Über Michael Schlenger

Ich bin gelernter Kaufmann und studierter Ökonom (Dipl-Vw.). Nach langen Jahren der Tätigkeit in der Wissenschaft und im Bereich Vermögensverwaltung arbeite ich als freiberuflicher Übersetzer und Texter mit Spezialisierung auf den Finanzsektor. Privat sammle und warte ich historische Automobile und Motorräder - je älter und patinierter, desto besser. Auf bestimmte Marken bin ich nicht festgelegt. Mein Fotoarchiv umfasst mehrere tausend historische Originalaufnahmen und sonstige Dokumente von Vorkriegsfahrzeugen. Am Herzen liegen mir außerdem historische Baudenkmäler, Musik von Renaissance bis Spätromantik sowie klassische Literatur. In allen Lebensbereichen folge ich dem Grundsatz der Aufklärung: Glaube nichts, prüfe alles, denke selbst!

Mut zur Lücke: Ein Fiat 522 Cabriolet, oder?

Im Bereich der Automobilliteratur zu Vorkriegswagen deutscher Provenienz gibt es aus jüngerer Zeit einige eindrucksvolle Ergebnisse im Hinblick auf die Marken der Auto-Union sowie hervorragende Arbeiten einzelner Enthusiasten wie im Fall von Röhr oder Steiger.

Doch in der Breite tut sich seit der automobilliterarischen Blütezeit der 1970/80er Jahre in punkto Vorkriegsautos für meine Begriffe zu wenig hierzulande. Jahrbücher lassen Jahre auf sich warten, neue Markenbiografien werden nicht fertig, lang angekündigte Online-Typenübersichten bleiben unvollendet.

Dabei lässt sich doch im Netz der vorläufige Stand jederzeit darstellen und bei neuen Erkenntnissen ergänzen, korrigieren und vertiefen.

Genau das praktiziert Ferdinand Lanner in Bezug auf Fiat seit einigen Jahren und das Ergebnis seiner bisherigen Arbeit ist überwältigend – hier können Sie viele schlaflose Nächte zubringen, liebe Vorkriegsfreunde!

Das geht nur mit dem Mut zur Lücke und dem Willen, die Welt nach und nach an etwas teilhaben zu lassen, für das man brennt und das wohl niemals „fertig“ werden wird. Aber man muss einmal damit anfangen und nie war das einfacher als heute.

Illustrieren lässt sich das anhand von zwei Fiat-Fotos aus meiner Sammlung, die zwar Schwierigkeiten bei der Identifikation der abgebildeten Wagen aufwerfen, aber mit Mut zur Lücke doch eine plausible These erlauben, die sich dann bewähren muss oder auch nicht.

Los geht’s:

Fiat 522 Limousine; Originalfoto aus Sammlung Michael Schlenger

Eine prachtvolle Werkstattaufnahme ist das, nicht wahr? Sie entstand 1935 im Raum Leipzig, soviel ist überliefert.

Aber was für ein Wagen ist darauf abgebildet? Der Mechaniker, der hier ein Datenblatt zu studieren scheint, wird es genau gewusst haben, steht uns aber nicht mehr zur Verfügung.

Wir Nachgeborenen sind daher auf unseren detektivischen Spürsinn angewiesen und letztlich auch auf den Mut zur Lücke.

Denn dummerweise ist die Kühlermaske mit einer kunstledernen Abdeckung versehen, an der in der kalten Jahreszeit eine Manschette angeknöpft wurde, welche den Luftdurchlass reduzierte und so bei Fehlen eines Thermostats für schnelles Warmwerden des Motors sorgte.

Welche Details liefern einen Hinweis auf die Identität des Wagens? Nach meiner Meinung vor allem die „geknickt“ verlaufende Zierleiste hinter der Motorhaube. Dieses markante Detail findet sich beispielsweise am Fiat 514 – einem 1929 eingeführten Vierzylindertyp:

Fiat 514; Originalfoto aus Sammlung Michael Schlenger

Dieses misshandelte Exemplar kam in einem deutschen Schnulzenfilm zum Einsatz, den ich hier ausführlich gewürdigt habe.

Der Fiat 514 besaß jedoch eine gerade Scheinwerferstange und besaß auch keine so markant gestaltete Doppelstoßstange wie der Werkstattbesucher auf dem eingangs gezeigten Foto.

Allerdings hatte der Fiat 514 einen großen Bruder – den Sechszylindertyp 522 – der kurze Zeit später eingeführt wurde. Dieser war mit mittig ansteigender Stoßstange und einer geschwungenen Scheinwerferstange verfügbar, daneben wies er auch die „geknickte“ Zierleiste hinter der Motorhaube auf.

Scheibenräder besaßen beide Modelle, wobei es nach meinem Eindruck vom Baujahr oder der Ausstattung abhing, ob nur eine kleine Nabenkappe oder eine auch die Radbolzen abdeckende Radkappe montiert war.

Mit diesem oberflächlichen „Wissen“ ausgestattet nähern wir uns nun dem eigentlichen Gegenstand meines heutigen Blog-Eintrags an, welcher abermals Mut zur Lücke verlangt, aber einfach zu reizvoll ist, um länger im Fundus zu schlummern:

Fiat 522 Cabriolet; Originalfoto aus Sammlung Michael Schlenger

Auf den ersten Blick würde man bei diesem 1935 bei Oberhof (Thüringen) abgelichteten Wagen wohl nicht auf einen Fiat tippen.

Doch der Steinschlagschutz mit den gepfeilten Streben täuscht. Dahinter verbirgt sich nach meiner Überzeugung ein Turiner Modell um 1930 – bloß welches?

Die Stoßstange ist schon einmal identisch mit derjenigen am oben vorgestellten Werkstatt-Fiat, den ich als Sechszylindertyp 522 ansprechen würde. Auf den Scheibenrädern finden sich nun die erwähnten großen Radkappen, die mir übrigens vor längerer Zeit auch die Identifikation des folgenden Wagens als Fiat (Typ 514) ermöglichten:

Fiat 514 Limousine; Originalfoto aus Sammlung Michael Schlenger

Auch der erwähnte „Knick“ der Zierleiste hinter der Motorhaube findet sich wieder.

Doch dahinter beginnt „terra incognita“ – und wie einst Kolumbus auf dem Weg nach Indien muss man Mut zur Lücke haben. Vielleicht bekommt man ja auf der Reise ins Ungewisse irgendwann wieder festes Land unter die Füße.

Doch wird man auch ans erhoffte Ziel gelangen? Kolumbus musste bekanntlich einsehen, dass er sich mit seinem Mut zur Lücke auf dem Globus zwar gründlich verkalkuliert hatte, aber immerhin hatte er den Blick auf eine faszinierend neue Welt eröffnet.

Ist das am Ende auch bei diesem wunderbar gestalteten zweitürigen Cabriolet der Fall? Ich konnte zwar bislang keine Entsprechung finden, doch halte ich es für sehr wahrscheinlich, dass wir es mit einem Manufakturaufbau auf Basis eines Fiat 522 zu tun haben:

Ein dermaßen exquisites Cabriolet mit schräggestellter Frontscheibe und elegant geschwungenem unteren Türabschluss auf Basis eines Fiat um 1930 konnte ich bislang auch in Ferdinand Lanners Dokumentation der in Frage kommenden Typen nicht finden.

Meine Vermutung – Sie sehen, ich habe immer noch Mut zur Lücke – geht dahin, dass wir es bei diesem erlesen schönen Exemplar mit Berliner Zulassung um eine Sonderanfertigung einer deutschen Karosseriefirma zu tun haben.

Das stand zwar im Widerspruch zur Ausrichtung von Fiat auf Großerienproduktion, die bereits 1919 begann. Doch im Deutschland der Vorkriegszeit waren Automobile dieser Kategorie nach wie vor Luxusobjekte, die nur für einen sehr geringen Teil der Bürger überhaupt erreichbar waren.

Diese Kundschaft konnte sich oft auch einen nochmals wesentlich teureren Manufakturaufbau leisten – was übrigens auch bei vielen importierten US-Wagen zu beobachten ist, die in der Heimat reine Massenprodukte waren.

Was meinen Sie nun zu diesem Wagen? Liege ich richtig mit meiner Vermutung, oder habe ich mich mit meinem Mut zur Lücke doch zu weit hinaus gewagt ins Ungewisse? In letzterem Fall könnte ich aber doch immerhin Glück gehabt haben wie einst Kolumbus und auf etwas ganz anderes gestoßen sein als vermutet, aber was?

Nachtrag: Dem Hinweis von Leser Erhardt Schmidt folgend konnte ich ermitteln, dass der Fiat 522 tatsächlich auch im Heilbronner NSU-Werk als NSU-Fiat 10/52 PS (bzw. NSU-Fiat 2500) gefertigt wurde. Wagen aus der Heilbronner Fiat-Fertigung wurden gern auch mit deutschen Sonderkarosserien versehen (hier vermutlich von Drauz).

Michael Schlenger, 2022. All entries in this blog (including embedded photos) are copyrighted by the author, unless otherwise indicated. Excerpts and links may be used, provided that credit is given to Michael Schlenger and https://vorkriegs-klassiker-rundschau.blog with appropriate and specific direction to the original content.

Ein Opfer des Kriegs: Audi 225 Luxus Cabriolet

Historische Fotos von Vorkriegswagen haben etwas von einer Zeitmaschine. Sie bewahren oder wecken die Erinnerung an vergangene Lebenswelten und Menschen, deren Träume und Leidenschaften – noch dann, wenn diese selbst längst Geschichte sind.

Die große Zäsur, die uns davon trennt – abgesehen von der langen Zeit, die seither vergangen ist – stellt der 2. Weltkrieg dar. In den meisten Ländern Europas war nach 1945 kaum noch etwas wie zuvor und sollte es auch nur in den seltensten Fällen wieder werden.

Opfer dieses Kriegs finden sich in den beteiligten Ländern praktisch in allen Familien und oft ist die Erinnerung an sie noch lebendig – oder sie wird es wieder bei der Betrachtung alter Fotos in den Alben der Altvorderen.

Mit einem Opfer dieses Kriegs – oder bei genauer Betrachtung mit zwei – beschäftigt sich mein heutiger Blog-Eintrag.

Möglich gemacht hat ihn Wolfgang Müller-Judex, der mir ein Foto zur Verfügung gestellt hat, das für ihn voller persönlicher Geschichte ist. Es ist zugleich für uns Dritte ein Dokument, das uns mit der Geschichte unseres Landes konfrontiert, die solange lebendig ist, wie sich jemand mit ihr beschäftigt und ihr etwas für’s Heute abzugewinnen versucht.

Das Auto, um das es dabei (auch) geht, ist uns bereits wiederholt begegnet, unter anderem auf diesem Foto von Leser Matthias Schmidt (Dresden):

Audi Front 225 Luxus Vierfenster-Cabriolet von Gläser; Originalfoto aus Sammlung Matthias Schmidt (Dresden)

1936 brachte Audi diese optisch überarbeitete Version seines Frontantriebswagens 225 heraus. Die verbesserte Ausstattung, das größere Platzangebot und der reichlichere Chrom-Zierrat rechtfertigten die offizielle Bezeichnung als „Front Typ 225 Luxus“.

Das zweitürige Cabriolet mit vier Seitenfenstern, das wir hier sehen, besaß einen Aufbau der Manufaktur Gläser aus Dresden, die mit ihren perfekt ausbalancierten Formen eine Klasse für sich im deutschen Automobilbau war.

Die ovale dunkle Plakette am unteren Ende der A-Säule des Wagens findet sich bei allen Gläser-Aufbauten (sofern der Käufer nicht darauf verzichtete).

Denselben Aufbau gab es von Gläser freilich in noch raffinierterer Farbgestaltung – ebenfalls in Hell-Dunkel-Ausführung, doch zusätzlich mit farblich akzentuierter Partie oberhalb der Schulterlinie (im Fachjargon als Sattel bezeichnet).

Aus meiner Sicht entfaltet sich die Schönheit der offenen Gläseraufbauten am vollkommensten in einer solchen Ausführung:

Audi Front Typ 225 Luxus; Originalfoto aus Familienbesitz (Wolfgang Müller-Judex)

Diese schwer überbietbare Ausführung des Gläser-Vierfenster-Cabriolets auf Basis des Audi Front Typ 225 Luxus gönnte sich einst der Vater von Wolfgang Müller-Judex.

Er konnte sich dieses Prachtstück leisten, hatte er als studierter Versicherungsmathematiker doch einen gut dotierten Posten als Direktor einer Assekuranz erlangt.

Beinahe 7.000 Reichsmark waren für dieses Manufaktur-Automobil zu berappen – das entsprach beim Erscheinen des Typs im Jahr 1936 annähernd dem vierfachen Brutto- Jahreseinkommen eines durchschnittlichen sozialversicherungspflichtigen Arbeitnehmers.

Nur darf man nicht meinen, dass der Besitzer eines solchen Luxuswagens zwangsläufig auf Rosen gebettet war. Zum einen hatte er eine äußerst anspruchsvolle und langwierige Ausbildung absolviert und sich mit besonderem Können seine Position erarbeitet.

Zum anderen machte der Ausbruch des 2. Weltkriegs früher oder später alle mehr oder weniger gleich – denn dem Kriegseinsatz entging man nur bei Vorliegen körperlicher Behinderungen, da half alles Geld der Welt nicht.

So wurde auch der Vater von Wolfgang Müller-Judex 1940 zu einer Einheit der Luftwaffe einberufen. Sein Audi wurde in Berlin stillgelegt – der Räder beraubt aufgebockt.

Wolfgang Müller-Judex liefert eine interessante Begründung dafür, dass der Wagen zunächst nicht wie unzählige andere Privat-PKW von Staats wegen eingezogen und dem Militär zur Verfügung gestellt wurde.

So sei die Bodenfreiheit des Audi Front Typ 225 Luxus zu gering gewesen, um den Wagen für den Fronteinsatz abseits befestigter Straßen geeignet zu machen. Der Frontantrieb kann es jedenfalls nicht gewesen sein, waren doch Adler-Fronttriebler und ab 1940 vor allem Citroens des Typs „Traction Avant“ bei der Wehrmacht sehr verbreitet und geschätzt.

Was im weiteren Kriegsverlauf mit dem eingemotteten Audi seines Vaters geschah, konnte mir Wolfgang Müller-Judex nicht sagen. Er besitzt aber eine lebhafte Erinnerung an das Fahrzeug, saß er doch einst selbst mit seinen Schwestern auf der Haube des Wagens!

Mit diesem 1939 entstandenen Foto haben wir also den ganz seltenen Fall, dass wir noch quasi aus erster Hand etwas über einen Vorkriegswagen erfahren können.

Dass uns Wolfgang Müller-Judex an dieser persönlichen Erinnerung aus den späten 1930er Jahren teilhaben lässt, das ist ein außerordentliches Privileg und wir dürfen uns heute vor einem im besten Sinn „alten Herrn“ in Dankbarkeit verneigen.

Die Geschichte des Audis ist an dieser Stelle freilich noch nicht zuende. Wie der Titel bereits ahnen lässt, ist das Auto höchstwahrscheinlich am Ende ein Opfer des Kriegs geworden, jedenfalls ist nichts über seinen Verbleib bekannt.

Etwas mehr als ein Dutzend Audis des Typs Front 225 Luxus in der Ausführung als Vierfenster-Cabriolet haben die Zeiten überdauert (Quelle: Audi Automobile, Peter Kirchberg/Ralf Hornung, Verlag Delius-Klasing, 2. Auflage 2015).

Könnte einer davon der Wagen des Vaters von Wolfgang Müller-Judex sein? Denkbar, aber nicht mehr beweisbar. Auch solche Verluste an Familientradition zählen zu den Opfern des Kriegs.

Noch mehr gilt das aber für die Teilnehmer desselben, sofern diese sich nichts haben zuschulden kommen lassen. Das muss auch für diejenigen Soldaten auf deutscher Seite gelten, die den Krieg zwar gefochten, aber nicht angezettelt haben (das waren Politiker).

Der Vater von Wolfgang Müller-Judex geriet im Kriegsverlauf in sowjetische Gefangenschaft und kehrte erst eine Weile nach Kriegsende nach Deutschland in die Heimat zurück. Was er in der Zwischenzeit erlebt hatte, das wollen wir nicht wissen.

Sein früher Tod im Jahr 1957 macht ihn jedenfalls für Wolfgang Müller-Judex ebenfalls zu einem Opfer des Kriegs. Damit wir uns recht verstehen: Unser Mitgefühl verdienen auch die unzähligen Opfer speziell auf russischer Seite, die ebenfalls bloß Verfügungsmasse waren.

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Relikt einer untergegangenen Welt: Ein Siddeley-Deasy

Bei Ausbruch des 1. Weltkriegs standen die führenden Länder Europas in vielerlei Hinsicht auf dem Höhepunkt: Wissenschaft und Technik, Kunst und Architektur, aber auch das Bildungsniveau und die politische Teilhabe eines selbstbewussten Bürgertums hatten einen Stand erreicht, wie es ihn in dieser Breite zuvor noch nie gegeben hatte.

Was hätte daraus werden können, wenn nicht die Regierungen aller europäischen Großmächte entschlossen gewesen wären, ihre männliche Jugend auf den Schlachtfeldern zu opfern und ihre Ressourcen komplett der Kriegswirtschaft zu widmen?

In England setzte man das gesamte Empire aufs Spiel und verlor es am Ende – trotz eines Siegs, der ohne das Eingreifen der Vereinigten Staaten 1917 wohl ausgeblieben wäre. Die gigantischen Verluste an Menschenleben, welche die Londoner Regierung nonchalant in Kauf nahm, hinterließen in der Erinnerung noch größere Spuren als der 2. Weltkrieg.

Nach 1918 sollte in England nichts mehr sein wie zuvor und für die einstige Weltmacht markiert der 1. Weltkrieg die Zeitenwende schlechthin.

Wie vollkommen anders die Welt vor 1914 auch in Großbritannien war, das mag das folgende Foto dokumentieren, das ich meinem Sammlerkollegen Jörg Pielmann verdanke:

Siddeley-Deasy um 1913; Originalfoto aus Sammlung Jörg Pielmann

Diese eigenwillige Kreation, deren Motorhaube an den Rammsporn antiker Kriegsschiffe erinnert, mutet an wie der Phantasie des großen Futuristen Jules Verne entsprungen.

Seine wohl bekannteste und schillerndste Romanfigur – Kapitän Nemo – hätte vermutlich ein eigenwilliges Fahrzeug wie dieses bevorzugt, wenn er denn je sein Unterseeboot „Nautilus“ für einen Landgang verlassen hätte.

Mit der wie ein Kristall gebrochenen Haube konnten auch frühe Wagen von Renault oder Komnick nicht mithalten, die auf den ersten Blick eine ähnliche Gestaltung aufwiesen:

Mich erinnert diese aus geometrischen Formen zusammengesetzte Haube an Elemente des strengen Jugenstils, wie es ihn neben den stärker organischen Varianten ebenfalls gab.

Überhaupt fasziniert die Eigenständigkeit der Entwürfe aus der Frühzeit des Automobils als tausende unabhängige Firmen um die Gunst der Käufer rangen – kein fachfremder Politiker hätte sich damals angemaßt, „lenkend“ in die vollkommen offene Entwicklung einzugreifen. Das ist ein wesentlicher Grund für die ungeheure Dynamik jener Zeit.

Der folgende kurze Abriss mag dies illustrieren:

Zwischen 1904 und 1906 baute ein gewisser George Iden, der zuvor bei Daimler tätig war, in Coventry Autos unter seinem Namen. Die Fabrik wurde anschließend von Hugh Peter Deasy übernommen, der bis dato Wagen von Rochet Schneider und Martini importiert hatte.

Deasy überwarf sich allerdings mit seinem Chefentwickler, was die Konstruktion der von ihm geplanten Wagen anging und verließ schon 1908 wieder die von ihm gegründete Firma.

1909 stieg ein gewisser John Siddeley bei Deasy ein und wurde im Folgejahr Geschäftsführer. Siddeley hatte bereits 1902 unter seinem Namen eine Autofabrikation aufgezogen, die 1905 von Wolseley übernommen wurde.

Sieben verschiedene Hersteller sind hier in einer Spanne weniger Jahre beiläufig erwähnt – allein daran vermag man die Aufbruchstimmung jener Zeit zu ermessen.

Unter der Leitung von Siddeley kam Deasy in Schwung, sodass die ab 1912 gebauten Wagen des Herstellers als Siddeley-Deasy vermarktet wurden. Verfügbar waren Antriebe mit 16 bis 24 PS, darunter auch zwei Sechszylinderaggregate mit „Knight“-Schiebermotor.

Welchen davon genau das Bild von Jörg Pielmann zeigt, ist eigentlich unerheblich. Letztlich illustriert diese Aufnahme um 1913 ein Relikt einer untergegangenen Welt, in der alles möglich erschien, bevor plötzlich die Lichter der Zivilisation ausgingen…

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Dienstwagen für privilegierte Genossen: Ein Dinos 16/72 PS

Die wahre Natur der vermeintlich menschenfreundlichen Ideologie des Sozialismus tritt dann hervor, wenn sie an die Schaltstellen der Macht gelangt.

Wer nun an die Ausplünderung und Bevormundung der Bürger, die Drohung mit Energierationierung und die Selbstbedienung denkt, welche der Politadel im Berlin unserer Tage praktiziert, macht sich neuerdings der „Delegitimierung des Staats“ verdächtig – die war lange übrigens Aufgabe kritischer Journalisten.

Zwar liegt es dem Untertanen fern, an das Handeln der heute Herrschenden den Maßstab seiner beschränkten Einsicht zu legen. Gegenüber vergangenen Regimen darf man indessen noch als Kritiker auftreten – genau das erlaube ich mir im Folgenden.

Möglich gemacht hat mir das mein russischer Sammlerkollege Stanislav Kirilets mit einem Foto, das Anlass zu manchen Mutmaßungen gibt.

Ich übernehme dabei die Angaben, die er zu der Aufnahme macht – zum einen, weil er ein ausgewiesener Kenner der Materie ist, zum anderen, weil mir keine verlässlichen Quellen vorliegen, die mich zu einer anderen Einschätzung bewegen könnten:

Dinos Typ 16/72 PS; Originalfoto via Stanislav Kirilets

Laut Stanislav Kirilets ist überliefert, dass es sich bei diesem eindrucksvoll dimensionierten Tourenwagen um einen Typ 16/72 PS des Berliner Herstellers Dinos handelt. Abgelichtet wurde das Fahrzeug auf dem Land in der Nähe von Moskau.

Ich habe die Geschichte dieser wie so oft schlecht dokumentierten deutschen Marke bislang nur gestreift. Sie beginnt mit der Automobilfabrikation der Firma Loeb & Co., welche in Berlin unter der Marke LUC ab 1909 selbstkonstruierte Wagen anbot.

Bis 1914 genossen LUC-Automobile den Ruf zwar teurer, aber ausgezeichnet konstruierter und leistungsfähiger Wagen.

Hier eine grafisch reizvolle Reklame, die deutlich macht, dass man sich nicht mit Kleinwagen abgab und auch laufruhige Modelle mit Schiebermotor (Patent: Knight) anbot:

LUC-Reklame von 1914; Original aus Sammlung Michael Schlenger

Nach dem 1. Weltkrieg gelangte das Unternehmen unter die Kontrolle des Stinnes-Konzerns und fertigte nun unter der Marke „Dinos“ weiterhin gut motorisierte Qualitätsautos.

Gewisse Verbreitung scheint das neue 8/35 PS-Modell gefunden zu haben. Es verfügte über einen Motor mit drehzahlfreudiger Charakteristik (Ventiltrieb über obenliegende Nockenwelle und Köngswelle) und erreichte damals beachtliche 100 km/h.

Den Vogel ab schoss man indessen mit dem 1921/22 gebauten Sechszylindertyp 16/72 PS. Dieser schnelle Wagen ließ die aufgewärmten Vorkriegsmodelle etlicher etablierter deutscher Hersteller so lahm und alt aussehen, wie das damals auch der Lancia Kappa tat.

Wenn die Überlieferung stimmt, war das ein veritables Luxusuautomobil mit sportlicher Charakteristik, welches einst im Umland von Moskau für die Nachwelt festgehalten wurde.

Zwar waren frühe deutsche Fabrikate in Russland alles andere als selten – tatsächlich war das Deutsche Reich damals der bedeutendste Handelspartner und deutsche Autos bewährten sich unter den harten Bedingungen in den russischen Weiten.

Doch fragt man sich: Wer konnte nach der „Revolution“ in Russland, die doch über das Zwischenstadium Sozialismus den ersehnten Kommunismus anstrebte, jemand noch so ein unglaublich exklusives Automobil (oder überhaupt irgend ein Kraftfahrzeug) besitzen?

Die Antwort ist so einfach wie ernüchternd:

Nach jeder ideologischen Umwälzung – ganz gleich unter welchem Vorzeichen – gibt es eine neue Oberschicht, die sich aus den Gewinnern des Umsturzes speist (meist aus der Unterschicht und dem akademischen Prekariat) und daneben anpassungsfähige Vertreter der alten Feudalschicht umfasst.

Zwar können wir nicht wissen, welcher der beiden Gruppen die Insassen dieses Dinos 16/72 PS angehörten – sie werden sich aber so oder so als „verdiente Genossen“ präsentiert haben, denen solche Privilegien quasi von Natur aus zustehen:

Die Ansprache des Dinos als Typ 16/72 PS mag unsicher sein – vielleicht war es doch „nur“ das Vierzylindermodell 8/35 PS – doch sicher ist eines:

Den Gewinnern roter, brauner (oder wie auch immer eingefärbter) sozialistischer Revolutionen war und ist das Schicksal der Masse egal – wer romantische andere Auffassungen hegt, sollte Alexander Solschenizyns „Archipel Gulag“ oder bei eher nüchterner Veranlagung gleich das „Schwarzbuch des Kommunismus“ lesen…

Freilich weiß man auch, dass in totalitären Verhältnissen mancher „verdienter Genosse“ unter die Räder kam, wenn er sich irgendwelcher Fehltritte schuldig machte – so mag das auch mit den Insassen des Dinos gewesen sein – welcher selbst ebenfalls bald Geschichte gewesen sein dürfte…

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Autobahntempo schon 1919: Lancia „Kappa“

Meinen heutigen Blog-Eintrag sollten die Freunde früher Benz-Wagen besser ignorieren, denn „ihre“ Marke kommt zumindest darin nicht sonderlich gut weg.

Natürlich weiß ich auch Benz-Automobile zu schätzen, allein schon wegen ihrer markanten Optik, die sie freilich mit Konkurrent Daimler teilten, bevor es zum Zusammenschluss kam.

Auch sind mit der Marke Benz einige herausragende Sporterfolge verbunden. Doch gab es später Zeiten, in denen der Hersteller schlicht den Anschluss verloren hatte.

Das war der Fall im Jahr 1919, als zwar die Auftragslage auf dem Papier recht gut aussah, aber letztlich bloß Vorkriegsmodelle aufgewärmt wurden. Eines davon war der mächtige Benz 25/55 PS, für den es seinerzeit immerhin rund 200 Bestellungen gab.

Das war ein Koloss mit 6,5 Liter messendem Vierzylindermotor, der freilich gerade einmal 55 PS Spitzenleistung abwarf. Für ein Fahrzeug, dessen Fahrgestell alleine bereits 1,3 Tonnen wog, war das etwas dürftig. Das Spitzentempo von 85 km/h war zwar für die meisten Situationen damals ausreichend, aber es ging auch anders.

Das bewiesen ausgerechnet die gern mit deutscher Arroganz geringgeschätzten „Itaker“, die clever genug waren, sich im 1. Weltkrieg auf der richtigen Seite zu positionieren.

Italien war 1919 zwar insgesamt noch bitterarm und in vielerlei Hinsicht rückständig, doch im Norden des Landes blühte eine Wissenschafts- und Ingenieurskultur, die es mit der gern überschätzten deutschen durchaus aufnehmen konnte.

Fiat bewies damals mit dem Riesenerfolg des neu entwickelten Typs 501, dass man besser von den geschäftstüchtigen, nüchtern rechnenden Amerikanern lernt, als bloß über sie herzuziehen und selbst in überholten Produktionsmustern zu verharren.

Selbst ein Nischenhersteller wie Lancia hatte die Zeichen der Zeit erkannt und stellte 1919 mit dem neuen Modell „Kappa“ etwas auf die Beine, was hierzulande seinesgleichen suchte:

Lancia Kappa um 1920; Originalfoto aus Sammlung Michael Schlenger

Das Pferd, welches auf dieser Aufnahme traurig den Kopf hängen lässt, hatte vermutlich gerade erfahren, was Lancia an Pferdestärken mit seinem neuen „Kappa“ bot.

Trotz (im Vergleich zum Benz) nur 4,9 Litern Hubraum leistete der Motor des Lancia annähernd 70 PS Spitzenleistung. Verbunden mit einem drastisch niedrigeren Gewicht war damit eine Kraftentfaltung möglich, von der Benz-Kunden seinerzeit nur träumen konnten.

Auch die Höchstgeschwindigkeit bewegte sich in völlig anderen Sphären – gut 120 km/h gab Lancia für den „Kappa“ an. Die konnte man zwar 1919 noch nirgends wirklich ausfahren, aber dieser Wagen zeigte, wohin man wollte.

Kein Wunder, dass bei solchen Ambitionen schon 1924 in Oberitalien der erste Autobahnabschnitt der Welt entstand. Der wurde übrigens ebenfalls mit einem Lancia eröffnet – dem ab 1922 gebauten 100 PS-Modell Trikappa.

In Deutschland lagen die großen Hersteller damals leider noch im Tiefschlaf – man kann es leider nicht anders sagen – erst die existenzbedrohende Konkurrenz aus den Vereinigten Staaten machte den intelligenteren unter ihnen Ende der 1920er Jahre Beine.

Für das Autobahntempo des Lancia Kappa reichte es dennoch bis in die 1930er Jahre bei etlichen deutschen Fabrikaten noch nicht – das sollte erst nach einem weiteren verlorenen Krieg gelingen…

Die große Klappe gegenüber den „Spaghettifressern“ behielt man allerdings auch dann noch lange bei – erst in unseren Tagen hält die Einsicht Einzug, dass man südlich der Alpen in mancher Hinsicht doch deutlich besser fährt…

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Unzeitgemäße Betrachtungen: Presto D 9/30 PS

Im ersten Impuls wollte ich meinen heutigen Blogeintrag zum Presto Typ D der ersten Hälfte der 1920er Jahre mit dem Titel „Versuch einer Chronologie“ versehen.

Zwar liegen mir inzwischen beinahe 40 historische Fotos dieses seinerzeit recht verbreiteten, heute aber praktisch ausgestorbenen Wagens der sächsischen Presto-Werke vor, die eine Vielzahl unterschiedlicher Details erkennen lassen.

Doch darauf auch nur den Versuch einer Chronologie aufzubauen, erwies sich bei näherer Betrachtung als vermessen oder zumindest verfrüht.

Da sich auf der Zeitschiene aus meiner Sicht noch keine eindeutige Entwicklung nachvollziehen lässt, verfiel ich stattdessen auf das Motto „Unzeitgemäße Betrachtungen“.

Freunde oder Feinde des brillant-bösen Polemikers und Meisters der deutschen Sprache – Friedrich Nietzsche – verbinden mit diesem Titel vier Essays, von denen einer sogar Bezug zu dem hat, was ich hier betreibe: „Vom Nutzen und Nachteil der Historie für das Leben“.

Der Essay ist nebenbei wie etliche andere Werke von Nietzsche hervorragend dazu geeignet, sich an einem Thema abzuarbeiten, verschiedene (durchaus zugespitzte) Sichtweisen nachzuvollziehen und sich am Ende ein eigenes Bild zu machen.

„Zugespitzt“ und „ein eigenes Bild“ – damit lässt sich trefflich zum Gegenstand meiner heutigen unzeitgemäßen Betrachtung überleiten.

So haben wir hier ein Foto aus meinem Fundus, welches den 1921 eingeführten Presto Typ D 9/30 PS mit seinem vorne scharfkantigen, oben leicht abgerundeten Kühler zeigt:

Presto-Typ D 9/30 PS; Originalfoto aus Sammlung Michael Schlenger

Folgende Details sind hier festzuhalten:

Der Kühler ist in Wagenfarbe lackiert, sechs Luftschlitze befinden sich am hinteren Ende der Motorhaube, der Belag des Trittbretts endet an der Schwellerpartie und die Radschrauben sind schlicht in Wagenfarbe gehalten, lediglich die Nabenkappe glänzt ein wenig.

Der Tourenwagenaufbau weist am Heck einen „tulpenartigen“ Querschnitt auf, gewinnt also nach oben an Breite, und das niedergelegte Verdeck verbirgt sich in einem umlaufenden Kasten ohne „aufzutragen“.

Markant ist außerdem die „Bügelfalte“ zwischen dem hinteren Ende der Motorhaube und der Frontscheibe. Diese ist schräggestellt, mittig unterteilt und zumindest auf der Fahrerseite oben ausstellbar.

Beinahe das gleiche Bild zeigt sich auf der nächsten Aufnahme:

Presto-Typ D 9/30 PS; Originalfoto aus Sammlung Michael Schlenger

Einziger Unterschied: Hier ist der Kühler vernickelt, was die Frage aufwirft, ob dies bereits eine weitere Entwicklungsstufe des Presto Typ D kennzeichnet oder ob es sich lediglich um ein anfänglich aufpreispflichtiges Extra handelt.

Jedenfalls taucht ein lediglich in Wagenfarbe lackierter Kühler auf keinem meiner weiteren Fotos dieses Modells mehr auf.

Ein Extra scheinen jedenfalls die Drahtspeichenräder gewesen zu sein, die auf folgender Aufnahme dokumentiert sind:

Presto-Typ D 9/30 PS; Originalfoto aus Sammlung Matthias Schmidt (Dresden)

Von den Rädern abgesehen scheint hier alles so zu sein wie auf den zuvor gezeigten Fotos. Doch der Tourenwagenaufbau ist am Heck nun schlichter und schmaler gehalten und das niedergelegte Verdeck ist jetzt außen angebracht.

Diese sachliche Gestaltung setzte sich in den 1920er Jahren gegenüber der expressiveren Tulpenform durch, doch könnte es beide Varianten eine Weile parallel gegeben haben.

Ein weiteres Detail lässt sich anhand geeigneter Aufnahmen dokumentieren – und zwar die Anbringung des Ersatzrads auf diesem bislang unpublizierten Foto aus meiner Sammlung:

Presto-Typ D 9/30 PS; Originalfoto aus Sammlung Michael Schlenger

Diese Aufnahme stammt aus dem Raum Dresden (das lässt zumindest der Stempel des Fotogeschäfts auf der Rückseite vermuten), als Fahrer des Wagens ist W. Hilpert genannt – vermutlich ein angestellter Chauffeur.

Er konnte im Zweifelsfall auf zwei Ersatzräder zugreifen , welche nicht eigens auf die Felgen aufgezogen werden mussten, sondern auf den Radkranz geschraubt werden konnten.

Davon abgesehen scheint alles den Erwartungen zu entsprechen, die man in Bezug auf einen Presto Typ D 9/30 PS hegt. Auch eine eigenwillige Zweifarblackierung wie auf der nächsten Aufnahme bringt einen noch nicht aus dem Konzept:

Presto-Typ D 9/30 PS; Originalfoto aus Sammlung Michael Schlenger

Allenfalls bemerkt man an diesem Wagen eine zwar schräggestellte, aber nunmehr durchgehende Windschutzscheibe. Wiederum stellt sich die Frage: Optional oder Hinweis auf eine weitere Entwicklungsstufe des Presto Typ D 9/30 PS?

Ich schätze, dass hier einfach jemand seine persönlichen Vorstellungen hat umsetzen lassen, was im Rahmen der Manufakturproduktion bei Presto sicher möglich war.

Auf den ersten Blick eine weitere Variation über dasselbe Thema findet sich auf der nächsten Abbildung:

Presto-Typ D 9/30 PS; Originalfoto aus Sammlung Michael Schlenger

Dieses schöne Dokument zeigt einen in Schlesien zugelassenen Wagen, wie ihn meine von dort stammenden Großeltern mütterlicherseits vielleicht einmal gesehen haben.

Alle bislang besprochenen Details scheinen hier vorhanden zu sein – doch nicht ganz: Die sechs Luftschlitze sind näher zur Mitte der Motorhaube gerückt und auf den Rädern findet sich mit einem Mal eine vernickelte breite Nabenkappe mit nunmehr sechs Radbolzen.

Karosserie und Frontscheibe erscheinen wie bisher, dennoch dürften wir es hier mit einer modellgepflegten Variante zu tun haben – Einführungsdatum ungewiss.

Die weiter nach vorne gewanderten Haubenschlitze finden sich auch an dem folgenden Fahrzeug, allerdings sind hier wieder die wie bisher schmucklosen Radnaben zu sehen:

Presto-Typ D 9/30 PS; Originalfoto aus Sammlung Michael Schlenger

Die vernickelten Radkappen würde ich daher als zumindest anfänglich aufpreispflichtiges Zubehör ansehen. Doch findet sich an diesem Presto Typ D ein weiteres neues Detail, welches auf dem vorherigen Foto leicht zu übersehen ist.

Hier endet das Trittblech nämlich nicht am Schweller, sondern reicht abgewinkelt noch ein Stück daran nach oben. Das findet sich dann durchgehend auf allen mir vorliegenden otos von Presto-Wagen des Typs D 9/30 PS mit näher zur Mitte gerückten Haubenschlitzen:

Presto-Typ D 9/30 PS; Originalfoto aus Sammlung Michael Schlenger

Wie es scheint, finden sich in Verbindung mit den vernickelten Radkappen und den näher zur Mitte gerückten Luftschlitzen tendenziell auch eher horizontal durchgehende Windschutzscheiben, meist senkrecht stehend.

Aus meiner Sich ging im Zuge dieser Veränderungen die anfänglich sportliche äußere Anmutung des Presto Typ D 9/30 PS verloren – vielleicht an diesem Beispiel eines darauf basierenden Taxis gut erkennbar:

Presto-Typ D 9/30 PS; Originalfoto aus Sammlung Michael Schlenger

Doch nicht nur diese bieder wirkende Droschkenausführung lässt den ursprünglichen Reiz des Modells D 9/30 PS von Presto vermissen.

Dasselbe gilt für die folgende (bisher unpublizierte) Aufnahme eines weiteren Tourenwagens dieses Typs, welcher einst im Raum Stettin (seit 1945 zu Polen gehörig) zugelassen war:

Presto-Typ D 9/30 PS; Originalfoto aus Sammlung Michael Schlenger

So schön dieses hochsommerlich anmutende Foto sein mag – irgendwie hat der Presto D 9/30 PS in dieser Ausführung seinen ursprünglichen Reiz als schnittiger Tourer verloren.

Nun ist aus meinen subjektiven unzeitgemäßen Betrachtungen vielleicht doch so etwas wie der Versuch einer Chronologie des Presto Typ D 9/30 PS geworden. Doch würde ich dieses Feld gerne den Markenexperten überlassen.

Aber gibt es denn für die Presto-PKWs überhaupt welche? Schwer zu sagen. Bestimmt gibt es jede Menge originales Prospektmaterial und sonstige Dokumentation in Spezialistenhand, auf die ich als bloß dilettierender Vorkriegsautofreund keinen Zugriff habe.

Friedrich Nietzsche plädiert in seinen Unzeitgemäßen Betrachtungen dafür, die rechte Balance zwischen einem Zuviel und einem Zuwenig der Auseinandersetzung mit der Historie zu finden.

Vielleicht traut sich ja gelegentlich jemand in Sachen Presto oder einer der anderen unterbelichteten deutschen Marken hervor, gern auch zugespitzt und meinungsstark wie Meister Nietzsche…

Michael Schlenger, 2022. All entries in this blog (including embedded photos) are copyrighted by the author, unless otherwise indicated. Excerpts and links may be used, provided that credit is given to Michael Schlenger and https://vorkriegs-klassiker-rundschau.blog with appropriate and specific direction to the original content.

Machte Mädels aufsässig: Wanderer W10-IV von 1932

Gerade aus dem Süden zurückgekehrt, finde ich sogleich neue Inspiration in Form einer Bildzusendung von Friedrich Bartels im Auftrag des Kulturvereins Ottersberg (Lkr. Verden).

In der kleinen Gemeinde hoch oben in Deutschlands Norden pflegt man mit Hingabe die Auseinandersetzung mit der eigenen Historie anhand alter Fotos, die sämtliche Aspekte vergangenen Lebens dokumentieren.

Dazu gehören bisweilen auch Aufnahmen, die Automobile zeigen, welche freilich in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts in der ländlichen Region noch eine Seltenheit waren und für einiges Aufsehen sorgten.

Wenn ich nun behaupte, dass einer dieser Wagen einst die Mädels im Ort aufsässig machte, so mag das übertrieben klingen – vor allem, wenn man erfährt, dass es sich um einen braven Wanderer des Typs 6/30 PS von 1932 handelte, welcher intern die Bezeichnung W10-IV trug.

Der in jeder Hinsicht konventionelle Wagen mit seitengesteuertem Vierzylindermotor, der aus 1,6 Litern Hubraum gerade einmal 30 PS herausholte, war nicht eben das, was das Blut in Wallung bringt, möchte man meinen.

Aber wir dürfen eines nicht vergessen: Selbst ein biederer Wanderer dieses Typs repräsentierte damals das große Versprechen individuellen Reisens, das sich für die allermeisten Deutschen erst lange nach dem 2. Weltkrieg erfüllen sollte.

Tatsächlich ist uns genau so ein Wanderer W10-IV in der Ausführung von 1932 schon einmal auf großer Fahrt begegnet – nämlich hier:

Wanderer W10-IV; Originalfoto aus Sammlung Michael Schlenger

Das in Bozen (Südtirol) entstandene Foto ist etwas körnig geraten, gibt aber genügend Details preis, um die Ansprache dieser Limousine als Wanderer des Typs 10-IV in der letzten Ausführung von 1932 zu ermöglichen.

Der Typ als solcher ist an der Gestaltung des reich verchromten Kühlergrills mit dem typischen Wanderer-Emblem, den Doppelstoßstangen sowie an den recht weit unten angebrachten Luftschlitzen in der Motorhaube zu erkennen.

Auf das letzte Baujahr des 1930 eingeführten, damals schon nicht mehr ganz taufrischen Modells deuten die großen Radkappen hin. Vor 1932 musste der Wagen noch ohne diese auskommen, was seine sonst gediegene Erscheinung etwas nach unten zog.

Hier zum Vergleich die Aufnahme einer frühen Cabriolet-Ausführung:

Wanderer W10-IV Cabriolet, Baujahr: 1930-31; aufgenommen vor der Dreilägerbach-Talsperre bei Aachen; Originalfoto aus Sammlung Matthias Schmidt

Hier sieht man einen weiteren Unterschied zur Version von 1932 – die Luftschlitze sind senkrecht ausgeführt, erst zuletzt wurden sie leicht schräggestellt.

Das erkennt man zwar nicht auf Fotos, welche von vorne aufgenommen worden, dennoch besteht aus meiner Sicht kein Zweifel, dass auch der folgende Wanderer, der einst in der Gemeinde Ottersberg für Furore sorgte, ein Typ W10-IV von 1932 war:

Wanderer W10-IV; Originalfoto des Kulturvereins im Rektorhaus Ottersberg (via Friedrich Bartels)

Was soll man zu diesem bezaubernden Foto noch viel mehr sagen?

Klar, dass so ein Wagen die Vertreterinnen der örtlichen Weiblichkeit spontan „aufsässig“ machte – für einen kostbaren kleinen Moment konnten sie sich vorstellen, mit dem Wanderer in die große weite Welt hinauszufahren.

Die eine scheint gerade einem imaginierten Ziel in der Ferne entgegenzublicken – gern wüsste man, was das wohl gewesen sein mag.

Unterdessen legt die andere dem Wanderer beinahe liebevoll die Hand auf die vielleicht noch warme Motorhaube und schaut versonnen lächelnd drein – selten habe ich auf einem Autofoto jener Zeit einen solchen Ausdruck reinen Glücks gesehen.

Seien wir ehrlich: Bei einem solchen Dokument ist das Fahrzeug doch letztlich reine Staffage – für den Menschen gibt es am Ende nichts Spannenderes als den Menschen.

Daher gönnen wir den beiden „aufsässigen“ Mädels rund 90 Jahre nach diesem Moment noch einmal alle Aufmerksamkeit:

Na, meine Herren, von welcher der beiden hätten sie eher die Hausaufgaben abgeschrieben? Und mit welcher wären sie nach der Schule lieber zum Badesee entschwunden?

Und für die Damen: Welcher würden Sie eher die Führung der ererbten Landwirtschaft anvertrauen? Und von welcher würden Sie sich eher den neusten Modetanz beibringen lassen?

Das sind die allzumenschlichen Fragen, die ein solches Foto unwillkürlich aufwirft, während das Auto bei aller solider Qualität doch rasch vergessen ist…

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Fund des Monats: Diatto Tipo 10 Sport-Zweisitzer

Nanu, wird vielleicht der eine oder andere denken: Normalerweise kommt der „Fund des Monats“ doch erst kurz vor knapp gegen Mitternacht am Monatsultimo.

Gut beobachtet, und tatsächlich lasse ich mir gerne soviel Zeit dafür, wie es irgend geht. Wenn ich diesmal früher als gewohnt den Monatssieger ausrufe, hat das einen praktischen Grund, welcher ausgezeichnet zu der Marke Diatto passt, wie man am Ende sehen wird.

Die Geschichte dieses heute weitgehend vergessenen, doch alles andere als unbedeutenden italienischen Herstellers lässt sich so liebevoll umständlich erzählen, wie es das Standardwerk zu italienischen Nischenfabrikaten „Le piccole grandi marche automobilistiche italiane“ von Augusto Costantino aus dem Jahr 1983 tut.

Dort geht es drei Seiten lang erst einmal um die Vorläuferfirma von Guglielmo Diatto, der ab 1835 in Turin eine Fabrikation von Wagenrädern aufzog. Wir Menschen des 21. Jh. haben leider nicht mehr die Zeit wie vor 40 Jahren, daher springen wir gleich ins Jahr 1905.

In diesem Jahr gründeten nämlich die Enkel von Signore Diatto am selben Ort eine Automobilfabrik. Dazu schlossen sie einen Vertrag mit der französischen Firma Clement-Bayard, welcher ihnen die Fabrikation von Wagen nach Clement-Lizenz erlaubte.

Die neuen Diatto-Clement Wagen bewährten sich auf Anhieb in Sportveranstaltungen wie etwa dem Rennen von Mailand nach San Remo 1906 (Klassensieg) oder der extrem anspruchvollen Fahrt von St. Petersburg nach Moskau im Jahr 1908 (6. Platz).

So ließe sich das bis zum 1. Weltkrieg fortsetzen, doch die zahlreichen sportlichen Meriten von Diatto zu feiern, will ich kompetenteren Zeitgenossen überlassen. Mir geht es heute nur um eines, nämlich die Identifikation dieses sportlichen Zweisitzers aus dem Hause Diatto:

Diatto, vermutlich Tipo 10; historischer Originalabzug aus Sammlung Michael Schlenger

Diese Aufnahme entstand im Jahr 1923, so ist es auf dem Abzug selbst vermerkt. Nun wird man sich fragen, wer damals noch mit Karbidgas-Scheinwerfern herumfuhr.

Schließlich gab es doch bereits ab 1913/14 optional elektrische Beleuchtung, welche sich nach dem 1. Weltkrieg auf breiter Front durchsetzte.

Ich weiß allerdings von meiner eigenen französischen Voiturette von 1921 (Marke EHP), dass Kleinwagen damals bisweilen noch standardmäßig mit gasbetriebenen Scheinwerfern ausgeliefert wurden.

Die Freunde von Vorkriegsfahrrädern wissen, dass diese Technologie bis in die 1930er Jahre verbreitet blieb, sie erfüllte ihren Zweck, war bloß nicht ganz so pflegeleicht und unkompliziert wie elektrische Beleuchtung.

Daher würde ich auch hier aus dem Vorhandensein von Gasscheinwerfern nicht zwingend schließen, dass dieser kompakte Zweisitzer noch vor dem 1. Weltkrieg entstanden war.

Tatsächlich entspricht die Kühler- und Haubenpartie genau derjenigen des erst 1922 eingeführten Diatto Tipo 20:

Für eine Entstehung Anfang der 1920er Jahre spricht übrigens auchdas Fehlen außenliegender Schalt- und Bremshebel.

Das sehr kompakte Format dieses auf’s Wesentliche reduzierten Zweisitzers lässt mich an den Tipo 10 denken, welchen Diatto 1919 als Einstiegsmodell auf den Markt brachte. Mit seinem 1 Liter messenden Vierzylinder sollte er wohl Fiats Typ 501 Konkurrenz machen.

Gegen die Großserienstrategie von Fiat war Diatto natürlich chancenlos, aber wer sich in dieser Hubraumklasse etwas Besonderes gönnen wollte, war mit dem kleinen Diatto gut bedient – speziell, wenn man ihm eine knackige Sonderkarosserie angedeihen ließ.

Dieser Aufbau erscheint jedenfalls wie ein perfekt sitzender Maßanzug geschneidert:

Die Verfechter der Bauhaus-Ideologie werden hier vermutlich das Fehlen sturer Geraden und radikal rechter Winkel vermissen – aber bitte: Hier stimmt doch einfach alles, reine Funktionalität, wo man hinschaut.

Gleichzeitig ist dieses Nebeneinander praktischen Erfordernissen gehorchender Linien ein Vergnügen für das Auge, welches nun einmal von Natur organische Formen gewohnt ist.

Man hat sich nicht einmal die Mühe gemacht, den Rahmen zu kaschieren oder das Trittbrett länger als erforderlich auszuführen.

Stellen Sie heute einem Enthusiasten ein abgerocktes Vorkriegschassis mit Motor, Kühler und Haube auf den Hof und sagen Sie ihm, er möge daraus einen sportlichen Special schaffen – dann kommt immer noch ziemlich genau so etwas heraus.

Manche Dinge sind Grundtatbestände des Daseins und ändern sich nie – das ist gut so. Das gilt auch für eine Sache, die ich unterschlagen habe. Diatto erreichte 1906 auf der siebenstündigen Fahrt Lugano-San Gottardo die ersten beiden Plätze.

Diese Strecke -bloß in umgekehrter Richtung – werde ich morgen absolvieren auf dem Weg in meine zweite Heimat südlich der Alpen.

Wenn ich zurück bin, geht es weiter im Blog und ich kann meinen Lesern – bald 10.000 pro Monat – versprechen: Es gibt unpubliziertes, abwechslungsreiches Vorkriegsmaterial ohne Ende…

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Jetzt auch als Tourer! Mannesmann Typ WII 5/20 PS

Hand auf’s Herz – wer hat schon einmal einen PKW aus dem Hauses Mannesmann in natura zu Gesicht bekommen?

Ich jedenfalls noch nicht. Sicher, man kennt die gleichnamigen Lastkraftwagen, aber die Zahl der Personenautos, die im Remscheider Werk entstanden, scheint sich in engen Grenzen gehalten zu haben – oder vielleicht doch nicht?

Die in der Literatur wiedergegebene Zahlen (etwas über 2.000 Exemplare) sind reine Schätzungen – für mich zählt letzlich die Evidenz in Form erhaltener zeitgenössischer Fotos.

Dabei musste ich zu meiner Überraschung feststellen, dass es so viele Aufnahmen von Mannesmann-PKW gibt, dass diese bereits eine eigene Bildergalerie in meinem Blog rechtfertigen – für einen als Exoten geltenden Hersteller ungewöhnlich.

Darin sind nur die Fotos enthalten, die mir vorliegen, ohne dass ich danach gesucht habe.

Bislang sind nur Bilder von sportlich anmutenden Mannesmann-Zweisitzern begegnet. Heute kann ich erstmals auch mit Tourenwagen der Marke aufwarten. Das erste Foto mag noch noch nicht ganz überzeugen, aber warten Sie ab:

Mannesmann Typ WII 5/20 PS Tourer; Originalfoto aus Sammlung Jason Palmer (Australien)

Dieses Foto verdanke ich einem Sammlerkameraden aus Australien, der mir schon viele interessante Aufnahmen deutscher Vorkriegswagen aus seinem Fundus zugespielt hat. Sein Name ist Jason Palmer und er besitzt selbst einige europäische Klassiker.

Ich stelle immer wieder fest, dass man eher aus dem Ausland solche Dokumente deutscher PKW-Geschichte erhält aus dem Westen unserer Republik. In Ostdeutschland sieht es freilich ganz anders aus, dort gibt es noch eine große und aktive Vorkriegsszene.

Wir werden auch heute wieder sehen, dass im Osten der Republik die Leidenschaft für die frühen Automobile deutscher Hersteller (auch exotischer) nach wie vor quicklebendig ist.

Doch erst einmal zurück zum Foto, das Jason Palmer entdeckt und mir mit der Bitte zugesandt hat, den Hersteller und Typ zu identifizieren. Man glaubt kaum, dass dies möglich ist, sieht dieser Tourenwagen doch auf den ersten Blick aus wie dutzende andere, die in den 1920er Jahren hierzulande gebaut wurden.

IPrägen Sie sich die Drahspeichenräder (vorne ohne Bremstrommel), den angedeuteten Spitzkühler und das Trittschutzblech auf dem leicht schrägen Schweller (der Partie zwischen Trittbrett und Karosserie) ein, außerdem den weit nach oben reichenden Belag auf der Vorderseite des hinteren Kotflügels.

So, und jetzt wechseln wir die Perspektive und betrachten ein Originalfoto, das ich meinem Sammlerkollegen Matthias Schmidt aus Dresden verdanke:

Mannesmann Typ WII 5/20 PS Tourer; Originalfoto aus Sammlung Matthias Schmidt (Dresden)

Wenn Sie die genannten Punkte abarbeiten, werden Sie feststellen, dass dieser Tourer in allen Punkten mit demjenigen übereinstimmt, der auf dem Foto von Jason Palmer zu sehen ist.

Der Unterschied ist bloß der, dass man nun das charakteristische Kühleremblem sieht, welches diesen Wagen als Mannesmann ausweist.

Da auch hier vorne noch keine Bremstrommeln zu sehen sind, dürfen wir davon ausgehen, dass diese 1929 entstandende Aufnahme ebenfalls den Typ WII 5/20 PS zeigt, welcher angeblich von 1923-27 gebaut wurde.

So ganz traue ich den Angaben in der Literatur ja nicht, was das Fehlen von Vorderradbremsen über das Baujahr 1925 hinausgeht.

Wie auch immer – wir sehen hier, wie leicht sich durch Zusammenarbeit von nur drei Sammlern das Bild der Mannesmann-PKW-Produktion vervollständigen lässt.

Was wäre möglich, wenn die hunderten von Sammlern, die ängstlich ihre Bestände an alten Papierabzügen von Fotos deutscher Vorkriegsautos hüten, in dieser Weise zusammenarbeiten würden, bevor die Erbengeneration ihre „Schätze“ einfach dem Altpapier anvertraut?

Genau das ist meine Motivation: die brachliegenden und gefährdeten Dokumente deutscher Vorkriegsmobilität zusammenzuführen, sie sinnvoll zu strukturieren und sie für weitere Analysen und Publikationen zugänglich zu machen.

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Sucht seinesgleichen: Alfa-Romeo 6C2300 von 1934

Stellen Sie sich vor, Sie befinden sich im Jahr 1934 und sind begeistert von der Idee, auf Autobahnen hohe Reisegeschwindigkeiten zu erreichen, anstatt sich auf Landstraßen und in Ortsdurchfahrten dem Ziel entgegenzuquälen.

Natürlich wissen Sie, dass die Idee der Autobahn bereits in den 1920er Jahren in Italien in den Köpfen Fortschrittsbegeisterter lebendig war. Tatsächlich entstanden in Norditalien bereits ab 1924 die ersten gezielt auf den Fernverkehr hin konstruierten Schnellverkehrswege.

Wer heute mit dem Kraftfahrzeug von Como Richtung Mailand unterwegs ist, wird die lange Gerade bemerken, auf der man über Lomazzo bis Linate fährt, bevor es auf die ebenfalls schnurgerade verlaufende Strecke geht, die von Varese kommend gen Südosten führt.

Diese frühen Autobahnen Italiens waren das Werk von Ingenieuren und Planern der Mussolini-Ära – die nebenbei großen Einfluss auf die deutsche Spielart des Faschismus hatte.

Während also der einschlägig bekannte österreichische Mussolini-Verehrer hierzulande das Autobahnnetz zur nationalen Aufgabe machte, waren dessen Anfänge bei den mit deutscher Arroganz verachteten „Spaghettifressern“ längst in die Tat umgesetzt.

Nehmen wir nun an, Sie hätten die freie Wahl sowie das nötige Kleingeld und könnten sich 1934 für einen Wagen der 2,3 Liter-Klasse entscheiden, mit dem sie künftig auf der Autobahn allen anderen zeigen wollen, wo vorne ist.

Dann hätten Sie unter deutschen Fabrikaten nicht allzuviel Auswahl. Bei Hanomag aus Hannover bekämen Sie immerhin den „Sturm“ mit 50 PS-Sechszylinder und Spitze 110 km/h:

Hanomag „Sturm“; Originalfoto aus Sammlung Michael Schlenger

Der Hanomag „Sturm“ war zweifellos ein ausgezeichnetes Fahrzeug, was Zuverlässigkeit und Langlebigkeit angeht, auch sah er durchaus repräsentativ aus.

Doch würde man ihm keine Eleganz zusprechen, vielmehr verkörperte er ein gewisse Schwerfälligkeit, welche südlich der Alpen von jeher mit den Deutschen assoziiert wird.

Adler, Audi, BMW, Mercedes-Benz und Wanderer hatten 1934 in derselben Klasse rein gar nichts im Programm. Außergewöhnliches bot immerhin der Nischenhersteller Stoewer aus Stettin mit dem 2,5 Liter Achtzylindertyp „Greif V8“.

Vergessen Sie nun einfach alles, was ich bisher geschrieben habe. Denn was ich nachfolgend präsentieren kann, suchte anno 1934 vergeblich seinesgleichen und unterstreicht einmal die besondere Klasse italienischer Wagen der Vorkriegszeit:

Alfa-Romeo 6C2300; Originalfoto aus Sammlung Michael Schlenger

Was wir hier vor prächtigen mehrstöckigen Palazzi in Lugano im italienischen Teil der Schweiz sehen, war im Jahr 1934 nichts weniger als eine Offenbarung.

Bei dieser sportlich anmutenden Limousine unternahm man keine ästhetischen Verrenkungen, um das Fahrzeug „windschlüpfig“ zu machen – eine der Obsessionen von Autogestaltern zu einer Zeit, als der Treibstoffverbrauch völlig unerheblich war (in den USA) oder die Anschaffungskosten ein Automobil ohnehin zum Luxusgegenstand machten (in Deutschland).

Auch sonst meinte man nicht, sich äußerlich irgendwie auffällig geben zu müssen. Stattdessen sorgte man dafür, dass dieser Wagen einen Antrieb mit souveräner Leistungsentfaltung erhielt.

Das Ergebnis sorgfältiger Arbeit im Ventiltrieb sowie im Ansaugtrakt waren rund 70 Pferdestärken aus 2,3 Litern Hubraum, welche eine Spitzengeschwindigkeit von 130 km/h erlaubten.

Damit, liebe Leser, wäre man 1934 für die Anforderungen der in Deutschland noch in den Anfängen befindlichen Autobahnen gewappnet gewesen wie kaum ein anderer.

Doch vermutlich blieben dermaßen souveräne Wagen wie dieser Alfa-Romeo des Typs 6C 2300 meist südlich der Alpen. So blieb auch dieses Modell, dessen Ästhetik an einen auf den Leib geschneiderten Armani-Maßanzug erinnert, hierzulande unbekannt:

Ich habe eine Weile gebraucht, um diese Zweitürer-Limousine näher einordnen zu können. Meines Erachtens haben wir es mit der „Gran Turismo“-Ausführung des Alfa-Romeo 6C2300 zu tun.

Typisch sind die mittig abwärtsgeschwungene Vorderstoßstange, die seitlichen Kotflügel“schürzen“ und die Luftklappen in der Motorhaube.

Mit diesem leistungsstarken und perfekt gestalteten Wagen wäre Ihnen anno 1934 nicht nur die linke Spur auf der Autobahn sicher gewesen, sondern auch die Aufmerksamkeit der Mitmenschen, wo immer auch Sie damit auftauchen.

Die folgende kurze Videosequenz mag ein wenig von der formalen Klasse dieses Alfa vermitteln, die seinerzeit ihresgleichen suchte…

Videoquelle: YouTube; hochgeladen von AlfaFordista

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Ein Fall für Zwei: Opel 10/18 PS Tourer um 1909

Wer schon immer wissen wollte, wie meine Blog-Einträge zustandekommen, der kann das heute beinahe live (allerdings nicht in Farbe) miterleben.

Wer bislang meinte, dass ich irgendwie planvoll oder strukturiert vorgehe, wird mit Entsetzen feststellen, dass dies mitnichten der Fall ist. So entsteht das meiste recht spontan aus einem Impuls heraus – heute sogar aus zweien.

Gestern erst erhielt ich von Leser Bart Buts aus Belgien den augenzwinkernden Hinweis, dass als Nächstes mal wieder ein Opel im Blog ins rechte Licht gerückt gehört. Das muss man verstehen, denn für ihn als passionierten Sammler von Opels der Messingära beginnt ein perfekter Tag mit einem seiner Lieblinge.

Ich hatte mir vorgenommen, demnächst in dieser Richtung tätig zu werden, aber eigentlich wollte ich erst einmal im Fundus stöbern, was es sonst noch gibt. Dann erhielt ich allerdings eine Nachricht aus Berlin, die mich dazu brachte, alles andere stehen und liegen zu lassen.

So wird der heutige Blog-Eintrag ein Fall für Zwei – nämlich für Bart Buts und für Alexander Kauther aus Berlin. Letzter wusste allerdings bis vor kurzem noch gar nichts davon, dass auch er eine Verbindung mit frühen Opel-Modellen hat.

Heute schickte er mir dieses Foto aus seiner Sammlung mit der Frage, ob ich sagen könne, was das für ein Auto sei, das 1916 in Berlin-Johannisthal aufgenommen wurde:

Opel um 1909, wohl Typ 10/18 PS; Originalfoto aus Sammlung Alexander Kauther (Berlin)

Zu Beginn meiner Blogger-„Karriere“ anno 2015 hätte ich gleich gesagt, dass das alles Mögliche sein kann – bestimmt ein deutsches Fabrikat, aber genauer wüsste ich es auch nicht.

Einige Jahre später und fast 1.500 Blog-Einträge weiter traue ich mir jedoch zu, mit einiger Gewissheit zu sagen, dass es sich um einen zwischen 1908 und 1910 entstandenen Opel handelt, wahrscheinlich um einen Typ 10/18 PS.

Dieser fand im Taxigewerbe großen Anklang, das ist dem Standardwerk „Opel Fahrzeug-Chronik Band 1“ von Eckhart Bartels und Rainer Manthey auf S. 30 zu entnehmen. Dazu passt dieses Dokument ausgezeichnet, handelt es sich doch um eine Droschke, hier mit seitlich angebrachter Nummer.

Schön und gut, mag man jetzt denken, aber woran erkennt man, dass dies ein Opel sein soll?

Ich muss zugeben, dass hier neben einigen markentypischen Details ein gewisses Bauchgefühl eine Rolle spielt – das wir Menschen haben, weil es sich wohl meist bewährt hat.

Die Gestaltung des Kühlers – soweit sichtbar – und namentlich des Kühlwassereinfüllstutzens passt schon einmal gut zu Opel-Wagen aus der Zeit vor dem 1. Weltkrieg. Die Form der Radnabe ist ein weiteres Detail, welches sich einfügt.

Den Ausschlag gibt aber die Ausführung einer ganzen Reihe funktionaler Konstruktionslemente entlang des Rahmens.

Dazu zählen die beiden Trittbretthalter, der mittig am Rahmen befindliche Niet und das Ensemble aus Handbremsgestänge und hinterer Federaufhängung.

Für sich genommen wäre nichts davon Opel-spezifisch, aber im Zusammenspiel (übrigens auch mit der Gestaltung des Ausschnitts im hinteren Kotflügel) ergibt sich ein Bild, welches sich bei Opel-Wagen zwischen etwa 1908 und 1910 durchgängig findet:

Nun sind das alles nur Indizien, bewiesen ist damit noch gar nichts. Jedoch haben wir nun zumindest eine plausible Hypothese, anhand derer sich weiterarbeiten lässt.

An dieser Stelle kommt Kommissar Zufall ins Spiel, den ich in allen Lebenslagen schätzengelernt habe, da er in scheinbar aussichtslosen, zementierten oder verfahrenen Situationen plötzlich neue Perspektiven eröffnet.

So war das auch heute wieder einmal. Denn auf der Suche nach Vergleichsmaterial zur Absicherung meiner Hypothese stieß ich auf eine Aufnahme aus meinem Fundus, die einen beinahe identischen Wagen aus ähnlicher Perspektive zeigt:

Opel um 1909, evtl. Typ 10/18 PS; Originalfoto aus Sammlung Michael Schlenger

Diese schöne Aufnahme lief anno 1911 als Postkarte von Schwalbach im Taunus nach Frankfurt am Main an ein Fräulein Anne Klinzner, wohnhaft in der Scheffelstraße 13.

Das Fehlen eines Windlaufs – also des Blechs, das einen strömungsgünstigen Übergang zwischen Motorhaube und Frontscheibe schafft – verrät uns, dass wir es ebenfalls mit einem Modell von spätestens 1910 zu tun haben.

Die leicht ansteigende Haubenlinie spricht gleichzeitig dagegen, dass das Auto wesentlich früher entstanden ist – ich tippe hier auf 1909/10.

Die Frontpartie ist abgesehen vom etwas stärker ausgeführten Vorderkotflügel weitgehend identisch mit der des Wagens aus Berlin:

Hier haben wir das Glück, dass zusätzlich zwei der schrägstehenden Luftschlitze in der Motorhaube zu sehen sind, die auf dem Foto von Alexander Kauther verborgen sind.

Dieses Detail ist ein weiteres, welches typisch für Opel-Wagen vor dem 1. Weltkrieg war.

Wenn man nun feststellt, dass sich praktisch alle wesentlichen Elemente der Berliner Droschke auch an diesem offenkundigen Opel finden, dann darf man umgekehrt schließen, dass es sich um den gleichen – oder zumindest einen eng verwandten – Wagentyp handelt.

Werfen wir zur Überprüfung dieser These einen abschließenden Blick auf die Rahmenpartie des einst in Schwalbach abgelichteten Opels:

Ich will nun nicht alle oben bereits erwähnten Details nochmals aufzählen – ich meine jedenfalls, dass sie sich sämtlich hier wiederfinden.

Vielleicht prüfen Sie das selbst noch einmal und geben mir Rückmeldung, wenn Sie etwas anders sehen. Ich kann ja immer auch falsch liegen – die Bestimmung von Fahrzeugen anhand solcher über 100 Jahre alter Fotografien ist schließlich keine exakte Wissenschaft.

Mein Fazit ist jedenfalls: Bei diesem Fall für Zwei handelt es sich jeweils um einen Opel um 1909 (mit Tendenz zu 1910 kurz vor Einführung des Windlaufs). Aufgrund der Dimensionen sowie des Einsatzes des Berliner Wagens als Droschke ist der Typ 10/18 PS mein Favorit.

Zum Schluss will ich aber auch die menschliche Komponente nicht zu kurz kommen lassen. Die Aufnahme aus Schwalbach zeigt drei Kinder noch am Anfang ihres Lebens. Das Foto hat sie so lebendig festgehalten, dass wir sie uns genau vorstellen können.

Doch wenn wir etwas rechnen, kann keines davon mehr am Leben sein. Das große Rad der Zeit ist längst über sie hinweggegangen. Vielleicht existiert der alte Opel noch, oder zumindest ein paar Teile davon, bei irgendeinem Sammler.

Wie dem auch sei: Dieser Fall für Zwei hat heute hoffentlich zumindest zwei Menschen der Gegenwart glücklich gemacht, für welche diese Fotos bedeutend sind.

Vielleicht sind es aber auch ein paar mehr, denn in diesen Tagen hat mein Blog die Marke von 45.000 Besuchern binnen sechs Monaten geknackt – soviel wie im gesamten Vorjahr…

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Erfrischung gefällig? Neues vom Hansa 1100/1700

Bald ist Ende Juli – hochsommerliche Temperaturen herrschen hierzulande, wie Sie jeder kennt, der schon länger auf Erden weilt. Mein Maßstab sind der verbrannte Rasen und die Verbote, den Garten zu wässern, an die ich mich aus den frühen 1980er Jahren erinnere.

Nun haben wir jedoch amtlicherseits eine „Hitzewelle“ und die offenbar für unterbelichtet gehaltenen Untertanen werden ermahnt, bloß genug zu trinken und ja die Sonne zu meiden.

Bei so viel Betreuungsbedarf will ich nicht zurückstehen und möchte Ihnen heute ebenfalls eine Erfrischung anbieten. Dazu passend geht gerade ein ergiebiger Sommerregen in meiner Heimatregion Wetterau nieder.

Freilich muss ich Sie bitten, selbst zum Kühlschrank zu gehen und sich für das Folgende ein kühles Getränk ihrer Wahl bereitzustellen – denn die Erfrischung, die ich meine, ist nur im übertragenen Sinne zu verstehen.

Woran denken Sie bei typischen deutschen Autos der 1930er Jahre? An zweitaktende DKWs, solide Opels, brave Fords oder gediegene Mercedes-Wagen? Vielleicht kommen Ihnen noch die sportlichen BMWs und die konservativen Wanderer in den Sinn.

Exoten wie Audi, Horch oder Stoewer waren eine Klasse für sich, die bekam man damals selten zu sehen – teils waren sie zu teuer, teils waren die Stückzahlen zu gering.

Geht man das Alphabet durch, kommt man noch auf Hanomag, vor allem der „Rekord“ war recht präsent. Alles gute und auf ihre Weise interessante Wagen, doch gab es daneben noch etwas, was erfrischend anders daherkam und das fing schon am Heck an:

Hansa 1100 oder 1700; Originalfoto aus Sammlung Michael Schlenger

Eine solche an britische Vorbilder erinnernde Gestaltung von Dach und Heck bekam Mitte der 1930er Jahre nur Hansa aus Bremen hin. Zugelassen war dieser Wagen übrigens im Landkreis Stolp (Pommern).

Selten hat man bei Vorkriegswagen den Fall, dass sich ein Modell auf Anhieb aus rückwärtiger Perspektive identifizieren lässt, obwohl Markenembleme oder Typenschriftzüge fehlen.

Diesen Viersitzer mit coupéhaft anmutender Karosserie gab es ab 1934 als Hansa 1100 mit schmalbrüstigem 28 PS-Vierzylinder oder als Hansa 1700 mit souveränerem Sechszylinder (40 PS).

Äußerlich unterscheiden ließen sich die beiden Varianten anhand der Zahl der Luftfklappen in der Motorhaube – bei obiger Aufnahme verborgen. Auch diese ließen den Hansa erfrischend anders erscheinen – mancher mag hier an den Citroen 11CV denken:

Hansa 1100; Originalfoto aus Sammlung Michael Schlenger

Dieser Hansa 1100 – als solcher erkennbar an den vier statt fünf Luftklappen – dürfte wohl noch in der frühen Nachkriegszeit seinen Dienst verrichtet haben, jedenfalls vermute ich das aufgrund des Fehlens der Radkappe hinten links.

Hier kann man schön die Durchgestaltung des Aufbaus studieren: Der Neigungswinkel der Kühlerpartie spiegelt sich in der Form der Luftklappen, des hinteren Endes der Motorhaube, der A- und B-Säule sowie im hinteren Türabschluss wider.

Mir gefällt dieser Stil ausgezeichnet und gern wüsste ich, wer für dieses Gestaltungskonzept verantwortlich war, welches unter deutschen Fabrikaten seinesgleichen sucht. Offenbar hatte Hansa-Chef Carl Borgward auch in dieser Hinsicht eine glückliche Hand.

Zum Abschluss kann ich Ihnen noch eine erfrischend andere Aufnahme bieten, welche den Hansa aus der Frontalen zeigt – jedoch nicht mit Fokus auf den Wagen selbst, sondern eher mit einem natürlich erscheinenden Blick auf die Insassen:

Hansa 1100 oder 1700: Originalfoto aus Sammlung Michael Schlenger

Diese Aufnahme hat aus meiner Sicht nicht nur erfrischende, sondern auch therapeutische Wirkung: Wer an den Gestaltungsprinzipien des gegenwärtigen Automobilbaus verzweifelt, findet hier Halt.

Genießen Sie die Eindeutigkeit der Linienführung, die Harmonie der Proportionen und die geschmackvoll gesetzten Glanzeffekte an diesem Wagen, der einst eigentlich gar nichts Besonderes war, aber erfrischend anders daherkam, ohne zu provozieren.

Wenn Ihnen der Sinn nach dieser Art Erfrischung in Zeiten heißlaufenden Irsinns steht, dann schaffen Sie sich einen Vorkriegswagen an.

Oder schauen Sie demnächst wieder hier vorbei – für nach ästhetischer Immunisierung dürstende Zeitgenossen habe ich endlos Impfstoff parat…

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Cabrio nach deutscher Manier? 1929er Oakland „Six“

In meinem letzten Blog-Eintrag ging es um ein deutsches Fabrikat, das nachträglich mit einer Karosserie im US-Stil versehen worden war. Heute haben wir beinahe den umgekehrten Fall – jedenfalls meine ich das.

So präsentiere ich Ihnen nun ein amerikanisches Fahrzeug, welches aus meiner Sicht mit einem Aufbau im deutschen Stil der späten 1920er Jahre versehen worden war.

Hier haben wir das gute Stück:

Oakland „Six“ von 1929, Originalfoto aus Sammlung Michael Schlenger

Bevor wir uns mit der Karosserie im Detail befassen, ein paar Anmerkungen zur Identifikation dieses Wagens. Ich habe über die Jahre sicher schon einiges in Sachen Vorkriegsautos gesehen, aber ein vergleichbares Fahrzeug war mir noch nicht begegnet.

Dennoch half mir das irgendwo im Kopf angesammelte Bildmaterial dabei, rasch zunächst den Hersteller herauszubekommen. In solchen Fällen hilft es den grauen Zellen, wenn man schon einmal erkannt hat, in welcher Schublade zu suchen ist.

Im vorliegenden Fall verrieten vor allem die wuchtigen Holzspeichenräder, dass es sich sehr wahrscheinlich um ein US-Fabrikat handelt.

Während deutsche Autobauer nach dem 1. Weltkrieg meist Stahlspeichenräder montierten, hielten die ansonsten technisch führenden amerikanischen Hersteller bis Ende der 1920er Jahre an Holzspeichen fest – vielleicht hat jemand eine Erklärung dafür.

Ausgehend von der These, dass es sich um ein nach Deutschland exportiertes US-Fabrikat handeln dürfte, ließ sich die Zahl der Hersteller einengen, wobei immer noch ohne weiteres zwei Dutzend Marken oder mehr dafür in Betracht kamen.

Letztlich half das genauere Studium der Vorderpartie:

Den entscheidenden Hinweis gab die mittige Unterteilung des Kühlers – bei amerikanischen Autos eher eine Seltenheit. Zunächst dachte ich an Marquette – ein hierzulande kaum bekanntes Fabrikat, das aber ebenfalls am deutschen Markt tätig war.

Doch dann fiel mir ein, dass ich genau diese Mittelstrebe beim 1929er Pontiac schon einmal gesehen habe. Der war es dann zwar auch nicht, aber von Pontiac kam ich zu deren älterer Schwesterfirma Oakland.

Tatsächlich findet sich beim 1929er Oakland (und unter den US-Modellen nur dort) das markante Muster der auf fünf Gruppen verteilten Luftschlitze in der Motorhaube.

Damit waren Hersteller und Baujahr geklärt. Verfügbar war der 1929er Oakland nur mit einer Motorisierung – als Sechszylinder mit 3,5 Litern Hubraum und knapp 70 PS. Allerdings waren ab Werk rund 10 Karosserievarianten erhältlich.

Bloß enspricht aus meiner Sicht keine davon dem hier zu sehenden Aufbau als Zweifenster-Cabriolet mit „Schwiegermuttersitz“.

Ähnlich von der Silhouette war zwar das Werks-Coupe, doch dieses besaß ein festes Dach. Der offene Zweisitzer „Sport-Roadster“ mit „Rumble-Seat“ im Heck wies hingegen eine deutliche niedrigere Seitenlinie auf.

Der recht hohe Türabschluss in Verbindung mit dem Cabriolet-Verdeck lässt mich annehmen, dass wir es hier mit einem der vielen Fälle zu tun haben, in denen US-Fahrzeuge als „rolling chassis“, also mit Fahrwerk, Motor und Haubenpartie nach Europa geliefert wurden und dort einen Aufbau nach lokalem Geschmack erhielten – also hier nach deutscher Manier.

Könnte das hier ebenfalls so gewesen sein? Nun, die drei gut aufgelegten Herren hätten es uns gewiss sagen können, doch leider kündet von ihnen nur noch dieses Foto, das Anfang der 1930er Jahre entstanden sein mag, als der Oakland schon „Feindkontakt“ gehabt hatte.

Was meinen Sie, liebe Leser? Kann vielleicht jemand sogar den Hersteller dieses Aufbaus benennen? Oder war es doch eine ab Werk verfügbare Version, die mir entgangen ist?

Luxus-Fragen, denen man sich in herrlich warmen Nächten mit kühlem Kopf und vielleicht einem ebensolchen Getränk und beschwingter Musik als Begleiter widmen kann. So pflege ich das jedenfalls zu tun in diesem prächtigen Sommer 2022…

Nachtrag: Wie mir eine Leserin aus Neuseeland schreibt, gab es in kleinen Stückzahlen tatsächlich einen solche Werksaufbau für den 1929er Oakland – bezeichnet als Convertible Coupe“ – hier der Beleg:

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Auf amerikanisch gemacht: Audi-Spitzkühlerwagen

In meinem letzten Blog-Eintrag ging es um ein Hanomag-Modell der frühen 1930er Jahre mit einem eigenwilligen Kühler – oben flach, unten spitz nach vorne auskragend.

Diese Gestaltungsweise war zwar markant, aber ziemlich von gestern. Sie orientierte sich grob an einer Idee, welche Audi kurz nach dem 1. Weltkrieg in die Tat umgesetzt hatte:

Audi (wahrscheinlich Typ G 8/22 PS); Originalfoto aus Sammlung Klaas Dierks

Diese großartige Aufnahme aus dem Fundus von Leser Klaas Dierks lenkt den Blick in idealer Weise genau auf dieses Element.

Spitzkühler tauchen bei Automobilen aus dem deutschsprachigen Raum gehäuft ab 1913/14 auf – Audi scheint sich diesem Trend jedoch erst ab 1919 angeschlossen zu haben. In der mir vorliegenden Literatur wird darüber kein Wort verloren.

Jedenfalls ist mir noch keine früher datierte Aufnahme eines Audis mit Spitzkühler begegnet – wenngleich ich auch hier wie immer gern dazulerne.

Heute kann ich jedenfalls ein Foto eines Spitzkühler-Audi präsentieren, der ohne jeden Zweifel im vorliegenden Erscheinungsbild ganz klar in der Nachkriegszeit zu verorten ist:

Audi Typ C 14/35 PS oder G 8/22 PS; Originalfoto aus Sammlung Michael Schlenger

Moment mal, mag jetzt mancher denken – dieser Wagen im amerikanischen Stil eines „Rumbleseat-Roadster“, also eines Zweisitzer-Cabriolets mit „Schwiegermuttersitz“ – soll ein Audi sein? Glaube ich nicht.

Verständlich, ich habe so etwas auch noch nie gesehen, aber ein näherer Blick auf die Frontpartie lässt jeden Zweifel schwinden – das ist ganz klar ein Spitzkühler-Audi!

Wer noch schwankt, nehme die Partie rechts unten neben dem in Fahrtrichtung rechten Scheinwerfer ins Visier – dort erkennt man, wie sich die Vorderkante des Spitzkühlers schräg nach vorne fortsetzt.

Das gab es in den 1920er am deutschen Markt nur bei Audi. Die beiden Herren, die uns hier etwas zwielichtig mustern, passen ebenfalls gut ins Deutschland jener Zeit. Ich würde sie jedenfalls weder in Frankreich oder England noch in Österreich oder Italien verorten.

Ungewohnt mag den Freunden der Spitzkühler-Audis, die bis etwa 1924 im Programm blieben, auch die Doppelstoßstange vorkommen. So etwas hat es ab Werk meines Wissens bei diesen Typen nie gegeben.

Doch findet man solche Stoßstangen nach US-Vorbild gehäuft ab Mitte der 1920er Jahre an deutschen Wagen – zuerst als Zubehör, später auch serienmäßig. Dazu passt ausgezeichnet das überlieferte Entstehungsjahr meines Fotos: 1926.

Wie es scheint, hat hier jemand einen Spitzkühler-Audi um die Mitte der 1920er Jahre mit einer neuen Karosserie im modischen Stil amerikanischer „Rumbleseat-Roadster“ neu einkleiden lassen.

Da es bei deutschen Fabrikaten in der ersten Hälfte der 1920er Jahre kaum nennenswerte technische Fortschritte gegeben hatte, sprach einiges dafür, einem gut eingefahrenen Audi-Modell der frühen 1920er einen moderneren Aufbau zu verpassen anstatt gleich ein ganzes neues Auto zu kaufen, was kaum etwas besser konnte.

So dürfte diese aus meiner Sicht reizvolle Kombination aus teutonischem Spitzkühler und Karosserie im amerikanischen Stil zustandegekommen sein. Die Insassen wirken jedenfalls so, als ob sie mit ihrem modisch aktualisierten Transportmittel zufrieden sind:

Übrigens wage ich die Behauptung, dass zumindest die Dame in der Mitte hinter dem Audi steht und nicht ebenfalls im Schwiegermuttersitz eingepfercht ist.

Denn unmöglich war dieser Wagen so breit, dass er auf den rückwärtigen Notsitzen mehr als zwei Personen Platz bot. Auch die relativ kurze Motorhaube spricht dafür, dass wir hier einen kompakteren Audi-Typ jener Zeit vor uns haben.

Den auch nach dem 1. Weltkrieg weitergebauten Typ E 22/55 PS mit seinem mächtigen 5,7 Liter-Motor können wir getrost ausschließen. So kommen für diesen Spitzkühler-Audi nur die Modelle C 14/35 PS und G 8/22 PS in Frage, ebenfalls beides Vorkriegskonstruktionen.

Mit der auf amerikanisch gemachten Karosserie war dieser Audi bis Ende der 1920er durchaus noch optisch auf der Höhe – wenngleich Kennern klar sein musste, dass man es im Kern mit einem älteren Modell zu tun hat.

Doch speziell mit der Motorisierung 14/35 PS war der Audi leistungsmäßig keineswegs veraltet. Mit an die 90 km/h Spitzengeschwindigkeit war er nach wie vor auf der Höhe, nur das Fehlen von Vorderradbremsen ließ das Alter der Konstruktion spüren.

Aber das scheint der modebewussten Truppe in dem Audi ebenso unwichtig gewesen sein wie die Tatsache, dass an der Vorderachse Reifen mit stark unterschiedlichem Profil montiert waren – heute wäre das ein Anlass für höchste Alarmbereitschaft.

Doch es waren andere Zeiten damals in Deutschland – wer überhaupt ein Auto besaß oder zumindest in einem mitfahren konnte, war bereits unerhört privilegiert.

Äußerlich ließ sich so ein Audi zwar einem Amerikanerwagen annähern, aber so völlig selbstverständlich für jedermann wie in den Staaten sollte ein eigenes Kraftfahrzeug hierzulande erst in den 1960er Jahren werden.

Wir sehen auf solchen Fotos aus deutschen Landen also praktisch immer Luxusobjekte – heute können Sie diese hier kostenlos genießen…

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Kleiner Mann auf großer Fahrt: Hanomag 3/18 PS

Für den „kleinen Mann“ baute Hanomag zwar nie einen Wagen – dafür waren die Konstruktionen des Maschinenbauers aus Hannover schlicht zu teuer, übrigens auch das minimalistische „Kommissbrot“, ein ab 1925 gebautes 10 PS-Wägelchen.

Anfang der 1930er Jahre – genauer: ab 1931 – bot Hanomag neben seinem Einsteigermodell 3/17 PS mit 800ccm-Vierzylinder das Modell 4/23 PS an.

Dieses machte einen durchaus erwachsenen Eindruck, und besaß ab 1932 eine charakteristische Kühlerpartie, die nach unten hin spitz zulief:

Hanomag 4/23 PS; Originalfoto aus Sammlung Michael Schlenger

Die senkrechte Frontscheibe scheint auf die frühe Ausführung zu verweisen, ab 1934 gab es eine modellgepflegte Version mit schräggestellter Scheibe und bis zu dieser reichender Motorhaube, die dann als Hanomag „Garant“ verkauft wurde.

Auf obiger Abbildung achte man vor allem auf den annähernd senkrechten Verlauf des vorderen Türendes – darauf kommen wir noch zurück.

Für den kleinen Mann war der 23 PS-Hanomag unerreichbar – zumindest in finanzieller Hinsicht: Rund 3.000 Reichsmark waren dafür auf den Tisch zu blättern. Das entsprach 1931 mehr als anderthalb Brutto-Jahreseinkommen eines sozialversicherungspflichtigen Deutschen.

Übertragen auf die heutigen Verhältnisse (Durchschnittseinkommen im Jahr 2022: ca. 38.000 EUR) würde das bedeuten, dass man annähernd 60.000 EUR für ein Auto der unteren Mittelklasse aufbringen müsste.

Dieser Vergleich macht anschaulich, wie enorm teuer damals selbst einfache Automobile aus Sicht des Durchschnittsdeutschen waren.

Hanomag sah das Problem und dachte, dass es durch „Downsizing“ ein breiteren Schichten zugänglicheres und dennoch vollwertiges Fahrzeug anbieten könne. Dazu bot man neben dem 4/23 PS-Typ ab 1932 einen sehr ähnlichen 3/18 PS-Typ an.

Dieser war allerdings mit rund 2.500 Mark immer noch zu teuer für Otto Normalverbraucher und verkaufte sich daher kaum. Entsprechend schlecht ist der Hanomag 3/18 PS in der Literatur dokumentiert.

Nur ein Foto in der alten Ausgabe von Werner Oswalds Klassiker „Deutsche Autos 1920-1945“ konnte ich finden, das ein vom 4/23 PS etwas abweichendes Äußeres erkennen lässt. Hauptmerkmal scheint der schräge Verlauf der Türvorderkante gewesen zu sein:

Hanomag 4/18 PS; Originalfoto aus Sammlung Michael Schlenger

Auch das Fehlen von Radkappen und einer Vorderstoßstange spricht zumindest für eine einfachere Ausführung. Vorläufig bin ich der Ansicht, dass ein Hanomag mit diesem Erscheinungsbild eher ein 3/18 PS-Typ war als der parallel angebotene 4/23 PS-Typ.

Ich lasse mich diesbezüglich gern eines Besseren belehren, am besten anhand von Fotos eindeutig identifizierter Fahrzeuge.

So oder so – das hatte ich bereits ausgeführt – war auch der Hanomag 3/18 PS nichts für die sogenannten „kleinen Leute“ – also die Masse der Deutschen, die seinerzeit zu Fuß, mit dem Rad oder mit Bus bzw. Straßenbahn zur Arbeit gelangten.

Doch zumindest in einem Fall kann ich beweisen, dass es auch für einen kleinen Mann einst auf große Fahrt mit einem Hanomag 3/18 PS ging – hier sehen wir ihn:

Hanomag 3/18 PS; Originalfoto aus Sammlung Michael Schlenger

Dass die Mutter, die den Bub auf dem Arm hält, ganz gewiss nicht zu den „kleinen Leuten“ gehörte, ist unübersehbar. Sie überragt den Hanomag mit seinen 1,63 Meter Höhe deutlich.

Nun fragen Sie sich vielleicht, weshalb ich diesen Hanomag als 3/18 PS anzusprechen geneigt bin. Man sieht schließlich nicht, wie die vordere Türkante verläuft – überdies kommt er mit Stoßstange und Radkappen daher.

Müsste das nicht eher ein Hanomag 4/23 PS sein? Nun, meine These stützt sich auf ein zweites Bild desselben Wagens.

Denn der Hanomag mit Kennzeichen aus dem Raum Berlin ging einst mit dem kleinen Mann auf große Fahrt – und zwar in den Alpenraum, wo die folgende Aufnahme entstand:

Hanomag 3/18 PS; Originalfoto aus Sammlung Michael Schlenger

Wer hier genau hinsieht, erkennt den schrägen Verlauf der Türvorderkante. Wenn meine These stimmt, handelte es sich bei diesem Hanomag um ein 3/18 PS-Modell, offenbar mit Stoßstange und Radkappen als Extra.

Ich kann aber auch falsch liegen, denn wirklich gründliche und umfassende Literatur zu allen Hanomag-PKW-Typen gibt es ja bis heute nicht – (k)ein Witz.

Nicht auszuschließen ist, dass der schräge Verlauf der Türvorderkante ein Charakteristikum der Cabrio-Limousine aller Hanomag-Typen der frühen 1930er Jahre war – unabhängig von der Motorisierung.

Dann bleibt aber die Frage – die ich womöglich schon einmal in den Raum gestellt habe: wie unterschieden sich äußerlich der Hanomag 4/23 PS und die „Billigausführung“ 3/18 PS?

Wenn sich hier Klarheit gewinnen ließe, könnte das in meine Hanomag-Fotogalerie einfließen – die größte für jedermann zugängliche überhaupt…

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Ein Sommernachtstraum: NAG 6/12 PS „Puck“

Bald haben wir Mitte Juli und die Sommernächte sind so warm, wie ich das liebe. Das Träumen vom ewigen Süden stellt sich da bereits vor dem Schlafengehen ein.

Mit „Sommernachtstraum“ verbindet mancher das gleichnamige Theaterstück von Altmeister Shakespeare – übrigens hinreißend verfilmt 1999 mit Michelle Pfeiffer, Kevin Kline und Rupert Everett.

Darin taucht eine mythische Gestalt auf, die uns heute beschäftigen wird, der Puck! Die Figur entstammt der germanischen Volkstradition und ist in England bis in die Neuzeit lebendig geblieben.

Der Puck gehört zur weitverzweigten Familie der Elfen (auch: Elben) und zeichnet sich durch seinen zwielichtigen Charakter aus: Als Hausgeist ist er gutmütig bis großzügig, solange man ihn mit kleinen Gaben bedenkt – tut man das nicht, bringt er Unheil.

Wer fühlt sich da nicht an Automobile erinnert? Auch sie wollen mit Aufmerksamkeit bedacht werden, dann danken sie es einem mit Treue. Vernachlässigt man sie, werden sie bockig und brandgefährlich.

Ich weiß nicht, welche dieser Assoziationen der Berliner Autohersteller NAG im Sinn hatte, als er 1908 den neuen Kleinwagentyp N2 6/12 PS mit dem Beinamen „Puck“ bedachte:

NAG-Reklame um 1909; Faksimile aus Sammlung Michael Schlenger

Auf den ersten Blick haftet dem viersitzigen Tourenwagen – damals oft noch als Doppel-Phaeton bezeichnet – nichts Kleinwagenhaftes an.

In der Tat war die Konstruktion kein fauler Kompromiss, sondern stellte ein vollwertiges Automobil dar, an dem bloß alles etwas kleiner war als bei den großen NAG-Typen, die seinerzeit mit Leistungen bis zu 55 PS erhältlich waren.

Betrachtet man indessen zeitgenössische Fotos des Modells „Puck“ mit Insassen, erkennt man schnell, dass es sich tatsächlich um ein recht kompaktes Gefährt handelte:

NAG „Puck“ Typ 6/12 PS; Originalfoto aus Sammlung Matthias Schmidt (Dresden)

Diese reizvolle Aufnahme aus dem Fundus meines Sammlerkollegen Matthias Schmidt (Dresden) habe ich hier bereits vorgestellt.

Wie es seinem Charakter entspricht, hat der Puck die ihm seinerzeit geschenkte Aufmerksamkeit dankend zur Kenntnis genommen und revanchiert sich heute bei uns.

Selbstverständlich bleibt der sagenhafte Puck selbst unsichtbar, doch hat er uns ein weiteres Konterfei seines Namensvetters aus dem Hause NAG herbeigezaubert:

NAG „Puck“ Typ 6/12 PS; Originalfoto aus Sammlung Michael Schlenger

Macht sich der Puck ansonsten in der (ohnehin dürftigen) Literatur zur Automarke NAG rar, erweist er sich als durchaus großzügig, wenn man sich auf ihn einlässt.

Hier dient er gleich vier Personen als zuverlässiger Begleiter. Man erkennt übrigens, dass auf der Rückbank tasächlich nur Platz für zwei Erwachsene war – größere Modelle mit diesem Aufbau ließen sich ohne weiteres als Fünfsitzer nutzen.

Wie in der Frühzeit des Automobils häufig zu sehen, hat der in die Ferne schauende Fahrer eine Hand am Ball der Hupe, welcher hier in Griffweite neben Handbrems- und Schalthebel angebracht ist.

Gut gefällt mir auf dieser Aufnahme die Beifahrerin, die sich weniger steif als die beiden Damen im Fonds gibt und eine lässige Haltung einnimmt, als sei es das Natürlichste der Welt, in einem Automobil unterwegs zu sein.

Das war es vor über 110 Jahren gewiss nicht und auch wenn der „Puck“ in der damaligen Automobilhierarchie am unteren Ende stand, handelte es sich bei ihm um einen Luxusgegenstand, der nur einem verschwindend kleinen Teil der Deutschen zugänglich war.

Auch von daher sind wir gut beraten, uns jedem „Puck“ mit Ehrfurcht zu nähern. Denn Kleinwagen wie dieser standen am Anfang eines langen Wegs, der später zum erschwinglichen Automobil für jedermann führte.

In Zeiten zunehmenden Staatsversagens im Bereich der Verkehrsinfrastruktur, insbesondere öffentlicher Verkehrsmittel wie der Bahn, wird der Wert der individuellen Mobilität in Zukunft aus meiner Sicht eher noch zunehmen.

Also stellen Sie sich gut mit ihrem „Puck“ – oder wie auch immer Sie Ihren vierrädrigen Familienangehörigen nennen mögen. Lassen Sie ihm unbedingt die nötige Aufmerksamkeit zukommen – er wird es Ihnen danken und er könnte künftig zu den rarer werdenden Dingen gehören, auf die Sie sich noch verlassen können.

Im übrigen genießen Sie die warmen Sommernächte – der Winter wird hart und grausam werden, wenn in der Hauptstadt nicht bald der gute Geist der kalten Vernunft einzieht…

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Tschechisch, stark und chic: Aero 30

Tschechische Vorkriegswagen haben auch in deutschen Landen viele Liebhaber – das gilt vor allem für die bekannte Marke Tatra. Doch auch für weitgehend vergessene Nischenhersteller unseres Nachbarlands können sich einige Enthusiasten begeistern.

Ein schönes Beispiel dafür – im wahrsten Sinne des Wortes – ist Aero. Nach dem 1. Weltkrieg als Flugzeugbauer gegründet, begann die Firma Ende der 1920er Jahre auch PKW zu fertigen.

Das erste Modell – der Aero 500 – basierte noch auf einem Entwurf der Prager Marke Enka, deren Konstrukteur mangels eigener Expertise im Automobilbau kurzerhand von Aero abgeworben wurde.

Nach diesen Anfängen wandte man sich kompakten Konstruktionen mit Zweizylinder-Zweitakter nach DKW-Vorbild zu. 1934 ging man ebenfalls zum Vorderradantrieb über, der damals bereits von weit mehr Herstellern propagiert wurde, als man denken mag.

Der erste Vertreter diese Bauweise war der Aero 30 – auf dem Papier zwar „nur“ ein Kleinwagen mit 1-Liter-Motörchen – doch dieser hatte es in sich: Mit 30 PS Höchstleistung ließen die Tschechen die bestenfalls 20 PS „starken“ DKW-Frontwagen locker hinter sich.

Auch gestalterisch ging Aero durchaus eigene Wege – wenngleich ich auf die formalen Qualitäten der zeitgenössischen DKW-Wagen nichts kommen lasse, die war für meine Begriffe in der Kleinwagenklasse international konkurrenzlos.

Aber markant und durchaus sportlich kam bereits der Aero 30 des ersten Modelljahrs daher – hier freilich auf einer Nachkriegsaufnahme mit allerlei die Linie störenden Anbauteilen:

Aero 30; Originalfoto aus Sammlung Michael Schlenger

Man muss sich hier folgendes wegdenken, um die Gestaltung der Frontpartie wertschätzen zu können: Blinker, Positionsleuchten, Nebelscheinwerfer, Rückspiegel und wohl auch die Stoßstange waren allesamt nachgerüstet.

Ohne dieses ganze „Lametta“ hat man einen gutaussehenden, niedrig bauenden Wagen vor sich, der heute auf mancher von Prestigemarken dominierten Klassikerveranstaltung Furore machen machen würde.

Kein Wunder, dass diese optisch wie vom Tempo her flotten Wagen auch hierzulande ihre Freunde haben – es gibt sogar eine eigene und sehr aktive Aero-IG. Dieser verdanke ich auch meine gesamte Weisheit, was die Autos der Marke angeht.

Dank der dort wiedergegebenen Typenhistorie war ich imstande, einen weiteren Aero 30 näher einzuordnen, dessen Konterfei mir Johannes Kühmayer (Wien) freundlicherweise aus seinem Familienalbum zur Verfügung gestellt hat:

Aero 30, Karosserie Sodomka; Originalfoto aus Familienbesitz (via Johannes Kühmayer, Wien)

Bei dieser fabelhaft aussehenden Cabrio-Limousine käme man nicht unbedingt auf Idee, dass es sich lediglich um eine spätere Ausführung des Aero 30 handelt.

Das ist kein Wunder – denn bei dieser Version haben die Gestalter der Karosseriefabrik Sodomka Hand angelegt. Diese pflegte einen expressiven, doch stets gekonnten Stil, welcher vielen tschechischen Vorkriegswagen eine unverwechselbare Optik von großem Reiz verlieh.

Leider kann ich derzeit nur mit dieser Aufnahme eines solchen Aero 30 nach Sodomka-Entwurf aufwarten – aber vielleicht findet sich im Fundus eines Lesers noch mehr in dieser Richtung.

Es darf dann übrigens auch gern der Aero 50 sein, der ab 1936 die Palette nach oben abrundete. Mit seinen 50 PS bei gut 1.000 Leergewicht (Zweisitzer) wäre das auch in der Nachkriegszeit noch einige Jahre lang ein durchaus sportliches Auto gewesen.

Doch nur dem schwächeren Aero 30 sollte noch eine kurze Nachkriegskarriere vergönnt bleiben. 1946 wurde die Firma vom kommunistischen Regime verstaatlicht und in der sich daraufhin „entfaltenden“ Planwirtschaft war bald kein Platz mehr für die sinnliche Mischung „Tschechisch, stark und chic“…

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Der letzte „echte“ Stoewer: Greif V8

Die Wagen der Stettiner Firma Stoewer gehören zu den faszinierendsten Kapiteln deutscher Automobilgeschichte der Vorkriegszeit.

Kein anderer Hersteller blieb so lange unter der Leitung der Gründer und keinem anderen gelang es, sich durch alle Krisen hinweg immer wieder neu zu erfinden und so dem Schicksal der meisten übrigen Nischenfabrikanten zu entgehen, die spätestens in den 1920er Jahren vom Markt verschwanden.

Weil Stoewer-Autos stets in erster Linie das Produkt des Könnens der Gebrüder Stoewer selbst waren, zeichneten sie sich oft durch einen eigenen Stil aus – in technischer wie gestalterischer Hinsicht.

Daher lässt sich mit einiger Berechtigung sagen, dass der Weggang des für die Fahrzeugentwicklung maßgeblichen Bernhard Stoewer im Jahr 1934 auch das Ende der „echten“ Stoewer-Wagen markierte, wenngleich unter der Marke noch bis Kriegsausbruch weitere PKW-Modelle entstanden.

Bei seinem Abschied hinterließ Bernhard Stoewer als Vermächtnis ein letztes Zeugnis seines Konstrukteurstalents – den „Greif V8“.

Das Konzept eines starken Fronttrieblers mit V-förmigem Achtzylindermotor hatte Bernhard Stoewer bereits 1933 entwickelt und anhand eines hinreißenden Prototyps vorgestellt.

Von diesem konnte ich zwar bislang noch keine Originalaufnahme meiner Sammlung zuführen, doch mit dem ab 1934 in Serie gebauten Greif V8 kann ich durchaus dienen:

Stoewer Greif V8, Typentafel aus dem Handbuch des Reichsverbands der Automobilindustrie von 1935; Originaldokument aus Sammlung Michael Schlenger

Diese prachtvolle Seitenansicht findet sich im 1935 herausgegebenen Handbuch des Reichsverbands der Autoindustrie, welches Typentafeln nahezu aller in Deutschland gefertigten Wagen enthielt.

Auf dem entsprechenden Blatt werden nüchtern die technischen Besonderheiten des Stoewer Greif V8 aufgelistet:

Frontantrieb, hydraulische Vierradbremse

2,5 Liter V8-Motor mit Aluminiumkolben,

52 PS Spitzenleistung, 14 Liter Verbrauch auf 100 km

Hinterachse mit liegenden Schraubenfedern (Stoewer-Patent)

Gewicht der Limousine: 1250 kg; Spitzengeschwindigkeit: 115 km/h

Von Größe, PS-Zahl und Fahrleistungen her war damit unter den deutschen Fabrikaten nur der Hanomag „Sturm“ vergleichbar, wenngleich er einen Sechszylinder und Heckantrieb besaß.

Allerdings kostete eine viertürige Limousine im Fall des Hanomag „Sturm“ mit 4.875 Mark wesentlich weniger als beim Greif V8 – dort waren 5.700 Mark zu berappen. Das mag auf den ersten Blick erklären, weshalb sich der Hanomag wesentlich besser verkaufte.

Vom Stoewer Greif V8 entstanden bis 1937 nur etwas mehr als 800 Exemplare. Deshalb sind zeitgenössische Fotos dieses Typs nur selten zu finden.

Die folgende Aufnahme, welche die erwähnte Limousinenausführung zeigt, hat mir Stoewer-Experte Manfried Bauer aus seinem Fundus zur Verfügung gestellt. Dieser soll nebenbei noch dieses Jahr an die neu geschaffene Stoewer-Abteilung im Technikmuseum Stettins übergehen, wo sich bereits die Fahrzeugsammlung von Manfried Bauer befindet:

Stoewer Greif V8, viertürige Limousine; Originalfoto via Manfried Bauer

Man kommt nicht umhin festzustellen, dass dies ein auch optisch eindrucksvolles Fahrzeug war, dem man seine technische Andersartigkeit keineswegs ansah.

Doch der Misserfolg am Markt kann nicht allein am Preis gelegen haben – bei Mercedes bekam man für den annähernden Gegenwert eines Stoewer Greif V8 nur einen lahmen 200er Vierzylinderwagen mit biederem Äußeren und weit weniger Platz im Innenraum.

Auch der Frontantrieb war zum Zeitpunkt des Erscheinens etabliert – neben Stoewer verkauften auch DKW und Adler in großen Stückzahlen Fronttriebler, außerdem produzierte das Citroen-Werk in Köln für den deutschen Markt den fabelhaften „Traction Avant“.

Skepsis gegenüber einem V8-Motor kann ebenfalls kein Kaufhindernis gewesen sein – schließlich fand ab 1935 auch hierzulande der Ford V8 zahlreiche Käufer.

Meine Vermutung ist schlicht die, dass Stoewer aufgrund seines Charakters als Nischenproduzent betriebswirtschaftlich und von der Kapitalausstattung gar nicht zu einer größeren Produktion des Greif V8 imstande gewesen wäre.

So blieb der schöne Wagen ein seltener Anblick auf Deutschlands Autobahnen, obwohl er von seinen Fahrleistungen dafür ideal war. Von daher wird man den Stoewer Greif V8 auch kaum in Werkstätten und an Tankstellen zu Gesicht bekommen haben.

Dabei hatte die deutsche Shell-Niederlasssung damals eigens einen Schmierplan für dieses Modell anfertigen lassen, welcher für Kfz-Mechaniker und Tankwarte vorgesehen war, für die damals das regelmäßige Abschmieren von Kundenfahrzeugen Alltag war.

Ein originaler solcher Schmierplan davon hängt heute – leider etwas mitgenommen – in meiner Oldtimer-Werkstatt:

Shell-Schmierplan für den Stoewer Greif V8; Original aus Sammlung Michael Schlenger

Vermutlich ist so ein Schmierplan heutzutage mindestens so selten wie ein überlebender Stoewer Greif V8 – denn die Anleitung erwies sich mangels Nachfrage spätestens nach dem Krieg als obsolet und wurde meist von „ordnungsliebenden“ Zeitgenossen entsorgt.

Übrigens lassen sich die eingangs aufgezählten technischen Eigenheiten des Greif V8 darauf recht gut studieren – vielleicht interessiert sich ja ein Leser dafür, wenngleich ich es für unwahrscheinlich halte, dass sich darunter ein Besitzer dieses raren Modells befindet:

Damit nehmen wir für heute Abschied vom letzten „echten Stoewer“. Doch die Marke als solche wird uns noch viele Male beschäftigen und begeistern, das kann ich versichern.

Und wer weiß: Vielleicht entdeckt ja noch jemand ein weiteres Originalfoto eines Stoewer Greif V8 – am besten natürlich des sagenhaften Prototypen, den einst Bernhard Stoewer selbst entwarf…

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Stattliche Erscheinung(en): Dixi Chauffeur-Limousine

Mein heutiger Blog-Eintrag fällt in zweierlei Hinsicht aus dem Rahmen: Zum einen befasst er sich mit einem Fahrzeug von außergewöhnlichen Dimensionen, zum anderen sehe ich mich außerstande, den Typ genau zu benennen, obwohl der Hersteller kein Unbekannter war.

Wie an der Kühlerfigur – einem galoppierenden Kentauren – zu erkennen ist, zeichnete für die folgende stattliche Erscheinung die Fahrzeugfabrik Eisenach verantwortlich, die von 1904 bis zur Übernahme durch BMW Autos unter der Marke „Dixi“ baute:

Dixi Chauffeur-Limousine; Originalfoto aus Sammlung Michael Schlenger

Während die Ansprache des Herstellers dieses Kolosses klar ist, fällt (mir) die genaue Einordnung in die Dixi-Modellfamilie ausgesprochen schwer.

Der moderat ausgeprägte Spitzkühler gibt immerhin einen ungefähren Datierungshinweis: Wenn ich es richtig sehe, taucht dieser bei Dixi-Wagen recht spät auf – wohl erst mit dem 1921 vorgestellten Typ G1.

Dieses 6/18 PS Modell und sein Nachfolger G2 (6/24 PS) besaßen ebenfalls Drahtspeichenräder und (anfänglich) vier schrägstehende Luftschlitze in der Motorhaube:

Dixi Typ G1 6/18 PS; Originalfoto aus Sammlung Jürgen Ulloth

Doch unübersehbar handelte es sich hierbei um leichtere Modelle mit deutlich geringerem Radstand.

Der dicke Brummer auf dem eingangs gezeigten Foto muss also ein Dixi mit größeren Abmessungen und stärkerem Motor gewesen sein. Antriebsseitig kommen in den frühen 1920er Jahren mehrere Dixi-Modelle in Betracht:

Der Typ S16, welcher bereits 1912 eingeführt worden war und mit ständigen Leistungssteigerungen bis 1925 im Programm war – zuletzt mit 39 PS.

Daneben gab es den Dixi Typ U 20/55 PS, der 1914 vorgestellt wurde und noch bis 1923 gebaut wurde.

Außerdem waren leistungsgesteigerte Versionen des G-Typs erhältlich, bei denen bis zu 36 PS aus dem kompakten 1,6 Liter-Motor herausgeholt wurden.

Von diesen stärkeren Dixi-Wagen der frühen 1920er Jahre scheint nur der letztgenannte serienmäßig Drahtspeichenräder besessen zu haben. Aber letzlich hing es vom Geschmack des Besitzers ab, ob diese filigran bis sportlich wirkenden Räder oder rustikaler anmutende Holzspeichenräder montiert wurden.

In Anbetracht der stattlichen Erscheinung des heute präsentierten Dixi, der überdies einen schweren Aufbau als Chauffeur-Limousine erhalten hatte, tendiere ich zu einem der hubraumstärkeren Modelle, die sich wesentlich schaltfauler fahren ließen.

Welcher Typ es nun genau war, das kann vielleicht einer meiner in Sachen Dixi sachkundigen Leser sagen – ich schätze die Marke zwar sehr, würde mich aber nicht gerade als Kenner der komplexen Modellpalette dieses Herstellers bezeichnen.

Ebenfalls hoffe ich, dass mir jemand Aufschluss über eine weitere stattliche Erscheinung geben kann, die sich auf meinem Foto verbirgt – damit ist jedoch nicht der ausgeprochen gut genährte Fahrer gemeint:

Dixi Chauffeur-Limousine; Originalfoto aus Sammlung Michael Schlenger

Vielmehr frage ich mich, was das für ein imposanter Bau im Hintergrund war. Ich würde diesen irgendwo zwischen Historismus und Jugendstil ansiedeln, also um etwa 1900.

Könnte es sich um ein Bahnhofsgebäude handeln? Bekanntlich gab es einst – lange bevor die Bahn in die moderne Barbarei abglitt – den schönen Brauch, solche Bauten sensibel dem lokalen Architekturstil anzupassen, was Formen und Materialien angeht.

Die ästhetische Meisterschaft dieser Funktionsbauten ist nach dem 1. Weltkrieg – dem bis heute nachwirkenden Kulturbruch in fast jeder Hinsicht – nie wieder erreicht worden. Legt man das Nummernschild des vor dem Dixi parkenden Autos mit dem Kürzel „IS“ zugrunde, könnten wir uns irgendwo in Niedersachsen befinden – vielleicht ist das ja ein Hinweis.

Was auf jeden Fall bleibt, ist der fabelhafte Eindruck gleich mehrerer stattlicher Erscheinungen. Nicht nur im Hinblick auf den mächtigen Dixi fragt man sich einmal mehr, wie so etwas einfach verschwinden kann.

Wir leben aber selbst in einer Zeit, in der man zur Kenntnis nehmen kann, was an stattlichen Erscheinungen eines einst hochentwickelten Gemeinwesens alles am Untergehen ist – das Automobil, wie es uns seit über 100 Jahren begleitet, ist nur eine davon…

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Was vom Kriege übrigbleibt: Ein Berliet Typ VL um 1920

Ich bin ein Kind des Kalten Kriegs – aufgewachsen während des Ost-West-Konflikts zwischen Warschauer Pakt und NATO.

Ich war damals überzeugt, dass dies ein Konflikt zwischen sich ausschließenden Gesellschaftsformen war – einer, die den Interessen des Individuums den Vorrang gab, und einer, welche die Interessen eines Kollektivs vorgab, um Macht auszuüben.

Die Freiheit, sein Leben selbst gestalten zu können, nicht gegen das Ameisendasein in einer von Bürokraten kontrollierten Zwangsgemeinschaft tauschen zu müssen – für diese Überzeugung habe ich vor dem Fall des Eisernen Vorhangs meinen Wehrdienst an der innerdeutschen Grenze geleistet.

Die Zeiten haben sich seither geändert – die Konfrontation zweier entgegengesetzter Gesellschaftsentwürfe hat sich erledigt. Heute steht der einst freie Westen nicht mehr für den Vorrang des Einzelnen vor den Anmaßungen eines übergriffigen Staats.

Wuchernde Institutionen haben das Kommando über unser Leben, Reden und Denken übernommen. Wer das für übertrieben hält, rufe sich Abgabenquoten, Vorschriftendichte und Meinungsvielfalt im öffentlichen Raum der 1970er/80er Jahre in Erinnerung.

Für das heutige Deutschland oder gar den Beamtenadel im Kunstgebilde EU würde ich mich nicht mehr als Soldat zur Verfügung stellen. Zudem weiß ich aus familiärer Anschauung, was Krieg an Verlusten, Verwundungen und Verwüstungen hinterlässt.

Ganz gleich, wie die Sache ausgeht – was vom Kriege übrigbleibt, ist immer verheerend. Die Beschäftigung mit Vorkriegsautos auf alten Fotos sensibilisiert dafür zusätzlich:

Kathedrale von Ypern, Mitte der 1920er Jahre; Originalfoto aus Sammlung Michael Schlenger

Die gotische Kirche, die sich hier so prächtig darbietet, war wenige Jahre vor der Entstehung dieses Fotos ein Schutthaufen. Ich habe eine ganze Weile gebraucht, um herauszubekommen, dass es die Kathedrale von Ypern in Belgien war.

Am Ende des 1. Weltkriegs lag die grandiose Martinskeerk in Trümmern. Als mein obiges Foto aufgenommen wurde, war sie in einer heute unvorstellbaren Energieleistung weitgehend wiederhergestellt worden.

Die beiden Autos davor, der linke wohl ein DeDion, der rechte vielleicht ein aus der deutschen Besatzungszeit stammender Tourer, verblassen gegen den grandiosen Bau.

Leider sind an vielen anderen Orten – gerade auch im kriegsversehrten Deutschland – die Relikte unserer technischen Zivilisation das Einzige, was vom Kriege übrigblieb.

Doch auch die Kriegsschäden an einigermaßen glimpflich davon gekommenen Baudenkmälern, an denen Generationen unserer Vorfahren gearbeitet haben, sind schlimm genug anzusehen. Damit wäre ich bei dem Foto, um das es heute geht:

Berliet Type VL, um 1920; Originalfoto aus Sammlung Michael Schlenger

Ein unscheinbar wirkender Tourenwagen parkt vor der beschädigten Westfassade einer im dramatischen Stil der französischen Hochgotik gehaltenen Kathedrale.

„Notre Dame“ ist auf der Rückseite des Abzugs vermerkt. Doch ist nicht die gleichnamige Kirche in Paris gemeint, deren 800 Jahre alter Dachstuhl 2019 ein Raub der Flammen wurde (angeblich ist die Ursache immer noch ungeklärt…).

Nein, diese Opulenz des Skulpturenschmucks findet sich genau so an der Kathedrale „Notre Dame“ in Reims (Champagne). In ihrem Fall ist übrigens bekannt, wer für die Zerstörung des Dachstuhls aus dem Spätmittelalter zuständig war: deutsche Artillerie.

Im September 1914 hatten bereits mehrere Geschosse für den Einsturz eines Gerüsts am Nordturm gesorgt, bei dem der Skulpturenschmuck erhebliche Schäden erlitt.

Später wurde die Fassade durch Sandsäcke geschützt, doch kam es im weiteren Kriegsverlauf noch zu weiteren Zerstörungen, die sich freilich gegenüber der Kathedrale von Ypern in einigermaßen erträglichen Grenzen hielten.

So können wir zumindest hier erleichtert zur Kenntnis nehmen, das vom Kriege in Reims weit mehr übrigblieb als ein paar zeitgenössische Automobile (und ein Neubau).

Doch interessiert es schon, was das für ein Wagen war, der offenbar kurz nach Kriegsende vor dem Westportal der Kathedrale hielt, als dort noch Stacheldraht zur Absperrung diente:

Berliet Type VL, um 1920; Originalfoto aus Sammlung Michael Schlenger

Dass es ein Fahrzeug des französischen Nutzfahrzeugbauers Berliet war, welcher eher nebenher auch Personenwagen herstellte, verrät der Schriftzug auf dem Kühler.

Einige Autos von Berliet habe ich in meinem Blog vorgestellt, doch bin ich weit davon enfernt, mich mit den einzelnen Typen auszukennen.

Ich habe mein Glück versucht und aus einem Bauchgefühl heraus nach Berliet-PKWs um 1920 recherchiert. Viel jünger schien mir dieses Fahrzeug mit seinem hochgezogenen Windlauf vor der Frontscheibe, aber bereits elektrischen Scheinwerfern, nicht zu sein.

Und siehe da: Fündig wurde ich beim Berliet des Typs VL, einem Vierzylindermodell, welches ab 1919 gebaut wurde. In der Cité de l’Automobile – der einstigen Sammlung Schlumpf in Mühlhausen (Elsass) – ist genau so ein Exemplar zu bewundern.

Was vom Kriege übrigblieb, ist am Ende also nicht nur die überwältigende gotische Kathedrale von Reims, sondern auch ein dagegen zwergenhaft anmutender Tourenwagen, welcher vor über 100 Jahren dort Halt machte.

Beide Relikte können wir heute noch bewundern, außerdem das Foto, auf welchem sie vereint sind. Sie werfen nebenbei die zeitlose Frage auf, was es wert ist, einen Krieg partout bis zum Ende auszufechten anstatt schleunigst Friedensverhandlungen anzustreben.

Michael Schlenger, 2022. All entries in this blog (including embedded photos) are copyrighted by the author, unless otherwise indicated. Excerpts and links may be used, provided that credit is given to Michael Schlenger and https://vorkriegs-klassiker-rundschau.blog with appropriate and specific direction to the original content.