellen 90 bzw. 100 unternahm und dabei versuchte, sich ein Luxuswagen-Image zu geben.

Diese durchaus beeindruckend dimensionierten Wagen waren der Gegenstand meines vorherigen Blog-Eintrags. Hier nochmals das Fahrzeug, um das es dabei ging:

Opel Modell 90 (12/50 PS) oder 100 (15/60 PS); Originalfoto: Sammlung Matthias Schmidt (Dresden)

So spektakulär diese großen Opels daherkamen, so fragwürdig ist die Art und Weise, mit der die Rüsselsheimer versuchten, sich ein Image als Luxuswagenhersteller zu geben, indem man sich dreist bei der Gestaltung des amerikanischen Packard bediente.

Damals baute Packard enorm großzügige Wagen, deren Ansehen vor allem mit dem bärenstarken Achtzylinder verknüpft war, der aus 6,3 Litern Hubraum mehr als 100 PS Spitzenleistung schöpfte.

Diese Autos erreichten gut 130 km/h Höchstgeschwindigkeit, auch wenn das in der Praxis keine Rolle spielte – wichtiger war die mühelos und schaltarm verfügbare Leistung bei voller Besetzung auf langen Strecken und in gebirgigen Regionen. Dafür waren solche Hubräume und Leistungen gedacht.

Freilich bewegte sich Packard damit auch in den Vereinigten Staaten im Luxussegment und setzte dementsprechend nur knapp 4.500 Exemplare seiner 1927er 8-Zylinderwagen ab.

Neben diesen Riesen mit bis zu 3,60 Meter Radstand bot Packard auch einen „kleineren“ 6-Zylinder mit 4,7 Litern Hubraum an, dessen Höchstleistung sich auf 80 PS beschränkte.

Diesen mit etwas weniger als 3,40 Meter Radstand deutlich kürzeren Packard „Six“ (seit 1925 im Programm) scheint Opel sehr genau studiert zu haben, als es an die Entwicklung eines großen Sechszylinders für das Jahr 1927 ging.

Hier haben wir einen solchen „kleinen“ Packard – anhand eines Fotos aus Sammlung von Leser Klaas Dierks:

Packard „Six“, Modelljahr 1927; Originalfoto: Sammlung: Klaas Dierks

Meine Güte, mögen Sie jetzt denken, wie soll man denn hier erkennen, dass das kein Opel ist? Genau das war der Effekt, auf den die Rüsselsheimer in ihrer Verzweiflung setzten.

Auf den ersten Blick sehen die beiden Wagen wie Zwillinge aus, nicht wahr?

Doch wer ein Faible für US-Vorkriegsautos besitzt oder vielleicht eine solche Schwäche durch die Lektüre meines Blogs entwickelt hat, wird an den Nabenkappen erkennen, dass das zweite Auto ein Packard sein muss.

Diese traute sich Opel dann doch nicht zu kopieren, wenngleich man den Kühler fast 1:1 übernommen hatte (auch für die kleinen und mittleren Modelle übrigens).

Auf folgendem Foto eines in der Schweiz zugelassenen Packard kann man recht gut die Kombination aus markentypischem Kühlergehäuse und Nabengestaltung erkennen:

Packard Modeljahr 1927; Originalfoto: Sammlung Michael Schlenger

Hier sieht man auch zwei weitere Unterschiede zur „Opel-Kopie“:

Erstens sind die trommelförmigen Scheinwerfer hier komplett vernickelt und nicht lediglich in Wagenfarbe lackiert. Und zweitens? Nun, vergleichen Sie einmal die Dachlinie der Wagen.

Diese ist beim Opel recht simpel gehalten, nämlich fast waagerecht. Beim Packard dagegen hat man die alte Einsicht beherzigt, dass für das menschliche Auge nichts langweiliger ist als die Gerade.

So ist die Dachlinie deutlich gewölbt, was bei der Länge des Wagens dem Aufbau die nötige Spannung verleiht. Und noch etwas: Der Packard weist eine „Taille“ auf, die Karosserie wird also nach unten hin schlanker, was an der hinteren Tür am stärksten ausgeprägt ist.

Vergleichen Sie das einmal mit der entsprechenden Partie beim Opel. Sehen Sie den Unterschied? Genau solche vermeintlichen Kleinigkeiten entscheiden darüber, ob man es mit einer soliden Schülerarbeit (Opel) oder einem souveränem Meisterstück zu tun hat.

Packard konnte es daher egal sein, wenn im fernen Deutschland ein aus US-Sicht unbedeutender Nischenhersteller versuchte, vom eigenen Nimbus zu profitieren.

Im Modelljahr 1927 brachte Packard insgesamt fast 30.000 Exemplare seiner luxuriösen Acht-und Sechszylinder an den Mann – das dürfte einem Gutteil der gesamten PKW-Produktion im durch die Hyperinflation verarmten Deutschland entsprochen haben.

Dabei war Packard nach US-Maßstäben selbst eine exotische Premiummarke, deren Stückzahlen gemessen an Wagen für Durchschnittsbürger verschwindend gering waren.

Opels großes Vorbild war also selbst nur eine Nischenerscheinung und genau das war das Schicksal der daran orientierten großen Rüsselsheimer Sechszylinderwagen. Wer so etwas wollte hierzulande, der kaufte lieber gleich einen „Amerikaner-Wagen“…

Michael Schlenger, 2023. All entries in this blog (including embedded photos) are copyrighted by the author, unless otherwise indicated. Excerpts and links may be used, provided that credit is given to Michael Schlenger and https://vorkriegs-klassiker-rundschau.blog with appropriate and specific direction to the original content.

Unterschiedliche Ansichten: Opel Modell 90 bzw. 100

Als diskussionsfreudiger und meinungsstarker Mensch habe ich zu unterschiedlichen Ansichten stets eine positive Einstellung gehabt. Erst im Wettstreit gegensätzlicher Sichtweisen und Einschätzungen kann eine Annäherung an das gelingen, was man im Rahmen des uns Menschen Möglichen für wahr und richtig halten kann.

Das ist keine Frage der Mehrheitsmeinung oder gar der Autorität, sondern schlicht der gründlicheren Betrachtung, der überzeugenderen Schlussfolgerungen, letztlich des besseren Arguments.

Wird ex cathedra behauptet, dass eine Sache abschließend geklärt sei, nicht in Frage gestellt oder auf seine Grundlage hin abgeklopft werden dürfe, werden gar bestimmte Ansichten und ihre Vertreter a priori von der Diskussion ausgeschlossen, dann darf man zuverlässig davon ausgehen, dass andere Interessen im Spiel sind.

Denn warum sollte einer sein Bild der Dinge nicht auf den Prüfstand unterschiedlicher Ansichten stellen wollen? Reiner Unsinn entlarvt sich entweder selbst als solcher oder lässt sich leicht durch das bessere Argumente, Evidenz oder schlicht Logik zurückweisen.

Gelingt das nicht, muss man sich wohl oder übel mit unterschiedlichen Ansichten auseinandersetzen – so schön es für manchen sein mag, ungestört seine exklusive Sicht der Welt verbreiten zu können.

Von daher plädiere ich für das unbedingte Nebeneinander, Miteinander und Gegeneinander unterschiedlicher Ansichten in allen Fragen – das gilt sogar für so banale Gegenstände wie alte Autos und ihre Einordnung in der Welt von gestern.

Dass manche Dinge wohl für immer im Nebel der Geschichte bleiben werden, soll uns nicht davon abhalten, uns dennoch damit auseinanderzusetzen, um vielleicht doch zu einer klareren Sicht zu gelangen:

Opel Model 90 (12/50 PS) bzw. 100 (15/60 PS); Originalfoto: Sammlung Michael Schlenger

Es könnte ein trüber Novembertag vor über 90 Jahren gewesen sein, als diese auf den ersten Blick wenig aufschlussreiche Aufnahme entstand.

Viel mehr als einen Lastkaftwagen, einen Traktor und eine Limousine konnte ich durch den Nebel eines stark verblassten Fotos kaum erkennen, als ich dieses erwarb. Doch mir gefiel die spätherbstliche Stimmung und die ungewöhnliche Konstellation.

Die oben gezeigte, etwas nachbearbeitete Fassung lässt schon mehr erkennen. Tritt man virtuell näher auf den Personenwagen zu – offensichtlich mit großem Sechsfenster-Aufbau – ahnt der Kenner bereits, worum es sich handeln dürfte:

Die Gestaltung der Trittschutzbleche unterhalb der Türen findet sich so nur bei Opels der zweiten Hälfte der 1920er Jahre unabhängig von der Größe des Wagens.

Die schiere Länge des Fahrzeugs ist jedoch bereits ein Hinweis darauf, dass wir es mit einem der beiden mächtigen Sechszylindertypen zu tun haben, die Opel ab 1927 unter Bezugnahme auf die Höchstgeschwindigkeit als Modell 90 bzw. 100 anbot.

Die jeweilige Motorenspezifikation der großen Opels lautete 12/50 PS bzw. 15/60 PS, wobei beide Varianten das gleiche Fahrgestell mit 3,5 Meter Radstand besaßen. Man fühlt sich dabei an den fast identisch dimensionierten Simson Typ R 12/60 PS erinnert, der Gegenstand meines vorherigen Blog-Eintrags war.

Opel musste freilich mit etwas mehr Hubraum für dieselbe Leistung aufwarten, da die von den Rüsselsheimern verwendeten Seitenventile nicht dieselbe Effizienz wie die im Zylinderkopf hängenden Ventile des Simson ermöglichten.

Der Simson mag auch luxuriöser ausgeführt und hochwertiger verarbeitet gewesen sein, war er nochmals teurer als die ohnehin enorm kostspieligen Opel-Sechszylinderwagen. Das kann aber auch darauf zurückzuführen sein, dass Opel bei der Fertigung von seiner Erfahrung als Großserienproduzent (Typ 4 PS „Laubfrosch“) profitierte.

Dennoch blieben auch die Stückzahlen dieser beeindruckenden Opel-Oberklassewagen mit rund 3.500 Exemplare binnen drei Jahren weit unter dem Standard echter Massenproduzenten. Im Vergleich zu Simson waren sie gleichwohl ein großer Erfolg.

Opel Model 90 (12/50 PS) bzw. 100 (15/60 PS); Originalfoto: Sammlung Michael Schlenger

Man sieht daran, dass bei der Beurteilung eines Fahrzeugtyps durchaus unterschiedliche Ansichten dabei helfen, ein schlüssiges Gesamtbild im einstigen Kontext zu erhalten.

So ist es doch nicht sehr befriedigend, einem solchen großen Opel nur aus der schnöden Seitenansicht zu begegnen, nicht wahr?

Mit Vergnügen kann ich heute gleich zwei unterschiedliche Ansichten dieser beeindruckenden Wagen präsentieren. Ich bin sicher, dass beide etwas für sich haben, so gegensätzlich sie auch sind.

Möglich gemacht hat dies insbesondere Leser Matthias Schmidt (Dresden), der uns großzügig an zwei Fotodokumenten aus seiner Sammlung teilhaben lässt.

Hier haben wir das erste:

Opel Model 90 (12/50 PS) bzw. 100 (15/60 PS); Originalfoto: Matthias Schmidt (Dresden)

Eine phänomenales Foto, das den großen Opel in einem ganz anderen Licht erscheinen lässt. Man könnte fast einen amerikanischen Luxuswagen vermuten, wäre da nicht das typische Markenemblem auf dem Kühlergehäuse.

Tatsächlich hatten sich die Rüsselsheimer wie fast alle deutschen Autohersteller jener Zeit an amerikanischen Vorbildern orientiert, die ab 1925 den deutschen Markt eroberten.

Opel hatte sich bei der Kühlergestaltung kühn bei Packard bedient, damals „die“ US-Luxusmarke, die noch oberhalb von Cadillac angesiedelt war.

Dass die Amerikaner daran Anstoß genommen hätten, ist mir nicht bekannt, vermutlich war es ihnen egal, da Opel kein Konkurrent im Premiumsegment war.

In Deutschland jedenfalls war eine solcher großer Opel wie dieses in Hamburg zugelassene Exemplar aufsehenerregend. Mag sein, dass er neben dem Schulhof einer Mädchenschule geparkt hatte, da weit und breit kein Bub zu sehen ist.

Wer daran Anstoß nimmt, weil Autos doch weit überwiegend Männersache waren und man schon ein repräsentatives Bild zeichnen sollte, dem kann geholfen werden – diesmal von Leser Klaas Dierks, der ein ebenso beeindruckendes Fotodokument beisteuern konnte:

Opel Model 90 (12/50 PS) bzw. 100 (15/60 PS); Originalfoto: Klaas Dierks

Auf dieser an der Rheinpromenade in Remagen festgehaltenen Situation ist die Männerwelt wieder in Ordnung, auch wenn der Herr links etwas griesgrämig dreinschaut. Die verkrampfte Haltung seiner rechten Hand kann alle möglichen Ursachen gehab haben – von einem dringenden Bedürfnis über allgemeines Unwohlsein bis hin zu Zahnschmerzen.

Man sieht hier, dass es auch zu den Ursachen menschlicher Befindlichkeiten unterschiedliche Ansichten geben kann. Ihre ist wie stets willkommen.

Doch will ich nicht schließen, um nach diesen Betrachtungen doch noch einen überraschenden Kontrapunkt zu setzen.

Ein guter Geist und kluger Kopf hat nämlich einst dafür gesorgt, dass das Bild auf den großen Sechszylinder-Opel erst dann komplett ist, wen man konträr zum Konsens an die Sache herangeht:

Opel Model 90 (12/50 PS) bzw. 100 (15/60 PS); Originalfoto: Matthias Schmidt (Dresden)

Das ist natürlich derselbe Opel wie auf dem ersten Foto, das mir Matthias Schmidt in digitaler Form zur Verfügung gestellt hat. Dennoch bin ich der Überzeugung: So haben sie diesen Wagen noch nie gesehen!

Das Studium der Details überlasse ich dem Einzelnen. Für mich ist es heute genug, anschaulich gemacht zu haben, dass in unterschiedlichen Ansichten großer Reiz, bisweilen sogar Schönheit und am Ende vielleicht überraschende Erkennntnis liegt.

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Alles für die Katz‘: Simson Supra R 12/60 PS

Wer einen Stubentiger als Haus- und Hofgenossen hat, für den ist „alles für die Katz“ meist Ausdruck seines Wunschs, diesen bemerkenswerten Gefährten unseres Daseins möglichst alle Wünsche zu erfüllen.

Nur zu gern lasse ich mich tagsüber zu einer kurzen Schmusepause mit der schönen Ellie verleiten, die auf dem Polstersessel hinter mir schlummert, während ich den heutigen Eintrag in meinem Blog verfasse.

Seit bald anderthalb Jahren ist sie bei mir – wie ihre Vorgängerin Millie wohnte sie in der Nachbarschaft und hat sich eines Tages ein neues Zuhause gesucht und bei mir gefunden.

„Alles für die Katz'“ meint im Volksmund aber eigentlich etwas anderes – nämlich, dass man sich vergebens um etwas bemüht, letztlich Kraft und Zeit verschwendet hat. Dabei können die Ergebnisse solcher Anstrengungen durchaus ansehnlich sein!

Zwei „neue“ alte Fotos illustrieren das wieder einmal anhand der Nischenmarke Simson. Der bekannte Schusswaffenhersteller aus dem thüringischen Suhl konnte auf eine lange Tradition auch im Automobilbau zurückschauen – das erste Serienmodell kam 1911 heraus.

Nennenswerte Bedeutung erhielt der wohl eher aus Liebhaberei verfolgte Geschäftszweig erst nach dem 1. Weltkrieg und insbesondere nachdem der Konstrukteur Paul Henze das Sportmodell Supra „S“ mit 50 PS starkem 2 Liter-Motor entwickelt hatte.

Dank seines modernen Ventiltriebs war das Aggregat leistungsstark und drehfreudig, was speziell in Verbindung mit kurzem Radstand einen ausgezeichneten Sportwagen ausmachte.

Simson Supra „S“; Originalreklame aus Sammlung Michael Schlenger

Diese sporterprobte Waffe ließ man freilich so nicht in die Hände von „Zivilisten“ kommen.

Stattdessen konstruierte Simson für den Hausgebrauch eine zahme Ausführung, die zwar ebenfalls „Supra“ hieß, aber einen einfacheren Ventiltrieb besaß und nur 40 PS bei identischem Hubraum leistete.

Natürlich war der Motor dieses Simson „Supra“ Typ So 8/40 PS mit seiner obenliegenden Nockenwelle und v-fömig im Zylinderkopf hängenden Ventilen immer noch weit moderner als das Gros der deutschen Wagen in dieser Hubraumklasse.

Opel benötigte bei seinem etwa zeitgleichen 10/40 PS-Modell mit konventionellem (seitlichen) Ventiltrieb deutlich mehr Hubraum (2,6 Liter) für dieselbe Leistung, wobei die Höchstgeschwindigkeit mit 85 km/h deutlich unter der des Simson lag (100 km/h).

Der Opel war weit billiger, besaß aber nicht annähernd das Prestige oder gar die sportliche Anmutung des Simson mit seinem markanten Kühler:

Simson Supra So 8-40 PS; Originalfoto: Jörg Pielmann

Freilich sprach der teure Simson nur wenige Käufer an, die sich für einen solchen Prestigewagen mit letzlich doch nur 40 Pferdestärken erwärmen mochten.

Pragmatische Zeitgenossen verwiesen damals vermutlich darauf, dass selbst ein völlig konventioneller – und drastisch billigerer – Ford „A“ aus dem Kölner Werk ebenfalls 40 PS leistete und auf dem Papier auch an die 100 Km/h erreichte.

Wozu also all der Aufwand? Nun, der Markt gab den 40 PS-Modellen von Opel und Ford klar den Vorzug, denn von beiden wurde hierzulande ein Vielfaches der rund 700 Exemplare abgesetzt, die Simson vom Typ So 8/40 PS in fünf Jahren verkaufte.

Die Suhler ließen sich nicht beirren und hielten an ihrer Linie fest, als in der zweiten Hälfte der 1920er Jahre der deutsche Markt von in Großserie gebauten US-Fabrikaten überflutet wurde.

Die vielen amerikanischen Marken, die damals teilweise sogar Montagelinien in Deutschland unterhielten, machten durch schiere Präsenz und rasche Lieferfähigkeit das Geschäft, während die meist in Manufaktur fertigenden inländischen Hersteller schlicht nicht mit der Nachfrage mithalten konnten.

Inwieweit günstigere Preise und bessere Serienausstattung der „Amerikanerwagen“ dabei eine entscheidende Rolle spielten, ist schwer zu sagen. Denn wir kennen die Preissensibilität der deutschen Käufer nicht, die ja generell eher wohlhabend waren.

Mittlerweile tendiere ich zu der Vermutung, dass viele Autokäufer im damaligen Deutschland den Weg des geringsten Widerstands gingen und einfach das am einfachsten verfügbare Auto nahmen, das ihre Mindestanforderungen erfüllte und noch im Budgetrahmen lag.

Das waren oft genug US-Fabrikate, für die sogar die zeitgenössischen Zubehörprospekte haufenweise typspezifische Accessoires anboten. Reparaturen an den meist technisch unkompliziert gehaltenen und auf die hohen Belastungen in den Staaten ausgelegten amerikanischen Modellen konnte jede Werkstatt ausführen.

Es gab außer Patriotismus oder Prestigedenken nur wenig Gründe, überhaupt irgendeinen deutschen Wagen zu fahren, die meisten Modelle waren in der zweiten Hälfte der 1920er Jahre nur noch bedingt konkurrenzfähig. Das galt übrigens auch im Vergleich zu französischen und italienischen Fabrikaten, die ebenfalls guten Absatz fanden.

Natürlich nahm man ab Mitte der 1920er Jahre auch in den Suhler Teppichetagen zur Kenntnis, dass eine große Limousine mit 40 PS inzwischen untermotorisiert gewesen wäre.

Buick beispielsweise bot seinen „Standard 6“ ab 1926 mit 60 PS an, sogar mit für US-Verhältnisse eher untypischem ohv-Zylinderkopf. Dabei war dies bloß ein Mittelklassewagen mit weniger als drei Metern Radstand.

Vielleicht hatte man eine solche Spezifikation als Orientierung gewählt, um etwas Besonderes zu bieten. Jedenfalls brachte Simson damals in Ergänzung des Typs So 8/40 PS das Modell R 12/60 PS heraus, das wie der Buick einen über 3 Liter messenden 6-Zylinder mit ohv-Charakteristik besaß.

Auftrumpfen wollte man aber zugleich mit geräumigeren Aufbauten, dazu wählte man einen großzügigeren Radstand von 3,50 Metern. Interessanterweise hielt man jedoch zunächst noch an der Rechtslenkung fest, die ab 1925 bei den meisten deutschen Fabrikaten verschwand.

Demnach muss auch das nachfolgend gezeigte Exemplar von 1926/27 stammen:

Simson Supra R 12-60 PS; Originalfoto: Matthias Schmidt (Dresden)

Diese beeindruckend dimensionierte 6-Fenster-Limousine spielte tatsächlich in einer anderen Liga als der Buick, was das Platzangebot betrifft. Sie war freilich auch teurer und vermutlich war es leichter, für das Ami-Fabrikat bei Bedarf Ersatzteile zu bekommen.

Simson entwickelte nämlich auch mit diesem prachtvollen Typ Supra R 12/60 PS keine Präsenz am deutschen Markt, die über ein Nischendasein hinausging. Wie beim Typ Supra So 8/40 PS bewegten sich die Stückzahlen im niedrigen dreistelligen Bereich pro Jahr.

Umso bemerkenswerter ist da jedes Zeugnis dieser Exoten, bei denen aus rein betriebswirtschaftlicher Sicht nüchtern zu konstatieren ist: „Alles für die Katz“.

Doch wer Sympathie für grandios Gescheiterte empfindet und ein Herz für die kleinen Weggefährten unseres Daseins hat, der stellt bei Betrachtung dieser Aufnahme fest, dass hier jemand durchaus gern „alles für die Katz“ tat:

Sogar mit auf Reisen gehen durfte das noch junge Tier, wenn auch im Geschirr, und der geräumige Reisewagen dürfte ganz nach seinem Geschmack gewesen sein, denn Katzen lieben Teppiche und sind nach meiner Erfahrung auch am Interieur von Autos interessiert.

Meine Ellie jedenfalls erkundet ebenfalls gern das Wageninnere bei der Autopflege und schon oft habe ich mich beim Gedanken erwischt, sie bei der nächsten Reise einfach mitzunehmen.

Sie liegt übrigens immer noch schlafend auf dem Sessel, weder Tastengeklapper noch Bach-Kantaten als Begleitmusik haben sie gestört. Tiefes Vertrauen und über die Jahre wachsende Freundschaft sind der Lohn, wenn man den Grundsatz „alles für die Katz“ beherzigt…

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Fund des Monats: Ein Austro-Daimler ADM „Sport“

Nach längerer Zeit kommen heute wieder einmal wieder die Freunde von Sportversionen gängiger Vorkriegsmodelle auf ihre Kosten – so hoffe ich zumindest.

Mein Wissen auf diesem Sektor hält sich in engen Grenzen, daher sind Korrekturen und Ergänzungen durch Kenner der Materie noch willkommener als sonst.

Ausgangspunkt der Betrachtung, für die mir nur wenig Zeit bleibt, denn das Monatsende ist nur noch eine knappe Stunde entfernt, ist ein serienmäßiger Tourenwagen des Sechszylinder-Typs ADM, den Austro-Daimler ab 1922 fertigte – zunächst mit nur 45 PS aus 2,6 Litern Hubraum, doch schon ab 1923 mit angemesseneren 60 Pferdestärken:

Austro-Daimler ADM Tourer; Originalfoto: Sammlung Michael Schlenger

Der Austro-Daimler ADM war das erste Modell der Wiener Traditionsmarke, das keinen Spitzkühler mehr besaß.

Im Gegensatz zu manch anderem Hersteller, gelang es aber, den nunmehr zeitgemäßen Flachkühler immer noch markant genug zu gestalten. Einen Austro-Daimler konnte man so weiterhin auch aus der Ferne erkennen, jedenfalls von vorn.

Der Typ ADM wies sich aber auch von der Seite betrachtet als solcher aus, besaß er doch gut sichtbare „Cantilever“-Blattfedern an der Hinterachse, die konstruktiv bedingt als besonders kompatibel mit sportlicher Fahrweise galten.

Deren vorderer Befestigungspunkt lag beinahe in Fahrzeugmitte, während er sich normalerweise direkt vor dem Hinterkotflügel befand. Dieses Detail behalten wir im Hinterkopf.

Bereits die frühe 10/40 PS-Version (die Literatur nennt auch 45 PS) des Austro-Daimler ADM heimste noch 1924 einige Sporterfolge ein, obwohl sie damals bereits durch die 10/60 PS-Variante abgelöst wurde:

Austro-Daimler ADM-Reklame; Original aus Sammlung Michael Schlenger

Solche Wettbewerbserfolge wurden vom Hersteller gern zum Anlass genommen, spezielle Sportversionen anzubieten.

Diese waren oft genug bloß mit dem Serienantrieb ausgestattet, bekamen aber sportliche (d.h. reduzierte und leichtere) Aufbauten, bisweilen auf verkürztem Chassis, um die Straßenlage bei Kurvenfahrt zu verbessern.

Eine solche Sportausführung mit kurzem Radstand scheint es erstmals beim 1924 eingeführten ADM 10/60 PS gegeben zu haben (vgl. Martin Pfundner, Austro-Daimler und Steyr, 2007, S. 221).

Etwas derartiges glaube ich nun auf drei zusammengehörigen Aufnahmen gefunden zu haben. Sie zeigen einen in Hamburg zugelassenen Austro-Daimler mit minimalistischem Zweisitzeraufbau:

Austro-Daimler ADM „Sport“; Originalfoto: Sammlung Michael Schlenger

Diese Aufnahme, die eventuell im schlesischen bzw. böhmischen Riesengebirge entstanden ist, lässt freilich noch einiges zu wünschen übrig.

Zwar ist die Kühlerpartie typisch für den Austro-Daimler ADM ab 1922, doch findet sie sich auch noch am Nachfolger ADR (ab 1927). Leider ist die nur beim ADM verbaute Cantilever-Federung hier verdeckt – sofern es sie an diesem Wagen gab.

Dass wir es zumindest optisch mit einer Sportversion zu tun haben, daran kann aus meiner Sicht kein Zweifel bestehen. Das Fehlen eines Trittbretts und eines Schwellerblechs sowie die an ein Cyclecar erinnernden Vorderkotflügel sind eindeutige Hinweise.

Übrigens wurde der ADM „Sport“ bei sonst identischer Spezifikation ab 1924 auch mit einem auf 3 Liter Hubraum aufgebohrten Motor angeboten, der wie bereits das 2,6 Liter-Aggregat dank obenliegender Nockenwelle besonders drehfreudig war.

70 PS fielen bei den frühen Versionen dieses ADM II 3 Liter Sport an; kurz darauf machte man Nägel mit Köpfen und steigerte die Leistung auf satte 100 PS.

Das ist ganz nach meinem Geschmack, denn damit betrat man das Territorium zeitgenössischer italienischer und insbesondere englischer Straßensportwagen.

Der Vorliebe für das schnelle Fahren scheinen die meist schmalen kurvigen Landstraßen auf den britischen Inseln offenbar eher Vorschub geleistet als Grenzen gesetzt zu haben. So wundert es nicht, dass diese „Waffe“ aus Wien auch bei englischen Sportsleuten Anklang fand.

Wir bleiben aber bei unserem Hamburger Exemplar, das sich hier in einem ländlichen Umfeld wiederfindet, wo man dergleichen nicht erwarten würde:

Austro-Daimler ADM „Sport“; Originalfoto: Sammlung Michael Schlenger

Vielleicht war der Wagen hier wieder auf dem Heimweg nach Norden. Das Fachwerk der Häuser würde ich irgendwo in Mitteldeutschland verorten. Hessen darf ich ausschließen, denn dort wohne ich und meine die hiesigen Besonderheiten zumindest oberflächlich zu kennen.

Erfreulich ist, dass uns hier der zuvor verstellte Blick auf die Hinterradfederung gegönnt wird – die in Cantilever-Manier ausgeführt ist. Der Wagen muss demnach ein Typ ADM gewesen sein.

Nun ist auch die vereinfachte Karosserie hinter den Sitzen zu erkennen. So etwas findet sich nur bei Sportaufbauten, bei denen Gewichtsersparnis wichtiger war als Stauraum oder ein Passagierabteil.

Allerdings waren die beiden Herren, die damit unterwegs waren, durchaus gewieft. Sie hatten nämlich das Ersatzrad aus der dafür vorgesehenen Mulde entfernt und ganz ans Heck verbannt. Damit hatten sie einen Gepäckraum für die nötigen Reiseutensilien:

Austro-Daimler ADM „Sport“; Originalfoto: Sammlung Michael Schlenger

So etwas sieht man nicht alle Tage und damit meine ich nicht nur den Austro-Daimler ADM „Sport“ als solchen, sondern vor allem diese absolut außergewöhnliche Heckansicht.

Die hatte ich ganz aus dem Blick verloren, als ich zu schreiben begann, doch ich habe sie noch gerade rechtzeitig zum Monatsende wiedergefunden…

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